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Leo Trotzki 19380102 Brief an Jean van Heijenoort

Leo Trotzki: Brief über Defätismus

[Eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky (1937-38, S. 123-25, hier S. 123f., das erwähnte Buch „The Case of Leon Trotsky“ ist das Protokoll von Trotzkis Befragung durch die unabhängige Dewey-Kommission, die die in den Moskauer Schauprozessen gegen Trotzki erhobenen Beschuldigungen untersuchte (dass Trotzki auf die Wiederherstellung des Kapitalismus in der UdSSR hinarbeite etc.)]

Lieber Genosse Van:

Ich habe nicht einmal ein Exemplar von „The Case of Leon Trotsky“ hier. Ich kann daher weder den Text noch vor allem den Zusammenhang untersuchen. Aber die Frage ist sehr klar, selbst ohne das – zumindest für die, die nicht absichtlich verwirrt werden wollen. Die Kommission brachte, wie es ihre Pflicht war, ein tiefes Interesse gegenüber der Frage meiner Haltung gegenüber der UdSSR und besonders während einem Krieg zum Ausdruck. „Wenn Sie nicht die Regierungen unterstützen wollen, die mit der UdSSR verbündet sind, sind sie praktisch ein Defätist.“ Das war die Bedeutung der Argumente der Kommissionsmitglieder, besonders, wenn ich mich nicht täusche, von Stolberg und dem Anwalt Finerty. Es ist leicht zu sehen, dass sie auf diese Weise die Argumentation unserer Ultralinken wiedergeben, nur mit umgekehrtem Vorzeichen (man kann selbst darin sehen, dass Ultralinkstum bürgerliches Denken ist, nur auf den Kopf gesellt und bis zum äußersten getrieben).

Ich antwortete in dem Sinne, dass wir unsere Entwicklung nicht durch Regierungen, sondern durch die Massen entwickeln, und wir bleiben zwar in unversöhnlicher Opposition gegenüber die bürgerlichen Regierungen, die mit der UdSSR verbündet sind, so wie Frankreich; in der praktischen Anwendung unserer allgemeinen Linie machen wir alles – alles, was wir machen können – um die Interessen der Verteidigung der UdSSR (oder Chinas etc.) zu schützen. Dann musste ich in diesem Zusammenhang ein paar kurze Beispiele zu geben, nach dem Vorbild, das mir in der Diskussion in der chinesischen Frage diente (zwei Schiffe etc.) Zusammengefasst, die Frage reduziert sich darauf, zu wissen, ob wir verpflichtet zur Verteidigung der Sowjetunion oder eines „authentischeren“ Arbeiterstaates sind – und wenn, was das bedeutet. Diese Frage wird in meinem gegen Craipeau gerichteten Artikel behandelt. Für den Moment habe ich dem nichts hinzuzufügen.

Es ist möglich, dass es da etwas Mangel an Präzision in dem stenographischen Bericht gibt. Es geht hier weder um einen wohldurchdachten programmatischen Text noch auch nur um einen Artikel, sondern um einen von der Kommission erstellten stenographischen Bericht. Du weißt, das ich nicht einmal eine Chance hatte, ihn selbst durchzugehen. Ein paar Missverständnisse, Ungenauigkeiten können sich eingeschlichen haben. Feinde können sie benutzen, aber ernsthafte Genossen müssen die Frage in ihrer Gesamtheit erfassen. Ich bleibe völlig auf der Grundlage der Thesen der Vierten Internationale zum Krieg. Es gibt einen Gegenstand, der genau mit diesem Thema verbunden ist und der von Anfang an die Opposition von Ver[eecken] und Craipeau hervorgerufen hat. Darüber müssen wir sprechen. Hat die Erfahrung der letzten Jahre unsere Thesen in diesem entscheidenden Punkt bestätigt oder nicht?

Ich sah zufällig, dass die amerikanischen Lovestoneianer auch versucht haben, das selbe isolierte Zitat zu verwenden, um die Sache so darzustellen, als ob wir zwei entgegengesetzte Politik während dem Krieg hätten – eine für die demokratischen Länder, die andere für die faschistischen Länder. Nichts ist absurder. Der Krieg wird nicht der Wettstreit politischer Regime sein. Es ist eine Frage der Aufteilung der Welt, der endgültigen Unterwerfung Chinas und der Rückgewinnung der UdSSR für den Kapitalismus. Unsere Politik während dem Krieg muss daher an den Charakter des Krieges angepasst werden. Wir sind gegen die Versklavung Chinas wie wir gegen die Wiederherstellung des Kapitalismus in der UdSSR sind. Wir helfen daher der UdSSR wie China während dem Krieg mit allen Mitteln, die einer unterdrückten und nicht herrschenden Klasse zur Verfügung stehen, die in unversöhnlicher Opposition zu ihrer Regierung ist: indem wir ihren Sturz und die Machtübernahme vorbereiten. So stellt sich die Frage. Wer immer die Frage anders stellt, versucht ihre Beantwortung zu umgehen oder einfach, alles zu verwirren.

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