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Leo Trotzki 19340800 Der Ausweg: SFIO und SFIC

Leo Trotzki: Der Ausweg: SFIO und SFIC

[Nach Unser Wort. Wochenzeitung der Internationalen Kommunisten Deutschlands, 2. Jahrgang 1934, Nr. 33, Ende September 1934 (Nr. 49), S. 4]

[Den nachstehenden Artikel entnehmen wir der neuesten Nummer der „Vérité“, dem Organ unserer französischen Sektion, das jetzt als Fraktionsorgan der SFIO erscheint. Dieser Artikel stellt die Fortsetzung des in „UW“ Nr. 31 (47) erschienenen Artikels „Die Entwicklung der Soz. Partei Frankreichs (SFIO)“ dar und enthält den Standpunkt des Zentralkomitees unserer französischen Sektion

Einzelne, in diesem Artikel enthaltene, Fragen erfordern eine ausführliche Behandlung. Zur Vermeidung evtl. möglicher Missverständnisse weisen wir darauf hin, dass dieser Artikel nur einen Teil des umfangreichen Materials darstellt, das wir interessierten Lesern in ausführlicher Form zugänglich machen werden.

Die Redaktion.]

Die französische Sozialistische Partei – schrieben wir im vorigen Artikel – entwickelt sich in umgekehrter Richtung wie der Staat: während an die Stelle des Parlamentarismus der Bonapartismus trat, der eine unbeständige Etappe auf dem Wege zum Faschismus darstellt, geht die Sozialdemokratie umgekehrt einem Konflikt auf Leben und Tod mit dem Faschismus entgegen. Kann man indessen dieser Feststellung, die für die französische Politik jetzt von ungeheurer Bedeutung ist, absoluten und somit internationalen Charakter zusprechen?

Nein, die Wahrheit ist immer konkret. Wenn wir von auseinanderstrebenden Entwicklungswegen der Sozialdemokratie und des bürgerlichen Staates unter den Bedingungen der heutigen sozialen Krise sprechen, so haben wir nur eine allgemeine Entwicklungstendenz im Auge, und keinen gleichförmigen, automatischen Prozess. Politisch entscheidet sich die Frage für uns je nachdem, in welchem Grad die Tendenz tatsächlich Wirklichkeit zu werden vermochte. Man kann das umgekehrte Theorem aufstellen, das in unserem Kreise hoffentlich nicht auf Einwendungen stoßen wird: das Schicksal des Proletariats hängt in unserer Epoche in erheblichem Maße davon ab, wie entschieden die Sozialdemokratie es fertig bringt, in der ihr vom Gang der Entwicklung belassenen kurzen Frist mit dem bürgerlichen Staat zu brechen, sich auf die Entscheidungsschlacht mit dem Faschismus umzustellen und vorzubereiten. Allein schon, dass es möglich ist, dass das Schicksal des Proletariats von dem der Sozialdemokratie abhängt, hat zur Ursache den Zusammenbruch der Komintern als führender Partei des internationalen Proletariats und die außerordentliche Schärfe des Klassenkampfes.

Die Tendenz zur Verdrängung des Reformismus durch Zentrismus, sowie zur Radikalisierung des Zentrismus kann nicht anders als internationalen Charakter haben, entsprechend der allgemeinen Krise des Kapitalismus und des demokratischen Staates. Aber von entscheidender Bedeutung für die praktischen und vor allem organisatorischen Schlussfolgerungen ist die Frage, wie diese Tendenz sich auf der gegebenen Entwicklungsetappe – in der sozialdemokratischen Partei eines gegebenen Landes äußert. Die von uns gezeichnete allgemeine Entwicklungslinie darf nur unsere Analyse leiten, doch durchaus nicht die Schlussfolgerungen aus ihr vorwegnehmen.

Im vorfaschistischen Deutschland äußerte sich der nahende Bruch zwischen bürgerlichen Staat und Reformismus in der Herausbildung eines linken Flügels innerhalb der Sozialdemokratie. Aber der mächtige bürokratische Apparat reichte bei der kompletten Desorientierung der Massen aus, um zeitig den noch schwachen linken Flügel (die SAP) abzuhacken und die Partei auf dem Geleise der konservativ abwartenden Politik zu halten Zugleich ersetzte die deutsche Kompartei, von den Gasen der „dritten Periode“ und des „Sozialfaschismus“ betäubt, die bei dem gegebenen Kräfteverhältnis ohne Einheitsfrontpolitik unmögliche revolutionäre Massenmobilisierung durch „Amsterdamer“ Paraden. Als Folge davon erwies sich das mächtige deutsche Proletariat außerstande, dem faschistischen Umsturz auch nur den geringsten Widerstand zu leisten. Die Stalinisten erklärten: schuld ist die Sozialdemokratie! Aber eben damit gaben sie selber zu, dass all ihre Ansprüche auf die Führung des deutschen Proletariats leere Prahlerei gewesen war. Diese grandiose politische Lehre weist vor allem nach, dass die Kompartei selbst in einem Lande, wo sie – absolut wie relativ – am einflussreichsten war, in der entscheidenden Minute unfähig war, auch nur den kleinen Finger zu rühren, solange die Sozialdemokratie die Möglichkeit hatte, ihr die ganze Kraft ihres konservativen Widerstands entgegenzusetzen. Seien wir dieses fest eingedenk!

In Frankreich erhielt dieselbe geschichtliche Grundtendenz ein wesentlich anderes Gepräge. Unter dem Einfluss sowohl der besonderen nationalen Bedingungen, wie der internationalen Lehren kam die Krise innerhalb der französischen Sozialdemokratie erheblich stärker zur Entfaltung ab in der entsprechenden Periode bei der deutschen Sozialdemokratie. Die sozialistische Bürokratie sah sich gezwungen, einen Schlag nach rechts zu führen. Statt den Ausschluss eines schwachen linken Flügels wie in Deutschland erleben wir einen Bruch mit dem (als Agentur der Bourgeoisie) viel konsequenteren rechten Flügel (den Neo). Diese zwei Spaltungen unterstreichen in ihrer Symmetrie wie es deutlicher nicht geht, den wirklich großen Unterschied in der Entwicklung der deutschen und der französischen Sozialdemokratie, trotz Vorhandenseins, hier wie dort, gemeinsamer geschichtlicher Tendenz der Krise des Kapitalismus und der Demokratie, des Zusammenbruchs des Reformismus und des Bruches zwischen bürgerlichem Staat und Sozialdemokratie.

Es wäre notwendig, unter dem bezeichneten Gesichtswinkel eine Schätzung der Lage in den sozialistischen Parteien aller kapitalistischen Länder vorzunehmen, die verschiedene Krisenetappen durchlaufen. Doch diese Aufgabe geht über den Rahmen dieses Artikels hinaus. Weisen wir nur auf Belgien hin, wo die sozialdemokratische Partei, ganz und gar verstrickt in eine reaktionäre und verseuchte Parlaments-, Gemeinde-, Gewerkschafts-, Genossenschafts- und Bankbürokratie, sich jetzt im Kampfe mit ihrem linken Flügel befindet und bestrebt ist, nicht im geringsten ihrem deutschen Muster (Wels, Severing & Co) nachzustehen. Klar, dass für Frankreich und für Belgien nicht ein und dieselben praktischen Schlussfolgerungen gezogen werden können.

Es wäre jedoch falsch zu meinen, die Politik der deutschen und belgischen Sozialdemokratie einerseits, der französischen andererseits, stellten zwei ein für allemal unvereinbare Typen dar. In Wirklichkeit können und werden sie mehr als einmal ineinander übergehen. Mit Gewissheit kann man sagen, hätte die deutsche Kompartei seinerzeit eine richtige Einheitsfrontpolitik geführt, so würde sie der Radikalisierung der sozialdemokratischen Arbeiter einen machtvollen Anstoß gegeben, und die ganze politische Entwicklung Deutschlands revolutionären Charakter bekommen haben. Andererseits darf man es nicht für ausgeschlossen betrachten, dass die sozialdemokratische Bürokratie in Frankreich unter aktiven Mithilfe der Stalinisten den linken Flügel isoliert und der Entwicklung der Partei rückläufige Bewegung gibt; die Folgen sind unschwer vorauszusehen: Versiegen der Kräfte im Proletariat und Sieg des Faschismus. Was Belgien betrifft, wo die Sozialdemokratie beinahe die Monopolpartei des Proletariats ist, so kann man sich dort einen erfolgreichen Kampf gegen den Faschismus ohne entscheidende Umgruppierungen der Kräfte und Tendenzen innerhalb der Sozialdemokratie überhaupt nicht vorstellen. Aber man kann nicht alle Entwicklungsetappen und -formen vorhersehen. Nötig ist. die Hand am Puls der Arbeiterbewegung zu halten und jeweils die erforderlichen Schlüsse zu ziehen.

Das Gesagte genügt jedenfalls, um zu begreifen, welch kolossale Bedeutung für das Schicksal des Proletariats – wenigstens in Europa – während der nächsten Geschichtsetappe die Entwicklung innerhalb der sozialdemokratischen Parteien zufällt. Wenn wir daran erinnern, dass 1925 die Komintern in einem besonderen Manifest erklärte, die französische Sozialistische Partei existiere überhaupt nicht mehr, so verstehen wir ohne Mühe, wie weit das Proletariat und besonders seine Vorhut zurückgewichen ist in den Jahren der Epigonenherrschaft!

Weiler oben ist bereits gesagt, für Deutschland habe die Komintern, wenn auch erst hinterher und in negativer Form, ihre ganze Unfähigkeit zum Kampf gegen den Faschismus zugegeben, wenn daran nicht die Sozialdemokratie teilnimmt. In Bezug auf Frankreich sah sich die Komintern gezwungen, dasselbe Eingeständnis zu machen, nur zeitiger und in positiver Form. Umso schlimmer für die Komintern, aber umso besser für die Sache der Revolution!

Während sie ohne jede Erklärung auf die Theorie des Sozialfaschismus verzichteten, warfen die Stalinisten zugleich auch das revolutionäre Programm über Bord. „Eure Bedingungen sollen unsere Bedingungen sein“, erklärten sie den SFIO-Führern. Sie verzichteten auf die Kritik am Bundesgenossen. Für das Bündnis zahlen sie mir nichts dir nichts mit ihrem Programm und ihrer Taktik. Dabei ist, soweit es die Verteidigung gegen den gemeinsamen Todfeind gilt, wo jeder der Verbündeten seine Lebensinteressen verficht, niemand dem anderen für das Bündnis etwa schuldig, hat jeder das Recht, er selbst zu bleiben. Die Stalinisten betragen sich so, als wollten sie den sozialistischen Führern zuflüstern: „Verlangt mehr, drängt geniert Euch nicht, helft uns, so schnell wie möglich die gewürzten Parolen loszuwerden, die bei der augenblicklichen internationalen Lage unseren Moskauer Herren lästig sind".

Über Bord geworfen ist die Losung der Arbeitermiliz, Kampf um die Bewaffnung der Arbeiter gilt als „Provokation“. Ist es nicht auch besser, sich mit den Faschisten in die „Einflusssphären" unter Kontrolle der Herren Polizeipräsidenten zu teilen? Für die Faschisten ist das jedenfalls die vorteilhafteste aller möglichen Kombinationen: während die Arbeiter, eingelullt von allgemeinen Phrasen über de Einheitsfront, sich mit Paradeumzügen befassen, werden die Faschisten ihre Kader und Waffenvorräte vermehren, sich neue Massenreserven heranziehen und sich die passendste Stunde aussuchen, um zum Angriff überzugehen.

Die Einheitsfront wurde so für die französischen Stalinisten zu einer Form der Kapitulation vor der Sozialdemokratie Die Losungen und Methoden der Einheitsfront stellen eine Kapitulation vor dem bonapartistischen Staat dar, der seinerseits dem Faschismus den Weg bahnt. Vermittels der Einheitsfront schützen sich die beiden Bürokratien nicht ohne Erfolg gegen alle Einmischung einer „dritten Kraft". Das ist die politische Lage im französischen Proletariat, das sehr schnell vor entscheidenden Ereignissen stehen kann. Diese Lage könnte verhängnisvoll erscheinen, wäre nicht der Druck der Massen und der Tendenzenkampf in der sozialistischen Partei.

Wer sagt: Zweite wie Dritte Internationale sind erledigt, die Zukunft gehört der Vierten Internationale, der spricht einen Gedanken aus. dessen Richtigkeit die heutige Lage in Frankreich erneut bestätigt. Aber dieser richtige Gedanke an sich sagt uns noch nicht, wie, unter welchen Umständen und in welcher Zeit die Vierte Internationale geschaffen werden wird. Sie kann – theoretisch ist das nicht ausgeschlossen – aus der Vereinigung der Zweiten und der Drillen entstehen, vermittels einer Umgruppierung der Elemente und der fortgesetzten Säuberung und Stählung der Reihen im Feuer des Kampfes. Sie kann entstehen durch die Radikalisierung des proletarischen Kerns der sozialistischen Partei und durch den Verfall der stalinistischen Organisation. Sie kann Zustandekommen im Verlauf des Kampfes gegen den Faschismus und des Sieges über ihn. Aber sie kann auch sehr viel später entstehen, in mehreren Jahren, aus den von Faschismus und Krieg aufgetürmten Trümmern und Ruinen. Für Leute vom Schlage der Bordigisten sind all diese Varianten. Perspektiven, Etappen belanglos. Sektierer leben außer Zeit und Raum. Sie ignorieren den lebendigen Geschichtsprozess, der ihnen mit gleicher Münze heimzahlt. Darum ist ihre „Bilanz"* immer dieselbe, nämlich null. Marxisten können mit dieser Karikatur einer Politik nichts gemein haben.

Selbstverständlich, wäre in Frankreich eine starke Organisation der Bolschewiki-Leninisten vorhanden, so könnte und müsste sie in den heutigen Verhältnissen zur selbständigen Kristallisationsachse der proletarischen Vorhut werden. Doch die Liga vermochte zu so einer Organisation nicht zu werden. Ohne die Fehler der Leitung irgendwie zu mildern, muss man zugeben, dass die Hauptursache für die Langsamkeit der Entwicklung der Liga im Verlauf der Weltarbeiterbewegung zu suchen ist, die im letzten Jahrzehnt nur Niederlagen und Rückzüge kannte. Die Ideen und Methoden der Bolschewiki-Leninisten bestätigen sich auf jeder neuen Etappe der Entwicklung. Aber kann damit gerechnet werden, dass die Liga als Organisation imstande sein werde, in der Zeitspanne, die ihr vor den Entscheidungskämpfen noch bleibt, in der Arbeiterbewegung eine einflussreiche, wenn nicht die leitende Stellung einzunehmen? Heute diese Frage bejahend beantworten hieße entweder in den Gedanken diese Auseinandersetzung um einige Jahre verschieben, was der ganzen Lage widerspricht, oder einfach auf Wunder hoffen. Klar wie der Tag ist. dass der Sieg des Faschismus heißt: Zusammenbruch sämtlicher Arbeiterorganisationen. Ein neues Geschichtskapitel würde beginnen, in dem die Ideen der Bolschewiki-Leninisten sich eine neue organisatorische Form zu suchen hätten. Die Aufgabe von heute muss konkret und in ihrem unlösbaren Zusammenhang mit dem Charakter der Periode, in der wir leben, formuliert werden: wie ist mit den größtmöglichen Chancen der Sieg des Faschismus zu verhindern bei den vorhandenen Gruppierungen des Proletariats und bei dem gegebenen Kräfteverhältnis zwischen diesen Gruppierungen? Im Besonderen: welchen Platz soll die Liga, die kleine Organisation, die auf eine selbstständige Rolle in dem sich anbahnenden Kampfe keinen Anspruch erheben kann, aber mit einer richtigen Doktrin und einer kostbaren politischen Erfahrung ausgerüstet ist, welchen Platz soll sie einnehmen, um die Einheitsfront mit revolutionärem Inhalt zu befruchten? Diese Frage klar stellen heißt sie im Wesen schon beantworten. Die Liga muss unverzüglich ihren Platz innerhalb der Einheitsfront suchen, um aktiv an der revolutionären Umgruppierung und Zusammenfassung von deren Kräften mitzuwirken. Dahin kann sie bei den gegebenen Verhältnissen nicht anders kommen als durch den Eintritt, in die Sozialistische Partei,

Aber die Kompartei ist doch immerhin revolutionärer – erwidern einige Genossen , können wir, wenn wir schon auf unsere organisatorische Selbständigkeit zu verzichten beschließen. uns der weniger revolutionären Partei anschließen?

Dieses Haupt-, richtiger einziges Argument unserer Gegner stützt sich auf politische Erinnerungen und psychologische Urteile, und nicht auf die lebendige Dynamik der Entwicklung. Beide Parteien stellen zentristische Organisationen dar, mit dem Unterschied, dass der Zentrismus der Stalinisten ein Produkt der Zersetzung des Bolschewismus ist, während der Zentrismus der Sozialistischen Partei aus der Zersetzung des Reformismus entstand. Es gibt zwischen ihnen auch noch einen anderen, nicht weniger wesentlichen Unterschied. Der Zentrismus der Stalinisten stellt trotz seinen krampfhaften Zickzacks ein ungemein stabiles politisches System dar, das mit der Lage und den Interessen der mächtigen bürokratischen Schicht untrennbar verknüpft ist. Der Zentrismus der Sozialistischen Partei drückt einen Übergangszustand der den Ausweg in Richtung auf die Revolution suchenden Arbeiter aus.

In der Kompartei gibt es unbestreitbar Tausende von kampfgewillten Arbeitern. Aber sie sind hoffnungslos verwirrt: Gestern waren sie bereit, zusammen mit richtigen Faschisten auf den Barrikaden sich gegen die Regierung Daladier zu schlagen. Heute kapitulieren sie schweigend vor den Losungen der Sozialdemokratie. Die proletarische Organisation von St. Denis, von den Stalinisten erzogen, kapituliert schlichtweg vor dem PUPismus. Zehn Jahre Versuche und Bemühungen, die Komintern wieder aufzurichten. blieben ohne Erfolg. Die Bürokratie war mächtig genug, ihr Zerstörungswerk bis zu Ende durchzuführen

Indem sie der Einheitsfront rein dekorativen Charakter verleihen, den Verzicht auf die elementaren revolutionären Losungen „Leninismus" taufen, halten die Stalinisten die revolutionäre Entwicklung der Sozialistischen Partei auf. Sie spielen die Rolle der Bremse auch heute nach ihrer akrobatischen Schwenkung weiter. Das innere Parteiregime schließt heute noch entschiedener als gestern jeden Gedanken an ihre Wiederauferstellung aus.

Man kann SFIO und SFIC nicht vergleichen wie zwei Stück Tuch: welches Gewebe ist besser, feiner? Jede Partei muss man in ihrer Entwicklung nehmen und die Dynamik ihres Wechselverhältnisses in der heutigen Epoche erforschen. Nur so werden wir den günstigsten Ansatzpunkt für unseren Hebel ausfindig machen.

Der Beitritt der Liga zur Sozialistischen Partei kann eine große politische Rolle spielen. In Frankreich gibt es Zehntausende von revolutionären Arbeitern, die keiner Partei angehören. Viele von ihnen sind durch die Kompartei gegangen, verließen sie empört oder wurden ausgeschlossen. Sie haben ihre alte Einstellung zur Sozialistischen Partei beibehalten, d.h. kehren ihr den Rücken. Sie sympathisieren ganz oder halb mit der. Ideen der Liga, schließen sich ihr aber nicht an, da sie an die Entwicklungsmöglichkeit für eine dritte Partei unter den heutigen Umständen nicht glauben. Diese Zehntausende revolutionärer Arbeiter außerhalb der Partei, in den Gewerkschaften außerhalb der Fraktion.

Hier muss man die Hunderte und Tausende revolutionärer Volksschullehrer hinzufügen, nicht nur die von der CGTU, sondern auch die der CGT, die als das Bindeglied zwischen Proletariat und Bauernschaft dienen könnten. Sie stehen außerhalb der Parteien, feindlich eingestellt sowohl dem Stalinismus wie dem Reformismus gegenüber. Allein, in der nächsten Zeil sind der Massenkampf mehr als sonst das Flussbett der Partei wählen. Die Schaffung von Sowjets würde de Rolle der Arbeiterparteien nicht abschwächen, sondern im Gegenteil verstärken, denn die in den Sowjets zusammengeschlossenen Millionenmassen brauchen eine Führung, diese aber kann ihnen nur die Partei geben.

Es besteht nicht das kleinste Bedürfnis, die SFIO zu idealisieren, d.h. sie in allen ihren heutigen Widersprüchen für die revolutionäre Partei des Proletariats auszugeben. Aber man kann und muss auf die inneren Widersprüche der Partei hinweisen als auf ein Pfand ihrer weiteren Entwicklung und folglich als den Ansatzpunkt für den marxistischen Hebel. Die Liga kann und muss jenen Tausenden und Zehntausenden revolutionären Arbeitern, Volksschullehrern usw., die in der heutigen Lage Gefahr laufen, außerhalb des Kampfstroms stehen zu bleiben, als Beispiel vorangehen. Durch den Eintritt in die Sozialistische Partei werden sie den linken Flügel außerordentlich stärken, die ganze Evolution der Partei befruchten, einen gewaltigen Anziehungspunkt für die revolutionären Elemente der „Kompartei“ bilden und damit den Ausweg des Proletariats zur Revolution unermesslich erleichtern.

Ohne Verzicht auf seine Vergangenheit und seine Ideen, aber auch ohne irgendwelche grüppchenhaften Hintergedanken, klar aussprechend, was ist, muss man in die Sozialistische Partei eintreten, nicht für eine Gastrolle, nicht für Experimente, sondern für eine ernste revolutionäre Arbeit unter dem Banner des Marxismus.

* „Bilan": Zeitschrift der französischen Bordigisten.

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