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Leo Trotzki 19380121 Schlussfolgerung einer langen Erfahrung

Leo Trotzki: Schlussfolgerung einer langen Erfahrung

[Eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky (1937-38) New York ²1976, S. 150-152]

Liebe Genossen:

Es ist gut möglich, dass mein letzter Brief nicht genügend deutlich war, weil Sie die Idee angedeutet haben, dass ich bezüglich der Haltung und der Pläne des Genossen Sneevliet ein paar Illusionen hätte. Nein, leider, nach fünf Jahren ununterbrochener Erfahrung bin ich nicht in der Lage, mir die kleinsten Illusionen zu erlauben. Der einzige Vorwurf, den wir uns machen können, und ich bin darin nicht ausgeschlossen, ist der selbe wie im Fall von Nin: wir waren zu geduldig, zu nachgiebig, zu tolerant gegenüber der Haltung des Genossen Sneevliet. Es ist in Fällen dieses Charakters immer schwierig, den Moment zu ermitteln, wenn es notwendig ist, zum offenen Kampf überzugehen. Ich glaube, dass dieser Moment durch das Eingreifen von Sneevliet in der spanischen Frage bestimmt war. Seine Haltung in dieser Frage war der offenste Betrug an den grundlegendsten Prinzipien des revolutionären Marxismus und allen unseren Entscheidungen. Es sind er und seinesgleichen, die der POUM zusätzliches Vertrauen in ihre eigene Verwirrung und zusätzliches Misstrauen in den revolutionären Marxismus eingeflößt haben. Wir kennen das Ergebnis.

Leider war es gerade zu dieser Zeit, dass die Moskauer Prozesse, die Internierung etc. dazwischenkamen. Alle unsere Sektionen wurden von diesen neuen Fragen aufgesogen und das niederländische Problem zog sich weiter hin. Das IS hat seine Pflicht getan. Alles, was das IS über und gegen Sneevliet geschrieben hat, war völlig richtig und ist es noch. Das ist genau der Grund, warum Sneevliet es nie gewagt hat, mit politischen Argumenten zu antworten und statt dessen – das ist seine Art und Weise – Schimpfwörter verwendet hat, die völlig unerträglich und überhaupt nicht gerechtfertigt sind. Sneevliet hat nicht das geringste Interesse am Marxismus, an Theorien, an einer allgemeinen Orientierung. Was ihn interessiert ist die NAS, eine kleine bürokratische Maschine, ein Parlamentsposten. Sneevliet nutzt das Banner der Vierten Internationale vor allem, um seine opportunistische Arbeit in Holland zu schützen. Weil die NAS finanziell ganz von der Regierung abhängt, ist Sneevliet aller präzisen Politik, das bedeutet: marxistischen Politik, ausgewichen, um nicht den Donnerschlag der Regierung gegen die NAS zu provozieren. Die RSAP war und ist nicht mehr als ein politisches Anhängsel der NAS, die selbst nicht lebensfähig ist und in den letzten Jahren von 25.000 auf 12.000 Mitglieder und sehr wahrscheinlich noch weniger gefallen ist.

In der spanischen Frage, in der Frage der Volksfront, ganz zu schweigen von der niederländischen Innenpolitik hat Sneevliet eine Haltung, die der der Parteien, die zum Londoner Büro gehören, in keiner Weise überlegen ist. Darüber hinaus hat er nie verborgen, dass er eine doppelte Verbindung hat: mit dem IS und mit dem Londoner Büro. Praktisch brach er, wie ich glaube, die Beziehungen zum IS vor einem Jahr oder mehr ab. Er hat diese Zeit genutzt, um seine Organisation für einen endgültigen Bruch vorzubereiten. Er hat sich immer geweigert, sich an einer ehrlichen Diskussion über die Unterschiede zu beteiligen. In der Frage von Reiss verhielt er sich auf eine vollkommen illoyale Weise gegenüber der russischen Sektion und trug sehr zum tragischen Ausgang bei.

Nach meiner Meinung hat das IS alles getan, was es konnte, um Zusammenarbeit zu ermöglichen, und wir können ihm keinen Vorwurf machen, dass es es nicht geschafft hat, die Natur der Führung der RSAP zu ändern, die durch und durch opportunistisch, syndikalistisch und antimarxistisch ist. Das ist die unbestreitbare Schlussfolgerung einer langen Erfahrung. Wenn ich vorschlug, dass Sie noch einmal einen Brief an Sneevliet schreiben und ihn zur Teilnahme an der Internationalen Konferenz einladen und die Teilnahme seiner Partei an der internationalen Diskussion fordern, war das nicht, weil ich persönlich die kleinsten Illusionen habe, sondern weil ich unter dem Eindruck stehe, dass die anderen Sektionen, besonders die der Neuen Welt die Entwicklung dieses verwickelten Problems nicht ausreichend verfolgt haben und jemand den Eindruck haben könnte, dass es möglicherweise die unrichtigen „Methoden“ des IS und nicht organischer Opportunismus auf Seiten der RSAP-Führung sei, der Sneevliet dazu getrieben hat, einen Bruch mit der Vierten Internationale und schließlich Zugehörigkeit zum Londoner Büro vorzubereiten. (Ich hoffe, dass niemand vergessen hat, dass Sneevliet starrsinnig die Resolution auf unserer letzten Internationalen Konferenz über das Londoner Büro bekämpfte. Das ist nicht erstaunlich. Er fühlte, dass er von dieser Resolution betroffen war.) Am 2. Dezember 1937 sandte ich Sneevliet einen persönlichen Brief, in dem ich einen letzten Versuch machte, seine Antwort zu bekommen. Er hat auf diesen Brief nicht geantwortet. Daher sende ich eine Kopie dieses Briefes an alle Sektionen.

Es ist notwendig, dass die niederländische Frage ihren Platz in der internationalen Diskussion einnimmt, die der Konferenz vorhergeht. Es ist zunächst eine Frage der Analyse der Gewerkschaftserfahrung von Sneevliet, um ein für allemal die Möglichkeit einer ähnlichen Politik in anderen Sektionen auszuschließen. Wir sehen, dass sie hier und da mit der Idee „ihrer eigenen“ Gewerkschaften spielen. Diese Politik zeigt unausweichlichen Ruin an. Die Vierte Internationale kann so eine Politik in ihren Reihen nicht dulden, ohne ihren Tod heraufzubeschwören. In diesen Fragen wie in anderen lehrt uns die niederländische Erfahrung, was nicht gemacht werden darf.

Ich sende gleichzeitig einen offenen Brief an die Presse der RSAP und lege Euch eine Kopie bei.

Leo Trotzki

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