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Leo Trotzki 19350424 Zentristische Alchimie oder Marxismus

Leo Trotzki: Zentristische Alchimie oder Marxismus

(Zur Frage der SAP)

[Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 3. Jahrgang, Nummer 5 (57), Ende Mai 1935, S. 1-4]

Die Gruppierungen innerhalb Deutschlands und die internationalen Fragen

Deutschlands politisches Leben ist derartig zusammengepresst, die Folgen der Niederlage werden von den Massen so schneidend empfunden, dass die verschiedenen Gruppierungen in der Arbeiterklasse bis jetzt noch der Möglichkeit beraubt sind, sich in die Breite und Tiefe zu entwickeln und die ihr innewohnenden Tendenzen sichtbar werden zu lassen.

Desto größere Bedeutung für die Erziehung der fortgeschrittenen Arbeiter kommt in solchen Perioden zwei Faktoren zu: 1. der politischen Emigration, 2. den internationalen Problemen. Damit soll keineswegs die Bedeutung der Organisationen und Probleme innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung geschmälert werden. Das lückenlose Fortleben revolutionären Denkens und revolutionärer Erziehung, selbst in den dumpfesten Perioden, ist ein großes Gut. das später in der Periode des revolutionären Aufschwungs hundertfältige Frucht tragen wird. Eben jetzt, im Schraubstock der Nazidiktatur, bilden sich die Kader stahlharter Kämpfer heran, die Deutschlands Schicksal ihren Stempel aufdrücken werden. Wir wollten nur mit aller Kraft unterstreichen, dass die deutschen Genossen jetzt mehr als je ihre internen Beziehungen und Gruppierungen nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem Leben jener Länder betrachten müssen, wo die revolutionären Probleme offener und deutlicher stehen. So würde beispielsweise ein bedeutender Erfolg der Bolschewiki-Leninisten in einem der nichtfaschistischen Länder Europas ganz außer Zweifel schon heute auf das weitere Schicksal unserer Sektion in Deutschland eine belebende Wirkung ausüben. Man vergesse auch nicht, dass die politischen Fragen der nichtfaschistischen Länder für Deutschland nicht nur Vergangenheit, sondern in nicht geringem Maße auch Zukunft sind: das deutsche Proletariat hat in vielem von vorne anzufangen und aufs Neue zu wiederholen, bloß in sehr viel kürzeren Zeiträumen.

Mit den entsprechenden Änderungen gilt das Gesagte natürlich auch für die anderen Organisationen. Ohne Perspektiven, ohne klare Losungen, leistet die KPD dennoch bemerkenswerte illegale Arbeit: diese Tatsache ist ein Zeugnis dafür, wie zahlreich trotz allem die revolutionären Arbeiterschichten sind, die sich nicht ergeben wollen. Da sie eine andere Fahne nicht kennen, stellen sie sich unter die der KPD. Da hinzu tritt noch der Kassen«faktor . Geld an sich gewährleistet noch keinen Sieg. Aber eine ziemlich lange Zeit kann es selbst einer dem Zusammenbruch geweihten Organisation die Existent erhalten.

Andererseits lassen die allgemeine Abschnürung des politischen Lebens in Deutschland und die ungemein engen Grenzen der Arbeiterbewegung die KPD ihre falschen Tendenzen nicht an den Tag legen und zu Ende führen. Organisation, Agitation und Fehler blieben bisher unentwickelt, Aber die KPD steht nicht allein da. Die Figuren auf dem europäischen Schachbrett stehen heute gedrängter denn je. Vieles lässt den Gedanken zu, dass die verhängnisvolle und verbrecherische Politik der französischen Kompartei der KPD einen schweren Schlag versetzen wird, bevor noch diese ihre illegalen Organisationen selbst ganz wird untergraben haben. Für den Glauben an eine Wiederauferstehung der Komintern ist heute noch weniger Grund vorhanden als vor ein oder zwei Jahren.

Daraus folgt jedoch keineswegs, dass man den illegalen Organisationen den Rücken kehren solle. Im Gegenteil, eher kann man sagen, dass unsere deutschen Freunde ihnen viel zu wenig Aufmerksamkeit schenken. jedenfalls ungleich weniger als der kleinen SAP. Ist das richtig?

Eine Antwort auf diese Frage ist ohne genaue Kriterien nicht zu geben Was suchten unsere Genossen bei der SAP? Ein Arbeitsfeld? Offenbar nein, als Arbeitsfeld ist die ein paar Tausend Mitglieder zählende SAP zu klein. Dafür käme viel eher die KPD in Betracht, von der jungen Arbeitergenration, die unter Hitlers Knute zum ersten Mal zu politischem Leben erwacht, gar nicht zu reden Bleibt die andere Möglichkeit: die SAP als Bundes- und Gesinnungsgenossin. Selbstredend wurde eine Verschmelzung der beiden Organisationen ganz handgreifliche Vorteile für die weitere revolutionäre Arbeit bieten. Aber zur Verschmelzung muss Übereinstimmung herrschen – nicht in zweitrangigen Teilfragen, sondern in den Grundfragen. Ist sie vorhanden?

Die SAP-Führer sagen häufig, «im wesentlichen» hätten sie dieselben Ansichten wie wir, sie aber verstünden unsere Anschauungen nur besser, realistischer, «vernünftiger» zu verfechten. Wäre dem so, dann wäre die Spaltung reiner Unsinn: im Rahmen einer einzigen Organisation würden uns die SAP-Führer lehren, unsere gemeinsamen Ansichten vernünftiger und mit mehr Erfolg zu entwickeln. Aber leider ist dem nicht so. Die SAP-Führer verleumden sich selbst. Wenn sie, nach langen Schwankungen, die Vereinigung im nationalen Rahmen ablehnten, wenn sie danach mit uns die internationale Verbindung abbrachen, so müssen dafür sehr ernste Ursachen vorhanden sein. Und sie sind vorhanden. Uns trennen nicht taktische Nuancen, sondern Grundfragen. Lächerlich und unwürdig wäre es, nach der gemachten Erfahrung das nicht sehen zu wollen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und der SAP fallen vollständig in den Rahmen des Gegensatzes zwischen Marxismus und Zentrismus.

In den nachstehendem Zeilen gedenken wir gar nichts Neues zu sagen. Wir wollen lediglich aus der Erfahrung einer ganzen politischen Periode, besonders der letzten anderthalb Jahre, die Bilanz ziehen. Nichts ist für die politische Erziehung heilsamer als die Prinzipien im Lichte der rechtzeitig beurteilten oder gar vorausgesagten Tatsachen zu kontrollieren. Wenn wir die Leser dieses Artikels um Aufmerksamkeit für eine ausführliche Analyse der politischen Natur der SAP bitten, so keineswegs deshalb, um eine Periode neuer Unterhandlungen zu eröffnen, sondern eher um zu versuchen, sie zum Abschluss zu bringen. Die SAP-Führer sind für uns keine Gesinnungs- und Bundesgenossen, sondern Gegner. Der Annäherungsversuch an sie ist erschöpft, wenigstens für die kommende Periode. Selbstverständlich kann man sich – besonders von abseits – nicht kategorisch gegen dieses oder jenes gemeinsames Vorgehen in Deutschland selbst aussprechen. Doch unsere deutschen Gesinnungsfreunde müssen, denken wir, ihr Verhältnis zur SAP nicht nur von der größeren oder geringeren Gleichheit der Anschauungen in den unentwickelten innerdeutschen Fragen der Hitlerillegalität abhängig machen (in der Dämmerung des Faschismus sind alle Katzen grau) sondern auch die Rolle, die die SAP auf der internationalen Arena spielt oder zu spielen versucht.

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Es mag wohl sonderbar erscheinen, dass wir einer kleinen Organisation eine verhältnismäßig große Arbeit widmen. Aber die Sache ist die, dass die SAP-Frage die SAP weit überragt. Letzten Endes handelt es sich um die richtige Politik gegenüber den zentristischen Tendenzen, die jetzt auf dem Felde der Arbeiterbewegung in allen Regenbogenfarben schillern. Es gilt zu verhindern, dass die konservativen, von der Vergangenheit geerbten zentristischen Apparate die revolutionäre Entwicklung der proletarischen Avantgarde aufhalten: das ist die Aufgabe!

Bilanz der IAG-Konferenz

In Paris fand, nach anderthalbjährigem Zwischenraum, eine Konferenz der IAG statt (Internationale Arbeits-Gemeinschaft revolutionär-sozialistischer Organisationen). Was hat diese Konferenz gebracht? Das hat uns bisher eigentlich noch niemand verraten. In der Berichterstattung der SAP (Neue Front, März 1935) kann man zwar gar nicht so üble Profile einiger Konferenzteilnehmer finden, aber absolut keine Antwort auf die Frage: wozu wurde die Konferenz einberufen und was hat sie gebracht? Der Konferenzbericht ist nicht marxistisch aufgesetzt, d. h. nicht :in der Absicht, alle vorhandenen Tendenzen und Gegensätze aufzuzeigen, sondern zentristisch, — die Meinungsverschiedenheiten zu verwischen und glauben zu machen, alles stehe zum Besten.

Die akademischen Thesen zur Weltlage wurden «einstimmig» angenommen. Warum denn auch nicht noch einmal die allgemeinen Formeln über den Niedergang des Kapitalismus usw. wiederholen? Das klingt radikal, verpflichtet aber zu nichts. Solche Formeln sind nach Jahren der Weltkrise billige Ware. Macht indessen die «Resolution zur Weltlage» einen Versuch, die kleine Wahrheit auszusprechen, dass die NAP, die 45% der Stimmen, folglich unbestreitbar die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat, wenn sie wollte, Norwegen in eine Arbeiterfestung verwandeln, mit ihrem Beispiel den Massen Skandinaviens revolutionären Mut einflößen und zum bedeutendsten Faktor in der Entwicklung Europas werden könnte? Ist doch die NAP immer noch Mitglied der IAG! Trotzdem – vielmehr deswegen – umging die Konferenz die Frage der NAP und befasste sich mit anderen «höheren» Fragen. Hätte denn auch der zukünftige «Staatsmann» Kilbom eine taktlose, sektiererische Kritik an reinen Nachbarn zulassen können? Niemals! Und Schwab1, hätte er Kilbom kränken sollen? Nicht doch! Lieber «allgemein» vom Niedergang des Kapitalismus reden. Das ist der Geist dieser Konferenz. Und das ist der Geist des Berichts der SAP.

Die Resolution der Konferenz zur Kriegsfrage nach dem Entwurf des alten Zentristen Fenner Brockway, Führers der ILP, klingt sehr radikal. Aber es ist altbekannt, dass in der Kriegsfrage die größten Opportunisten, besonders solche kleiner Organisationen oder aus «neutralen» und kleinen, nicht kriegführenden Ländern, zu außerordentlichem Radikalismus geneigt zu sein pflegen. Selbstverständlich kann es auch in kleinen Organisationen und in «neutralen» Ländern echte Revolutionäre geben; doch um sie von den Opportunisten zu unterscheiden, heißt es auf ihre Tagespolitik zu schauen statt auf die Festtagsresolutionen über den (fremden) Krieg. Kilboms Stimmabgabe für den Generalstreik und den Aufstand gegen den Krieg wird vollständig wertlos durch die opportunistische Politik desselben Kilbom in Schweden. Und wenn Schweden infolge der Umstände in den Krieg einträte, so würde Kilbom bestimmt seine praktischen Schlussfolgerungen nicht aus der akademischen IAG-Resolution, sondern aus der eigenen opportunistischen Politik ziehen. Haben wir etwa nicht hunderte von solchen Beispielen gesehen? Indessen, von der opportunistischen Politik der schwedischer Partei, nach der NAP der größten Organisation der IAG, ist natürlich in keiner einzigen Resolution auch nur ein Wort zu lesen.

Was wiegt Doriots Unterschrift unter der radikalen Kriegsresolution, wenn er «im Interesse des Friedens» der Diplomatie seines Landes empfiehlt: «verhandelt mit Hitler!» Nicht Bündnis mit der Sowjetunion, sondern Verständigung mit Hitler — das ist Doriots Programm.

Wir werden noch sehen, wie, als die SAP selbst von der akademischen Resolution zur Kriegsfrage «im allgemeinen» überging zur Frage des «Kampfes um den Frieden» unter den heutigen Verhältnissen, alle großen Worte zum Teufel gingen: die SAP unterbreitete später eine zweite, «praktischere», ganz und gar vom Geist pazifistischen Spießertums durchdrungene Resolution.

Nicht ohne Empörung kann man daher in der Neuen Front die Worte lesen, «die leninistische Theorie und Praxis (!) hat auch in der Kriegsfrage ihre einzigen (!) und wirklichen (!!) Verfechter in den IAG-Parteien gefunden». Die Aufgabe jedweder Resolution erblickte Lenin darin, die Opportunisten auf die Probe zu stellen, ihnen keine Schlupflöcher zu lassen, sie ins Tageslicht zu zerren, sie beim Widerspruch zwischen Wort und Tat zu packen. Eine «revolutionäre» Resolution, für die Opportunisten stimmen konnten, hielt Lenin nicht für einen Fortschritt, sondern für Betrug und Verbrechen. Die Aufgabe aller Konferenzen erblickte er nicht darin, eine «anständige» Resolution zu fassen, sondern in de Auslese jener Kämpfer und Organisationen, die das Proletariat in schweren Stunden nicht verraten werden. Die Methoden der SAP-Führung sind denen Lenins direkt entgegengesetzt.

Die SAP-Delegation brachte auf die Konferenz den Entwurf einer Prinzipienresolution mit. Wie alle SAP-Dokumente stellt der Entwurf eine Sammlung «radikaler» Gemeinplätze dar, worin die heikelsten Fragen mit Stillschweigen umgangen werden. Immerhin geht das Dokument auf die laufende Parteiarbeit unvergleichlich näher ein als die akademischen Thesen zur Weltlage.

Welches Schicksal wurde dem SAP-Entwurf zuteil? Wir lesen: «Der der Konferenz vorgelegte Entwurf einer Prinzipienerklärung konnte aus Zeitmangel (!!) und (?) weil einige (?) Parteien vorher keine Möglichkeit (!) gehabt haben, sich damit zu befassen, nicht zur Abstimmung gebracht werden.»2 Für einen Marxisten spricht dieser eine Satz Bände. Die. Konferenz wurde von Monat zu Monat verschoben, kam dann nach einer anderthalbjährigen Zwischenzeit voll grandioser Ereignisse wieder zusammen; die desorientierte Avantgarde des Proletariats braucht klare Antworten … Und was geschieht? Die Konferenz fand nicht die Zeit (!!), die Prinzipienerklärung anzunehmen.

Das zweite Argument («und») ist um nichts besser: einige Parteien (welche?) hatten keine Möglichkeit (warum?), über die Prinzipien nachzudenken, nach denen sich die Arbeiterbewegung unserer Tage richten soll. Womit befassen sich diese «einige Parteien» denn eigentlich? Die IAG besteht nun schon drei Jahre. Auf welcher Prinzipiengrundlage? Das weiß der Himmel! «Einige» Parteien finden es nicht nötig, wegen Prinzipienfragen Zeit zu vergeuden. Die Konferenz hat ebenfalls keine Zeit, sich damit zu befassen. In ein kümmerlicheres, niederschmetternderes, schändlicheres Armutszeugnis zu ersinnen?

In Wirklichkeit erklärt sich die klägliche Bilanz der Konferenz nicht mit Zeitmangel, sondern mit der Verschiedenartigkeit ihrer Zusammensetzung aus überwiegend rechtszentristischen Kombinatoren. Durch dieselbe Verschiedenartigkeit zeichnen sich «einige» der der IAG angeschlossenen Parteien aus. Daher die innere Notwendigkeit: ja nicht an die heikelsten, d.h. wichtigsten und dringendsten Fragen rühren. Die Prinzipien verschweigen, das ist das einzige Prinzip der IAG.

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Erinnern wir daran, dass das Internationale Plenum der Bolschewiki-Leninisten in seiner Resolution vom 13. September 1933 folgendes Urteil über die vorletzte IAG-Konferenz abgab, die im August 1933 getagt hatte. «Es kann selbstverständlich nicht davon die Rede sein, dass die neue Internationale sich aus Organisationen aufbaue, die von grundverschiedenen und sogar entgegengesetzten prinzipiellen Grundlagen ausgehen. Was die Beschlüsse betrifft, die von der buntscheckigen Konferenzmehrheit angenommen wurden und samt und sonders den Stempel dieser Buntscheckigkeit tragen, so hält es das Plenum der Bolschewiki-Leninisten nicht für möglich, für diese Beschlüsse die politische Verantwortung zu übernehmen. – Wer sich keine Illusionen macht, der kann sie später auch nicht verlieren!

«Die tiefe Problematik des Zentrismus»

Die Konferenz hat die Resolution der holländischen Delegierten, Genossen Sneevliet und Schmidt, für die IV. Internationale abgelehnt. Betrachten wir die konfusen Erklärungen der Neuen Front etwas näher.

Erweist sich: die SAP-Delegierten waren damit einverstanden, die Resolution der Holländer zu unterzeichnen, wenn sie nicht zur Abstimmung vorgelegt würde, sondern lediglich eine «Willenserklärung der unterzeichneten Organisationen» bliebe. Aber eine Willenserklärung setzt Willen voraus. Wer eine Willenserklärung macht, der will seinen Willen durchsetzen. Auf einer Konferenz wird das durch Abstimmung erreicht. Es sollte scheinen, die SAP-Delegierten müssten es jenen, die im Wesen gegen die IV. Internationale sind, anheimstellen, gegen die Resolution zu stimmen. Aber nein, Schwab stimmt nicht dafür, nicht weil er dagegen ist, sondern weil die anderen dagegen sind. Übrigens, die Mehrheit hat nicht dagegen gestimmt, sondern sich feig der Stimme enthalten. Was Doriot, der sich selbst der Stimme enthielt, nicht hindert zu schreiben, die Konferenz habe die «trotzkistische» Idee der IV. Internationale verurteilt». Vermag man von alledem irgendetwas zu begreifen? Aber man warte nur: das ist erst der Anfang.

Die Resolution der Holländer, so heißt es, zeichnet sich aus durch «volle Abstraktion von der gegenwärtigen realen Situation» und durch Unverständnis für die «tiefe Problematik der Aufgabe». Lassen wir das gelten. Warum aber willigte die SAP-Delegation dann ein, solch eine erbärmliche Resolution zu unterzeichnen? Schwab schätzt seine Unterschrift offenbar nicht sehr hoch ein (er hat das übrigens 1933 bewiesen! ).

Welches ist denn nun eigentlich die Einstellung der SAP? «Eine Proklamierung der neuen Internationale ist», so lesen wir, «obwohl objektiv notwendig, aus subjektiven Gründen vorläufig nicht möglich». Vor allem wird hier bewusst, d. h. Gewissenlos, die Proklamierung der neuen Internationale und die Proklamierung der Notwendigkeit des Kampfes für die IV. Internationale vermengt Wir verlangen nicht das erste, sondern das zweite.

Worin besteht jedoch die «tiefe Problematik» der Frage? Objektiv ist die neue Internationale notwendig, doch subjektiv ist sie unmöglich. Einfacher gesagt, ohne neue Internationale wird das Proletariat niedergeworfen werden, aber die Massen begreifen es noch nicht. Worin denn anders besteht die Aufgabe der Marxisten, wenn nicht darin, den subjektiven Faktor auf die Höhe des objektiven zu heben, das Bewusstsein der Massen zum Verständnis der geschichtlichen Notwendigkeit zu bringen; kurz: den Massen ihr eigenes Interesse, das sie noch nicht begreifen, plausibel zu machen? Die «tiefe Problematik» der Zentristen ist die tiefe Feigheit vor der großen und dringenden Aufgabe. Die SAP-Führer verstehen nicht die Bedeutung des bewussten revolutionären Handelns in der Geschichte!

Die Neue Front hält uns zur Belehrung Doriots Argument vor: unmöglich sei es «die wirklichen Stimmungen der Massen zu ignorieren». .Weshalb aber brach dann Doriot selber mit der Kompartei, hinter der doch jedenfalls ungleich größere Massen stehen als hinter Doriot? Das abstrakte, leere Argument von den unbekannten Massen» ist ein kläglicher Sophismus, hinter dem sich die Unzulänglichkeit der Führer verbirgt. Die parteilosen, d. h. zahlreichsten «Massen» stehen außerhalb aller Internationalen. Die parteilich organisierten «Massen» befinden sich in überwältigender Mehrzahl in der Zweiten und Dritten Internationale und durchaus nicht in der IAG; nicht von ungefähr fordert Zyromski von den lAG-Organisationen, sie mögen in die alten Quartiere, zu den «Massen» zurückkehren. Hinter der IAG stehen keinerlei Massen. Die Frage ist nicht, was denken die Massen heute, sondern in welchem Geiste und in welcher Richtung gedenken die Herren Führer die Massen zu erziehen.

In den Parteien der IAG geht der Widerstand gegen die IV. Internationale in Wirklichkeit nicht von den Massen, sondern von den Führern aus. Warum? Aus demselben Grunde, aus dem sie sich einer Prinzipienresolution widersetzen. Sie wollen nichts, was ihre zentristische Freiheit des Schwankens beschränkte. Sie wollen Unabhängigkeit vom Marxismus. Voller Verständnis bezeichnen sie als Marxismus die «trotzkistische Idee von der IV. Internationale».

Die SAP-Führer fanden gemeinsame Sprache mit allen, außer mit den Holländern. In der Berichterstattung wendet sich die Polemik ausschließlich gegen Sneevliet und Schmidt. Nicht ein Wort der Kritik an den Opportunisten, die die Mehrheit der Konferenz bildeten! Wird aus dieser einen Tatsache nicht klar, dass Schwab u. Co. Zentristen sind, die den Marxisten den Rücken kehren, ihr Gesicht aber den Opportunisten zuwenden?

«Entwaffnung» oder Entmannung?

Neben allen übrigen Errungenschaften eröffnete die Konferenz den «Kampf um den Frieden». Mit welchen Methoden? Mit den altdeutschen: sie stiftete… einen neuen Verein, den Verein der Friedensfreunde. Dieser «Verein» besteht bis jetzt aus Vertretern von 3 (ganzen drei!) Parteien und nennt sich Initiativkomitee. Dies Initiativkomitee soll einen neuen «Verein» stiften, der sich – aufgepasst! – Weltfriedenskomitee nennen wird. Schon der Name allein macht die Imperialisten erbeben. Aufgabe dieses Weltfriedenskomitees ist, wie die Neue Front meldet, die «Einleitung und Durchführung einer weltumspannenden (!) Massenbewegung für wirkliche (aha!) Abrüstung und Frieden». Wie üblich, hat die SAP eine besondere Resolution «zur Entfachung einer internationalen Friedensaktion» eingebracht. Wie üblich, war die Konferenz auch diesmal nicht in der Lage, die Resolution anzunehmen (gewiss aus Zeitmangel). Aber das Komitee aus ganzen drei Mann ist nun geschaffen, die Hauptsache ist also getan. Schwab hat recht: die Konferenz «brachte alles, was in gegebener Situation möglich war». Dieser melancholischen Bemerkung wollen wir uns gern anschließen.

Die SAP-Resolution «für den Kampf um den Frieden» stellt – man muss ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen -- das jämmerlichste Dokument opportunistischer Denkweise dar, das uns in den letzten Jahren begegnet ist. Für seine Verfasser existiert weder die Geschichte des Marxismus noch der hundertjährige Kampf der Richtungen in der Arbeiterklasse, noch die frische Erfahrung der Kriege und Revolutionen. Diese Alchimisten entdecken von neuem ihren Stein der Weisen.

Wie wir schon aus der Neuen Front wissen, wird die zentrale Losung des kommenden «weltumspannenden» Kampfes die «wirkliche Abrüstung» sein. Litwinows Losung sei «richtig», seine Schuld sei nur, dass er sich mit seiner Losung «ausschließlich an die Regierungen» wendet. So werfen unsere Alchimisten, ohne es zu merken, im Vorbeigehen alles von revolutionärer Erfahrung und marxistischer Theorie bisher Erreichte über den Haufen. Wer sagte, die Abrüstungslosung sei richtig? Kautsky in seiner Niedergangsepoche, Leon Blum, Litwinow, Otto Bauer, «sogar» Bela Kun. Wie aber haben Marx, Engels, Lenin und die Dritte Internationale während ihrer Aufstiegsepoche diese Frage betrachtet? Davon kein Wort. Allein, Engels stellte dem Abrüstungsprogramm das Programm der Volksmiliz gegenüber und forderte – oh Gräuel! – die Militärausbildung der Schuljugend. Lenin brandmarkte unerbittlich das geringste Zugeständnis an den « Abrüstungs»gedanken. 1916 erklärte er in einem speziellen Artikel für die Jugend, dass, solange Bedrückung und Ausbeutung bestehen, Waffen ein unerlässlicher Faktor in den Beziehungen zwischen den Klassen wie zwischen den Staaten bleiben werden. Die Bourgeoisie militarisiert heute die Jugend. «Morgen», schreibt er, «wird sie wohl zur Militarisierung der Frauen übergehen. Wir müssen dazu sagen: desto besser … umso näher rückt der bewaffnete Aufstand gegen das Kapital». Den Krieg verfluchen und Abrüstung fordern? Die Frauen der revolutionären Klasse «werden auf eine solch schimpfliche Rolle nie eingehen. Sie werden zu ihren Söhnen sagen: «…Sie geben dir ein Gewehr. Trage es und lerne das Kriegshandwerk tüchtig. Diese Wissenschaft ist für Proletarier unerlässlich…!» Lenin erklärt: «Eine unterdrückte Klasse, die nicht danach trachtet, die Waffen beherrschen zu lernen, Waffen zu besitzen, eine solche unterdrückte Klasse verdiente nur, dass man sie wie Sklaven behandelt» (den Sklaven der Komintern zur Kenntnis!). In denselben Tagen schrieb sich Lenin auf deutsch ins Heft: «Entwaffnung ist Entmannung. Entwaffnung ist reaktionär-christliche Jeremiade. Entwaffnung ist kein Kampf gegen die imperialistische Wirklichkeit, sondern eine Flucht aus derselben in die schöne Wirklichkeit nach der siegreichen sozialistischen Revolution».

Nicht das ist also das Übel. dass die Sowjetdiplomatie den kapitalistischen Regierungen Abrüstung vorschlug; das Übel und das Verbrechen ist, dass die Komintern, und heute die SAP, diesen Vorschlag zu einer Losung für das Proletariat gemacht haben.

Richtig müsste man das Experiment der Sowjetdiplomatie ausnützen, um zu entlarven und zu erläutern, wie unwirklich, falsch und illusorisch sowohl der bürgerliche wie der sozialistische Pazifismus sind.

Wenn selbst kraft einer bestimmten geschichtlichen Fügung der Umstände, diese oder jene kapitalistischen Regierungen sich gezwungen sähen, in dieser oder jener Form eine Abrüstung vorzunehmen, so würde diese militär-diplomatische «Reform» in keiner Weise den Frieden sichern. Die Thesen der Bolschewiki-Leninisten: «Die IV. Internationale und der Krieg» sagen unter anderem: «Abrüstung ist kein Mittel gegen den Krieg, denn, wie uns die Erfahrung desselben Deutschland zeigt, ist eine episodische Abrüstung lediglich eine Etappe auf dem Wege zu neuer Aufrüstung. Die Möglichkeit zu neuer, und zwar sehr schneller Aufrüstung liegt in der heutigen Industrietechnik. Die «allgemeine» Abrüstung würde, selbst wenn sie verwirklichbar wäre, nur eine Stärkung des militärischen Übergewichts der mächtigsten Industrieländer bedeuten… Die Abrüstung hinstellen als das «einzig wirksame Mittel zur Verhinderung des Krieges», heißt die Arbeiter täuschen im Namen einer gemeinsamen Front mit kleinbürgerlichen Pazifisten.»

Dieser Punkt ist unmittelbar gegen die Stalinisten gerichtet. Aber er gilt auch durchaus für die SAP*

Lassen wir gelten, dass Marx, Engels, Lenin und ihre Schüler, die Bolschewiki-Leninisten sich geirrt haben. Warum bemühen sich die Theoretiker der SAP aber nicht einmal, uns zu erklären, worin denn nun der Fehler der Lehrer besteht? Unsere Neuerer übergingen einfach stillschweigend, ohne Kommentare, die revolutionäre Tradition des Marxismus in einer der wichtigsten Fragen. Wie soll man diese auffallende Tatsache erklären? Ganz einfach. Unsere Alchimisten interessieren sich weder für Theorie, noch für geschichtliche Erfahrung, noch für Traditionen. Sie richten sich nach dem Augenmaß, nach dem Geruch, nach ihrem Mutterwitz. In jedem einzelnen Fall wollen sie den Stein der Weisen entdecken.

Es bleibt noch hinzuzufügen, dass die Forderung nach Abrüstung der kapitalistischen Staaten zwecks Vermeidung des Krieges auf derselben politischen Ebene liegt wie die Forderung nach Entwaffnung der faschistischen Verbände zwecks Vermeidung des physischen Klassenkampfes. Beide «Forderungen» entspringen kleinbürgerlicher Feigheit und dienen nicht zur Entwaffnung der Bourgeoisie, sondern zur Demoralisierung des Proletariats.

Die «Friedensoffensive»

Im Mittelpunkt der SAP-Resolution stehen also, mit Lenin zu reden, «gefällige, humanitäre und fast linke Phrasen über Frieden, Abrüstung usw.» Besagtes Komitee, das gegründet werden soll mit Hilfe jenes Komitees, das die IAG-Konferenz bereits gegründet hat, wird «eine große Friedensoffensive» entfalten. Eine große!…

Indem sie sich über den sektiererischen Begriff des Klassenkampfes hinwegsetzt, wendet sich die Resolution an «alle Kriegsgegner (!) der ganzen Welt». Der politische Begriff des «Kriegsgegners» war bislang im marxistischen Wörterbuch nicht vertreten. Berufsmäßige «Kriegsgegner» sind: die Quäker, Tolstoianer, Ghandisten, ferner die Salonpazifisten, demokratischen Schwätzer, Jongleure und Scharlatane. Marxisten sind Klassenfeinde der Bourgeoisie und der imperialistischen Kriege, aber Anhänger der nationalen Befreiungskriege und der revolutionären Kriege, und zwar auch, wenn es Angriffskriege sind. Haben die SAP-Führer davon vielleicht noch nichts vernommen? Oder ist es ihnen gelungen, diese veralteten Anschauungen zu widerlegen? Wo, in welchen Büchern und Artikeln?

Der Teil der Resolution, der der Beschreibung der zukünftigen Wirksamkeit des zukünftigen «weltumspannenden» Komitees gewidmet ist, ist eine einzige, nicht zu überbietende Phrasendrescherei. Zwecks Gegenaktionen gegen die Kriegsvorbereitung soll das Komitee «Sachverständige» (!) heranziehen und alle in diesem (!) Sinne tätigen, heute aber noch (!) ohne organisierten Zusammenhang wirkenden Kräfte (?) zu gemeinsamer und planmäßiger Arbeit zusammenführen». Die «Sachverständigen» und die nicht mit Namen genannten «Kräfte» sollen die «in den Millionen und Abermillionen lebende Friedenssehnsucht als Hebel zur Auslösung einer weltumspannenden, von den Volksmassen aller Länder getragenen Antikriegsbewegung…» benutzen usw..

Die Regierungen, die die weltumspannende Friedensbewegung unterdrücken wollen, sollen «moralisch verfemt und gebrandmarkt werden». Das wirksamste Mittel gegen Hitler, Mussolini und Konsorten! Die liberalen Regierungen werden wahrscheinlich Lobeszeugnisse bekommen. In Reserve hält die SAP noch den «allgemeinen (!) wirtschaftlichen Boykott» gegen ganz besonders böse Regierungen. Damit der Boykott auch wirklich «allgemein» sei, wird das Weltfriedenskomitee offenbar einen Bund mit den pazifistischen Banken und Trusts eingehen und umgekehrt alle die Kapitalisten, die vom Kriege leben «verfemen» müssen. Aber auch damit ist das Arsenal der SAP noch nicht erschöpft. Die Resolution empfiehlt nach dem Beispiel «der in England von pazifistischer Seite gemachten Erfahrungen» demonstrative «Volksabstimmungen» zu veranstalten. Folgerichtig müssten noch hinzugefügt werden Petitionen an den Generalstab. Dann wird der Frieden aber wirklich von allen Seiten umfasst sein!

«Demokratische Kontrolle»

Das «Komitee» der SAP wird für «die internationale demokratische Kontrolle der Kriegsvorbereitungen» kämpfen und zu diesem Zweck – hört, hört! – in jedem Land «besondere Kommissionen» schaffen. Danach wird Hitler nichts anderes übrig bleiben, als sich in dem Eimer Wasser zu ertränken, den er ohne Mühe aus der SAP-Resolution herausquetschen kann.

«Demokratische (I) Kontrolle (!) der Kriegsvorbereitungen». Selbst Henderson könnte es nicht besser sagen! Besonders gut klingt das heutzutage aus der Feder eines deutschen Sozialisten. Wo seid ihr, herrliche Tage von Weimar? Euer Schatten ist erwacht in der Führung der SAP.

Während des letzten Krieges gab es in England einen «Verein für demokratische Kontrolle» (genau so hieß er: Union of Democratic Control), unter Führung des bekannten linken Liberalen E. D. Morel. Lenin schrieb darüber 1916: «Nur die Unentwickeltheit der politischen Verhältnisse und das Fehlen politischer Freiheit in Deutschland verhindert es, dass dort ebenso schnell und leicht wie in England eine bürgerliche Liga für Frieden und Abrüstung mit einem Kautskyschen Programm entsteht.). Die SAP meint offenbar, die politischen Verhältnisse Deutschlands seien nunmehr genügend «entwickelt» zur Schaffung eines .demokratischen Vereins mit dem Programm Kautskys-Morels-Schwabs.

Aber wir sind doch für demokratische Losungen, wird wohl der Verfasser der Resolution einzuwenden versuchen, der so etwas ähnliches bei den Bolschewiki-Leninisten aufgeschnappt aber schlecht verstanden hat. – Ja, Revolutionäre verteidigen sogar die schäbigsten Reste demokratischer Freiheiten, solange sie nicht zum Angriff für die Machteroberung übergehen können. Aber Revolutionäre gedenken ganz und gar nicht, diese schäbigen Reste in ein weltumfassendes Reich demokratischer Kontrolle zu verwandeln vermittels «besonderer Kommissionen», zusammengesetzt aus unbekannt wem. Die realen demokratischen Schützengräben des Proletariats in revolutionärem Kampf verteidigen, ist eins. Demokratische Luftschlösser bauen nach dem Verlust aller demokratischen Schützengräben, ist etwas ganz anderes. Just auf dieser Linie verläuft die Grenzscheide zwischen dem revolutionären Realismus und dem illusionären Pazifismus.

Die SAP-Resolution ist keineswegs originell, sondern ein einfaches Plagiat an der Komintern. Wozu, in der Tat, dies weltumspannende Komitee schaffen, wo es doch schon geschaffen ist.3 Sein Name ist Amsterdam Pleyel! Es vereinigt alle Sachverständigen und alle «Kräfte»: Barbusse, den weltumspannenden Münzenberg, indische Liberale, platte Demagogen, gewaltige Schwätzer, englische Lords und amerikanische Witwen, kurz: «alle Kräfte», die an der Krankheit leiden, welche sich «Friedenssehnsucht…» nennt. Dies Komitee fabriziert viel wortgewaltigere Dokumente als die SAP, denn Münzenberg stehen die allerbesten Sachverständigen zur Verfügung. Schwabs u. Co. großer Plan ist ein provinzielles, hausbackenes Plagiat an dem bürokratischen Abenteuer der Stalinisten. Mit Hilfe klingender Münze bringen die Stalinisten wenigstens üppige Paraden zustande (d. h. gestern, morgen kaum), die IAG wird nicht einmal das können. Aus ihrem Komitee wird kein neues Komitee hervorgehen. Die Welt wird wohl gar nicht merken, dass sie umspannt wird.

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In der Politik der Komintern wie der der Reformisten herrschen heute nicht zufällig rein negative Formulierungen vor wie Antiimperialismus, Antifaschismus, Antikriegskampf, ohne klassenmäßige Bestimmung, ohne revolutionäres Aktionsprogramm, Derartige Formulierungen sind ganz unerlässlich für eine Politik von Maskeradenblocks (Antiimperialistische Liga, Antifaschistisches und Antikriegskomitee, Amsterdam-PIeyel usw.). All diese Blocks, Kongresse und Komitees haben zur Aufgabe, die Passivität, Feigheit, Untauglichkeit zur Lösung jener Aufgaben zu verbergen, welche das eigentliche Wesen des proletarischen Klassenkampfes sind. Hinter den Stalinisten und Reformisten trottet nun auf demselben Weg auch die IAG Dieselben Führer setzen sich auf andere Stühle, in der Hoffnung, die Massen werden sie nicht erkennen und zu ihnen gelaufen kommen. Dieser Selbstverzicht ist das freiwillige Eingeständnis des eigenen Unvermögens.

Ein neues «Zimmerwald»?

Einige Genossen sprechen wie folgt: die SAP-Führer sind natürlich keine Marxisten: aber die Dritte Internationale ist doch auch nicht auf einmal entstanden: ihr gingen die Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal voraus, an denen Lenin teilnahm, an einem Tisch mit den Zentristen. Ist nicht die IAG eine neues «Zimmerwald»? In dieser Argumentation stecken nicht weniger als vier fundamentale Fehler.

Erstens. Zimmerwald fand während des Krieges statt. Die überwiegende Mehrzahl der Zentristen, die im Frieden vorn Kampf um Frieden und Abrüstung gesprochen hatten, waren vom ersten Tage des Krieges an ins Lager des Nationalismus übergegangen. Nur eine winzige Minderheit der Vorkriegszentristen, einige wenige Einzelgänger, zeigten sich bereit, mit ihren «Landesfeinden» zu beraten. So war die Zimmerwalder Schar durch die Kriegsverhältnisse einer scharfen Auslese unterworfen.

Zweitens. Außer in Russland und zum Teil in Deutschland (R. Luxemburg, K. .Liebknecht) gab es in keinem einzigen Land damals echte Revolutionäre, die die Aufgaben des Kampfes wirklich ganz begriffen hätten. Die Sozialdemokraten, die in den Kampf gegen den Krieg (nicht den kommenden, nicht den Krieg überhaupt, sondern gegen den gegebenen, damaligen Krieg) zogen, gingen damals fast durchweg durch das zentristische Stadium. Für den ersten Schritt waren andere politische Partner nicht vorhanden.

Drittens, Unter den Umständen des Krieges, wo jedes Inverbindungtreten von Arbeiterorganisationen der kriegführenden Länder als Verbrechen bestraft wurde, stellte die bloße Tatsache einer illegal versammelten internationalen Konferenz, selbst unabhängig von ihren Beschlüssen, ein politisches Ereignis und ein revolutionäres Signal dar.

Viertens. Lenin nahm an der Konferenz teil, nicht um sich mit den Zentristen zu versöhnen, nicht um hohle «Resolutionen» anzunehmen, sondern um für die Prinzipien des Bolschewismus zu kämpfen. Kaum hatte sich die «Zimmerwalder Linke» gebildet, stellte Lenin auch schon, trotz ihrer ungemeinen Schwäche (denn sie war unvergleichlich viel schwächer als die heutige internationale Organisation der Bolschewiki-Leninisten), die Frage des Bruches mit Zimmerwald. Der Bruch zog sich hinaus, gegen den Willen Lenins, der jedoch sich in seinem Urteil nicht getäuscht hatte: die Mehrheit der Zimmerwalder stand bald darauf in den Reihen der Zweiten Internationale.

Unsere heutige Lage ist von der damaligen von Grind auf verschieden. Es ist nicht Krieg. 99% der heute von pazifistischen Phrasen («gegen den Krieg», «für Abrüstung») überquellenden Reformisten und Zentristen werden im nächsten Krieg auf der Seite ihrer Regierungen stehen. Die revolutionäre Auslese muss heute, im Frieden, doppelt scharf sein. Die Kriterien der Auslese sind: Klarheit der Theorie und Übereinstimmung zwischen Theorie und Praxis. Führer, die, wenn sie sich auf «internationale» Konferenzen begeben, ihre «Prinzipien» mitzunehmen vergessen (das ist doch schließlich keine Zigarrenspitze oder eine Streichholzschachtel!), bieten nicht die geringste Gewähr für eine revolutionäre Haltung im Kriege.

Außerdem ist 1935 nicht 1915. Wir haben die Erfahrung des Krieges und Zimmerwalds hinter uns. Die Schwab, Kilbom, Doriot usw. sind keine Kinder mehr und auch über die Jugend hinaus. Sie sind führende Elemente der Komintern gewesen. Wenn sie aus der Erfahrung der letzten zwanzig Jahre nicht revolutionäre, sondern zentristische und pazifistische Schlussfolgerungen ziehen, so heißt es, sich nach anderen Bundesgenossen umsehen.

Schließlich soll man nicht vergessen, dass wir auf diesem «Zimmerwald» in Friedenszeit bereits einmal anwesend waren: nämlich auf der IAG-Konferenz vom August 1933, die nicht einmal unsere Resolution für die IV. Internationale zur Abstimmung zuließ. Vorwand: «die Teilnehmer seien mit ihr nicht genügend vertraut». Anderthalb Jahre sind vergangen. Der Versuch Sneevliet-Schmidts hatte dasselbe Ergebnis. Ist es nicht endlich Zeit, die Schlüsse zu ziehen?

In allen Ländern gibt es heute wirklich revolutionäre Organisationen und Gruppen, entstanden im Kampf gegen Reformismus und Stalinismus. Sie wachsen an Zahl und an Kraft. Die tolle Hetze und Verleumdung der Feinde stählt sie. Ihr Ideengepäck ist in grandiosen geschichtlichen Ereignissen erprobt. Das war während des letzten Krieges durchaus nicht der Fall. Die Bolschewiki brauchen sich nicht mit den zentristischen Spitzen verbinden («verbinden» … einmal in anderthalb Jahren auf einer Konferenz!) Inhaltslose internationale Paraden haben wir nicht nötig. Revolutionäre sollen nicht auf Konferenzen mit den Zentristen kokettieren, sondern in unermüdlicher, tagtäglicher Arbeit sie in ihren Ländern selbst bekämpfen, und sich auf eigenen revolutionären internationalen Konferenzen versammeln, wo sie nicht Seifenkugeln blasen, sondern über die Fragen des Klassenkampfes beraten und beschließen.

Aus der Entstehungsgeschichte der SAP-Führung

Um das politische Gesicht einer bestimmten Gruppe richtig zu beurteilen, muss man ihre Vergangenheit kennen. Die SAP-Führung stammt aus der rechten Opposition der KPD (Brandler, Thalheimer, Walcher usw.). 1923 führte diese Gruppe die Partei und bewies in Verhältnissen der mächtigen, mit der Ruhrbesetzung verbundenen, revolutionären Krise ihr absolutes Unvermögen. Die Schuld für das Verpassen der revolutionären Situation liegt nicht bei den «Massen» wie es die opportunistischen Führer behaupten, sondern bei der Fraktion Brandler-Walcher. die in den kritischsten Monaten schwankte, die Zeit verstreichen ließ und die revolutionären Pflichten auf den historischen Prozess abwälzte. Als dann die revolutionäre Situation in eine konterrevolutionäre umschlug, trug die Führung, wie das gewöhnlich der Fall ist, falschen Optimismus zur Schau («die Revolution ist im Anmarsch!») und bewies mit ihrer weiteren Politik überhaupt, dass sie ihren «Fehler» von 1923, der als ein mächtiger Wegstein in die Geschichte den Siegeslaufs des deutschen Faschismus eingegangen ist. absolut nicht begriffen hatte.

Die ganze opportunistische Politik der Komintern (Strategie der chinesischen Revolution. «Arbeiter- und Bauernparteien» im Osten. Anglo-russisches Komitee, «Bauerninternationale», der Kurs auf den Kulaken in der USSR. Kampf gegen den Marxismus unter dem Schein des Kampfes gegen den «Trotzkismus») geschah unter Beteiligung oder mit direkter Unterstützung seitens der Brandler-Walcher-Fraktion. Es handelte sich da nicht um kleine taktische Episoden, sondern um die Strategie des Proletariats in Geschehnissen von grandiosem geschichtlichen Ausmaß.

Wir wollen durchaus nicht sagen, dass eine Gruppe, die eine so schwere Last opportunistischer Verbrechen gegen die Revolution auf dem Buckel hat, ein für allemal verdammt sei: die Geschichte kennt nicht wenig Beispiele, wo Revolutionäre zu Opportunisten wurden und Opportunisten zu Revolutionären. Jedenfalls aber muss der Übergang auf den Weg der revolutionären Politik bei den Vertretern der Schule Brandler- Thalheimer von einer tiefen inneren Krise begleitet sein, einer Umwertung der Werte, dem Bruch mit der eigenen Vergangenheit. Durch die Abspaltung der Walchergruppe, anlässlich ihres Eintritts in die SAP**, von der Brandlergruppe, die weiter demütig und vergeblich auf Gnade bei der Stalinbürokratie hofft, waren für Walcher und Genossen die Bedingungen, die eigene Vergangenheit zu revidieren, günstiger geworden. Die tragische Zerschmetterung des deutschen Proletariats machte diese Revision notwendig und unaufschiebbar. Und wirklich schwankte die Walchergruppe. die am Vorabend der Emigration in der SAP die leitende Stellung eingenommen hatte, nach links.

Eben auf diese Periode gehen die Versuche der Bolschewiki-Leninisten zurück, die SAP-Führung zu bewegen, im Lichte der neuen Ereignisse die Erfahrung von 1923 in Deutschland, die Erfahrung der chinesischen Revolution, des Anglo-russischen Komitees, usw. neu zu prüfen. Die SAP-Führer zeigten für all diese Fragen nur minimales Interesse. Unsere theoretische Beharrlichkeit erschien ihnen als «Haarspalterei». Die Komintern ziehen sie, wenigstens bis zur letzten ultra-opportunistischen Wendung, einer einzigen Sünde: des Ultralinkstums. Die Definition des bürokratischen Zentrismus konnten sie absolut nicht verdauen. Das Wort Zentrismus schon tut ihren Nerven weh. Und nichtsdestoweniger ging die Walchergruppe. unter dem frischen Eindruck des Bankrotts der Zweiten und der Dritten Internationale in Deutschland, bis zur Anerkennung der Notwendigkeit des Aufbaus der Vierten Internationale.

Im August 1933 unterschrieb die SAP-Führung mit uns die bekannte «Vierererklärung». Im vollen Bewusstsein der auf ihnen lastenden geschichtlichen Verantwortung» erklärten die SAP-Führer mit uns: «Die Unterzeichneten verpflichten sich, mit all ihrer Kraft dazu beizutragen, dass sich diese neue (IV.) Internationale in möglichst kurzer Zeit herausbilde auf dem unerschütterlichen Fundament der von Marx und Lenin aufgestellten theoretischen und strategischen Prinzipien».

Diese Resolution war der äußerste linke Punkt, von dem ab die SAP-Führung, unter dem Stoß der Ereignisse, weiter nicht mehr vordrang. Danach begann der Pendel des Zentrismus nach rechts auszuschlagen Ohne offen ihre Unterschrift von der Resolution zurückzuziehen, eröffneten die SAP-Führer einen verborgenen, zweideutigen, illoyalen Kampf gegen die Idee der Vierten Internationale. Der Grund? «Die Trotzkisten wollen die neue Internationale sofort proklamieren In der Voraussicht von derlei Unterschiebungen seitens der zentristischen Leisetreter, hieß es in einer eigenen Erklärung der Bolschewiki-Leninisten auf der IAG-Konferenz im August 1933:

«Der Kurs auf die neue Internationale ist uns von dem ganzen Gang der Entwicklung vorgeschrieben. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir vorschlagen, unverzüglich die neue Internationale auszurufenDie Schaffung einer neuen Internationale hängt nicht nur von dem objektiven Gang der Ereignisse ab, sondern auch von unseren Anstrengungen».

Ist das nicht deutlich? Die präzise schriftliche Erklärung ließ, sollte man meinen, für dumme Unterschiebungen und Verleumdungen keinen Raum. Ja, und wenn auch ein anderer einen falschen, voreiligen, abenteurerischen Weg vorschlägt, könnte das an dem Inhalt der eigenen Aufgabe etwas ändern?

In Wirklichkeit verhielt sich die SAP-Führung zur Erklärung für die Vierte Internationale ebenso oberflächlich, unernst, nur mit dem Munde, wie Zentristen sich im allgemeinen zu theoretischen Prinzipien verhalten. Sie dachten sich im Stillen: «wir unterschreiben dies nicht sehr angenehme Dokument, um eine freundschaftliche Deckung auf dem linken Flügel zu haben, aber fortsetzen werden wir, was Seydewitz tat und was wir selbst bislang taten, d.h. Verbündete zur Rechten suchen». Der Plan war, muss man schon sagen, ausgezeichnet. Er scheiterte nur daran, dass die Leninisten sich nicht bereit fanden, die Rolle der revolutionären Ehrenwache für die opportunistischen Geschäftemacher zu spielen. Daher der Bruch.

Die Erfahrung mit der NAP

Die Lage trat am grellsten zu Tage an der NAP-Frage (Norwegische Arbeiterpartei). Ohne die internationale Rolle der SAP zu übertreiben, wiesen wir jedoch unablässig darauf hin. das« ihr Block über die IAG mit der NAP der opportunistischen Führung dieser Partei die eigene linke Opposition beschwichtigen half. Eben deswegen und nur deswegen hielten die NAP-Führer die «kompromittierliche» Verbindung nach links aufrecht. Wir sagten voraus, Tranmael werde sang- und klanglos mit der IAG brechen, sowie er den Hafen erreicht haben wird: «Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan…». Wir empfahlen den SAP-Führern, an die Erfahrung des Anglo-russischen Komitees zu denken, das von 1925 bis 1927 einer vielversprechenden Oppositionsbewegung in den britischen Trade-Unions (minority movement) buchstäblich das Genick umdrehte. Mit welcher Selbstzufriedenheit wehrten die SAP-Führer unsere Argumente ab! «Die Massen… Massen… Massen… der historische Prozess… . Wir wunderten uns nicht: verstünden die Zentristen das Verhältnis zwischen den Massen und der Avantgarde, zwischen der Avantgarde und der Führung, zwischen dem «historischen Prozess» und der Initiative der Minderheit. so wären sie eben nicht Zentristen.

Die Ereignisse reiften schneller und überzeugender als wir es vorhergesagt hatten Aus den Reiben der IAG siedelten die NAP-Führer schnurstracks in die Ministersessel über und ihre erste Tat war, dem König die Zivilliste zu garantieren. Der «historische Prozess» versteht böse Witze zu reißen! Dabei aber bleibt es unbestreitbar, dass die SAP-Führer mit den Gruppierungen der Vierten Internationale eben deshalb gebrochen hatten, um ungehindert mit den NAP-Führern und ihresgleichen Freundschaft pflegen zu können.

Man beachte, wir, die bösen Sektierer, haben den Schwab u. Co. keinerlei Ultimaten gestellt. Wir sagten seinerzeit zu unseren zentristischen Halbverbündeten: «Euch bedeutet die Erfahrung des Anglo-russischen Komitees wenig? gut. so macht Eure Erfahrung mit Tranmael: wir werden geduldig die Resultate abwarten und behalten uns nur volle Kritikfreiheit vor». Aber gerade das können die SAP-Führer nicht leiden Die Politik der zentristischen Kombinationen bedarf der diplomatischen Kulissen; die eigenen Gedanken zu Ende denken und offen aussprechen was ist, heißt, die zentristischen Illusionen im Keim ersticken. Zwar, um uns zu «entwaffnen», «kritisierten» sie Tranmael sogar, aber nur genau soviel, dass der Leser nicht merke, wie faul und falsch ihr Bündnis mit Tranmael war; sie brüllten zornig wie verliebte Tauben. Viel, viel wichtiger jedoch war, dass für die norwegischen Arbeiter nur die Tatsache des Bündnisses der NAP mit einer ganzen Reihe von «revolutionären», außerhalb der Zweiten Internationale stehenden Parteien anderer Länder bestand: unter der Flagge dieses Bündnisses wurden die NAP-«Führer» glänzend fertig. Da es den SAP-Führern aber zu ungemütlich war, vor den eigenen Anhängern zuzugeben, dass sie das Halbbündnis mit den Revolutionären gebrochen hatten um des Bündnis mit den Opportunisten willen, so brachten sie den albernen Klatsch in Umlauf: «die Trotzkisten wollen nächsten Donnerstag die Vierte Internationale ausrufen«; hingegen die SAP, als vernünftige, vorsichtige, Abenteuern abgeneigte Person will… ja, was will sie übrigens?… sich dem «historischen Prozess» verheiraten. Die Adresse dieses vornehmen und reichen Freiers ist den alten, erfahrenen zentristischen Kupplerinnen gut bekannt.

Heute sind die SAP-Führer am meisten darum besorgt, die Arbeiter die ganze Geschichte mit der NAP vergessen zu machen. Wozu alte Fragen aufrühren? Tranmael hat uns eben verlassen.. zum Glück ohne Lärm. Wir haben so viel zu tun mit deutschen Angelegenheiten … Hitler… die Kriegsgefahr… usw. usf. Nein, wir erlauben es nicht, dass diese Pfiffikusse ihre schmählich durchgefallene schmähliche Politik in Bezug auf die NAP heimlich in die Versenkung verschwinden lassen. Wir werden sie zwingen, den Arbeitern Rechenschaft abzulegen. Wir rufen die fortgeschrittenen Arbeiter auf, der Frage ganz auf den Grund zu gelten: wer hat Recht behalten, wir oder die SAP?

Die Bolschewiki-Leninisten in Deutschland sind umso mehr verpflichtet, in dieser Frage eine energische Kampagne zu führen, als die neue skandalöse Erfahrung die selbstgenügsamen SAP-Strategen nichts gelehrt hat. Im Gegenteil, sie rückten noch weiter nach rechts, in die Konfusion, in den Sumpf. In der Tiefe ihrer Seele glauben sie, Tranmael durch ihr unmäßiges Linkstum abgestoßen zu haben (unter dem arglistigen Einfluss der «Trotzkisten».4 Oh, jetzt werden sie sich besser vorsehen. Kilbom werden sie nicht mehr aus den Armen lassen, was auch immer er tun möge. Was hindert diese Leute, aus den eigenen Fehlern zu lernen? Die stattlich ausgewachsene, durch und durch konservative politische Psychologie des Zentrismus

Die verderbliche Rolle der SAP im Stockholmer Jugendbüro

Auf dem Gebiet der Jugendbewegung ist – wenigstens bis heute – die Gruppierung etwas anders geartet als in der IAG; doch die Politik der SAP-Führer ist hier ebenso prinzipienlos, aufs Kombinieren eingestellt wie dort, eine für die revolutionäre Jugend besonders unheilvolle Politik. Das Stockholmer Büro in seiner heutigen Zusammensetzung wurde mit fiktiven Größen geschaffen: dem Trugbild der NAP und der kleinen Clique de Kadts, die die OSP (Holland) vertrat. Die SAP tat sich mit dem Schatten NAP und dem ganz realen kleinbürgerlichen Spießer de Kadt zusammen (gegen die Bolschewiki sind alle Bündnisse gut!), um die Führung des Stockholmer Büros in die Hände zu bekommen. Man muss die Wahrheit sagen: die jungen Leninisten auf der Konferenz zeigten sich unerlaubt nachgiebig Sie hatten den Hauptcharakterzug des Zentrismus nicht genügend erkannt: seine beständige Bereitschaft, den Revolutionären ein Bein zu stellen oder in den Rücken zu stoßen, um bei den Opportunisten in Gnade zu bleiben.

Auf der letzten IAG-Konferenz beschuldigte der Vertreter des Stockholmer Jugendbüros5 die Genossen Sneevliet und Schmidt des Sektierertums, und, um ihnen eine Lehre in Realismus zu erteilen, stimmte dieser junge Kombinator für beide Resolutionen auf einmal: die holländische für die Vierte Internationale, und die der SAP gegen die Vierte Internationale. Einen solchen Spott auf die Prinzipien dulden, hieße die elementaren Forderungen der revolutionären Hygiene mit Füßen treten!

Das französische Bulletin des Stockholmer Büros (No. 1, April 1935) stellt einen neuen politischen Skandal dar. Der Leitartikel ist anscheinend speziell dazu geschrieben, den Leser zu verwirren, in die Irre zu führen und zu täuschen. Das Verzeichnis der angeschlossenen Organisationen wird im Artikel auf Zweideutigkeiten und Fiktionen errichtet: der opportunistische Flügel wird ungeheuer übertrieben, aber – außer der amerikanischen Spartakus Jugend – werden alle bolschewistisch-leninistischen Jugendorganisationen bewusst verschwiegen. Die Herren Zentristen genieren sich immer inmitten der «vornehmen», (d h opportunistischen) Gesellschaft sich in einer Reihe mit den revolutionären Verbündeten zu zeigen!

Die Aufgabe des Stockholmer Büros wird rein negativ bestimmt: seine Aufgabe ist nicht, eine neue Spaltung vorzubereiten. Darauf antwortet Zyromski mit Recht: die Existenz des Büros ist bereits eine Spaltung, denn die Gruppierung der Jugend geschieht von nun ab nicht um zwei, sondern um drei Achsen. Eine neue «Achse» kann und darf man nur in dem Falle vorschlagen, wenn die alten nichts mehr taugen, und die neue verlässlich und solide ist, ihrer geschichtlichen Berufung entspricht. Das Unglück ist jedoch, dass der Zentrismus überhaupt keine eigene Achse hat noch haben kann.

«Mit der sozialistischen Jugend Spaniens», heißt es im Leitartikel ganz unerwartet, «fordert (!) das Stockholmer Büro die neue Internationale». Allein, man freue sich nicht zu früh. Nach der Kusshand für die Spanier erinnert sich unser Diplomat Doriots, der PUPisten. Zyromskis, aller Propheten der «totalen Einheit» und jetzt sogleich hinzu: «Seine (des Stockholmer Büros) Aufgabe ist, die Spaltung zu überwinden … um zu einer einzigen und echten Internationale zu kommen.» Will sagen, keine neue Internationale, sondern die Vereinigung der beiden alten. Will sagen, die SAP ist prinzipiell für Einheit mit Reformisten und Patrioten, ganz im Geiste ihres Lehres Miles.

Was aber Lenin betrifft auf den sich die Neue Front so unpassend beruft, so lehrte er, dass «Einheit mit Opportunisten gleichbedeutend ist mit einem Bündnis mit der «eigenen» nationalen Bourgeoisie und mit Spaltung der internationalen Arbeiterklasse». Was sagen die SAP-Führer dazu? Selbstredend kann eine zeitweilige organisatorische Verbindung mit Opportunisten unter bestimmten konkreten Voraussetzungen durch die Umstände erzwungen seinx. Aber daraus ein Prinzip machen ist Verrat, ist vor allem Verzicht auf die internationale Einheit des Proletariats, denn während des Krieges werden die Opportunisten abermals die Fiktion zerstören, die sie Internationale nennen und die sie in Friedenszeiten wachhalten zwecks Tröstung der zentristischen Esel. Die «allumfassende», «totale» Einheit bedeutet die schlimmste Spaltung in den schwersten Umständen.

Einige Zellen weiter lesen wir: «Diese Internationale wird das Resultat eines historischen Prozesses sein und sich nur durch Massenaktionen bilden können Sehr gut! Aber warum mischt ihr euch denn in seine Angelegenheiten? Ihr habt doch weder vom «historischen Prozess» noch von den «Massenaktionen» Vollmacht! Der Verfasser des Artikels ist ein vollendeter Schüler der russischen Menschewiki, die einstmals Virtuosen waren in der Verbindung revolutionärer Formeln mit einer Praxis des Fatalismus und der Schlappheit. Doch um wie viel gröber, schwächer und hilfloser sind die Schüler von der SAP als solche Klassiker des linken Zentrismus wie der selige Martow!

Die Aufgabe der Aufgaben ist heute: leninistische Jugendkader vorbereiten, sie auf die Höhe der Aufgaben unserer Epoche heben. Auf diesem Gebiet bedarf es ganz besonderer theoretischer Klarheit. Ehrlichkeit in Ideenfragen. Unversöhnlichkeit gegenüber Opportunismus und Diplomatie. Die Politik der SAP im Stockholmer Büro ist ein glatter Hohn auf die Grundanforderungen der revolutionären Erziehung unserer Nachfolger! Das darf man nicht dulden.

Internationale 2½

Die Optimisten, die auf eine «Evolution der IAG hoffen, müssen sich die Frage beantworten: wie und waren soll diese Evolution nach links und nicht nach rechts gehen? Die Ausgangsposition der IAG-Teilnehmer ist vom Marxismus weit entfernt. Kilbom, Doriot, die PUPisten, Maurin (ein kleinbürgerlicher katalanischer Nationalist) sind offene Gegner des Leninismus. Auf die laufende Arbeit haben diese Parteien untereinander nicht den geringsten Einfluss. Einmal in anderthalb Jahren versammeln sich ihre Delegierten, um festzustellen, dass sie «keine Zeit» haben, Prinzipienfragen zu erörtern. Wie soll denn schließlich die «Wiedergeburt der Arbeiterbewegung» und vor allem die Wiedergeburt der IAG-Mitglieder selbst vor sich gehen? Die einzige Antwort lautet kraft der Gnade des «historischen Prozesses».

Aber der historische Prozess «schafft» alles: sowohl Bolschewismus, wie Zentrismus, wie Reformismus, wie Faschismus. Die «Massenaktionen» pflegen ebenfalls verschieden zu sein: Pilgerfahrten nach Lourdes, Nazivolksabstimmungen, Wahl von Reformisten, patriotische Kundgebungen. Streiks unter Anführung von Verrätern, schließlich revolutionäre Kämpfe, die infolge der zentristischen Führung der Niederlage geweiht sind (Österreich. Spanien). Wir stehen einstweilen vor einer ganz anderen Frage, nämlich: welchen Inhalt beabsichtigt die kleine Propagandaorganisation, die sich SAP nennt, dem «historischen Prozess» und den künftigen «Massenaktionen» zu geben? Es ist lächerlich, sich einen prächtigen Pfauenschwanz künftiger (!) Massenaktionen anzuheften, um die Aufmerksamkeit vom Fehlen klarer Gedanken im Kopfe abzulenken. Die Vergangenheit der führenden SAP-Gruppe (1923!) ist durchaus nicht dazu angetan, an ihre Fähigkeit, revolutionäre Massen zu führen, aufs Wort hin zu glauben. Jedenfalls, auf dem augenblicklichen Vorbereitungsstadium müssen die SAP-Führer ihr Recht auf die Führung beweisen durch richtige theoretische Positionen, Klarheit und Konsequenz der revolutionären Linie. Ach, von diesen Eigenschaften haben sie nicht die Spur!

Ohne eigene Achse, versuchen sie fremde, in verschiedene, sogar entgegengesetzte Richtung laufende Achsen zu «kombinieren». Die NAP ist ihrem Wesen nach eine Partei der Zweiten Internationale. Die ILP kreist unentschlossen um die Dritte. Die holländische Partei steht fest zur Vierten. Doriot und die PUPisten sind für «totale Einheit». Doch die Alchimisten von der SAP versichern die deutschen Arbeiter, aus so verschiedenartigen Elementen werde sich gleichwohl das notwendige ergeben.

Theoretisch gesprochen ist eine Wiederauferstehung der Internationale natürlich nicht ausgeschlossen. Aber angesichts der bereits gemachten traurigen Erfahrung mit der ersten und besonders angesichts der äußersten Zuspitzung des Klassenkampfes, würde die zweite Erfahrung viel schwächer und unbedeutender ausfallen als die erste. Diese Prognose hat schon hinreichende Bestätigung gefunden in der kurzen Geschichte der IAG, deren Zentrifugalkräfte sich bisher stärker erwiesen als alle zentristischen Formeln. Erinnern wir nochmals an die jüngsten Tatsachen. Die NAP ist eine ernst zu nehmende opportunistische Partei, die Bourgeoisie vertraut ihr sogar die Staatsgeschäfte an. Das ist der Grund warum die NAP mit der SAP brach Die Bolschewiki-Leninisten sind eine ernst zu nehmende revolutionäre Organisation, die ihre Tradition und ihre Prinzipien hat. Das ist der Grund, warum die SAP mit den Bolschewiki brach. Die Clique de Kadts (OSP), auf die sich Schwab stützte, verließ bei der ersten ernsten Probe die revolutionären Reihen. Mit der führenden Gruppe Schmidts, die wirklich für die Vierte Internationale einsteht, findet Schwab keine gemeinsame Sprache. Die Amerikanische Arbeiterpartei (Muste) betrachteten Schwab und seine Freunde beinahe als «ihre» Organisation; inzwischen hat sich die Arbeiterpartei mit unserer Sektion vereinigt. Fast hätte Schwab den Belgier Spaak in die IAG gezogen. Doch Spaak wurde plötzlich kgl. Minister. Ebenso wird es auch weiterhin gehen. Die zentristischen Diplomaten der ILP werden ihre Partei vor dem ferneren Verfall nicht bewahren. Innere Differenzierungen sind auch in der schwedischen Partei (Kilbom) unvermeidlich. Um sich heute in der Arbeiterbewegung zu behaupten, bedarf es mehr denn je klarer Prinzipien und eines deutlich und weithin sichtbaren Banners.

Untaugliche Lotsen im Sturmwetter

Die SAP-Führer unterstützen in Frankreich Zentristen wie Zyromski und Doriot gegen die Bolschewiki-Leninisten. Dabei flüstern sie ihnen ins Ohr. wir seien «Sektierer», unduldsam, zur Haarspalterei geneigt, usw. usf. («Denkt um Gottes willen nicht, dass wir seien wie diese Fanatiker, oh nein…»). Sie verschließen ihre Augen nur einer Tatsache: dass nämlich die Bolschewiki-Leninisten die einzige Gruppe sind, die rechtzeitig eine richtige Analyse der Lage und ihrer Entwicklungstendenzen gab, die aus ihrer Analyse alle notwendigen praktischen Schlussfolgerungen zog, und die wirklich unversöhnlich den allgemeinen Leichtsinn der «Führer», ihre Unverantwortlichkeit und ihr Hoffen auf Wunder bekämpft. Der Unterschied ist durchaus nicht, dass Zyromski und Doriot «nachgiebiger», «breiter», «realistischer» seien als die Bolschewiki. Nein, der Unterschied, richtiger das Unglück ist, dass sie den Charakter der Lage nicht begreifen, nicht wagen, marxistisch die Augen aufzutun, nicht die Entschlossenheit besitzen, die notwendigen revolutionären Schlussfolgerungen zu ziehen. Mit anderen Worten, Zyromski, Doriot usw. durchleben heule denselben politischen Zustand wie Brandler. Walcher u. Co. 1923. Der Einfluss der SAP- Führer ist unter diesen Umständen umso gefährlicher, als sie für den Kampf gegen die revolutionäre Politik nicht ohne Geschick das marxistische Wörterbuch benutzen und sich sogar fertiger Formulierungen der Bolschewiki-Leninisten bedienen.

Dies neue, wichtigste Stadium des Kampfes der SAP-Führer gegen die Bolschewiki-Leninisten heißt es aufmerksam und gewissenhaft durchdenken: der Einsatz ist diesmal allzu groß.

In all den Ländern, wo der Faschismus erst angreift, besteht de Hauptgefahr durchaus nicht in der «Passivität» der Massen, sondern darin, dass die Reformisten und Zentristen aller Schattierungen weiter die Mobilisierung des Proletariats hemmen. »Objektiv», in der Sprache der Neuen Front gesprochen, ist der revolutionäre Widerstand notwendig. «Subjektiv» ist er unmöglich … solange die Zentristen aus Furcht vor dem Bruch mit den Reformisten und mit sich selbst es nicht wagen, den revolutionären Weg zu beschreiten, und sich zu ihrer Rechtfertigung auf die «Massen» berufen. Dabei führen die Zentristen einen Kampf gegen die Leninisten. Wir haben hier mit denselben Gruppierungen, denselben Verhältnissen und sogar denselben Argumenten zu tun wie in der Frage der Vierten Internationale. Und das nicht zufällig: sind es doch nur zwei Seiten ein und derselben Frage. Wenn es sich um den Aufbau der Internationale handelt, denken die SAP-Zentristen – eben sie und nicht wir – abstrakt, ohne Berücksichtigung der geschichtlichen Wirklichkeit: irgendwie, irgendwann wird die Sache sich schon machen, wird die Arbeiterbewegung «sich erneuern». Sie glauben unbeschränkten Zeitkredit zu haben. Wenn aber die Frage des Faschismus oder des Krieges gestellt ist, dann ist es schwerer, sich und die anderen zu täuschen, denn aus einer fernen und verschwommenen wird die Perspektive zu einer nahen und präzisen. Der Faschismus greift jetzt an, und zwar mit seinem eigenen, von den zentristischen Berechnungen unabhängigen Tempo. Es gilt, den revolutionären Kreisen eben jetzt, sofort eine Stütze zu geben. Es gilt, nicht sich der subjektiven Stimmung der Nachbarn zur Rechten anzupassen, die sich auf die «Massen» berufen, sondern offen den Massen die objektive Schärfe der Gefahr auseinanderzusetzen. Wer diese Arbeit wirklich leistet, der bereitet damit eben die Vierte Internationale vor; der wird und kann auch keinen Grund haben, seine Fahne zu verbergen. Das sind die zwei Seiten ein und derselben Sache.

Was die SAP-Führer betrifft, so richten sie, soweit sie, sagen wir in Frankreich, Einfluss besitzen, ihn stets und überall auf die Unterstützung der Zentristen, die auf der Stelle treten, und gegen die Bolschewiki,, die aussprechen was ist, d .h. die Forderungen der objektiven Sachlage aufzeigen. Der reaktionäre Charakter der Arbeit der SAP-Führer wird in diesem Fall besonders deutlich, denn hier handelt es sich um eine objektive Gefahr, die mit eisernen Schritten anmarschiert. Die SAP-Führer wiederholen unter neuen Umständen denselben verhängnisvollen Fehler, mit dem ihre unselige Politik in Deutschland 1923 geschlagen war: sie haben nicht die Entschlossenheit, die praktischen revolutionären Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn es die objektive Lage dringend erfordert.

Ziel dieses Artikels ist es vor allem auch, jegliche Illusion über die Eignung der SAP-Führer zur Führung einer revolutionären Massenbewegung zu zerstreuen. Nicht weil sie persönlich unfähige Menschen wären. Nein, in dieser Gruppe sind kluge, emsige und verdiente Elemente, die den Interessen des Proletariats aufrichtig ergeben sind. Sie können in Bezug auf die Gewerkschaftsbewegung oder die Wahlagitation in einer verhältnismäßig ruhigen Epoche nicht schlechten Rat geben. Aber das Format ihres Denkens erlaubt ihnen nicht, die Oberfläche der Erscheinungen zu verlassen. Sie suchen die Linie des geringsten Widerstandes. Sie verschließen die Augen vor den realen Hindernissen. Sie sind absolut unfähig, die Logik des Kampfes in Perioden revolutionärer – oder konterrevolutionärer — Sturmflut zu erfassen. Sie haben das 1923 tragisch bewiesen, und seither, wie ihre ganze Haltung in den Emigrationsjahren bezeugt, nichts zu gelernt. Eingefleischte Zentristen, Politiker der goldenen Mitte, Kombinatoren, sind sie in schwieligen und verantwortungsvollen Lagen hoffnungslos verloren, büßen sie ihre positiven Eigenschaften ein und spielen eine negative Rolle. Unsere Warnung lässt sich in eine kurze Formel zusammenfassen: bei allen ihren unbestreitbaren Verdiensten sind die SAP-Führer absolut untaugliche Lotsen im Sturmwetter. Europas Wetter steht aber eben auf Sturm.

Die Bolschewiki-Leninisten und die IV. Internationale

Die einzige Organisation, die sich in den letzten Jahren planmäßig entwickelt hat, ist unsere, die der Bolschewiki-Leninisten. Beide Internationalen kennen nur noch Niederlagen, Zusammenbruch, Verfall; auf dem Gebiet der Theorie sind sie unter den Nullpunkt gesunken. Neben ihnen stand einige Jahre lang die früher recht beachtliche Organisation der rechts-kommunistischen Opposition (Brandler-Thalheimer-Walcher). Heute sind von dieser nur noch Trümmer übrig: die SAP-Kader sind einer davon.

Die internationale Organisation der Bolschewiki-Leninisten entstand erst im Frühjahr 1930, auf noch sehr schwachem und unsicherem Fundament. Die kurze Geschichte der Arbeit der Leninisten war zugleich eine Geschichte inneren ideologischen Kampfes. Eine ganze Reihe von Personen und Gruppen, die bei uns vor dem Ungemach des Lebens Obdach suchten, haben schließlich unsere Reihen zum Glück wieder verlassen. Die belgische Sektion macht eben jetzt noch eine scharfe Krise durch. Krisen wird es ohne Zweifel auch in Zukunft geben. Spießbürger und Snobs, die nicht wiesen, wie revolutionäre Organisationen entstehen, rümpften ironisch die Nase über unsere «Spaltungen» und «Splitterungen». Allein, im Endergebnis hat unsere Organisation zahlenmäßig gewonnen, Sektionen in den meisten Ländern geschaffen, sich ideologisch gestählt, politische Mannbarkeit erreicht. Nach dieser Periode trat die holländische Revolutionär-Sozialistische Partei (Sneevliet) unseren Reihen bei. Die holländische OSP, nachdem sie sich der Clique de Kadts (Schwabs ständiger Verbündeter gegen uns) entledigt hatte, vereinigte sich darauf mit der RSP auf einer marxistischen Plattform. In Amerika vereinigte sich die Arbeiterpartei (Muste-Organisation) mit unserer Sektion auf streng prinzipieller Grundlage. Die französischen Bolschewiki-Leninisten, die einen sehr kühnen organisatorischen Schritt taten (Eintritt in die Sozialistische Partei) stehen jetzt mit ihren Losungen im Mittelpunkt der proletarischen Avantgarde Frankreichs. Man kann auch nicht umhin, auf die neue wütende Kampagne gegen die «Trotzkisten» in der UdSSR hinzuweisen, wo die unterirdische Arbeit der Bolschewiki-Leninisten unvergleichlich schwieriger ist als selbst in Italien oder Deutschland. Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Ausschlüssen aus der Partei, Massenverhaftungen und -verbannungen zeugen dafür, dass die Stalinbürokratie in ständiger Furcht vor den unausrottbaren Sympathien für unser Banner lebt. Bei den ersten revolutionären Erfolgen im Westen werden wir in der USSR mit einem Schlage eine reiche Ernte einbringen.

Die Bolschewiki-Leninisten sind von Selbstzufriedenheit weit entfernt: davon zeugen unsere internen Diskussionen zur Genüge. Wir sind bereit, von allen zu lernen, von wem überhaupt irgendetwas zu lernen ist. Unsere Veröffentlichungen in allen Erdteilen sind ein Zeugnis dafür, dass unsere Sektionen emsig und mit Erfolg lernen. Die Lebendigkeit unserer internationalen Organisation, ihre Entwicklungsfähigkeit, ihre Bereitschaft, die eigenen Schwächen und Mängel zu überwinden, ist vollauf bewiesen.

Unsere holländische Freunde (die Parteimehrheit) hält es offenbar noch für nötig, in der IAG zu verbleiben. Mögen sie diese Erfahrung machen! Wir zweifeln nicht an der Schlussfolgerung, die sie morgen daraus ziehen werden. Es wäre aber falsch, auch nur einen einzigen Tag die Arbeit am weiteren Aufbau der Vierten Internationale zu verschieben. Wenn die revolutionären Marxisten aller Länder, natürlich zusammen mit unseren holländischen Freunden, jetzt schon eine internationale Vereinigung unter ihrem eigenen Banner schaffen, so werden sie den unvermeidlichen Verfall der IAG, sowie der beiden alten Internationalen beschleunigen und der Anziehungsmittelpunkt für alle wirklich revolutionären Gruppierungen des Proletariats werden.

«Persönlicher Einfluss» und persönliche Unterschiebungen

Persönlichem Kampf pflegt häufig ein prinzipielles Aussehen gegeben zu werden. Aber auch das Gegenteil pflegt der Fall zu sein: wenn es unbequem ist, einen prinzipiellen Kampf zu führen, so verdeckt man ihn mit persönlichem Raisonnement. Schwab hat ein Dutzend Erklärungen dafür, warum er u. seine Freunde mit den Opportunisten zusammenarbeiten können, nicht aber mit den Bolschewiki: bei uns herrscht, nicht wahr? — ein zu starker «persönlicher Einfluss». das «Gegengewicht» ist zu klein usw. usf. Tun wir uns Gewalt an und gehen wir auf dieses Argument ein.

Dem übermäßigen persönlichen Einfluss eines X. oder Y., wenn er wirklich besteht, kann (und muss) man mit einem einzigen Mittel begegnen: indem man den falschen oder nicht genug durchdachten Ansichten des X. oder Y. andere, richtigere, besser formulierte Ansichten gegenüberstellt. Dieser Weg steht jedem offen: bei uns gibt es keine Zensur, keine Bürokratie, keine GPU, keine Kassen für Korruption. Die Frage des «persönlichen Einflusses» ist auf diese Weise nur im Verlauf und im Ergebnis der politischen Zusammenarbeit, des Aufeinanderpralls der Meinungen und ihrer Erprobung in der Erfahrung zu entscheiden. Wer die Frage des «persönlichen Einflusses» als selbständige Frage stellt, die mit irgendwelchen besonderen Mitteln gelöst werden soll, abseits vom ideologischen Kampf und von der politischen Überprüfung, der wird in seinem Arsenal keine anderen Mittel finden als… Klatsch und Intrigen.

Es ist darum unschwer zu begreifen, dass die Angst vor dem «persönlichen Einfluss» ein Ausfluss der zentristischen Unfähigkeit ist, auf dem Boden der Prinzipien und Methoden, den Kampf aufzunehmen. «Persönlicher Einfluss.. ist uns verhasst und feind, wenn er im Dienste uns feindlicher Ideen steht. Alle revolutionären Lehrer des Proletariats, große wie kleine, wurden übermäßigen persönlichen Einflusses angeklagt von denen, die ihre Anschauungen nicht teilten. Alle Zentristen, alle Wirrschädel, die den klaren, offenen, kühnen, ehrlichen ideologischen Kampf meiden, suchen stets eine nebensächliche, zufällige, persönliche, psychologische Rechtfertigung für die durchaus nicht zufällige Tatsache, dass sie mit Opportunismus im Bunde stehen gegen die Revolutionäre.

In Wirklichkeit behandelt nicht eine Organisation die Fragen so offen und demokratisch, vor den Augen der Freunde und Feinde, wie unsere. Wir können uns das nur deshalb erlauben, weil wir nicht die Analyse von Tatsachen und Ideen durch Kombinieren und Diplomatie ersetzen. Einfacher gesagt: wir betrügen die Arbeiter nicht. Aber gerade unser Prinzip: aussprechen was ist, ist den SAP-Führern am meisten verhasst, denn die Politik des Zentrismus ist undenkbar ohne Verschweigen, Kniffe und … persönliche Unterschiebungen.

Schlussfolgerungen

Während einer langen Periode machten wir – loyal und geduldig, aber ganz und gar ergebnislos – einen Annäherungsversuch an die SAP-Führung. Gerade dank dem methodischen Charakter unseres Versuches wurde es uns möglich, die ganze Tiefe des zentristischer Konservativismus zu ermessen. In unserer Kritik haben wir nur einen Teil der Streitfragen herausgegriffen., Aber auch das Gesagte genügt hoffentlich, die entweder höchst naiven oder heuchlerischen Behauptungen zurückzuweisen, die Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und der SAP beträfen nur taktische Teilfragen oder «persönliche» Fragen. Nein, die Meinungsverschiedenheiten erstrecken sich auf die Grundfragen der Theorie, der Strategie, der Taktik und der Organisation, wobei in der letzten Periode, nach den zeitweiligen linken Schwankungen Schwabs und seiner Freunde, diese Meinungsverschiedenheiten noch außerordentlich zugenommen haben und nach außen hervorgetreten sind.

Die SAP-Führung ist der klassische Typ des konservativen Zentrismus.

1. Sie vermag revolutionäre Situationen weder zu begreifen noch auszunutzen (1923 in Deutschland; ihre heutige Politik in Westeuropa).

2. Sie hat sich das ABC der leninistischen Strategie im Osten nicht zu eigen gemacht (Vorgänge in China 1925-1927).

3. Statt um die Massen zu kämpfen, läuft sie deren opportunistischen Führern nach, wobei sie diese gegen den revolutionären Teil der Massen unterstützt (Anglo-russisches Komitee, NAP).

4. Sie ersetzt die revolutionäre Dialektik durch leblosen Automatismus und Fatalismus (Vertrauen auf den «historischen Prozess»).

5. Sie verhält sich mit der Verachtung eingefleischter Empiriker zur Theorie und zu den Prinzipien; Diplomatie und Kombinieren nimmt bei ihr die erste Stelle ein.

6. Die Auffassung von der Rolle der Partei und der revolutionären Führung hat sie nicht von den Bolschewiki, sondern den «linken» Sozialdemokraten, den Menschewiki übernommen.

7. Sie bringt akademische «linke» Resolutionen ein, um sich und den anderen die Hände für ihr opportunistisches Werk zu lösen: vom Widerspruch zwischen Gedanken und Wort, zwischen Wort und Tat, dieser Pestwunde des Zentrismus ,ist die gesamte Politik der SAP angefressen.

8. Trotz dem ungeheuren Anschwellen der zentristischen Strömungen in der heutigen kritischen Periode, lässt die SAP-Führung nicht einmal den Begriff des Zentrismus gelten und schützt auf diese Weise ihre Verbündeten und vor allem sich selbst vor der marxistischen Kritik.

9. Sie sucht die Gunst der Rechten und führt einen illoyalen Kampf gegen die Linken, und hemmt so den Prozess der Befreiung der proletarischen Avantgarde vom Einfluss des Reformismus und des Stalinismus.

10. In den Ländern, wo der Faschismus mit Siebenmeilenstiefeln marschiert, hilft die SAP-Führung mit ihrem Kampf gegen die einzig konsequente revolutionäre Organisation den Zentristen, das Proletariat einzuschläfern.

11. In der brennenden Frage des Krieges hat sie endgültig den Leninismus durch Pazifismus ersetzt («Abrüstung», «Friedensoffensive», «demokratische Kontrollen» usw.).

12. Sie unterschrieb die Programmresolution für die Vierte Internationale, um sie in Wirklichkeit zu bekämpfen.

13. In der von ihr geleiteten IAG steuert sie auf eine Internationale 2½.

Es ist klar: die Arbeit des Zusammenschlusses der revolutionären Kräfte unter dem Banner der Vierten Internationale muss außerhalb der SAP und gegen sie geführt werden.

24. April 1935.

1Pseudonym von Jakob Walcher

2Hingegen erklärte Schwab auf der Konferenz laut Protokoll: «Die Parteien hätten schon lange vor der Konferenz ihren Standpunkt formulieren können.» - Anmerk. d. Red[aktion von „Unser Wort“]

*Als die Bolschewiki-Leninisten ihre Einstellung in der Kriegsfrage in einem Thesenentwurf formulierten («Die Vierte Internationale und der Krieg») legten sie ihn in Manuskriptform seinerzeit den SAP-Führern mit der Aufforderung vor, an der Diskussion teilzunehmen. Das wurde versprochen, aber eine Antwort erfolgte nicht. Die SAP-Führer hatten gewiss «keine Zeit». Sie haben nie Zeit für die Probleme der Revolution. Und außerdem: was wird Tranmael sagen? Was wird Kilbom sagen? … Der Leser sieht an diesem Beispiel, dass wir mit der SAP einen ernsthaften Versuch gemacht haben.

3Was der Delegierte der ILP-Jugend richtig bemerkte, Protokolle Seite 23 u. 24 – Anmerk. d. Red.

**A propos: Einer der Führer der Gruppe bat seinerzeit brieflich um Trotzkis Meinung über den Eintritt in die SAP. Er antwortete: prinzipiell kann man gegen einen solchen Eintritt nichts sagen; die Frage ist einzig und allein, mit welcher Fahne er erfolgt und im Namen welcher Ziele.

4Schwab: «Vor anderthalb Jahren haben wir die Frage der neuen Internationale überspitzt und dadurch Rückschläge erfahren.» (Prot. S. 29) – Anm. d. Red.

5Er hieß Willy Brandt und hat es noch weit gebracht

xErinnern wir daran, dass nach dem Krieg die französischen Anhänger der Dritten Internationale eine lange Zeit hindurch mit der SFIO der Berner Internationale (2½) angehörten. Aus diesem Anlass entstand zwischen Lenin und Martow eine lehrreiche Polemik. Wir lesen bei Lenin: «Martow hat irgendwo geschrieben: «Ihr Bolschewiki schimpft auf die Berner Internationale, und dabei ist «euer» eigener Freund Loriot darin Mitglied.» Das ist das Argument eines Spitzbuben. Denn es ist allbekannt, dass Loriot für die 3. Internationale kämpft, offen ehrlich heroisch.» Lenins Argument bedarf hoffentlich keines Kommentars.

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