Leo Trotzki 19330712 Japan auf dem Weg in die Katastrophe

Leo Trotzki: Japan auf dem Weg in die Katastrophe

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 783-792, dort mit umfangreichen Fußnoten]

I. Der Mythos der Unbesiegbarkeit

Die herrschenden Klassen Japans wissen zweifellos nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Aus den unerhörten inneren Schwierigkeiten suchen sie einen Ausweg in einer Politik äußerer Übergriffe, Drohungen und Gewalttaten. Und alles gelingt ihnen. Die internationalen Verträge werden missachtet. Unter dem Vorwand, einen unabhängigen Staat zu schaffen, wird ein gigantisches Land annektiert. Beim Völkerbund stapeln sich Protokolle, die niemand braucht. Amerika hüllt sich vorsichtig in Schweigen. Die Sowjetunion macht Zugeständnisse. Es scheint tatsächlich, als ob Japan unbesiegbar sei und dass seine Machthaber dazu berufen seien, nicht nur über den asiatischen Kontinent, sondern auch über die ganze Welt zu herrschen. Aber ist das wirklich so?

Vor weniger als vier Jahrzehnten brachte das kleine Inselland dem chinesischen Giganten eine Niederlage zu Lande und zu Wasser bei. Die ganze Welt schreckte auf. Vierzehn Tage nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Shimonoseki schrieb der bekannte deutsche Geograph Richthofen, dass Japan die »Gleichberechtigung« errungen habe und in den Rang einer Großmacht aufgestiegen sei. Zehn Jahre später geschah ein noch größeres Wunder: Japan schlug dem zaristischen Russland aufs Haupt. Ein solches Resultat sahen nur wenige voraus, zu denen vor allem auch die russischen Revolutionäre gehörten; aber wer interessierte sich damals schon für ihre Stimme? Je unerwarteter für die zivilisierte Menschheit der Sieg Japans über seine beiden Nachbarn erschien, deren Bevölkerung insgesamt zehnmal so groß war wie die seine, desto höher stieg das Prestige des Inselreichs.

Die Teilnahme Japans am Weltkrieg lief auf Polizeioperationen großen Stils im Fernen Osten und teilweise am Mittelmeer hinaus. Aber allein die Tatsache der Zugehörigkeit zum Lager der Sieger und die damit verbundene große Beute mussten das nationale Selbstgefühl der herrschenden Klassen Japans noch weiter steigern. Die »einundzwanzig« Forderungen gegenüber China zu Beginn des Kriegs – nur 15 Jahre, nachdem sich Japan selbst von den erniedrigenden Verträgen befreit hatte – zeigten endgültig die Raubzähne des japanischen Imperialismus.

Das Memorandum des Generals Tanaka (1927) formulierte ein abgeschlossenes Programm, in dem die nationalen Ambitionen zu einer wahrhaft schwindelerregenden Megalomanie auswuchsen. Ein erstaunliches Dokument! Die offiziellen Dementis schwächten seine Überzeugungskraft nicht im geringsten: Einen solchen Text kann man nicht fälschen. Auf jeden Fall ist die japanische Politik der vergangenen zwei Jahre ein unwiderlegliches Zeugnis für die Authentizität des vorgetragenen Programms.

Die Eroberung der Mandschurei war durch den Einsatz von Luftwaffe und Bomben mit relativ geringen Kräften möglich. Nach und nach konzentrierten die Japaner ungefähr vier bis fünf Divisionen in der Mandschurei, also kaum mehr als 50000 Mann. Die Operation glich eher einem Kriegsspiel als einem Krieg. Aber um so größer war die »Ehre« des Generalstabs in Tokio!

Gleichwohl ist die militärische Unbesiegbarkeit Japans ein frommer Mythos, der zwar ganz reale Früchte zeitigt, letztlich aber doch an der Wirklichkeit zerschellen muss. Japan hatte bislang keinmal die Gelegenheit, seine Kräfte mit hochentwickelten Nationen zu messen. Die Erfolge Japans, so glänzend sie auch waren, ergaben sich aus der Überlegenheit einer Rückständigkeit gegenüber einer noch größeren. Das Prinzip der Relativität ist auch in Militärangelegenheiten allmächtig. Einst eilte auch das Reich der Zaren von Erfolg zu Erfolg: Aus dem hinterwäldlerischen Moskauer Fürstentum verwandelte es sich in einen mächtigen Staat, der sich über zwei Kontinente vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean erstreckte. Und auch das zaristische Heer wurde in allen Lehrbüchern für unbesiegbar erklärt. Tatsächlich aber hat das alte Russland, das sich auf den halb leibeigenen Bauern stützte, selbständige Siege nur über die barbarischen Stämme Zentralasiens und des Kaukasus und über innerlich zerfallene Staaten, wie das Polen der Szlachta oder die Türkei der Sultane, errungen. Insgesamt aber war die zaristische Armee seit der großen französischen Revolution mürbe, schwerfällig und kraftlos. Allerdings wurden in den Jahren zwischen 1907 und 1914 Armee und Flotte unter aktiver Mitwirkung der patriotischen Staatsdumas ernsthaft reformiert und verstärkt. Der Weltkrieg jedoch erbrachte mit der Erprobung eine bittere Enttäuschung: Die russische Armee kannte taktische Erfolge nur deshalb, weil die zentrifugalen Kräfte Österreich-Ungarns für sie arbeiteten; aber im Gesamtmaßstab des Kriegs zeigte sie erneut ihre völlige Unfähigkeit.

Die Vergleichskoeffizienten für die Stärke von Armeen sind in jedem einzelnen Falle nicht das Resultat irgendwelcher unveränderlicher Eigenschaften der »Rasse«, sondern die Kombination lebendiger gesellschaftlicher und historischer Elemente: des Zustands der natürlichen Ressourcen des Landes, des Niveaus seiner ökonomischen Entwicklung, der Wechselbeziehungen zwischen den Klassen, der immanenten Qualitäten der Armee selbst, ihres Soldatenmaterials, ihres Offizierskorps', ihrer Bewaffnung, ihrer Führung. Wenn man unter diesem Aspekt die Sprache der Zahlen zu Hilfe nimmt – natürlich nur zur Illustration des Gedankens, ohne Anspruch auf genaue Angaben –, dann kann man sagen: Die russische Armee des Jahres 1914 verhielt sich, ihrer Kampfkraft nach, zur russischen Armee von 1904/1905 mindestens wie drei zu eins, was nichts daran änderte, dass sie sich gegenüber der deutschen Armee wie etwa eins zu drei verhielt. Wenn die japanische Armee Anfang des Jahrhunderts die zaristische Armee um das Zwei- bis Dreifache übertraf, so hindert sie dies nicht daran, gegenüber den Streitkräften der fortgeschrittenen Länder heute im gleichen Umfang zurückzufallen.

Zweifellos hat Japan seit dem Krieg mit Russland genügend wirtschaftliche und kulturelle Fortschritte gemacht, um seine Rüstung auf dem Niveau der Welt-Technik zu halten. Aber alleine ist dieses Kriterium äußerst trügerisch. Die wahre Stärke einer Armee bestimmt sich nicht durch die Waffen, die bei den Paraden vorgeführt werden, und selbst nicht durch jene, die in den Arsenalen gelagert sind, sondern durch die produktive Stärke der nationalen Industrie. Wenn die japanische Industrie in den Jahren des Kriegs auch außerordentlich gewachsen ist, so doch nur mit dem Ergebnis, dass sie mit Ausbruch der Nachkriegskrisen weit zurückfiel. Der japanische Militarismus versucht, von den Illusionen der Periode des militärischen Aufschwungs zu leben, ignoriert die Zerrüttung der Wirtschaft und verschlingt die Hälfte des Budgets. Die Verhältnisse zwischen Militarismus und Volkswirtschaft Japans einerseits und zwischen seiner Industrie und der Industrie seiner möglichen Feinde andererseits sind, wenn nicht entscheidende, so doch außerordentlich wichtige Gradmesser für die jeweiligen Chancen der beiden Seiten in einem künftigen Krieg. Und diese Kennziffern sind für Japan äußerst ungünstig.

Nach dem Vortrag Tanakas wie auch nach der Logik der Dinge steht das Imperium des Mikado vor zwei Kriegen: gegen die Sowjetunion und gegen die Vereinigten Staaten. Die Arena des einen ist der größte Kontinent, die Arena des anderen der größte Ozean. Beide Kriege verlangen Operationen über gewaltige Räume und folglich über lange Fristen. Aber je mehr sich der Krieg in die Länge zieht, desto größeres Übergewicht erlangt das bewaffnete Volk gegenüber dem stehenden Heer, die Industrie insgesamt gegenüber den Arsenalen und der Kriegsindustrie, die grundlegenden Fakten der Ökonomie und Kultur gegenüber strategischen Kombinationen.

Das Nationaleinkommen Japans beziffert sich pro Kopf der Bevölkerung auf 175 Yen, ist also einige Male niedriger als das europäische, ganz zu schweigen vom amerikanischen, und mindestens ein Drittel niedriger als das der UdSSR. Die japanische Industrie besteht vor allem aus der Leichtindustrie, d. h. aus rückständigen Branchen: Die Textilarbeiter stellen über 51 Prozent der Gesamtzahl der Arbeiter, wohingegen Metallurgie und Maschinenbau zusammen nur 19 Prozent ausmachen. Die Vereinigten Staaten verbrauchen 260 Kilo Stahl pro Kopf, die westeuropäischen Länder 111 Kilo, die Sowjetunion über 35 Kilo und Japan – weniger als 29 Kilo. Und dabei ist der moderne Krieg ein Krieg des Metalls. Die Mandschurei mag der japanischen Industrie große Perspektiven eröffnen. Aber große Perspektiven benötigen viel Kapital und lange Fristen. Wir jedoch gehen von dem aus, was heute ist und im Laufe der nächsten Jahre nicht radikal geändert werden kann.

Es kämpfen jedoch nicht Maschinen, sondern Menschen. Alle Daten bezeugen, dass es mit dem Menschenmaterial nicht viel besser bestellt ist als mit den materiellen Faktoren.

Die ganz nach dem alten preußischen Muster aufgebaute japanische Armee birgt in übersteigerter Form alle inneren Mängel der alten Hohenzollernarmee in sich, ohne deren Vorzüge zu besitzen. Schon Bismarck hat gesagt, dass man zwar die preußischen Militärreglements kopieren, nicht aber den preußischen Leutnant nachmachen könne. Noch schwerer ist es, den preußischen Soldaten nachzumachen.

Das äußerst niedrige Niveau der Volksmassen bleibt auch für den Militarismus nicht ohne Folgen. In Japan grassieren die Schwindsucht und alle Arten körperlicher Gebrechen. Die Sterblichkeit ist hier höher als in allen anderen entwickelten Ländern und wächst zudem noch von Jahr zu Jahr. Der moderne Krieg erfordert nicht nur die Bereitschaft, in Massen zu sterben, sondern vor allem auch persönliches Durchhaltevermögen, sportliches Training und starke Nerven. Jene Eigenschaften, die den Japanern den Sieg über die Chinesen und Russen gaben, waren die Tugenden des alten Japan: Die neue zentralisierte Organisation hat die feudale Unterwürfigkeit in militärische Disziplin verwandelt. Solche Eigenschaften, wie individuelle Initiative, Findigkeit, die Fähigkeit, Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen, gibt es in der japanischen Armee nicht, und woher sollte man sie auch nehmen? Das feudal-militaristische System konnte die Entwicklung der Persönlichkeit nicht fördern. Weder das unterdrückte und verarmte Dorf noch die japanische Industrie, vor allem Textilindustrie mit überwiegender Frauen-und Kinderarbeit, sind in der Lage, qualifizierte Soldaten hervorzubringen, die auf der Höhe der modernen Technik stehen. Ein großer Krieg wird dies unerbittlich zeigen.

Der Zweck dieser kurzen Analyse besteht keineswegs darin, irgend jemandem den Gedanken zu suggerieren, ein Krieg gegen Japan sei leicht oder es sei unvernünftig, sich mit ihm zu verständigen. Die äußerst friedliebende – zuweilen, so kann es scheinen, allzu nachgiebige – Politik der Sowjetregierung gegenüber Japan halten wir im Wesentlichen für richtig. Aber die Frage von Krieg und Frieden hängt, der Natur der Sache nach, nicht von einer, sondern von zwei Seiten ab. Die Friedenspolitik muss, wie die Kriegspolitik, von den realen Kräfteverhältnissen ausgehen. Inzwischen hat sich die hypnotische Wirkung des Glaubens an die angebliche japanische Unbesiegbarkeit zu einem äußerst gefährlichen Faktor der internationalen Beziehungen entwickeln können. Genauso hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts die aufgeblasene Selbstgewissheit der Petersburger Kamarilla zum militärischen Zusammenstoß geführt. Die Stimmung der herrschenden Kreise Japans erinnert außerordentlich an die Stimmung der zaristischen Bürokratie am Vorabend des russisch-japanischen Kriegs.

II. Krieg und Revolution

Die japanische Epoche der Umgestaltung, die 1868 kurz nach der Reformära in Russland und dem Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten – begann, war ein Reflex der Selbsterhaltung der herrschenden Klassen und stellt keine »bürgerliche Revolution« dar, wie dies einige Historiker formulieren; vielmehr ist es der bürokratische Versuch, sich von einer bürgerlichen Revolution loszukaufen. Sogar das rückständige Russland, das den historischen Kurs des Westens mit großen Abkürzungen durchlaufen hat, benötigte drei Jahrhunderte, um von der Beseitigung der feudalen Abgesondertheit unter Iwan dem Schrecklichen über das Westlertum Peters des Großen zu den ersten liberalen Reformen Alexanders II. zu gelangen. Die sogenannte Ära des Kaisers Meiji fasste in einem Zeitraum von einigen Jahrzehnten die grundlegenden Züge von drei großen Entwicklungsepochen Russlands zusammen. Bei einem derart forcierten Tempo konnte von einer gleichmäßigen kulturellen Entwicklung auf allen Gebieten nicht die Rede sein. Indem es hinter den praktischen Errungenschaften der neuesten, insbesondere der militärischen, Technik her jagte, blieb Japan ideologisch noch im tiefen Mittelalter. Die Kombination von Edison und Konfuzius drückt der ganzen japanischen Kultur den Stempel auf.

Die recht weit verbreitete Behauptung, die Japaner seien »von Natur aus« nur zum Nachahmen und nicht zum selbständigen Schöpfertum fähig, verdient noch nicht einmal eine Widerlegung. Jedes verspätete Volk beginnt, wie auch jeder junge Handwerker, Schriftsteller oder Künstler, mit der Nachahmung: Dies ist eine Form der Lehre. Aber heute charakterisiert in jedem Falle ein nachahmender Empirismus alle Gebiete des geistigen Lebens Japans. Die Stärke seiner Staatsmänner liegt in einem zynischen Realismus, gepaart mit größter Armut an verallgemeinerten Ideen. Aber darin liegt auch ihre Schwäche: Ihnen ist ein Verständnis der Gesetze, welche die Entwicklung der modernen Nationen, darunter auch ihre eigene, bestimmen, völlig fremd. Das programmatische Dokument Tanakas verblüfft vor allem durch seine Verbindung von Scharfblick in Bezug auf die empirischen Elemente des Problems und Blindheit in Bezug auf die historische Perspektive. Tanaka geht von dem angeblichen »Testament« des Kaisers Meiji als von einem heiligen Eroberungsprogramm aus und stellt sich die weitere Entwicklung der Menschheit als eine sich ausweitende Spirale japanischer Eroberungen vor. Zur Begründung der gleichen Ziele verwendet General Araki die moralischen Prinzipien des Shintoismus, der Religion des Mikado. Wenn Menschen solch geistigen Zuschnitts in der Lage waren, unter gewissen Bedingungen außerordentliche Erfolge zu erreichen, so sind sie nicht minder fähig, das Land in die größte Katastrophe zu stürzen.

Keine einzige moderne Nation hat sich ohne Revolution, ja ohne eine Reihe von Revolutionen herausgebildet. Hingegen kann das heutige Japan in der Vergangenheit weder auf eine religiöse Reformation noch auf eine Epoche der Aufklärung, weder auf eine bürgerliche Revolution noch auf eine wirkliche Schule der Demokratie zurückblicken. Die Militärdiktatur war für den jungen Kapitalismus bis zu einer gewissen Zeit von großem Vorteil, denn sie sicherte eine einheitliche Außenpolitik und eine grausame Disziplin im Innern. Jetzt aber sind die mächtigen Überreste des Feudalismus zu einem furchtbaren Hindernis für die Entwicklung des Landes geworden.

Die Unterdrückung der Bauernschaft hat sich nicht nur völlig unversehrt erhalten, sondern unter dem Einfluss der Anforderungen von Markt und Fiskus noch grauenvoll verschärft. Die Pächter zahlen den Grundbesitzern jährlich etwa eine dreiviertel Milliarde Yen. Um diese Summe richtig zu bewerten, genügt der Hinweis, dass die russische Bauernschaft, zweieinhalb mal so zahlreich, den Grundbesitzern weniger als eine halbe Milliarde Rubel zahlte – und dieser Tribut reichte aus, um den Muschik zu veranlassen, eine gewaltige Agrarrevolution zu machen.

Die Verhältnisse der Leibeigenschaft werden von der Landwirtschaft auf die Industrie übertragen – mit ihrem elf- bis zwölfstündigen Arbeitstag, den Kasernen für die Arbeiter, ihrem armseligen Lohn und ihrer sklavischen Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Trotz Wasserkraftwerk und Flugzeug sind alle gesellschaftlichen Beziehungen durch und durch vom Geist des Mittelalters durchdrungen. Es genügt der Hinweis, dass sich in Japan bis heute die Kaste der Parias gehalten hat!

Durch die Kraft der historischen Umstände ist die japanische Bourgeoisie zu einer aggressiven Außenpolitik gelangt, bevor sie die Fesseln des mittelalterlichen Leibeigenschaftssystem zerschlagen hatte. Darin liegt die Hauptgefahr: Das Gebäude des Militarismus ist auf einem sozialen Vulkan errichtet.

Beim Sturz des Zarismus – die Berater des Mikado sollten gut studieren, wie dieser vor sich gegangen ist – spielten die unterdrückten Nationalitäten eine gewaltige Rolle, die 53 Prozent der Bevölkerung des alten Russland stellten. Die Homogenität des japanischen Kernlandes wäre sein großer Vorteil, wenn sich die Wirtschaft und Armee des Landes nicht in größter Abhängigkeit von Formosa, Korea und der Mandschurei befänden. Auf 65 Millionen Japaner kommen jetzt, die Mandschurei mitgerechnet, fast 50 Millionen unterdrückte Koreaner und Chinesen. Diese gewaltige Reserve der Revolution wird für das Regime im Fall eines Kriegs besonders gefährlich werden.

Die Streiks der Pächter, der Terror auf dem Lande, das Bestreben der Bauern, sich mit den Arbeitern zusammenzuschließen – all das sind untrüglich Vorboten einer Revolution. Auch mangelt es nicht an anderen, weniger deutlichen, aber nicht weniger überzeugenden Symptomen. Unzufrieden ist die Intelligenz, aus der sich die Beamten und Offiziere rekrutieren. Illegale Organisationen haben ihre Verzweigungen in allen Universitäten und Schulen. Die Bourgeoisie ist über die Militärs aufgebracht, von denen sie jedoch abhängig ist. Die Generäle knurren drohend gegen ihre kapitalistischen Verbündeten. Jeder ist mit jedem unzufrieden.

Die Berufsoffiziere, Erben oder Epigonen der Samurai, suchen Verbindung zu der aufrührerischen Bauernschaft – unter demagogischen Losungen im Geist des deutschen Nationalsozialismus. Aber diese Verbindungen sind trügerisch und unbeständig. Die Samurai wollen das Rad zurückdrehen. Die Bauern drängen auf eine Agrarrevolution. Im Falle eines großen Krieges werden die Berufsoffiziere von der Masse der eilig und improvisiert aus den Reihen der Intelligenz rekrutierten Reserveoffiziere verdrängt: Hieraus werden auch die revolutionären Führer der Bauernschaft und der Armee selbst hervorgehen. Alles, was über die Landstreitkräfte gesagt worden ist, lässt sich auch auf die Flotte übertragen und ist dann in noch höherem Maße gültig. In den stählernen Kammern der Kriegsschiffe erlangen die feudalen Relikte eine außerordentliche Explosivkraft. Man denke nur an die russischen Revolutionen der Jahre 1905 und 1917 sowie an die deutsche Revolution des Jahres 1918!

Resümieren wir. Ökonomisch ist Japan schwächer als jeder seiner möglichen Gegner in einem großen Krieg. Die japanische Industrie ist nicht in der Lage, eine Armee von einigen Millionen Menschen mit Waffen und Kriegsvorräten für einige Jahre auszurüsten. Das japanische Finanzsystem, das nicht einmal in der Friedenszeit die Bürde des Militarismus aushält, würde schon zu Beginn eines großen Krieges einen vollständigen Zusammenbruch erleiden. Die Masse der japanischen Soldaten ist nicht auf der Höhe der neuen Technik und der neuen Taktik. Die Bevölkerung steht dem Regime zutiefst feindlich gegenüber. Auch Eroberungsprogramme wären nicht in der Lage, die gespaltene Nation zu einen. Mit der Mobilisierung würden Hunderttausende von Revolutionären oder potentiellen Revolutionären in die Armee strömen. Korea, die Mandschurei und, nach ihnen, China würden ihre unversöhnliche Feindschaft gegenüber dem japanischen Joch in der Praxis zeigen. Das soziale Gefüge des Landes würde erschüttert, seine Bindungen würden gelockert. In dem stählernen Korsett der Militärdiktatur erscheint das offizielle Japan als mächtig, aber ein Krieg würde diesen Mythos unbarmherzig zerstören.

Wir haben nichts über die entsprechenden Qualitäten der Roten Armee gesagt: Diese Frage soll das Thema einer selbständigen Untersuchung sein. Aber selbst wenn man, bei einer deutlichen Verletzung der Proportionen zugunsten Japans, eine Gleichheit der materiellen Bedingungen auf beiden Seiten annimmt, so bliebe doch ein gewaltiger Unterschied bei den moralischen Faktoren. Die Geschichte berichtet uns, wie aus militärischen Niederlagen Revolutionen erwachsen; aber sie lehrt uns auch, dass siegreiche Revolutionen, die das Volk aufrütteln und seine Psyche stählen, ihm eine ungeheure dynamische Kraft auf den Schlachtfeldern verleihen ...

Im Interesse beider Völker und der menschlichen Kultur insgesamt wünschen wir, dass die japanischen Militaristen das Schicksal nicht herausfordern.

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