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Leo Trotzki 19350702 Die SAP und der offene Brief

Leo Trotzki: Die SAP und der offene Brief

[eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky (1935-36). New York ²1977, S. 33-36]

An das Internationale Sekretariat

Liebe Freunde:

Ich muss zugeben, dass die das Manifest für die Vierten Internationale betreffende Arbeit anfängt, mir große Sorgen zu breiten. Zuerst akzeptierte ich ruhig, als Teil der Unternehmung an die SAP heranzutreten. Jetzt erkenne ich, dass dies ein Fehler war.

Das Manifest wird von Organisationen herausgegeben, die wirklich, das heißt aktiv, die Vierte Internationale unterstützen. Die SAP gehört nicht zu dieser Kategorie. Wie jede andere Organisation wird sie die Gelegenheit haben, nach der Veröffentlichung unseres Appells ihre Meinung auszudrücken. Aber wir haben absolut keinen Grund oder Veranlassung, eine besondere Sorge für speziell diese Gruppe zu zeigen. Es wäre ein Verbrechen, zu vergessen dass die SAP nach der Veröffentlichung der Erklärung der Vier den Kampf für die Vierte Internationale auf jede mögliche Weise sabotiert hat. Die Tatsache, dass das Viererabkommen gleich nach seiner Schließung in Stücke ging, bereitete dem Kampf für die Vierte Internationale natürlich großen Schaden. Der einzige Grund für diese lange Unterbrechung im organisatorischen Kampf liegt in der opportunistischen Böswilligkeit der SAP-Führung zusammen mit der kriminellen de-Kadt-Clique.

Zwei unwiederbringliche Jahre sind vergangen. Der Krieg klopft an die Tür. Die dritte Internationale bildet ein Bündnis mit der Zweiten Internationale in einem Akt von abscheulichem politischem Verrat. Nun wollen wir das Banner der Vierten Internationale erneut entfalten und genau in diesem Augenblick wenden wir uns höflich der Gruppe zu, die uns schon einmal betrogen hat und jetzt einen prinzipienlosen und (letztlich) verräterischen politischen Kurs in Frankreich, dem politischen Brennpunkt Europas, verfolgt.

Wenn man natürlich an die SAP unter den oben charakterisierten Umständen aus einer rein organisatorischen Sichtweise herangeht – wie ich es vor ein paar Wochen versuchte – kann man es als völlig harmlosen organisatorischen Schritt betrachten. Allein die Notwendigkeit, sich noch einmal vor unseren verräterischen früheren Verbündeten zu verbeugen stellt – wenn man es durchdenkt – einen Mangel an innerem Vertrauen und revolutionärer Selbstsicherheit in unseren eigenen Reihen und denen unserer engsten Verbündeten dar.

Wen man die geschichtliche Lage sorgfältig durchdenkt, einschließlich der Schikane der Komintern, wenn man sich über die Größe unserer revolutionären Aufgabe klar ist, dann sollte man keinen weiteren Tag mit der Durchführung der grundlegendsten und drängendsten Aufgabe warten: vor der Welt des Proletariats zu reden, zu sagen, was ist, und die besten Elemente zum Aufbau der neuen Internationale aufzurufen! Die Vollführung dieser Aufgabe von bereits bewiesenen opportunistischen bösen Willen der SAP abhängig zu machen, ist ein schlechter Zustand, der noch ein paar unerfreuliche Überraschungen verursachen wird.

Nur hilflose Opportunisten können sagen: die Frage ist nicht so entscheidend; die „Massen“ sind bisher nicht genug an der Vierten Internationale interessiert; wir haben noch genug Zeit für kleinliche diplomatische Manöver etc. Es ist wahr, dass die Massen viel zu wenig (teilweise wegen unserer eigenen Nachlässigkeit) vom Banner der Vierten Internationale wissen; aber was die Massen brauchen und wofür immer mehr Elemente die Notwendigkeit verstehen – oder zumindest fühlen – ist eine richtig orientierte, entschlossene, mutige revolutionäre Führung. Und diejenigen, die in der Frage der Vierten Internationale schwanken und zögern sind, unausweichlich auch in allen anderen Fragen nicht auf der Höhe der geschichtlichen Aufgaben. Wenn sie schreiben, tasten ihre Stifte herum; wenn sie reden, tasten ihre Stimmen herum; sie haben ihre Verbindungen zur Vergangenheit nicht durchschnitten. Und die Massen haben einen unfehlbaren Instinkt für das innere Vertrauen des gesprochenen und geschriebenen Wortes. Verschiedene Teile der Klasse können falschen Losungen folgen, aber sie werden nie Vertrauen in unsichere, schwankende Führer haben, die ihr Gewicht ständig von einem Fuß auf den anderen verlagern. Natürlich ist Selbstsicherheit allein nicht genug: der politische Kurs muss richtig sein. Aber Politik in dieser neuen Periode von Sturm und Stress muss von den großen politischen und sozialen Faktoren geleitet sein, und nicht von unwichtigen, kleinlichen Überlegungen. In jedem Fall ist in dieser Periode jedes Schwanken, jeder Fall von Unentschlossenheit eine Garantie für sicheren Ruin.

Was gesagt wurde, schließt auf keine Weise Anpassung an die bestehende Wirklichkeit aus. Ganz im Gegenteil: unsere jüngste Erfahrung in Frankreich beweist, dass wir nicht vor den kühnsten Maßnahmen zurückschrecken sollten, um einen Weg zu den Massen zu finden.

Es ist eine Sache, die wirklichen Massen und ihre Windungen im Kopf zu behalten, wenn wir eine Wendung von uns selbst überlegen, und manchmal ganz das Gegenteil des Bettelns um die gnädige Zustimmung der erfahrenen Opportunisten und berufsmäßigen Verberger, wenn man einen wichtigen Schritt vorwärts tut. Sorgfältige Arbeit innerhalb einer Massenorganisation durchführen, sich notfalls verbergen, sich gegenüber [den Vertretern] der parlamentarischen und Gewerkschaftspolitik des Kapitalismus zu verstellen – all das ist nicht nur erlaubt, sondern unsere Pflicht. Aber nur unter einer Bedingung: dass es um einen wirklichen Kampf für ein wirklich revolutionäres Banner geht. Und dieses Banner muss jetzt vor dem internationalen Proletariat durch die fortgeschrittensten Elemente, das heißt die Vorhut der Vorhut, gehisst werden. Dieses Banner ist das der Vierten Internationale. Natürlich nicht nur die Zahl, sondern ein Programm, eine Strategie und ein Zentrum für Planung und Leitung.

Es scheint, dass der Vorschlag ist, auf die Antwort der SAP bis zum 10. Juli zu warten. Und dann? Die zentristischen Betrüger, die sich jetzt nur darum sorgen, den endgültigen Bankrott so lange wie möglich zu verbergen, werden uns einen anderen Text vorschlagen oder eine Reihe von Änderungen. Was dann? Sollen wir dann eine neue internationale Diskussion über Dinge, die uns klar sind – oder zumindest klar sein sollten –, haben? Den SAP-Führern, die jetzt zwei Jahre lang mit unleugbaren Erfolg den Kampf für die Vierte Internationale sabotiert haben, wird jetzt eine Chance gegeben, ihre politische Funktion in einer neuen Form nach Kräften auszufüllen.

Wir haben alle (und ich schließe mich dabei keineswegs aus) einen schweren Fehler gemacht, den wir bedauern werden. Damit sich die verheerenden Folgen dieses Fehlers nicht verstärken, müssen wir ihn sofort beenden. Ich mache den folgenden Vorschlag:

a. Wenn die SAP ihre Unterschrift zum 10 Juli ohne alle Vorbehalte sendet (was so gut wie ausgeschlossen ist), veröffentlichen wir das Manifest mit der Unterschrift der SAP sofort.

b. Wenn die SAP einen anderen Text unserem entgegenstellt, werden wir unseren sofort veröffentlichen, ohne in weitere Verhandlungen über den SAP-Text einzutreten.

c. Wenn die SAP Änderungen zu unserem Text vorschlägt, werden wir ihnen das Recht geben, ihre Vorbehalte unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen, aber werden unseren Text mit unseren Unterschriften ohne Verzögerung veröffentlichen.

Mit anderen Worten: wir werden keine weiteren Verzögerungen zulassen, nicht mal für vierundzwanzig Stunden.

Wen wir unser Dokument schon vor Wochen veröffentlicht hätten, hätte es auf die Reihen der SAP einen starken Eindruck gemacht, hätte den inneren Kampf beschleunigt und hätte vielleicht revolutionäre Elemente der, SAP zu uns angezogen – wenn es welche gibt. Durch Warten und endlose Verhandlungen verdecken wir bloß das Schwanken der SAP, unterstützen den rechten Flügel gegen den linken und fangen selbst zu schwanken an, was das Schlimmste von allem ist. Und jede Gruppe, ich wiederhole es, die in dieser Periode schwankt oder bloß zu schwanken scheint, ist zur Zerstörung verurteilt.

L. Trotzki

PS: – die jüngste Losung der SAP „für ein neues Zimmerwald“ zeigt nur die Sehnsucht dieser Herren, sich selbst unbemerkt vom Bankrott der IAG zu befreien. Wir haben nicht das kleinste Interesse, die neue Verwirrung direkt oder indirekt zu unterstützen. Das heißt natürlich nicht, dass wir von vornherein die Teilnahme an möglichen Treffen der verschiedenen internationalistischen, linkszentristischen etc. Gruppierungen auf individueller Basis ablehnen. Alles hängt von den konkreten Umständen ab. So hatte zum Beispiel unsere französische Sektion durchaus Recht, an dem Versuch verschiedener Gruppen teilzunehmen, der neuen chauvinistischen Welle Widerstand zu leisten. Aber wir können an solchen Unternehmungen nur mit geschlossenen Reihen und als Pioniere der Vierten Internationale teilnehmen, mit starker innerer Einheitlichkeit. Andernfalls werden wir selbst Opfer der Verwirrung der SAP werden und von Katastrophe zu Katastrophe gehen.

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