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Leo Trotzki 19270927 Rede vor dem Präsidium des EKKI

Leo Trotzki: Rede vor dem Präsidium des EKKI

(Auszug)

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 306-311, dort mit umfangreichen Fußnoten]

1. Sie beschuldigen mich der Verletzung der Disziplin. Ich zweifle nicht daran, dass Sie Ihr Urteil schon gefällt haben. Zur Stunde gibt es keine einzige Organisation mehr, die diskutierte oder Beschlüsse fasste, nur solche, die Anordnungen ausführen. Selbst das Präsidium der Komintern macht da keine Ausnahme.

2. Was bezeichnen Sie als fraktionelle Tätigkeit? All das, was das Sekretariat der KPdSU verbietet; aber das Sekretariat der KPdSU tritt das Statut mit Füßen, erschüttert Grundlagen der Parteidisziplin und stellt alles das unter Strafe, was das unveräußerliche Recht und die erste Pflicht eines jeden Parteimitglieds ist.

Die chinesische Revolution

3. Hier ein aktuelles und schlagendes Beispiel. Die Zeitungen von heute teilen mit, dass die revolutionäre Armee Shantou erobert hat. Bereits seit einigen Wochen sind die Armeen von He Long und Ye Ting auf dem Vormarsch.

Die Prawda bezeichnet sie als revolutionäre Armeen. Diesmal kommt das der Wahrheit jedenfalls wesentlich näher als im Fall der Armeen von Tschiang Kaischek, Feng Yuxiang oder Tang Shengzhi.

Aber ich frage Sie: Welche Perspektiven eröffnet dieser Vormarsch der revolutionären Armee, die Shantou erobert hat, für die chinesische Revolution? Was sind ihre Losungen? Was ihr Programm? Wie sollen ihre Organisationsformen aussehen? Was ist aus der Losung »Räte in China« geworden, die im Juli so überraschend einen Tag lang von der Prawda proklamiert wurde? Darüber findet man in der Presse kein Wort, wenn man einmal von dem grundfalschen Artikel des Genossen Losowski absieht.

Warum schweigt die Presse der KPdSU? Warum schweigt die Presse der Komintern? Die Resolution des letzten EKKI-Plenums, die aufgrund des Berichts des Genossen Bucharin angenommen wurde, ist noch immer in Kraft. Diese Resolution ist durch und durch falsch. Sie hat der Regierung von Wuhan geholfen, das zu vollenden, was Tschiang Kaischek begonnen hatte.

Die opportunistischen Thesen und Resolutionen von Stalin und Bucharin, die der chinesischen Revolution schon zwei schwere Niederlagen eingetragen haben, werden weiterhin ungehindert veröffentlicht. Eine dagegen gerichtete marxistische Kritik und marxistische Fragestellungen hingegen werden mit Verbot belegt. Wer unsere Thesen verbreitet, wird beschuldigt, die Disziplin zu verletzen, und aus der Partei ausgeschlossen. Wir aber sagen: Jedes ehrliche Parteimitglied ist dazu verpflichtet, die Veröffentlichung aller Dokumente zur chinesischen Frage zu fordern und außerdem mit allen Kräften und Mitteln unsere Kritik an der opportunistischen Linie Stalin-Bucharins zu verbreiten. Die Frage nach dem Schicksal der chinesischen Revolution ist unendlich viel wichtiger als alle bürokratischen Anweisungen und Verbote des ZK-Sekretariats, die als Maßregeln der revolutionären proletarischen Disziplin ausgegeben werden.

4. Ich habe gesagt, dass die Organe der Komintern zur dritten Etappe der chinesischen Revolution schweigen, die der Beginn eines neuen Umschwungs sein könnte, aber – bei einer falschen Politik – auch zur dritten, schwersten und vernichtendsten Niederlage führen und die Revolution auf Jahre hinaus schwächen könnte.

Während die gesamte Presse vollkommen verstummt ist und die Komintern schweigt, wird insgeheim ein neues, opportunistisches Manöver im Stil der gesamten bisherigen China-Politik Stalin-Bucharins vorbereitet. In Moskau formiert sich eine neue, supermoderne Guomindang um die Witwe Sun Yatsens und den Tschiang-Kaischek-Kampfgenossen Eugène Chen. Erste Etappe: Tschiang Kaischek; zweite Etappe: Wang Jingwei; dritte Etappe: Eugène Chen und Co. Die beiden ersten Etappen fanden ihr Ende mit der Zerschlagung und der Erschießung von Arbeitern und Bauern. Die dritte wird zu demselben Ende führen. Statt der chinesischen KP die volle Selbständigkeit zu garantieren, ihr Selbstbewusstsein zu heben, ihren Horizont zu erweitern, ihr die Rätediktatur zur Aufgabe zu machen, die das Proletariat und die vielmillionenstarke Dorfarmut Chinas vereinen könnte – bereiten Stalin-Bucharin eine neue Aufsichtsinstanz für die chinesische KP vor, eine neue kleinbürgerlich-kompromisslerische Kontrolle, d. h. neue Hand- und Fußschellen für die proletarische Avantgarde. Wir sagen Ihnen: Das wird mit der dritten Katastrophe enden. Und glauben Sie wirklich, dass wir dazu schweigen werden?

5. Seit 1925 kämpfen wir für die Selbständigkeit der chinesischen KP, für ihre Befreiung von der Disziplinargewalt Tschiang Kaischeks. Diese aktuelle und prinzipielle Losung des Bolschewismus ist als »Trotzkismus« bezeichnet worden. In China haben die Emissäre der Komintern jene wirklich proletarischen Revolutionäre »Trotzkisten« genannt, die sich für die Grundvoraussetzung einer bolschewistischen Politik eingesetzt haben: für die Unabhängigkeit der proletarischen Partei. Chen Duxiu hingegen, der Martynows Politik ins Chinesische übertragen hat, erhielt Unterstützung. Was ist die Schuld der Opposition? Doch nur, dass sie allzu sehr auf die für die Revolution verhängnisvollen Verbote des Stalin-Sekretariats Rücksicht genommen hat, statt sofort vor der gesamten Komintern mit aller Härte und Entschlossenheit für die völlige Unabhängigkeit der chinesischen KP einzutreten.

6. Im Mai dieses Jahres haben wir während des EKKI-Plenums einen Gegenantrag gegen die durch und durch opportunistische Resolution Bucharins eingebracht. Er lautete:

»Das Plenum (hätte) gut daran getan, die Resolution Bucharins zurückzuweisen und durch eine Resolution von ein paar Zeilen zu ersetzen:

Die Bauern und Arbeiter dürfen den Führern der linken Guomindang keinen Glauben schenken, sie müssen vielmehr ihre Räte aufbauen und sich mit den Soldaten zusammenschließen.

Die Räte haben die Arbeiter und die fortschrittlichen Bauern zu bewaffnen.

Die Kommunistische Partei hat die Aufgabe, ihre völlige Selbständigkeit zu sichern, eine Tagespresse zu schaffen und die Führung beim Aufbau der Räte zu übernehmen.

Das Land der Gutsbesitzer ist unverzüglich zu enteignen.

Die reaktionäre Bürokratie muss unverzüglich ausgemerzt werden.

Mit den verräterischen Generälen und anderen Konterrevolutionären muss auf der Stelle abgerechnet werden.

Generell ist Kurs auf die Errichtung einer demokratischen Diktatur der Arbeiter- und Bauernräte zu nehmen.«

Das ist die Stimme des wahren Bolschewismus, die nur vorübergehend im Dienste einer opportunistischen Politik von dem bürokratischen Apparat erstickt werden konnte. Und Sie glauben, wir würden diese Zeilen dem chinesischen Proletariat und dem Proletariat der ganzen Welt verheimlichen? Wer so denkt, ist kein Revolutionär.

7. Bis zum heutigen Tag ist die China-Resolution des letzten EKKI noch nicht zurückgezogen worden. Bis heute ist auch Stalins Position noch nicht verurteilt worden, der zuerst dazu aufrief, Tschiang Kaischek zu vertrauen, und dann die Wuhan-Regierung zum Führungszentrum der Agrarrevolution proklamierte.

Hat Genosse Treint nicht recht, wenn er sagt, dass die Politik von Stalin-Bucharin die Avantgarde des internationalen Proletariats irregeführt hat, während die gesamte Komintern zum Schweigen verurteilt war? Hat nicht die Humanité ein Grußtelegramm an den Henker Tschiang Kaischek als den Helden der Shanghaier Kommune geschickt? Ist nicht eine Politik, die die Scheidelinie zwischen den proletarischen Kommunarden und General Galliffet aus den Augen verliert, schon so kriminell, dass man sie nicht nur verurteilen, sondern auch brandmarken muss?

8. Schlimmer noch, die Guomindang ist noch immer Mitglied der Komintern. Welche Guomindang? Die von Tschiang Kaischek? Oder die von Wang Jingwei? Aber die haben sich jetzt vereinigt. Das heißt also: Zur Komintern gehört die vereinigte Guomindang von Tschiang Kaischek und Wang Jingwei.

Sie haben es eilig, mich und Vujovic auszuschließen. Aber sie haben vergessen, die Mitkämpfer von Tschiang Kaischek und Wang Jingwei auszuschließen. Vielleicht sind Sie bereit, heute auch diese Frage auf die Tagesordnung zu setzen?

9. Den Kampf für die Selbständigkeit der KP, den Kampf des Proletariats um die Bauern und gegen die Bourgeoisie, den Kampf für die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte haben die Opportunisten Trotzkismus genannt. Weshalb? Damit sie um so gefahrloser den Leninismus bekämpfen können. Trotzkismus – das ist das Zauberwort, hinter dem sich die Bankrotteure verstecken, wenn ihnen die Argumente ausgehen. Das Schweigen der Komintern zur neuen Etappe der chinesischen Revolution, die sich vor unseren Augen entwickelt, ist Zeichen einer unerhörten Verwirrung. Der richtige Weg und das Ziel müssen klar aufgezeigt werden. Wir können nicht schweigen. Wir werden nicht schweigen, weil wir Revolutionäre und keine Bürokraten sind.

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