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Leo Trotzki 19320920 Die spanischen Kornilows und die spanischen Stalinisten

Leo Trotzki: Die spanischen Kornilows und die spanischen Stalinisten

20. September 1932

[Veröffentlicht in französischer Sprache in Leon Trotsky, Ecrits, Vol. III (1928 1940). Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 165-171]

Wie in der Vergangenheit schweigt die Prawda über Deutschland. Aber um das auszugleichen, bringt sie in ihrer Ausgabe vom 9. September einen Artikel über Spanien. Dieser Artikel ist außerordentlich instruktiv. Zwar wirft er nur indirektes Licht auf die spanische Revolution; aber dafür beleuchtet er grell die politischen Zuckungen der stalinistischen Bürokratie.

Im Artikel heißt es: „Nach der Niederlage des Generalstreiks im Januar, behaupteten die Trotzkisten (hier folgen einige rituelle Beleidigungen – L.T.), die Revolution wäre geschlagen und die Periode der Niederlagen wäre eingetreten." Stimmt das? Wenn es in Spanien Revolutionäre gibt, die im Januar dieses Jahres zur Beerdigung der Revolution bereit waren, haben sie nichts mit der Linken Opposition gemein und können es nicht haben. Ein Revolutionär kann eine Revolution nicht als beendet betrachten, solange nicht objektive Anzeichen jeden Zweifel ausschließen. Nur jämmerliche Impressionisten und nicht Bolschewiki-Leninisten können auf der Basis von Niedergeschlagenheit pessimistische Voraussagen machen.

In unserem Artikel „Die spanische Revolution und die ihr drohenden Gefahren" untersuchten wir die Frage, wie sich die spanische Revolution allgemein entwickeln und was für ein Tempo sie einschlagen würde. Die Russische Revolution gebrauchte acht Monate, um ihren Gipfelpunkt zu erreichen. Aber diese Frist ist für die spanische Revolution keinesfalls zwingend vorgeschrieben. Die Große Französische Revolution gab den Jakobinern erst nach fast vier Jahren die Macht. Einer der Gründe für die langsame Entwicklung der Französischen Revolution ist darin zu suchen, dass die Partei der Jakobiner sich erst im Feuer der Ereignisse herausbildete. Solche Bedingungen existieren auch in Spanien: im Augenblick der republikanischen Revolution befand sich die Kommunistische Partei noch in den Kinderschuhen. Aus diesem Grunde – wie auch aus anderen – würden wir es für möglich halten, dass sich die spanische Revolution langsam über eine Reihe von Etappen, einschließlich der parlamentarischen Etappe entwickelt.

Wir erinnerten damals daran, dass die Revolution Zeiten der Ebbe und Flut kennt. Nebenbei gesagt besteht die Kunst der Führung darin, bei Ebbe keine Offensive anzusagen und im Augenblick der Flut nicht zurückzuweichen. Aus diesem Grunde ist es vor allem notwendig, besondere „konjunkturelle" Schwankungen nicht mit dem Grundrhythmus zu verwechseln.

Nach der Niederlage des Generalstreiks vom Januar war es offensichtlich, dass es sich hierbei um ein teilweises Abebben der Revolution in Spanien handelte. Nur Schwätzer und Abenteurer können die Ebbe nicht zur Kenntnis nehmen. Aber nur Panikmacher und Abtrünnige können von der Liquidierung der Revolution als Folge eines Teilrückzuges sprechen. Revolutionäre verlassen das Schlachtfeld als Letzte. Jeder Revolutionär, der eigenhändig die lebende Revolution begräbt, verdient, erschossen zu werden.

Der teilweise Rückzug und die Windstille der spanischen Revolution gaben der Konterrevolution einen Aufschwung. Nach der Niederlage in einer großen Schlacht fallen die Massen zurück und beruhigen sich. Eine unzureichend gestählte Führung neigt oft dazu, das Ausmaß der Niederlage zu übertreiben. Das alles ist Wasser auf die Mühlen des radikalen Flügels der Konterrevolution. Darin besteht der politische Mechanismus des monarchistischen Putschversuchs von General Sanjurjo. Was aber die Massen wie unter einem Peitschenschlag aufschreckt, ist das Auftauchen des Todfeindes der Bevölkerung in der Arena. In solchen Fällen wird die revolutionäre Führung nicht selten überrumpelt.

Die Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit der die Generalsrevolte niedergeschlagen wurde," schreibt die Prawda, „zeigt, dass die Kräfte der Revolution nicht gebrochen sind. Der revolutionäre Aufschwung hat von den Ereignissen des 10. August einen neuen Stoß erhalten." Das ist völlig richtig. Man könnte auch sagen, dass dies die einzig richtige Stelle in dem ganzen Artikel ist.

Wurde die Spanische Kommunistische Partei von den Ereignissen überrascht? Urteilt man nur nach dem in der Prawda Vorgebrachten, dann müsste man das bejahen. Der Artikel trägt die Überschrift „Die Arbeiter besiegen den General." Offenbar wäre ohne das revolutionäre Eingreifen der Arbeiter gegen den monarchistischen Staatsstreich nicht Sanjurjo, sondern Zamora gezwungen worden, ins Exil zu gehen. Mit anderen Worten: Auf Kosten ihres Heroismus und ihres Blutes halfen die Arbeiter der republikanischen Bourgeoisie, sich an der Macht zu halten. Die Prawda tut so, als ob sie das nicht sieht, und schriebt: „Die Kommunistische Partei kämpfte … auf eine Weise gegen den rechten Staatsstreich, dass sie der gegenwärtigen konterrevolutionären Regierung auch nicht die geringste Unterstützung gab."

Die Absichten der Kommunistischen Partei ist eine Sache; was aber jetzt zählt, sind die Ergebnisse ihrer Bemühungen. Der monarchistische Flügel der besitzenden Klassen versuchte, den republikanischen Flügel zu beseitigen, obwohl die Republikaner sich bemüht hatten, die Monarchisten nicht herauszufordern. Aber das Proletariat kam in das Bild herein. „Die Arbeiter besiegten den General". Die Monarchisten gehen ins Exil, und die republikanische Bourgeoisie bleibt an der Macht. Wie kann angesichts dieser Tatsachen behauptet werden, die Kommunistische Partei habe „der gegenwärtigen konterrevolutionären Regierung auch nicht die geringste Unterstützung gegeben? "

Ergibt sich aus dem Gesagten, die Kommunistische Partei solle nichts mit dem Konflikt zwischen den Monarchisten und der republikanischen Bourgeoisie zu tun haben? Eine derartige Politik wäre reiner Selbstmord, wie sich 1923 durch die Erfahrung der bulgarischen Kommunisten gezeigt hat. Nur wenn die spanischen Arbeiter stark genug wären, selbst die Macht zu ergreifen, hätte ihre Intervention in einen entscheidenden Kampf gegen die Monarchisten nicht momentane Hilfe ihrem Feind, der republikanischen Bourgeoisie gegeben. Im August 1917 waren die Bolschewiki viel stärker als die spanischen Kommunisten im August 1932. Aber selbst die Bolschewiki konnten wahrscheinlich die Macht im Kampf gegen Kornilow nicht allein erringen. Dank dem Sieg der Arbeiter über die Kornilowisten hielt sich Kerenskis Regierung weitere zwei Monate. Erinnern wir uns noch einmal daran, dass Bataillone bolschewistischer Matrosen Kerenskis Winterpalast gegen Kornilow schützten.

Das spanische Proletariat hat sich als stark genug erwiesen, um mit der Generalsrevolte fertig zu werden, aber als zu schwach, um die Macht zu ergreifen. Unter solchen Bedingungen musste der heroische Kampf der Arbeiter – und wenn auch nur zeitweise – die republikanische Regierung stärken. Nur Hirnverbrannte, die Analysen durch Schubladenbezeichnungen ersetzen, sind imstande, so etwas zu leugnen.

Es ist das Unglück der stalinistischen Bürokratie, dass sie weder in Spanien noch in Deutschland die wirklichen im Feindeslager existierenden Widersprüche, d.h. die lebendigen Klassen und ihren Kampf, sieht. Der „Faschist" Primo de Rivera wird durch den „Faschisten" Zamora, der mit „Sozialfaschisten" verbündet ist, ersetzt. Es kann nicht überraschen, dass mit einer solchen Theorie die Stalinisten durch die Intervention der Massen in den Konflikt zwischen den Monarchisten und den Republikanern überrascht wurden. Mit dem richtigen Instinkt warfen sich die Massen in den Kampf und schleppten dabei die Kommunisten mit sich. Nach dem Sieg der Arbeiter über die Generäle begann die Prawda, die Trümmer ihrer Theorie aufzusammeln und die Stücke zusammen zu leimen, als wenn nichts passiert wäre. Das ist die wirkliche Bedeutung der dummen Prahlerei, nach der angeblich die Kommunistische Partei der bürgerlichen Regierung nicht die „geringste Unterstützung" gegeben hätte.

In Wirklichkeit gab die Kommunistische Partei der Regierung nicht nur objektive Unterstützung, sondern verstand auch nicht – wie aus dem Artikel selbst ersichtlich ist – sich von ihr subjektiv zu differenzieren. Darüber heißt es: „Es gelang uns nicht, in allen Zellen oder in allen Provinzorganisationen das wahre Gesicht der Kommunistischen Partei deutlich genug zu zeigen und es den Manövern der Sozialfaschisten und Republikaner entgegenzustellen. Das hätte gezeigt, dass die Partei nicht nur gegen die Monarchisten, sondern auch gegen die .republikanische' Regierung – die für die Monarchisten nur ein Deckmantel ist – kämpft." Man weiß hinreichend, was in stalinistischen Artikeln die Worte „nicht in allen Zellen", „nicht in allen Organisationen" usw. bedeuten. Sie sollen die Gedankenfeigheit verbergen. Als Stalin am 15. Februar 1928 zum ersten Mal gewahr wurde, dass der Kulak keine Erfindung der Linken Opposition war, schrieb er in der Prawda, „in einigen Bezirken, in bestimmten Provinzen …" wäre der Kulak aufgetaucht. Da Fehler nur zugegeben werden können, wenn sie von denen kommen, welche die Direktiven ausführen, können sie offensichtlich nur „in einigen Gebieten" auftreten. Die Partei ist somit nur der Summe ihrer provinziellen Teile gleichzusetzen.

In Wirklichkeit bedeutet das gerade angeführte Zitat, wenn man es seiner bürokratischen Ausflüchte entkleidet: Im Kampf gegen die Monarchisten verstand die Partei nicht, „ihr Gesicht zu wahren". Sie verstand nicht, sich von den „Sozialfaschisten" und Republikanern abzuheben. Mit anderen Worten: Die Partei gab der bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierung nicht nur provisorische militärische Unterstützung, sondern sie verstand es auch nicht, sich selbst auf Kosten der Regierung im Kampfprozess zu stärken.

Die Schwäche der Kommunistischen Partei – das Ergebnis der Politik der Epigonen der Kommunistischen Internationale – erlaubte es dem Proletariat nicht, am 10. August 1932 nach der Macht zu greifen. Gleichzeitig war die Partei gezwungen, am Kampf als linker Flügel der provisorischen allgemeinen Front teilzunehmen – was sie auch tat; auf dem rechten Flügel stand die republikanische Bourgeoisie. Die Führung der Koalition vergaß nicht einen einzigen Augenblick, ihr „Gesicht" zu wahren (sie hielt den Kampf im Zaum und die Massen zurück), und sie ging sofort nach dem Sieg über die Generäle zum Kampf gegen die Kommunisten über. Die spanischen Stalinisten ihrerseits konnten – nach Aussage der russischen Stalinisten – nicht zeigen, dass „die Partei nicht nur gegen die Monarchisten, sondern auch gegen die republikanische' Regierung … kämpft."

Da liegt der Hase im Pfeffer. Am Vorabend der Ereignisse wurden alle Feinde der Partei über einen Kamm geschoren. Auf dem Höhepunkt des Kampfes unterschied sie sich selbst nicht von ihren Feinden und ging zeitweilig in der Front der Republikaner und Sozialdemokraten auf. Nur wer den Ursprung des bürokratischen Zentrismus nicht begriffen hat, kann darüber erstaunt sein. In der Theorie (wenn dies Wort hier erlaubt ist) schützt sie sich gegen opportunistische Abweichungen durch eine generelle Weigerung, irgendwelche politischen und Klassenunterscheidungen zu machen: Hoover, von Papen, Vandervelde, Gandhi, Rakowski – sie sind alle „Konterrevolutionäre", „Faschisten", „Agenten des Imperialismus". Aber jeder plötzliche Wechsel der Ereignisse, jede neue Gefahr, zwingt die Stalinisten in der Praxis, den Kampf gegen einen Feind anzutreten und vor den anderen „Konterrevolutionären" und „Faschisten" auf die Knie zu gehen.

Angesichts der Krieges stimmten die Stalinisten für eine diplomatische, vorsichtige und rückgratlose Resolution in Amsterdam, die vom General von Schoenaich, den französischen Freimaurern und dem indischen Bourgeois Patel, dessen höchstes Ideal Gandhi ist, vorgelegt wurde. Im Deutschen Reichstag erklärten die Kommunisten plötzlich, sie seien bereit, für den „sozialfaschistischen" Präsidenten zu stimmen, um die Wahl eines nationalsozialistischen Präsidenten zu verhindern – womit sie sich völlig auf die Plattform des „kleineren Übels" stellen. In Spanien zeigen sie sich im Augenblick der Gefahr außerstande, sich der republikanischen Bourgeoisie entgegenzustellen. Ist es nicht klar, dass es sich hier nicht um gelegentliche Fehler, nicht um „gewisse" Zellen, sondern um das erbliche Übel des bürokratischen Zentrismus handelt?

Die Intervention der Arbeitermassen in den Konflikt der beiden Lager der Ausbeuter hat der spanischen Revolution einen erheblichen Auftrieb gegeben. Die Azaña-Regierung sah sich gezwungen, die Beschlagnahme der Rittergüter anzuordnen, eine Maßnahme, die ein paar Wochen früher in weiter Ferne lag. Hätte die Kommunistische Partei die Unterschiede zwischen den existierenden Klassen und ihren politischen Organisationen bemerkt, hätte sie ihre Feinde auf der Basis ihrer wirklichen Sünden und Verbrechen kritisiert und bloßgestellt – dann würden die Massen die neue Agrarreform der Azaña-Regierung als Folge der Politik der Kommunistischen Partei angesehen und sich gesagt haben: wir müssen mit noch größerer Energie unter ihrer Führung vorwärtsgehen.

Hätte sich die deutsche Kommunistische Partei vertrauensvoll und entschieden auf die Linie der Einheitsfront begeben, nach der die gesamte Situation schrie, und hätte sie die Sozialdemokraten nicht wegen ihres „Faschismus", sondern wegen ihrer Schwäche, ihres Schwankens und ihrer Feigheit im Kampf gegen Bonapartismus und Faschismus kritisiert, dann würden die Massen einiges durch den gemeinsamen Kampf und die Kritik gelernt und sich entschiedener hinter die Kommunistische Partei gestellt haben.

Angesichts der gegenwärtigen Politik der Kommunistischen Internationale sind die Massen bei jeder neuen Wendung der Ereignisse davon überzeugt, dass nicht nur ihre Klassenfeinde nicht das tun, was die Kommunisten vorhergesagt hatten, sondern dass auch die Kommunistische Partei selbst im entscheidenden Moment alles, was sie gelehrt hatte, preisgibt. Deshalb wächst das Vertrauen zur Kommunistischen Partei nicht. Und deshalb entsteht teilweise die Gefahr, dass die schwache Agrarreform Azañas nur der Bourgeoisie und nicht dem Proletariat Gewinn bringen wird. Unter außergewöhnlichen und günstigen Bedingungen kann die Arbeiterklasse sogar mit einer schlechten Führung siegen. Aber außergewöhnlich günstige Bedingungen sind selten. Das Proletariat muss lernen, unter weniger günstigen Bedingungen zu gewinnen. Außerdem hindert die Führung der stalinistischen Bürokratie – wie die Erfahrung in jedem Lande zeigt und die Ereignisse jedes neuen Monats bestätigen – die Kommunisten daran, günstige Bedingungen auszunutzen: um ihre Reihen zu stärken, aktiv zu manövrieren, zwischen Gruppierungen von Feinden oder Halbfeinden und verbündeten Kräften zu unterscheiden. Mit anderen Worten: die stalinistische Bürokratie ist zum wichtigsten internen Hindernis auf dem Weg zum Sieg der proletarischen Revolution geworden.

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