Leo Trotzki‎ > ‎China‎ > ‎

Leo Trotzki 19371201 Brief an Frank Glass

Leo Trotzki: Brief an Frank Glass

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 895-897, dort mit mehreren Fußnoten.]

Lieber Genosse Glass, (Kopie an Genossen Isaacs)

ich danke Ihnen für Ihre Informationen über China. Ich glaube, wir sollten bei der Beurteilung oder Infragestellung der Position unserer chinesischen Freunde und besonders Chen Duxius nichts überstürzen. Die erste Phase eines Krieges, und besonders eines nationalen Krieges, stellt eine revolutionäre Partei vor die größten Schwierigkeiten. Sogar die bolschewistische Partei war – nicht in einem nationalen, sondern in einem zaristischen, imperialistischen Krieg – während der ersten Monate vollständig gelähmt, und ihre qualifizierten Vertreter gaben höchst zweifelhafte und zweideutige Erklärungen ab. Erst allmählich, unter dem Druck der sich wandelnden Stimmung der Massen, kehrten sie zur revolutionären Linie zurück. Das ist bedauerlich, aber es ist eine historische Tatsache. Wir sollten nicht durch ein überstürztes oder ein zu scharfes Vorgehen die Beziehungen abbrechen, denn unsere chinesischen Freunde werden um so empfindlicher sein, je unsicherer sie in Bezug auf die eigene Haltung sind. Wenn sie einen falschen Schritt tun, ohne mit der Vierten Internationale zu brechen, so müssen wir sie freundlich und geduldig kritisieren.

Sie glauben, dass Chen Duxiu nicht entlassen worden wäre, wenn er nicht auf irgendeine Art politisch kapituliert hätte. Ich bin mir dessen nicht so sicher. Das Bündnis zwischen Stalin und Tschiang Kaischek ist zwar eine Tatsache, aber gerade das macht Tschiang Kaischek nervös und lässt ihn nach einem Gegengewicht suchen. Meine Presseerklärung zu Beginn der Feindseligkeiten, in der ich die Pflicht aller Arbeiterorganisationen zur Unterstützung des Krieges betonte, könnte durchaus als Brücke zwischen Tschiang Kaischek einerseits und unseren Genossen andererseits dienen. Dies alles sind nur Vermutungen, aber wir sollten sie nicht zurückweisen, ehe wir nicht direkte Informationen über einen bewusst von ihnen vollzogenen Bruch vorliegen haben.

Ich bin ganz Ihrer Meinung, wenn Sie schreiben, dass die Stalinisten heute Chen Duxiu nach dem Leben trachten. Deshalb glaube ich, dass es das beste wäre, ihn ins Ausland, in die Staaten oder nach Mexiko ausreisen zu lassen. Könnten Sie ihm in meinem Namen unverzüglich in diesem Sinne schreiben? Zu der von den Stalinisten kommt die von den Japanern ausgehende Gefahr. Schreiben Sie ihm doch bitte, dass ich sicher bin – obwohl es im Augenblick darüber noch keinen ausdrücklichen Beschluss gibt –, dass das Internationale Sekretariat meinen Vorschlag einstimmig unterstützen wird. Es handelt sich für Chen Duxiu um eine Frage auf Leben und Tod und für die Vierte Internationale um eine Frage von großer politischer Bedeutung, ganz zu schweigen von dem Interesse an seiner Teilnahme an der kommenden Konferenz.

Joe [Hansen] beendet gerade eine Übersetzung von Riveras Arbeit über die Indiofrage in Mexiko und Lateinamerika. Ich habe sie mit dem größten Interesse gelesen. Ich hoffe, dass die Genossen ihr die gebührende Aufmerksamkeit schenken werden.

Mit den besten Grüßen des ganzen Hauses an Grace und Sie.

Kommentare