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Leo Trotzki 19310802 Die Rolle von Streiks in einer Revolution

Leo Trotzki: Die Rolle von Streiks in einer Revolution

2. August 1931

[auf Englisch veröffentlicht in Fourth International vom Oktober 1943. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 144-146]

Mit diesem Brief möchte ich unsere Ansichten gelegentlich der stürmischen Streikwelle in Spanien austauschen. In meiner zweiten Broschüre über die spanische Revolution („Die spanische Revolution und die ihr drohenden Gefahren") führte ich eine der möglichen Perspektiven an: die revolutionäre Bewegung nimmt ohne die richtige Führung eine gewaltsame Entwicklung und schließt mit einer Explosion ab, die von den konterrevolutionären Kräften ausgenutzt wird, um das Proletariat zu unterdrücken. In der Broschüre führte ich aus, diese Perspektive bedeute natürlich nicht, dass die Rolle der Kommunisten darin zu bestehen habe, die revolutionäre Bewegung zurückzuhalten. Ich zweifle nicht, dass wir in dieser Hinsicht keine Differenzen haben werden, aber ich möchte diese Frage gründlicher analysieren, denn sie könnte große praktische Bedeutung gewinnen.

Zuerst einmal muss man sich klarmachen, dass dieser gewaltsame elementare Ausbruch von Streiks das unvermeidliche Ergebnis des Charakters der Revolution selbst und in einem gewissen Sinne ihre Grundlage ist. Die überwältigende Mehrheit des spanischen Proletariats weiß nicht, was eine Organisation bedeutet. Während der Dauer der Diktatur wuchs eine neue Arbeitergeneration heran, der eine selbständige politische Erfahrung fehlte. Die Revolution erweckt – und darin liegt ihre Stärke – die rückständigsten, niedergehaltensten und am stärksten unterdrückten arbeitenden Massen. Der Streik ist die Form ihres Erwachens. Durch den Streik melden sich verschiedene Gruppen und Schichten des Proletariats an, geben einander Zeichen, prüfen ihre eigene Stärke und die Stärke ihres Feindes. Eine Schicht erwacht und steckt die nächste an. Das alles zusammengenommen macht die gegenwärtige Streikwelle absolut unvermeidlich. Am allerwenigsten dürfen sich Kommunisten vor ihr fürchten, denn gerade hierin liegt der wahre Ausdruck der schöpferischen Kraft der Revolution. Nur durch diese Streiks, mit allen ihren Fehlern, ihren „Exzessen" und „Übertreibungen" erhebt sich das Proletariat auf seine Füße, sammelt sich als eine Einheit, beginnt, sich als Klasse zu fühlen und zu begreifen, als eine lebendige historische Kraft. Niemals haben sich Revolutionen unter einem Dirigentenstab entwickelt. Exzesse, Fehler, Opfer machen die wirkliche Natur jeder Revolution aus.

Hätte die Kommunistische Partei den Arbeitern gesagt: „Ich bin noch zu schwach, um euch zu führen; wartet deshalb ein wenig, beeilt euch nicht zu sehr, beginnt den Kampf nicht mit Streiks, lasst mich erst einmal stärker werden," dann hätte sich die Partei hoffnungslos lächerlich gemacht, die erweckten Massen wären über sie hinweg geschritten, und anstatt stärker zu werden, wäre die Partei nur schwächer geworden.

Selbst wenn ihr eine historische Gefahr richtig vorausgesehen hättet, bedeutet das nicht, dass ihr sie durch Argumentieren allein beseitigen könntet. Der Gefahr kann nur begegnet werden, wenn ihr die notwendige Stärke besitzt. Um aber eine solche Kraft zu sein, muss die Kommunistische Partei rückhaltlos in die Arena der sich entwickelnden „elementaren" oder halb elementaren Streikbewegung hinein steigen, nicht, um sie zurückzuhalten, sondern um zu erlernen, wie man sie führt, und um mitten im Kampfprozess Anerkennung und Stärke zu erlangen.

Es wäre ein Fehler, zu denken, die gegenwärtige Bewegung wäre von den Anarchosyndikalisten hervorgerufen. Diese befinden sich selbst unter unerhörtem Druck von unten. Die führende Gruppe des syndikalistischen Kerns würde gerne die Bewegung verlangsamen. Individuen wie Pestaña verhandeln bestimmt hinter den Kulissen mit den Unternehmern und der Verwaltung über die geeignetsten Mittel, die Streiks zu liquidieren. Morgen werden sich viele dieser Herren als die Henker der Arbeiter erweisen, und werden wie die russischen Menschewiki gegen das „Streikfieber" predigen, während sie auf sie schießen.

Ohne Zweifel wird sich die Differenzierung unter den Anarchosyndikalisten in dieser Hinsicht verstärken. Der revolutionäre Flügel wird, je weiter er vorgeht, sich in immer stärkerem Konflikt gegenüber den Syndiko-Reformisten befinden. Daraus werden sich unvermeidlich linke Putschisten, heroische Abenteurer, individuelle Terroristen und andere erheben.

Selbstverständlich können wir keine Art Abenteurertum ermutigen. Aber wir müssen uns von vornherein vergewissern, dass nicht der rechte Flügel, der die Streiks bekämpft, sondern der linke revolutionäre syndikalistische Flügel näher an uns heranrückt. Es wird umso leichter sein, alle möglichen abenteuerlichen Elemente zu überwinden, je eher die revolutionären Syndikalisten überzeugt sind, dass die Kommunisten Kämpfer sind – und keine Räsoneure.

Der offiziellen Partei wirft man eine abenteuerliche Politik bei den Streiks vor. Ich kann diese Angelegenheit von meiner Seite aufgrund mangelnder Information nicht beurteilen. Die allgemeine Haltung der Partei in der vorangegangenen Periode lässt indessen den Schluss zu, dass diese Beschuldigung vielleicht gerechtfertigt ist. Aber gerade deswegen besteht die Gefahr, dass die Partei, da sie sich ihre Finger verbrannt hat, plötzlich nach rechts schwenken kann. Das größte Missgeschick bestünde darin, dass die arbeitenden Massen schlussfolgern würden, die Kommunisten wollten sie gern – genau wie die Syndikalisten vom Schlag Pestañas – dogmatisch von der Spitze herab belehren, und nicht mit ihnen von unten heraufsteigen.

Zusammengefasst: die Gefahr der Junitage stellt zweifellos in der Perspektive die größte dar; aber unmittelbar kann für die Kommunisten am gefährlichsten sein, wenn sie abstrakt argumentieren, „versuchen, intelligent zu erscheinen", abstrakt herum schwätzen, was revolutionäre Arbeiter als pessimistische Unkerei betrachten werden.

Die Linke Opposition darf keinen Augenblick vergessen, dass den aus der Entwicklung der Revolution sich ergebenden Gefahren nicht durch wachsame Vorsicht begegnet werden kann, sondern nur durch Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit.

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