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Leo Trotzki 19320920 Spanische Kornilowisten und spanische Stalinisten

Leo Trotzki: Spanische Kornilowisten und spanische Stalinisten

[Nach Permanente Revolution, Wochenschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) Sektion der Internationalen Linken Opposition, 2. Jahrgang Nr. 28, 3. Novemberwoche 1932, S. 3]

Die «Prawda» schweigt wie bisher von Deutschland. Dafür brachte sie am 9. September einen Artikel über Spanien. Der Artikel ist im höchsten Grade lehrreich. Auf die spanische Revolution wirft er, es ist richtig, ein schiefes Licht. Aber statt dessen beleuchtet er sehr grell die politischen Konvulsionen der stalinschen Bürokratie. Der Artikel lautet: «Nach der Niederlage des Generalstreiks vom Januar haben die Trotzkisten (weiterhin folgen die rituellen Schimpfereien, L. T.) angefangen, immer wieder zu wiederholen, dass die Revolution zerschlagen, dass eine Periode des Niedergangs eingetreten sei.» Ist das wahr? Wenn es in Spanien solche jämmerlichen Revolutionäre geben sollte, die sich im Januar dieses Jahres anschickten, die Revolution zu begraben, so haben sie mit der Linken Opposition nichts gemeinsam und konnten es nicht haben. Eine revolutionäre Periode für erschöpft ansehen kann ein Revolutionär nur dann, wenn die objektiven Anzeichen für irgend welche Zweifel keinen Raum mehr lassen. Pessimistische Prognosen sich auf Grund der eigenen sinkenden Stimmungen zu machen, vermögen nur traurige Impressionisten, aber nicht Bolschewisten-Leninisten.

In der Broschüre «Die spanische Revolution und die ihr drohenden Gefahren» haben wir die Frage der Entwicklungslinie der spanischen Revolution und ihrer möglichen Tempi untersucht. Die russische Revolution von 1917 erreichte ihren Höhepunkt im Lauf von 8 Monaten. Aber diese Frist ist für die spanische Revolution durchaus nicht bindend. Die große französische Revolution gab den Jakobinern die Macht erst im vierten Jahre. Einen der Gründe der langsamen Entwicklung der französischen Revolution bildete der Umstand, dass die Partei der Jakobiner sich erst im Feuer der Ereignisse formierte. Diese Bedingung ist auch in Spanien vorhanden: im Moment des republikanischen Umsturzes befand sich die kommunistische Partei in den Windeln. Sowohl aus diesem Grund wie aus einer Reihe anderer Erwägungen hielten wir es für wahrscheinlich, dass die spanische Revolution sich langsam, über eine Reihe von Etappen, darunter auch parlamentarischen, entwickeln wird.

Wir erinnerten gleichzeitig daran, dass die Bahn der Revolution aus einzelnen Aufstiegen und Niedergängen besteht. Die Kunst der Führung besteht, unter anderem, darin, nicht während der Zeit des Fallens der Welle zum Angriff zu kommandieren und ihre Erhebung nicht zu verpassen. Dazu darf man, vor allem, die einzelnen Konjunktur-Schwankungen der Revolution nicht mit ihrer Bahn im Ganzen gleichsetzen. Nach der Niederwerfung des Generalstreiks im Januar traf unzweifelhaft in Spanien ein teilweiser Niedergang der Revolution ein. Nur Schwätzer und Abenteurer können die Ebbe ignorieren. Aber nur Feiglinge und Deserteure können anlässlich eines teilweisen Niedergangs von einer Liquidation der Revolution sprechen. Ein Revolutionär verlässt den Kampfplatz als letzter, wer die lebendige Revolution begräbt, verdient selbst die Kugel.

Aus der zeitweiligen Depression und Stockung der spanischen Revolution entsprang der Schlag der Gegenrevolution. Solche dramatischen Umschwünge sind in der Entwicklung jeder Revolution zu beobachten. Nach einer Niederlage in einer der großen Schlachten weichen die Massen zurück und werden still. Eine zu wenig gestählte Führung pflegt geneigt zu sein, die Ausmaße der Niederlage zu überschätzen. Alles zusammen hebt den Mut des äußersten politischen Gegenrevolution Derart ist die politische Mechanik des monarchischen Versuches des Generals Sanjurio. Aber gerade das Auftreten der schlimmsten Feinde des Volkes auf der Arena weckt die Massen wie mit einem Geißelhieb. Nicht selten erweist sich dabei die revolutionäre Führung als völlig überrascht.

«Die Schnelligkeit und Leichtigkeit der Liquidation der Meuterei der Generäle, – schreibt die «Prawda» – zeugt davon, dass die Kräfte der Revolution nicht gebrochen sind. Der revolutionäre Aufschwung erhielt durch die Ereignisse des 10. August einen neuen Anstoß.» Das ist vollständig richtig; man kann sogar sagen, es ist die einzige richtige Stelle in dem ganzen Artikel.

War die offizielle spanische kommunistische Partei von den Ereignissen völlig überrumpelt? Man muss, sich ausschließlich auf das Zeugnis der «Prawda» stützend, mit ja antworten. Der Artikel trägt die Überschrift: «Die Arbeiter besiegen die Generäle». Ohne Zweifel, ohne das revolutionäre Auftreten der Arbeiter gegen den monarchischen Umsturz hätte sich in die Verbannung nicht Sanjurio sondern Zamora begeben müssen. Mit anderen Worten: mit ihrem Heroismus und mit ihrem Blut haben die Arbeiter der republikanischen Bourgeoisie geholfen, die Macht in ihren Händen festzuhalten. Indem sie so tut, als ob sie diese Tatsache nicht sieht, schreibt die «Prawda»: «Die kommunistische Partei ist bestrebt, ihren Kampf … gegen die Umstürze von rechts so zu führen, dass der jetzigen konterrevolutionären Regierung auch nicht der Schein einer Unterstützung erwiesen wird». Wonach die kommunistische Partei strebt, ist eine Frage für sich. Hier ist die Rede vom Ergebnis ihrer Bestrebungen. Der monarchistische Flügel der Besitzenden versuchte den republikanischen Flügel zu stürzen, obwohl (weil) die Republikaner über alles fürchteten, sich mit den Monarchisten zu überwerfen. Aber auf der Szene erscheint das Proletariat. «Die Arbeiter besiegen die Generäle» Die Monarchisten gehen in die Verbannung, die bürgerlichen Republikaner bleiben an der Macht. Wie kann man dann, angesichts solcher Tatsachen behaupten, dass die kommunistische Partei «der jetzigen konterrevolutionären Regierung auch nicht den Schein einer Unterstützung» erwiesen hat?

Geht aus dem Gesagten hervor, dass die kommunistische Partei angesichts des Konflikts zwischen Monarchisten und bürgerlichen Republikanern sich die Hände hätte waschen sollen? Eine derartige Politik wäre Selbstmord; wir haben das an der Erfahrung der bulgarischen Zentristen im Jahre 1923 gesehen. Aber mit ihrem entschiedenen Kampf gegen die Monarchisten hätten die spanischen Arbeiter ihren Feinden, den bürgerlichen Republikanern, eine zeitweilige Unterstützung nur in einem Falle nicht leisten können: wenn sie selbst genügend stark gewesen wären, um die Macht zu ergreifen. Die russischen Bolschewiken waren im August 1917 unvergleichlich stärker als die spanischen Kommunisten im August 1932. Aber auch die Bolschewiken hatten nicht die Möglichkeit, unmittelbar nach dem Kampf gegen Kornilow die Macht zu übernehmen. Dank des Sieges der Arbeiter über die Kornilowisten existierte die Regierung Kerenskis noch zwei Monate. Erinnern wir noch einmal daran, dass Abteilungen von bolschewistischen Matrosen selbst den Winterpalast Kerenskis vor den Kornilowisten schützten. …

Das spanische Proletariat erwies sich als genügend stark, um die Meuterei der Generäle zu unterdrücken, aber als zu schwach, um die Macht zu ergreifen. Unter diesen Bedingungen musste der heroische Kampf der Arbeiter unvermeidlich die republikanische Regierung, wenigstens zeitweilig, stärken. Das zu leugnen sind nur hohlköpfige Subjekte imstande, die die Analyse der Ereignisse durch abgestempelte Phrasen ersetzen.

Das Unglück der spanischen Bürokratie liegt darin, dass sie – in Spanien wie auch in Deutschland – nicht die realen Gegensatze im feindlichen Lager sieht, d. h. nicht die lebendigen Klassen und ihren Kampf sieht. Auf den «Faschisten» Primo de Rivera folgte der «Faschist» Zamora im Bund mit den «Sozialfaschisten». Angesichts einer solchen Theorie ist es kein Wunder wenn der durch den Druck der Massen ausgelöste Konflikt zwischen den Monarchisten und Republikanern die Stalinisten völlig überraschte. Einem richtigen Instinkt gehorchend warfen sich die Massen in der Kampf, die Kommunisten mit sich ziehend. Aber nach dem Sieg der Arbeiter über die Generäle fängt die «Prawda» an, die Scherben ihrer Theorie aufzulesen, um sie aufs Neue zusammenzukitten, als ob nichts geschehen wäre. Denn das ist der Sinn der dummen Prahlerei, als ob die kommunistische Partei auch nicht «den Schein einer Unterstützung» der bürgerlichen Regierung zuließe.

In Wirklichkeit hat die kommunistische Partei der Regierung nicht nur eine objektive Unterstützung erwiesen, sondern, wie aus dem gleichen Artikel der «Prawda» ersichtlich ist, es auch nicht verstanden sich subjektiv von ihr abzugrenzen. Hierüber lesen wir: «Nicht in allen Gliedern der Partei, nicht in allen provinziellen Organisationen ist es gelungen, in genügendem Maße das Gesicht der kommunistischen Partei zu zeigen und, indem man bewiesen hätte, dass die Partei nicht nur gegen die Monarchisten, sondern auch gegen die die Monarchisten beschützende «republikanische» Regierung kämpft, sie den manövrierenden Sozialfaschisten und Republikanern gegenüberzustellen». Aus der ganzen Literatur der Stalinisten ist es genügend bekannt, was in ähnlichen Fällen die Worte «nicht in allen Gliedern», «nicht in allen Organisationen» usw. bedeuten: das ist der gewöhnliche Deckmantel für die Feigheit des Gedankens. Als Stalin am 15. Februar 1928 zum ersten Male eingestand, dass der Kulak keine Erfindung der linken Opposition ist, schrieb er in der «Prawda»: «in einigen Rayons, in einigen Gouvernements... hat sich der Kulak gezeigt». Weil die Fehler nur ausgehen von den ausführenden Organen, so äußern sie sich unvermeidlich «an einigen Stellen». Die Partei wird dabei als die einfache Summe provinzieller Gruppen dargestellt.

In der Tat bedeutet das eben gebrachte Zitat, wenn man es von seiner kanzleilichen Verdrehung befreit: Die kommunistische Partei hat es nicht verstanden, im Kampf mit den Monarchisten «ihr Gesicht zu zeigen», sie hat es nicht verstanden, sich den «Sozialfaschisten» und Republikanern gegenüberzustellen. Mit andren Worten, die Partei hat nicht nur der Regierung der bürgerlichen Republikaner und Sozialdemokraten eine zeitweilige Unterstützung erwiesen, sondern sie verstand es auch nicht, im Verlauf des Kampfes auf deren Kosten zu wachsen.

Die Schwäche der spanischen kommunistischen Partei, als Resultat der ganzen Politik einer Komintern der Epigonen, hat am 10. August 1932 dem Proletariat nicht erlaubt, die Hände nach der Macht auszustrecken. Zugleich war die Partei verpflichtet, teilzunehmen und nahm Teil im Kampfe als linke Flanke der allgemeinen Front, auf deren rechtem Flügel sich die bürgerlichen Republikaner zeigten. Die herrschende Koalition hat nicht eine Minute lang vergessen, ihr «Gesicht» zu zeigen, indem sie den Kampf bremste, den Massen einen Zaum anlegte und unmittelbar vom Sieg über die Kapitalisten zum Kampf gegen die Kommunisten überging. Was die spanischen Stalinisten betrifft, so haben sie, nach dem Zeugnis der russischen Stalinisten, es nicht verstanden zu beweisen, dass «die Partei nicht nur gegen die Monarchisten, sondern auch gegen die «republikanische» Regierung kämpft.»

Hier ist der Kern der Frage. Am Vorabend der Ereignisse hat die Partei alle Feinde und Gegner mit einer und derselben Schwärze angestrichen. Aber im Moment des akuten Kampfes hat sie selbst sich mit der Farbe der Gegner gefärbt, indem sie sich vorübergehend mit der republikanisch-sozialdemokratischen Front vermischte. Nur wer bis jetzt noch nicht das politische Wesen des bürokratischen Zentrismus begriffen hat, ist imstande, sich darüber zu wundern. In der Theorie (wenn es überhaupt erlaubt ist, dieses Wort hier zu gebrauchen) schützt er sich gegen opportunistische Anfechtungen damit, dass er überhaupt auf Klassen- und politische Unterscheidungen verzichtet: Hoover, Papen, Vandervelde, Gandhi, Rakowski – alles das sind »Konterrevolutionäre», «Faschisten», «Agenten des Imperialismus». Aber jeder plötzliche Umschwung der Ereignisse, jede neue Gefahr zwingt die Stalinisten in der Praxis, im Kampf mit den einen Gegnern vor den andren «Konterrevolutionären» und «Faschisten» auf die Knie zu fallen.

Vor der Gefahr eines Krieges stimmen die Stalinisten in Amsterdam für die diplomatische, heuchlerische und treulose Resolution des Generals Schönaich, der französischen Franc-Macon und des indischen Bourgeois Patel, für den Gandhi ein unerreichbares Ideal ist. Im deutschen Reichstag zeigen die Kommunisten urplötzlich die Bereitwilligkeit, für den «sozialfaschistischen» Präsidenten zu stimmen, um den «national»faschistischen Präsidenten fernzuhalten, d. h. sie stellen sich völlig auf den Boden der Theorie des «kleineren Übels» in Spanien erweisen sich die Stalinisten in der Minute der Gefahr als unfähig, sich den bürgerlichen Republikanern gegenüberzustellen. Ist es nicht klar, dass wir es hier nicht mit zufälligen Fehlern zu tun haben, nicht mit einzelnen «Gliedern», sondern mit einem organischen Gebrechen des bürokratischen Zentrismus?

Die Einmischung der Arbeitermassen in den Konflikt der beiden ausbeuterischen Lager gab der spanischen Revolution einen wesentlichen Stoß nach vorwärts. Die Regierung Azaña sah sich gezwungen, die Konfiskation der Ländereien der spanischen Granden zu verkündigen - eine Maßnahme, von welcher sie vor einigen Wochen noch weiter entfernt war, als von der Milchstraße. Wenn die kommunistische Partei die realen Klassen und ihre politischen Gruppierungen unterschieden hätte; wenn sie den wirklichen Verlauf der Entwicklung vorausgesehen hätte; wenn sie die Gegner für ihre wirklichen Sünden und Verbrechen kritisiert hätte, so hätten die Massen in der neuen Agrarreform der Regierung Azaña ein Resultat der Politik der kommunistischen Partei gesehen und hätten sich gesagt: man muss unter ihrer Leitung noch entschiedener vorangehen!

Wenn die deutsche Partei überzeugt und entschieden den Weg der Einheitsfront betreten würde, der ihr durch die ganzen Verhältnisse aufgedrängt wird, und wenn sie die Sozialdemokratie nicht wegen ihres Faschismus, sondern wegen ihrer Schwäche, ihres Schwankens und ihrer Treulosigkeit im Kampf mit dem Bonapartismus und Faschismus kritisieren würde, so würden die Massen lernen, sowohl aus dem gemeinsamen Kampf wie aus der Kritik - und würden entschiedener der kommunistischen Partei folgen.

Bei der jetzigen Politik der Komintern jedoch überzeugen sich die Massen bei jeder neuen Wendung der Dinge, dass nicht nur die Klassenfeinde und Gegner nicht das tun, was die Kommunisten voraussagten, sondern dass auch die Kommunistische Partei selbst im entscheidenden Moment von all dem abrückt, was sie gelehrt hatte. Deshalb befestigt sich das Vertrauen zur Kommunistischen Partei nicht. Und deshalb entsteht insbesondere die Gefahr, dass die halbe Agrarreform der Regierung Azana politisch dem Nutzen der Bourgeoisie und nicht des Proletariats dient.

Unter besonders günstigen, ausnahmsweise glücklichen Bedingungen kann die Arbeiterklasse auch unter einer schlechten Führung siegen. Aber besonders günstige Bedingungen treten selten ein. Das Proletariat muss lernen, auch unter weniger günstigen Bedingungen zu siegen. Die Führung der stalinschen Bürokratie indessen hindert, wie das durch die Erfahrung aller Länder bezeugt und durch die Erfahrung jedes neuen Monats bestätigt wird, den Kommunismus, sogar eine günstige Lage auszunützen, seine Reihen zu stärken und, indem er sich in der Gruppierung der feindlichen, halb feindlichen und verbündeten Kräfte richtig orientiert, aktiv zu manövrieren. Mit anderen Worten, die stalinsche Bürokratie ist zum wichtigsten inneren Hindernis auf dem Weg zum Sieg der proletarischen Revolution geworden.

Prinkipo, 20. September 1932

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