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Leo Trotzki 19350902 Brief an das AK der IKD

Leo Trotzki: Brief an das AK der IKD

[Nach Informationsdienst der IKD, Nr. 10, Februar 1936, S. 5 f.]

Am 2.9.35

Werte Genossen,

1. Ich habe mit größtem Interesse die mir aus … zugekommenen Deutschlandbriefe gelesen. Erstens geben sie eine inhaltsreiche Darstellung der Lage im Innern. Zweitens beweisen sie, dass wir in Deutschland Kader haben, auf deren marxistisches Verständnis wir wirklich stolz sein können. Was der Bericht aus J-S über die Lage in den Betrieben sagt., ist höchst wichtig und bekräftigt mich in jenen Erwägungen, die ich in den Bemerkungen zu den Thesen des AK formuliert habe. Der zweite Bericht (zur deutschen Lage) ist höchst aufschlussreich, auch in Bezug auf die so übertrieben umstrittene Kirchenfrage. Möglich, dass auch noch manche deutsche Genossen viel zu sehr rein propagandistisch eingestellt sind. Das hängt aber auch mit der Haltung von „UW" zusammen. Das Blatt muss jetzt ausgebaut werden. Es hat eine Basis im Lande und kann durch die Vermittlung seiner Kader sie mit Erfolg erweitern. Die Vorbedingung ist aber, dass „UW" regelmäßig erscheint, wenigstens zweimal im Monat und wenigstens einmal monatlich sechsseitig. Das wird die Möglichkeit schaffen, 2 Seiten einem aktuellen, mehr agitatorischen Gehalt zu widmen, ohne dabei die theoretischer Fragen und die internationale Information zu vernachlässigen. Jede Nummer soll, ich wiederhole, paar Spalten haben, die mit kleinen (5 bis 10 Zeilen) Notizen über die inneren Angelegenheiten der Arbeiterorganisationen usw. ausgefüllt sind. Diese Fragen interessieren, wie die Berichte zeigen, die deutschen Genossen im höchsten Grade.

2. Ich höre, manche Genossen finden oder fanden vielleicht gestern, die Wendung in der SAP-Frage, äußerlich verbunden mit dem Alchimieartikel, sei auf einem nicht demokratischen Wege zustande gekommen. Die Frage scheint mir für das wirkliche Verständnis des demokratischen Zentralismus von solcher Bedeutung, dass ich ihr hier wenigstens ein paar Worte widmen möchte. Die letzte Konferenz der IKD hat unbestreitbar eine Annäherungspolitik der SAP gegenüber beschlossen. Die AK-Vertreter haben damals diese Perspektive für aussichtslos angesehen. Sie hielten es aber mit Recht für notwendig, der innerdeutschen Organisation die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiete zu machen, denn es war wirklich viel leichter, zu einem anschließendem Ergebnis im Ausland (wo man die Leitung direkt vor sich hat) als im Inland zu kommen. Nun war doch der Beschluss der Konferenz seinem Sinne nach nicht für die Ewigkeit bestimmt: es handelte sich darum, einen praktischen Versuch zu machen, wobei sich das Weitere aus den erzielten Resultaten ergeben sollte. Die Haltung der Leitung der SAP im Auslande wie die Berichte aus Deutschland wiesen unzweifelhaft darauf hin, dass auf dem Verhandlungswege mit der SAP nichts mehr zu erzielen ist, dass aber die zwecklosen Verhandlungen nur unsere eigene Organisation lähmen. Das war die Überzeugung des AK. Sie fiel vollständig zusammen mit den Schlussfolgerungen, die ich aus unserer internationalen Erfahrung gezogen hatte. Die Übereinstimmung in dieser Frage hat sich bei der Zusammenkunft mit dem Gen. Braun als vollständig erwiesen. Was sollte die Leitung in dieser Situation machen? Manche Genossen meinen, sie sollte eine Diskussion auslösen und auf deren Grund eine neue Konferenz oder ein Referendum veranstalten. Das wäre echte „Demokratie". Vielleicht. Aber von revolutionärem Zentralismus, von Initiative, Schlagfertigkeit und Verantwortungssinn der Leitung wäre da nicht die geringste Spur. Wenn man so verfährt, dass man in jeder Frage die Verantwortung der Mitgliedschaft überlässt, verliert die Leitung jeden Sinn. Eine kleine Rechenmaschine genügt vollständig, insbesondere in Bezug auf die deutschen Verhältnisse erscheint die Idee der reinen Parteidemokratie (minus bolschewistischen Zentralismus) als vollständige Utopie. Die Leitung muss auch den Mut haben, eine von der nächsten Instanz, von der Konferenz beschlossene Aktion für erledigt zu erklären und daraus alle notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Natürlich muss die Leitung dabei sicher sein, dass sie die wirkliche Erfahrung der Mehrheit der Organisation zum Ausdruckt bringt und diese sichere Überzeugung hatte das AK wie auch der Verfasser des Artikels, Hat sich diese Einschätzung bewährt? Vollständig. Erstens dadurch, dass sich die Genossen im Lande nach kurzer Überlegung der notwendigen Wendung angeschlossen haben. Zweitens durch die jüngsten Heldentaten der SAP auf dem internationalen Gebiet. Eine Leitung, ich wiederhole es, die in einem kritischen Moment nicht den Mut aufbringt, aus eigener Initiative, aber aus der allgemeinen Erfahrung der Gesamtheit heraus, ohne Zeit zu verlieren, in 24 Stunden eine neue Bahn einzuschlagen, ist nicht wert, Leitung zu heißen. Natürlich läuft sie dabei Gefahr, einen Bock zu schießen, nachträglich von der Organisation geprügelt oder sogar verjagt zu werden. Jedes Metier hat seine Gefahren und diese Gefahr gehört eben zum Metier der Leitung.

Mit komm. Grüßen

L. Trotzki.

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