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Leo Trotzki 19360715 Die niederländische Sektion und die Internationale

Leo Trotzki: Die niederländische Sektion und die Internationale

[eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky (1935-36) New York ²1977, S. 362-376, die Passage von Punkt 7 bis zur Mitte von Punkt 9 ist auf deutsch erschienen in: Leo Trotzki, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39. Band 1. Frankfurt am Main ²1986, S. 202-205]

An das Zentralkomitee der RSAP

Liebe Genossen: Ich antworte hiermit auf Ihren Brief vom 11. Juli, leider mit einem Tag Verspätung, die durch ungünstige Umstände verursacht wurde.

1. Sie schreiben, dass Sie bereit sind, zwei Delegierte zu der Konferenz zu senden („wenn die organisatorischen Angelegenheiten als erster Punkt behandelt werden“). Was mich betrifft bin ich natürlich nicht dagegen, die organisatorischen Angelegenheiten an jedem beliebigen Tagesordnungspunkt zu behandeln, selbst im ersten, wenn das notwendig erscheint. Die Frage kann jedoch nur von der Konferenz selbst entscheiden werden und ich sehe nicht, wie diese Frage im Voraus entschieden werden könnte. Da ich Ihren Brief nicht als ein Ultimatum an eine noch nicht einberufene Konferenz betrachten kann, fasse ich die Angelegenheit in dem Licht auf, dass Sie sich das Recht vorbehalten, darauf auf der Konferenz selbst zu bestehen, dass die organisatorischen Fragen auf den ersten Punkt vorgezogen werden. Trotz dem Umstand, dass mir solch ein Vorgehen ziemlich irregulär erscheint und meiner ganzen Erfahrung widerspricht, würde ich aus dieser Angelegenheit keine Streitfrage machen, und würde, was mich betrifft, diesen Vorschlag annehmen.

Leider sehe ich keine konkreten Vorschläge auf Ihrer Seite. Es ist unbestreitbar, dass unsere internationale Organisation große Defekte enthüllt; ich hoffe, dass viele dieser Defekte geheilt werden können, besonders wenn die niederländische Partei nunmehr macht, was in der internationalen organisatorischen Arbeit notwendig ist. Die wichtigsten Schwächen liegen jedoch einfach in der Natur unsere Organisation, weil wir von allen Regierungen verfolgt werden. Wir haben keine Bewegungsfreiheit. Ein Teil unserer führenden Genossen sind in der Lage politischer Flüchtlinge (ich gehöre zum Beispiel zu ihnen). Das ist etwas, das man nicht einfach wegreden kann

Die russische Führung war immer zwischen zwei und oft genug zwischen drei Zentren aufgeteilt. Der Hauptteil des Zentralkomitees war in Russland. Die Emigranten, unter ihnen Lenin, waren im Ausland. Trotzdem spielten sie eine gewisse Rolle in der Bewegung und oft keine völlig schlechte Rolle. Wegen der räumlichen Entfernung kamen jedoch zu allen Zeiten Schwierigkeiten und Reibungen auf, die oft bedrohliche Formen annahmen. Dem kann man jetzt sehr gut folgen mit Hilfe des veröffentlichten Briefwechsels, der jahrzehntelang fortgesetzt wurde.

In Europa waren die Dinge unter normalen Bedingungen anders. Aber die guten alten Zeiten sind jetzt auch für Europa vorbei. Wir müssen uns an sehr besondere Bedingungen anpassen, die für uns alle ständig schlechter werden. Man kann nirgends ein Patentrezept für diesen Zustand finden. Wenn man großen Wert auf Zusammenarbeit untereinander legt, dann muss man auch die negativen Seiten der bestehenden gewissen organisatorischen Zerstreuung berücksichtigen.

Die Vorkonferenz in Bern wurde genau zu dem Zweck vorgeschlagen, die Arbeit der Konferenz in Genf so einträglich und glatt wie möglich zu machen. Ich wartete anderthalb Monate auf diese Konferenz. Leider fand sie nicht statt. Auch erhielt weder ich noch irgend jemand bis zu diesem Tag irgendwelche organisatorischen Vorschläge. Es ist immer hart, Vorschläge auf einer Konferenz zu behandeln, wenn sie nicht im Voraus den Teilnehmern der Konferenz vorgelegt wurden. Denn Sie werden sicher verstehen, dass es nicht allein Ihre Partei ist, die daran interessiert ist, alle wichtigen Fragen im Voraus zu erwägen, sondern auch andere Organisationen. Aber Sie machen die Sache noch härter durch den Umstand, dass Sie in Ihrem letzten Brief mit keinem Wort beschreiben, was Sie als organisatorische Fragen betrachten.

Trotzdem wäre ich – wie erklärt – für meinen Teil bereit, die Hälfte des ersten Tages organisatorischen Fragen zu widmen, zumindest um in die Diskussion einzuführen und die Anwesenden damit vertraut zu machen, worin die konkreten Vorschläge bestehen. Dann, wenn man nicht sofort zu endgültigen Entscheidungen kommt, könnte eine Kommission gebildet werden, um Vorschläge vorzubereiten, die dann im letzten Teil des Schlusstages der Konferenz zur Diskussion und endgültigen Entscheidung vorgelegt werden könnten. In jedem Fall sind das von meiner Seite nur Vorschläge – nicht bindend.

2. Die wichtigste Frage ist die französische Revolution [1936]. Ich bedaure sehr, liebe Genossen, dass ich nichts darüber in Ihrem Brief finde und leider viel zu wenig in Ihrer Zeitung. Das Schicksal Europas, das Hollands eingeschlossen und damit auch das Ihrer Partei wird heute nicht in Holland, sondern in Frankreich entschieden.

Ich erinnere mich, dass es vor einem oder anderthalb Jahren einen redaktionellen Kommentar in De Nieuwe Fakkel zu einem Artikel eines Genossen der Bolschewiki-Leninisten mit annähernd dem folgenden Inhalt gab (Ich habe die Ausgabe nicht bei der Hand): Wir stimmen nicht damit überein, „dass die französische Lage wichtiger als die deutsche oder englische sei.“ Diese Art, die Frage zu stellen, ist abstrakt und daher unkorrekt. Es ist keine Frage des Vergleichs der geschichtlichen Bedeutung verschiedener Länder, sondern der richtigen Einschätzung der revolutionären Weltkonjunktur. Das Schicksal der europäischen Arbeiterklasse wird heute für die kommenden Jahrzehnte in Frankreich entschieden. Unsere französische Sektion – trotz all ihrer Schwierigkeiten und Schwächen, die ich sehr gut kenne – wurde ein geschichtlicher Faktor, der alle anderen Sektionen weit in den Schatten stellt. Sich zu weigern, das wahrzunehmen, wäre, zumindest in meinen Augen, ein Symptom für opportunistische Blindheit. Wir müssen unsere französische Sektion mit all unseren Kräften unterstützen, mehr als unsere anderen nationalen Sektionen und Organisationen, denn wenn wir in Frankreich im Verlauf der kommenden Monate einen großen Schritt vorwärts machen, wird es von unermesslicher Bedeutung in allen anderen Ländern sein und auch – zum Beispiel für die bevorstehenden niederländischen Wahlen. Wenn ich meine Gedanken in die Sprache des Handels übersetzen darf, werden 100 Gulden, die jetzt in Frankreich investiert werden, in der kommenden Epoche mehr Zinsen abwerfen als 1000 Gulden in Holland, Russland oder England. Deshalb sehe ich mit einer gewissen Besorgnis den Umstand, dass Sie diese Frage tatsächlich übersehen und selbst Ihre Teilnahme an der Konferenz in einem gewissen Grade von allgemeinen „organisatorischen“ Fragen abhängig machen, die wir klären werden und die wir im Verlauf der kommenden Jahre immer wieder werden klären müssen. Ich betrachtete die Konferenz zunächst als Versammlung des internationalen Stabes mit dem Zweck, die französische Frage zu einer internationalen Frage zu machen, und das in jeder Hinsicht.

3. Es scheint Ihnen überflüssig, eine Haltung gegenüber dem Londoner Büro auf der Konferenz anzunehmen. Unter keinen Umständen kann ich meine Übereinstimmung damit zum Ausdruck bringen. Das schlimmste Hindernis für uns, der böswilligste Feind ist das Londoner Büro und seine angeschlossenen Organisationen. Ihr Cartoonist, den ich immer bewundere, hat kürzlich die Zweite und Dritte Internationale als zwei Hunde dargestellt, die vom Imperialismus gegen die Vierte Internationale losgelassen werden. Leider vergaß er, den kleinen räudigen Köter darzustellen, der um unsere Beine streicht, uns anknurrt und nach unseren Fersen schnappt und uns dadurch daran zu hindern sucht, mit den großen Hunden fertig zu werden. Das ist keine untergeordnete Frage. Was die SAP-ILPler in einer revolutionären Periode darstellen, wird wieder von Marceau Pivert und Godefroid in Frankreich und Belgien gezeigt. Die ILPler sind kein bisschen besser als die SAPler. Das haben sie durch ihre Entwicklung in den letzten zwei Jahren genügend gezeigt. Je bedrohlicher und mehr mit Verantwortung gefüllt die Lage wird, desto reaktionärer und desto feindseliger – uns gegenüber – werden alle diese alten, geschniegelten, unwandelbaren Opportunisten und Pazifisten werden. Man kämpft nicht für die Vierte Internationale, indem man mit ihnen in einem geschlossenen Raum flirtet, indem man ihnen Aufmerksamkeit entgegenbringt, in ihre Sprechstunde kommt etc. – weil ihnen all das nur eine übertriebene Meinung von ihrer eigenen Bedeutung gibt und sie zu weiteren Einmärschen in unsere eigenen Reihen anstachelt; nein, man kämpft für die Vierte Internationale nur, indem man diese kleinen Herren mitleidlos entlarvt und sie bei ihrem richtigen Namen nennt.

4. Nehmen wir die ILP-Frage. Ich kann mir in dieser Frage wirklich keinerlei Überstürzung vorwerfen. Seit Jahren folge ich der Entwicklung dieser Partei ziemlich ruhig und objektiv. Nach dem Besuch von Schmidt und Paton bei mir, durch den ich eine ganze Menge lernte, schrieb ich eine Reihe von Artikeln und Briefen ganz freundlicher Art an die ILP-Leute, versuchte mit ihnen in persönlichen Kontakt zu kommen und riet unseren englischen Freunden, der ILP beizutreten, um von innen mit ihnen systematisch und bis zum Ende durch die Erfahrung zu gehen. Seit dem letzten Besuch der Genossen R. und A. formulierte ich meine Beobachtungen in diesem Sinn: innerhalb der ILP kann man nicht mehr viel tun. Wir drei arbeiteten einen klaren Vorschlag für unsere britischen Genossen aus (als Manifest für die Partei, Sammlung von Unterschriften etc.). Genosse Schmidt ging nach England und schätzte den Plan als unrichtig ein. Das war natürlich nicht ohne Einfluss auf die Genossen und auch auf mich. Ich sagte mir sofort selbst: Schmidt kennt die Lage in der ILP besser als ich; vielleicht sieht er in der ILP solche Aspekte, die mir entgehen; deshalb sollte die Entscheidung vielleicht verschoben werden, um die Auswirkungen der letzten großen Ereignisse (der Krieg [Italiens] in Äthiopien etc.) auf die kommende Parteikonferenz der ILP zu sehen. Zwei oder drei Monate in einer kritischen Periode zu verlieren, ist immer ein großer Verlust. Aber nach der Intervention des Genossen Schmidt schien es mir, dass es notwendig war, durch diese neue Erfahrung zu gehen.

Nun, das ist jetzt schon hinter uns. Jetzt mit dem Bemühen fortzufahren, Illusionen wiederzubeleben, die zu Stücken geschlagen wurden, wäre nichts weniger, als der Sache einen schlechten Dienst zu erweisen. In Zeiten der Ruhe kann man eine lange Periode mit Illusionen leben; wenn man in einer Zeit der Krise nicht die harten Fakten berücksichtigt – das heißt, die tatsächliche Politik des Zentrismus und Pazifismus und folglich ihre Taten – sondern seine eigenen Wünsche und Gefühle betrachtet, dann nährt man die Gefahr, der Schatten der Zentristen und Pazifisten zu werden und seine eigene Organisation zu kompromittieren und zu zerstören. Deshalb erachte ich es als absolut notwendig für unsere Genossen, offen mit der ILP zu brechen und in die Labour Party überzutreten, wo man viel erreichen kann, was sich besonders an der Erfahrung in der Jugend zeigt.

5. Sie beschweren Sich in Ihrem Brief, dass viele Sektionen taktische Wendungen ohne vorhergehende internationale Diskussion und Entscheidung durchgeführt haben. Diese Beschwerde scheint mir nicht korrekt zu sein, besonders so weit sie sich auf die amerikanische Partei bezieht. Die Diskussion dort wurde über mehr als ein Jahr ausgedehnt und stützte sich darüber hinaus auf die vorherige französische Diskussion und Erfahrung. Die Diskussion hatte einen internationalen Charakter. Alle Sektionen, ohne Ausnahme, bezogen in ihr Position. Die amerikanischen Freunde kannten ziemlich gut die in den verschiedenen Sektionen vorherrschenden Gefühle. Natürlich konnten sie kein internationales Referendum durchführen. Im letzten Moment nahm die Führung die Entscheidung selbst auf sich, weil sie die Lage zu dieser Zeit als sehr günstig betrachtete. Sie würde den Namen einer revolutionären Führung nicht verdienen, wenn sie nicht den Mut gehabt hätte, unabhängige Entscheidungen zu treffen. Dass diese Führung jedoch von einem wahrhaft revolutionären Geist durchdrungen ist, wird durch den Umstand demonstriert, dass zwei ihrer Vertreter [Muste und Shachtman] gekommen sind, um Bericht zu erstatten und volle Verantwortung für ihr Vorgehen vor dem internationalen Forum zu übernehmen. Das scheint mir wirklicher Internationalismus zu sein.

6. Wir können keinen Anspruch erheben, unsere nationalen Sektionen direkt von der Zentrale aus zu leiten, selbst wenn die Zentrale viel einiger wäre als sie gegenwärtig ist. Innerhalb der Grenzen eines vereinigten Programms und einer gemeinsamen politischen Linie muss jede Sektion notwendigerweise eine gewisse Ellenbogenfreiheit beanspruchen, mit der sie handeln kann. Ich bin ein bisschen überrascht, dass ich das den niederländischen Freunden sagen muss, die, bisher ihre Politik völlig unabhängig und in vielen wichtigen Fragen im direkten Widerspruch zur festen Meinung der internationalen Organisation durchgezogen haben. In dieser Hinsicht haben wir immer die größte Vorsicht und – wenn Sie erlauben – die größte Nachsicht besonders gegenüber der niederländischen Partei gezeigt. Wir werden das, hoffe ich, auch in der Zukunft machen. Aber wir behalten das Recht auf unsere Meinung, wenn nicht öffentlich (wie das der Fall bei De Nieuwe Fakkel in Bezug auf Belgien war, und ziemlich falsch), dann wenigstens innerhalb der Grenzen der Organisation.

Leider – und das ist ein Vorwurf, den ich in erster Linie an meinen lieben Freund Sneevliet richten muss – ist die niederländische Führung vom dem Geist größter Intoleranz gegenüber jeder Kritik erfüllt. Die Politik unserer amerikanischen und belgischen Freunde, ganz zu schweigen von den deutschen, kann man scharf kritisieren und zurückweisen. Aber wenn man versucht, die Gewerkschaftspolitik der niederländischen Schwesterpartei aufzuwerfen, selbst wenn es nur im kleinsten Kreis geschieht, wird man mit der größten Schärfe abgewiesen. Gerade dieser Geist, der keineswegs der Geist der Wechselseitigkeit ist, rief bei sehr vielen und sehr guten Genossen in allen Sektionen Unzufriedenheit hervor, und diese Unzufriedenheit ist gerechtfertigt! Es liegt im Interesse sowohl der allgemeinen Sache als auch der niederländischen Führung, diese lange aufgestaute Unzufriedenheit zu zerstreuen durch eine ruhige und freundliche Erklärung auf der Konferenz und indem man aufhört, aus niederländischen Fragen ein „Tabu“ zu machen. Dies gehört auch zu den „organisatorischen“ Fragen, die ihr als ersten Punkt behandelt haben wollt.


Ich muss leider den Brief unterbrechen, um die Luftpost rechtzeitig zu erreiche. Ich beeile mich jedoch hier zu sagen, dass ich nicht die entfernteste Sehnsucht oder den Schatten einer Sehnsucht habe, den Kontakt mit Ihnen zu verlieren, die schon schwierige Lage der niederländischen Partei noch schwieriger zu machen oder – in Parenthese – meine Freundschaft mit Sneevliet zu trüben; ich brauche Ihnen das nicht zu versichern. Seit meinem Eintreffen in Norwegen habe ich auf ein persönliches Treffen gedrängt. Wenn ich nicht an Händen und Füßen gefesselt wäre, hätte ich Holland dieses Jahr zwei oder drei mal besucht, weil ich in diesen schicksalhaften Zeiten den größten Wert auf persönliche Diskussionen lege, besonders mit älteren und erfahrenen Genossen. Als wir den Brief erhielten, dass die Genossen Schmidt und Stien de Zeeuw eine Reise hierher unternehmen wollten, war das ein Feiertag in unserem Haus. Ich drückte sofort meine Freude über diese Aussicht in einem Brief an Schmidt aus. Leider wurde nichts daraus. Sneevliet versprach mir auch einen Besuch, hielt sein Versprechen aber leider nicht. Ich will deshalb keine Beschwerde führen, trotz dem Umstand, dass der Genosse Schmidt die ILP in diesem Zeitraum zweimal, wenn nicht dreimal besuchte. In dem Brief an Shachtman wollte ich nur betonen, dass ein folgendes persönliches Treffen die offizielle Konferenz nicht ersetzen könne und dass Ihre Nichtteilnahme an der Konferenz in einer Zeit wie dieser unausweichlich von der ganzen Öffentlichkeit als politischer Bruch mit all unseren Organisationen interpretiert würde. Glücklicherweise scheint mir Eure Teilnahme jetzt gesichert zu sein und daher können wir ruhig die „offiziellen“ und die persönlichen Angelegenheiten diskutieren.

Mit brüderlichen Grüßen,

Crux


7. Ich komme jetzt zu Spanien. In einem der letzten Briefe übernahm der Genosse Sneevliet im Namen des Zentralkomitees der Partei die Verteidigung der Maurín-Nin-Partei gegen meine angeblich übertriebenen oder zu scharfen Angriffe. Das erscheint mir nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch unbegreiflich. Der Kampf mit Maurín rührt nicht von gestern. Seine gesamte Politik während der Revolution war nationalistisch-provinziell und kleinbürgerlich; ihrem ganzen Wesen nach reaktionär. Ich habe diese Tatsache mehr als einmal vom Beginn der Revolution an öffentlich aufgezeigt. Auch Nin, mit den bei ihm üblichen Schwankungen, gab das zu. Das Programm der „demokratisch-sozialistischen" Revolution ist ein legitimes Kind der Maurínschen Denkungsart; es stimmt im Wesentlichen mit dem Programm eines Blum und nicht eines Lenin überein.

Nin wiederum erwies sich während der ganzen Revolution als ein völlig passiver Dilettant, der nicht im Geringsten daran dachte, tatsächlich an den Massenkämpfen teilzunehmen, die Massen zu gewinnen, sie zur Revolution zu führen usw. Er begnügte sich mit überkritischen kleinen Artikeln über Stalinisten, Sozialisten usw. Das ist wirklich eine sehr billige Methode! Während der Reihe von Generalstreiks in Barcelona schrieb er mir Briefe über alle denkbaren Fragen, aber erwähnte nicht mit einem Wort die Generalstreiks und seine eigene Rolle bei ihnen. Im Verlauf jener Jahre wechselten wir hunderte von Briefen. Ich versuchte immer, von ihm keine nichtigen literarischen Bemerkungen über alles und nichts zu erhalten, sondern praktische Anregungen für den revolutionären Kampf. Auf meine konkreten Fragen erwiderte er stets: „darüber werde ich in meinem nächsten Brief schreiben". Dieser „nächste Brief“ kam jedoch niemals an – jahrelang.

Das größte Unglück für die spanische Sektion bestand darin, dass an ihrer Spitze ein bekannter Name mit einer gewissen Vergangenheit und dem Heiligenschein eines Märtyrers des Stalinismus stand, sie die ganze Zeit über verkehrt leitete und sie lähmte.

Die großartige Sozialistische Jugend kam spontan auf den Gedanken der Vierten Internationale. Auf unser ganzes Drängen, die gesamte Aufmerksamkeit der Sozialistischen Jugend zuzuwenden, erhielten wir nur leere Ausflüchte. Nin interessierte sich allein für die „Unabhängigkeit" der spanischen Sektion, d.h. für seine eigene Passivität, seine eigene armselige politische Bequemlichkeit; er wollte nicht, dass sein nörgelnder Dilettantismus von großen Ereignissen gestört würde. Die Sozialistische Jugend ging dann fast geschlossen ins stalinistische Lager über. Die Burschen, die sich als Bolschewiki-Leninisten bezeichneten und das zuließen, oder besser noch, es veranlassten, sollten auf immer als Verbrecher gegen die Revolution gebrandmarkt werden.

Zu der Zeit, als Nins Bankrott selbst seinen eigenen Anhängern klar wurde, vereinigte er sich mit dem nationalistisch-katalanischen Philister Maurín und brach alle Verbindungen zu uns mit der Erklärung ab, „das Internationale Sekretariat verstünde nichts von spanischen Angelegenheiten." In Wirklichkeit versteht Nin nichts von revolutionärer Politik oder von Marxismus.

Die neue Partei befand sich bald im Schlepptau Azañas. Zu dieser Tatsache aber zu sagen: „es handelt sich nur um ein unbedeutendes, zeitweiliges, technisches Wahlabkommen", erscheint mir absolut unzulässig. Die Partei unterzeichnete das schlechteste aller Volksfrontprogramme, das von Azaña, und damit gleichzeitig auch ihr Todesurteil für die kommenden Jahre. Denn bei jedem Versuch einer Kritik an der Volksfront (und Maurín-Nin unternehmen gerade solch verzweifelte Versuche) werden sie stets die stereotype Antwort von den radikalen Bürgern, den Sozialdemokraten und den Kommunisten bekommen: Aber habt ihr nicht selbst an der Schaffung der Volksfront teilgenommen und ihr Programm unterzeichnet? Versuchen dann diese Herren, die faule Ausrede zu benutzen: „es war nur ein technisches Manöver unserer Partei" – dann machen sie sich damit höchstens lächerlich.

Diese Leute haben sich völlig zur Unwirksamkeit verurteilt, selbst wenn sie jetzt unvermutet einen revolutionären Willen entfalten sollten, was jedoch nicht der Fall ist. Die kleinen Verbrechen und Verrätereien, die in normalen Zeiten fast unbemerkt bleiben, finden in Revolutionszeiten einen mächtigen Widerhall. Man darf nie vergessen, dass die Revolution besondere akustische Bedingungen schafft. Es ist mir nach alldem unverständlich, wie man bei den spanischen Verrätern für mildernde Umstände plädieren kann, während gleichzeitig unsere belgischen Freunde, die mit ungeheurem Mut gegen die Riesenmaschine der POB und gegen die Stalinisten kämpfen, und die durchaus beträchtliche Erfolge aufzuweisen haben, öffentlich in der Nieuwe Fakkel herunter gemacht werden.

8. In der letzten Nummer von La Batalla befindet sich ein Appell der Maurín-Nin-Partei an unsere südamerikanischen Sektionen, der einen Versuch darstellt, sie auf einer rein nationalen Basis um die sogenannte Partei der Marxistischen Einheit zu gruppieren. Wie jede Sektion des Londoner Büros versucht die spanische „marxistische" Partei der Konfusion, in die Mitgliedschaft der Vierten Internationale einzudringen, sie abzuspalten, usw. So sieht der kleine Köter aus, der sich an unsere Fersen heftet. Müssen wir nicht offen unseren südamerikanischen Organisationen sagen, die in ihren Reihen noch SAP-Parlamentarier usw. aufweisen, was der Unterschied zwischen uns und dem Londoner Büro ist, und warum Nin mit uns in Europa bricht und in Südamerika als der eifernde Einigungsapostel aller revolutionären Kräfte auftritt? Diese verächtliche Heuchelei, die stets den Zentrismus kennzeichnet, muss unbarmherzig aufgedeckt werden. Schon das würde genügen, um die absolute Notwendigkeit unserer Thesen zum Londoner Büro zu beweisen.

9. Die allerwichtigste Frage ist gegenwärtig die der Volksfront. Die linken Zentristen versuchen, diese Frage als ein taktisches oder gar ein technisches Manöver hinzustellen, damit sie mit ihrem Kram im Schatten der Volksfront hausieren gehen können. In Wirklichkeit ist die Volksfront die Hauptfrage proletarischer Klassenstrategie in dieser Epoche. Sie bietet auch das beste Kriterium für die Differenz zwischen Bolschewismus und Menschewismus. Denn es wird oft vergessen, dass das große historische Beispiel der Volksfront die Februarrevolution von 1917 ist. Vom Februar bis zum Oktober waren die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, die eine sehr gute Parallele zu den „Kommunisten" und den Sozialdemokraten bilden, in engstem Bündnis und in einer dauernden Koalition mit der bürgerlichen Partei der Kadetten, mit denen sie zusammen eine Reihe von Koalitionsregierungen bildeten. Unter dem Zeichen dieser Volksfront befand sich die ganze Masse der Bevölkerung, einschließlich der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte. Freilich nahmen die Bolschewiki an den Räten teil. Aber sie machten nicht die geringsten Konzessionen an die Volksfront. Ihre Forderung lautete, diese Volksfront zu zerbrechen, das Bündnis mit den Kadetten zu zerstören und eine echte Arbeiter- und Bauernregierung zu schaffen.

Die gesamten Volksfronten in Europa sind nur eine blasse Kopie und oft eine Karikatur der russischen Volksfront von 1917, die immerhin eine viel größere Berechtigung für ihre Existenz beanspruchen konnte, denn noch stand die Frage des Kampfes gegen den Zarismus und die Überreste des Feudalismus auf der Tagesordnung. Wenn Maslow und Dubois [Ruth Fischer] jetzt mit all ihrer ultralinken „Unnachgiebigkeit“ mit der Volksfront flirten, dann zeigen sie dadurch nur, dass sie den wirklichen strategischen Gegensatz zwischen Bolschewismus und Menschewismus nicht verstanden haben. Sie forderten, dass wir die Losung aufstellen: „Volksfront an die Macht“, das heißt, Macht für eine Koalition aus Arbeitern und Kapitalisten fordern. Gleichzeitig machen sie sich über unsere Forderung „Bourgeoisie raus aus der Volksfront!“ lustig. Diese Gedanken finden sich auch in einem Artikel von Maslow in der theoretischen Zeitschrift der niederländischen Partei, wenn auch durch Einschränkungen gehemmt. Ich für meinen Teil kann das nur bedauern, weil diese Tatsache den schmerzlichsten Eindruck auf uns alle macht. Haben wir Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage, in der es um die Wahl zwischen Bolschewismus und Menschewismus geht? Ja oder nein? Ich hoffe nicht! Woher kommt dann diese unerklärliche Toleranz für Maslows durch und durch opportunistische Konzeption?

Die Haltung unserer französischen Sektion in allen wichtigen Fragen ist unvergleichlich richtiger und marxistischer, auch wenn in unseren Reihen nicht an Kritik an der französischen Sektion gespart wird, wie Sie aus der Broschüre von Nicolle Braun sehen können. Aber ich muss sagen, dass der Text des französischen Zentralkomitees „Wohin geht die Blum-Regierung“ ein ausgezeichnetes Stück Arbeit ist, das es Wert ist, in alle Sprachen der Vierten Internationale übersetzt zu werden. Was mich persönlich betrifft, habe ich eine ganze Menge aus der Broschüre gelernt. Aber unsere französischen Genossen sind so arm (wofür sie selbst einen großen Teil der Schuld tragen), dass sie nicht in der Lage waren, das Dokument im Druck herauszugeben, sondern nur in mimeographierter Form.

11. Erlauben Sie mir, jetzt zur niederländischen Partei überzugehen. Ich lese kein niederländisch. Ich kann nur halbwegs die Überschriften und ein paar Sätze entziffern und wenn die Sache mir wichtig erscheint, kommen mir andere Genossen zur Hilfe. Ich kann daher überhaupt nicht behaupten, in der niederländischen Frage kompetent zu sein. Trotzdem folge ich mit Hilfe der europäischen Presse dem Leben Hollands so sehr wie möglich, und ich stehe im Briefwechsel mit meinem Freund Sneevliet (sofern er meine Briefe beantwortet, was leider nicht die Regel ist) etc. Was ich über die niederländische Partei sage, kann daher nur unvollständig und bruchstückhaft sein

(a) Die große Schwäche der niederländischen Partei scheint mir das Fehlen eines Aktionsprogramms zu sein. Seit mehr als einem Jahr haben wir einen Meinungsaustausch mit Sneevliet zu diesem Punkt gehabt. Soweit ich mir ein Urteil erlauben darf scheint mir die Agitation der Partei viel zu sehr auf persönlichen Improvisationen zu beruhen, auf Endrücken des Tages oder der Woche und trägt daher einen zerstreuten und verwässerten und keinen konzentrierten Charakter. Eine reformistische Partei kann sich leicht mit solch einer Lage versöhnen, aber nicht eine revolutionäre Partei wie die RSAP, denn sie kann nur mit Hilfe der Klarheit und Konzentriertheit der Losungen, die sie für die ganze gegenwärtige Epoche ausgearbeitet hat, erfolgreich gegen die großen Parteien kämpfen und letztlich über sie triumphieren.

Vor mehreren Monaten bildete die niederländische Partei eine Kommission, um ein Aktionsprogramm auszuarbeiten. Die Kommission entwarf, zumindest schien es mir so, einen zu ausgedehnten und umfassenden Plan. Was mich betrifft, schlug ich vor, den Plan in zwei Teile zu trennen: zuerst ein kurzes, aber schlüssiges Aktionsprogramm für Holland auszuarbeiten und dann in Verbindung mit anderen Sektionen ein großes Programm als Programm der Vierten Internationale auszuarbeiten. Wenn ich mich recht erinnere, war Genosse Sneevliet auch dieser Meinung. Leider scheint die Kommission keinen einzigen Entwurf erstellt zu haben. Auf jeden Fall habe ich keinen erhalten, wie es mir versprochen war. Es ist sehr bedauerlich, dass wir uns, unter anderem für die bevorstehenden Wahlen, nicht mit einem scharfen Aktionsprogramm bewaffnet haben

(b) Auch in der Gewerkschaftsfrage kann ich die Politik unserer niederländischen Schwesterpartei nicht teilen. Die Gründe dafür habe ich oft schriftlich und besonders mündlich dargelegt. Die Politik gegenüber der NAS wird weiterhin nur auf der Grundlage des Trägheitsgesetzes durchgeführt. Es gibt keine tiefere strategische Motivierung für sie. Die Entwicklungen in Holland werden entweder den revolutionären oder den faschistischen Weg einschlagen, so wie es jetzt der Fall in Frankreich ist. In beiden Fällen sehe ich keinen Platz für die NAS. Wenn in Holland die große Streikwelle beginnt, was als sehr wahrscheinlich oder sogar gewiss betrachtet werden sollte, werden die reformistischen Gewerkschaften mächtig anwachsen und frische Elemente in ihre Reihen aufnehmen und in einer solchen Periode wird die NAS den Massen als eine unverständliche Spalterorganisation erscheinen. Als Folge werden die Massen auch für die richtigen Losungen der RSAP und der Führung der NAS unempfänglich werden. Aber wenn alle Mitglieder der RSAP und die besten NAS-Elemente innerhalb der reformistischen Gewerkschaften wären, dann könnten sie während der bevorstehenden Aufwallung die Kristallisationsachse des linken Flügels und später die entscheidende Kraft in der Arbeiterbewegung werden. Ich muss es ganz offen sagen: systematische, sorgfältig arrangierte Agitation in den reformistischen Gewerkschaften scheint mir das einzige Mittel, nicht nur um die RSAP als echte unabhängige Partei zu bewahren (was für sich genommen keinen geschichtlichen Wert hat), sondern sie auch zum Sieg zu tragen, das bedeutet zur Macht.

Wenn wir eine viel weniger wahrscheinliche Alternative nehmen, nämlich dass die Entwicklung in Holland ohne durch eine revolutionäre Aufwallung zu gehen, in der kommenden Periode direkt in die reaktionär-militärisch-bürokratische und dann in die faschistische Phase geht, kommen wir trotzdem zu der selben Schlussfolgerung: Die NAS-Politik muss ein Hindernis für die Partei werden. Der erste Angriff der Reaktion war schon auf die NAS gerichtet und kostete sie die Hälfte ihrer Mitgliedschaft. Der zweite Anschlag wird sie ihr Leben kosten. Die ausgezeichneten Arbeiter die in ihr vereinigt sind, werden dann den Weg in die reformistischen Gewerkschaften auf verstreute Weise suchen müssen, jeder für sich, oder aber passiv und gleichgültig bleiben. Die Gewerkschaft kann nicht eine illegale Existenz führen, wie es die Partei kann. Aber durch diesen Schlag wird die Partei schrecklich getroffen werden, weil eine illegale revolutionäre Partei eine legale oder halblegale Massendeckung braucht. Wenn die Masse der Mitgliedschaft der RSAP in den reformistischen Gewerkschaften aktiv ist, dann bedeuten diese Massenorganisationen für die Partei auch ein Versteck, eine Deckung und zugleich ein Arbeitsfeld. Der Zusammenhalt der gegenwärtigen NAS-Arbeiter wird dabei bewahrt. Alle anderen Punkte werden durch den Gang der Ereignisse und die Politik der Partei bestimmt werden.

(c) In der Jugendfrage scheint mir die Politik der Partei nicht ausreichend klar zu sein. Ich weiß, dass wir an der Spitze der niederländischen Jugend sehr gute und sehr vielversprechende Elemente haben. Sie müssen jedoch ihr Tätigkeitsfeld finden, damit sie nicht in der abstrakt-sektiererischen Daseinsweise des „Möchtegern-Alleswissers“ verharren und absterben. Dieses Arbeitsfeld kann nur in den Gewerkschaften und der reformistischen Jugend gefunden werden. Wenn wir weiterhin Zeit verschwenden, wird die niederländische Jugend dem Stalinismus zum Opfer fallen, wie es in Spanien und in einem beträchtlichen Maße in England der Fall war. In Belgien wurden trotz der Verspätung und trotz der viel zu unentschlossenen und schwankenden Politik trotzdem gewisse Erfolge gegen Godefroid unter der Jugend erreicht. In Amerika hat die Sozialistische Jugend, die sicher keine starke Organisation darstellt, dank der richtigen Politik unserer amerikanischen Gesinnungsgenossen eine gute anti-stalinistische Impfung erhalten und ist jetzt auf dem richtigen Weg. Es wäre wirklich verheerend, wenn unsere niederländische Jugendsektion nicht verstehen würde, dass sie all ihre Kräfte der Arbeit innerhalb der reformistischen Jugend widmen muss!

Ich weiß, liebe Genossen, dass ich mit vielen dieser Beobachtungen in scharfen Konflikt mit den Ansichten gewisser führender Kreise der RSAP gerate. Ich beanspruche auch nicht im mindesten, nicht für mich (das stünde völlig außer Frage), aber auch nicht für die bevorstehende internationale Konferenz das Recht, im Nu die Haltung der RSAP in entscheidenden Fragen zu ändern. Wie in all unseren Sektionen kann die notwendige Änderung nur von innen reifen. Die anderen Sektionen können dabei nur unterstützen, durch das Mittel verantwortungsvoller Kritik. Dieser Brief hat kein anderes Ziel. Was wir jetzt brauchen, ist eine offene Diskussion über diese Fragen mit den niederländischen Freunden, um das gegenseitige Verständnis zu fördern. Zum Beispiel mache ich der Konferenz keine konkreten Vorschläge über die niederländischen Gewerkschaftsfragen und würde raten, keine bindenden Beschlüsse zu fassen. Unsere allgemeine Linie in der Gewerkschaftsfrage muss klar dargestellt werden. Ich habe das in ein paar Zeilen in dem Entwurf über die französisch-belgische Lage versucht. Vielleicht werden auch separate Gewerkschaftsthesen vorgelegt werden. Auf alle Fälle wäre es falsch, aus dieser Frage ein organisatorisches Ultimatum für die niederländische Partei zu machen. Wir erklären unsere Meinung zur Gewerkschaftsfrage im Allgemeinen so einmütig und eindeutig wie möglich und legen diese Meinung schriftlich fest. Wir diskutieren offen mit den niederländischen Genossen über ihre Perspektiven. Aber wir respektieren die besondere Lage in Holland und überlassen den niederländischen Genossen die Ausarbeitung der notwendigen Methoden in der Gewerkschaftsfrage. Das ist der formelle Vorschlag, den ich der Konferenz vorlege.

11. Zum Schluss würde ich gerne das Notwendige über meinen Brief an Shachtman sagen: wie und warum schrieb ich diesen Brief? Die Initiative für die Konferenz kam aus Bern am 11. April. Die Korrespondenz entwickelte sich im Verlauf des Aprils und die Einberufung war für den Monat Juni geplant. Daher kann niemand von einer „Überstürzung“ oder dergleichen reden. Ich glaube, der Fischerstreik begann nicht im April oder auch nur Mai. In jedem Fall hat jedes Land jetzt seine Streiks und seine Massenbewegungen und wenn wir mit der internationalen Konferenz warten würden, bis in jedem Land völlige Ruhe vorherrscht, könnten wir nie eine Konferenz abhalten. Finanzielle und persönliche Schwierigkeiten bestehen anderswo auch. Alle größeren Sektionen stimmten in der Notwendigkeit überein, eine Konferenz einzuberufen. Nur die niederländische Sektion gab ausweichende Antworten. In dieser Beziehung bezog sie sich nicht so sehr auf den Fischerstreik als auf die – in ihren Augen – falsche Politik der amerikanischen Sektion, die Defizite des IS, die Schwächen der französischen Sektion usw. usf. Gerade zu der Zeit, als wir mit dem größten Eifer an der Arbeit zur Vorbereitung der Konferenz, der Ausarbeitung der Thesen etc. waren, erschien in De Nieuwe Fakkel eine bedauerliche Notiz über die belgische Sektion; auch der Bericht über die Verfolgung der französischen Sektion war in solch einer Weise geschrieben, dass er den Eindruck mache, er wolle die Bedeutung der französischen Sektion entwerten. Ich erhielt einen Brief, in dem Genosse Sneevliet im Namen des niederländischen Zentralkomitees mich für meinen Artikel gegen Maurín-Nin tadelte.

Obwohl das niederländische Zentralkomitee keine definitive Antwort auf die Frage ihrer Teilnahme an der Konferenz gab, schlug sie uns vor, „in ein paar Monaten“ an einer vom Londoner Büro geplanten Konferenz teilzunehmen. Jeder, der politisch denkt, wird zugeben müssen, dass diese Tatsachen ausreichend Grund zur Sorge geben. Das ganze Unternehmen hing wochenlang in der Luft und wir waren nicht in der Lage, den amerikanischen Freunden das versprochene Telegramm zu senden, um das Datum anzukündigen. Schließlich kamen sie auf ihre eigene Initiative nach Europa, ohne auf das Telegramm zu warten. Diese Tatsache schuf sozusagen eine höhere Gewalt für die Organisatoren der Konferenz. Schließlich konnten wir die Amerikaner nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren lassen. Gerade nach der Ankunft des Genossen Erik [Muste] hier, sandte ich sofort ein Telegramm an Sneevliet. Während mehr als 48 Stunden erhielten wir keine Antwort darauf. So sandte ich ein zweites, noch dringenderes Telegramm. Dies wurde schließlich mit dem Versprechen von brieflicher Kommunikation beantwortet. Ich teilte meine Unruhe und meine Befürchtungen dem Genossen Erik in der gemäßigtesten und zurückhaltendsten Weise mit und bat ihn, die niederländischen Genossen leidenschaftlich um ihre Teilnahme an der Konferenz zu bitten.

Genosse Erik musste uns verlassen, bevor die geplante Vorkonferenz gehalten werden konnte. Nach seiner Abfahrt kam ein Brief von Shachtman aus Amsterdam an, dessen Inhalt darauf hinaus lief, dass selbst jetzt, nach der Ankunft der Amerikaner, die niederländischen Genossen immer noch nicht in der Lage seien, zugunsten einer Teilnahme an der Konferenz zu entscheiden, dass sie ein persönliches Treffen mit mir für die zweite Augusthälfte vorschlugen und ihre Teilnahme an einer eventuellen Konferenz im Herbst mehr oder weniger von den Ergebnissen dieses Gesprächs abhängig machten. Natürlich wäre es vorteilhafter gewesen, auf den Bericht des Genossen Erik über seine Gespräche zu warten. Und das war mein erster Gedanke. Aber dann sagte ich zu mir: Wenn Genosse Erik die selbe Antwort wie Shachtman erhält, dann wird es nach dem Empfang dieser Berichte keine Möglichkeit mehr geben, die Sache der Konferenz zu retten. Ich musste mir das sagen.

Im Licht der gegenwärtigen Lage, besonders in Frankreich, und unter Berücksichtigung der Ankunft der Amerikaner kann ich mir die Haltung der niederländischen Genossen natürlich nicht mit Geldmangel oder dem Fischerstreik erklären, sonder in viel tieferen politischen Gründen. Viele führenden niederländische Genossen glauben, dass sie der Vierten Internationale durch Kontakt mit dem Londoner Büro nützlich sein können, das heißt durch Zusammenarbeit mit letzterem und nicht durch unablässigen Kampf gegen es. Für eine große Zahl von Genossen zeigt der Kontakt mit dem Londoner Büro nichts als einen Bruch mit er Vierten Internationale an. Ich betrachtete es als absolut notwendig, die Aufmerksamkeit der niederländischen Genossen auf diese tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zu lenken, bevor sie ihre endgültige Entscheidung treffen.

Der Sinn meines Briefes war: Wenn Sie trotz der schon gemachten Erfahrung Kraft in das Sitzen an einem Tisch mit SAP, ILP etc. stecken, dann sollten Sie zumindest vorher an einem Tisch mit uns Platz nehmen, um mit uns über diese Frage zu beraten, die – für uns – so wichtig und entscheidend ist. Lassen Sie uns hoffen, dass wir zu guter Letzt zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Aber wenn Sie weder zur Vorkonferenz noch zur Konferenz selbst kommt und Ihre Verbindungen mit dem Londoner Büro weiter entwickeln, dann können wir die Folgen eines solchen Vorgehens auf keine andere Weise einschätzen als als einen unausweichlichen Bruch mit uns.

In dieser kritischen Lage erachtete ich es als notwendig, meine Meinung über die möglichen Folgen der Nichtteilnahme der niederländischen Freunde an der Konferenz sehr offen und ohne Umschweife auszudrücken. Das tat ich in dem Brief an Shachtman und ich sandte auch eine Kopie an Sneevliet. Und ich sagte mir selbst: Wenn die niederländischen Genossen zum Schluss zu der Entscheidung gekommen sind, einen völlig anderen Weg zur neuen Internationale zu suchen als unseren, dann wird mein Brief nicht mehr wehtun. Aber wenn ihre Handlungsweise nur durch den Umstand erklärt wird, dass sie diesen Dingen nicht genügend Wichtigkeit beimessen (was ich auch schon als beunruhigendes Symptom wahrnahm) dann wird mein Brief ihre Aufmerksamkeit auf den Umstand lenken, dass diese Angelegenheit für uns von entscheidender Wichtigkeit ist. Die niederländischen Genossen werden dann sicher viele kräftige Worte über den Brief sagen; aber ihre Haltungen werden nicht durch Fragen de Etikette, sondern durch das tiefe Wesen der geschaffenen Lage bestimmt werden. Zusätzlich sagte ich zu mir: Genosse Erik ist glücklicherweise noch in Amsterdam. Er wird sicher alles tun, um die negativen psychologischen Folgen meines Eingreifens zu neutralisieren. Aber sein Eingreifen wird um so positivere Ergebnisse haben, je klarer, offener und krasser die ganze Lage mitgeteilt wird.

Daher trage ich allein die Verantwortung für meinen Brief. Ich bin sehr bereit, jede Kritik für ihn entgegenzunehmen, egal von wem sie kommt, und sie auf meine Schultern fallen zu lassen. Es war offensichtlich nicht meine Absicht, irgend jemand zu „beleidigen“. Es war keine Frage moralischer Vorwürfe, sondern von aus dem Bestehen zweier entgegengesetzter Linien entstehender Befürchtungen. Wenn aus meinem Brief eine „Beleidigung“ herausgelesen werden kann, bin ich bereit, einen Ausdruck zurückzunehmen, der dafür irgend eine Ursache geben kann und mich zu entschuldigen, weil es wirklich keine Frage der Etikette ist, sondern der französischen Revolution und der Vierten Internationale.

Dies sind meine Erklärungen, liebe Genossen. Ich bedaure sehr, dass ich mich nicht mit Ihnen in Genf treffen kann, weil ich sicher bin, dass eine persönliche Diskussion jeden Schatten der Uneinigkeit zwischen uns beseitigen würde. Aber auch ohne meine Anwesenheit wird die Konferenz sicher die aufgehäuften Missverständnisse beseitigen und bessere Bedingungen für weitere Zusammenarbeit schaffen.

In diesem Geist reiche ich Ihnen meine Hand in aller Freundschaft und wünsche Ihnen den besten Erfolg.

Ihr Crux

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