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„Neutralität“ der Gewerkschaften

Die opportunistische Theorie von der „Neutralität“ der Gewerkschaftsbewegung ist in Deutschland entstanden. Sie löste die andere, nicht weniger falsche Theorie von der „Ausnützung“ der Gewerkschaften ab. Am Anfang ihrer Entwicklung sprach ein Teil der deutschen Sozialdemokratie den Gewerkschaften überhaupt jede Bedeutung ab, während der andere Teil der Partei sie nur zum Zwecke ihrer „Ausnützung“ als Arena der Parteiagitation gelten ließ. Mit dem Wachsen der Gewerkschaften und der Erfassung einer immer größeren Zahl der Arbeiter durch sie begannen immer breitere Kreise der Partei die Wichtigkeit der Gewerkschaftsbewegung zu begreifen. Die Partei als Ganzes erkannte die große Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung an. Aber sie hielt dafür, dass die Aufgabe der Gewerkschaften nur im Kampfe für bessere Arbeitsverhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft bestehe. Diesen Kampf können, so sagte man sich, die Gewerkschaften am besten unabhängig von der Partei führen. Jene Arbeiter, die für den Sozialismus kämpfen wollen, sollen in die Partei eintreten. Auf diese Weise wurde die Theorie der „Ausnützung“ der Gewerkschaften durch die Theorie ihrer „Unabhängigkeit“ oder „Neutralität“ abgelöst. Das Schädliche dieser reformistischen Theorie bestand darin, dass sie die Gewerkschaften von der Partei loslöste und auf diese Weise den Gewerkschaften eine ausschließlich reformistische Arbeit zuwies.

Die Resolution des 4. Parteitages der SDAPR vom Jahre 1906 („Vereinigungsparteitag“), der, wie Lenin sagt, die Stellung der Anhänger der Neutralität bestätigte, war eine menschewistische Resolution. Am Schluss der Resolution hieß es: „Der Parteitag erkennt, 1) dass die Partei das Streben der Arbeiter nach gewerkschaftlicher Organisation unterstützen und die Bildung von parteilosen Gewerkschaftsverbänden mit allen Mitteln fördern soll; 2) dass mit Rücksicht darauf, unter Ausnützung aller legalen Möglichkeiten und besonders des Gesetzes über die Gewerkschaften, die legalen Rahmen zu erweitern sind, wobei unabhängig der Kampf für die volle Freiheit der Gewerkschaften zu führen ist; 3) dass alle Mitglieder der Partei in die Gewerkschaften einzutreten, an der gemeinsamen Tätigkeit der Verbände aktiv teilzunehmen und unter ihren Mitgliedern unablässig die Klassensolidarität und das Klassenbewusstsein zu festigen haben, um auf diese Weise die Gewerkschaften im Kampfe in der Organisation organisch mit der Partei zu verbinden“. In dieser menschewistischen Resolution ist unter nebelhaften Phrasen die opportunistische Idee von der Neutralität der Gewerkschaften und die Verneinung der Führung durch die Partei sowie die Ablehnung ihrer Teilnahme am politischen Kampfe für die sozialistischen Aufgaben des Proletariats verborgen. Die Bolschewiki brachten auf dem Parteitag einen Gegenentwurf ein. Darin wurde beantragt, anzuerkennen, dass „die Partei mit allen Mitteln bestrebt sein soll, die an den Gewerkschaften teilnehmenden Arbeiter im Sinne eines breiten Verständnisses für den Klassenkampf und die sozialistischen Aufgaben des Proletariats zu erziehen, um durch diese ihre Tätigkeit wirklich die führende Rolle in den Gewerkschaften zu bekommen und auf diese Weise unter den bekannten Bedingungen die Gewerkschaften direkt an die Partei anzuschließen, ohne natürlich die parteilosen Mitglieder aus den Gewerkschaften heraus zu drängen“. Diesen ihren Standpunkt zu dem Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Gewerkschaft und Partei, der vom 4. Parteitag abgelehnt wurde, setzten die Bolschewiki auf dem 5. Parteitage der SDAPR in einer noch klarer ausgeprägten Form durch. In der Resolution des 5. Parteitages über die Gewerkschaften heißt es: „Unter Bestätigung der Resolution des Vereinigungsparteitages über die Arbeit in den Gewerkschaften erinnert der Parteitag die Parteiorganisationen und die Sozialdemokraten, die in den Gewerkschaften arbeiten, an eine der Hauptaufgaben der sozialdemokratischen Tätigkeit in den Gewerkschaften: an die Anerkennung der ideologischen Führung der Gewerkschaften durch die sozialdemokratische Partei und auch an die Herstellung organisierter Verbindungen mit ihr. Überall wo die örtlichen Verhältnisse dies gestatten, muss diese Aufgabe erfüllt werden.“ [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 141]

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