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Polen unter deutsch-österreichischer Besatzung

Die Lage in Polen und seine Beziehungen zur umliegenden Welt waren während der Brester Verhandlungen äußerst unsicher.

Ende 1915 wurde Polen von den österreichisch-deutschen Truppen besetzt. Obwohl die Annexion Polens schon zu dieser Zeit vorgesehen war, wurde aufgrund der Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Österreich die Form dieser Annexion nicht festgelegt. Vor dem Abschluss eines Waffenstillstandes mit der Entente waren Berlin und Wien nicht in der Lage, sich mit der polnischen Frage zu befassen. Die deutsche Politik, so Czernin, hat verschiedene Varianten durchgemacht. Im Allgemeinen hat er stets zwischen zweien geschwankt: entweder müsse sich Polen an Deutschland angliedern – germano-polnische Lösung – oder aber große Teile seines Gebietes unter dem Titel von Grenzrektifikationen an Deutschland abtreten, der Rest werde uns oder sich selbst überlassen werden. Beide Lösungen waren für uns nicht akzeptabel“ [Ottokar Czernin, Im Weltkriege, Berlin und Wien 1919, S. 279], fährt Czernin fort, der seine eigene, so genannte austro-polnische Lösung des Problems hatte. Die Meinungsverschiedenheiten fanden ihren äußeren Ausdruck in der Tatsache, dass Polen in 2 Besatzungszonen geteilt wurde: das Militärgouvernement Warschau mit deutscher Macht, und Militärgouvernement Lublin, mit österreichischer Macht. Zur gleichen Zeit vertrat, wie Czernin weiter sagt:

Deutschland also stand (…) auf dem Standpunkte, es habe ein überwiegendes Recht auf Polen, und die einfachste Lösung wäre die, dass wir (Österreich-Ungarn, Hg.) das von uns besetzte Gebiet räumen." [a.a.O., S. 278 f.]

Keines der Projekte, die die künftige Ordnung Polens betrafen, stieß auf die Sympathie des anderen. Gleichzeitig versuchte jede Seite, durch vage Versprechungen und gewisse Zugeständnisse führende polnische Kreise und Parteien für es zu gewinnen. In Polen selbst verstärkte sich zu dieser Zeit die von Intellektuellen und Vertretern des Kleinbürgertums geleitete Bewegung für nationale Unabhängigkeit. Unterdessen verschärfte sich die Lage innerhalb der Mittelmächte, der Protest gegen den Krieg wuchs immer mehr. Zur gleichen Zeit verschlimmerte sich auch das Kriegsrecht.

Unter dem Einfluss dieser Umstände erklärten die deutschen und österreichischen Kaiser am 5. November 1916 Polen zum unabhängigen Staat im Rahmen von Kongresspolen.

Die Proklamation versprach, „einen unabhängigen Staat mit einer Erbmonarchie und einer Verfassungsordnung in Übereinstimmung mit den beiden verbündeten Mächten zu bilden". Weder die Grenzen noch die Grundlagen der Staatsstruktur wurden festgelegt. Die Mittelmächte erklärten die Unabhängigkeit Polens und erwarteten: 1) ihre Position in Polen zu festigen, 2) ihr Ansehen in der breiten Masse ihrer Länder zu verbessern und, 3) vor allem die polnische Bevölkerung zur Auffüllung ihrer Armee zu nutzen. Später erklärte Ludendorff, dass er diesem politischen Schritt niemals zugestimmt hätte, wenn er nicht sicher gewesen wäre, mindestens 350.000 Soldaten auf diese Weise bekommen zu können. Diese Hoffnung rechtfertigte sich jedoch nicht. Die kleinbürgerlichen Parteien reagierten auf den Appell der Besatzungsbehörden, zur Anwerbung von Freiwilligen mit der Erklärung, die Armee könne nur von einer polnischen Regierung geschaffen werden, und forderten die Schaffung einer solchen Armee. Als Folge der begonnenen Spannungen waren die Besatzungsmächte gezwungen, der Gründung eines Staatsrates zuzustimmen, der ein Kabinett bildete. Die gewalttätige Politik der Besatzungsmächte zwang dieses Kabinett, das hauptsächlich aus Vertretern des Mittel – und Kleinbürgertums bestand, dazu, sich ihnen entgegenzustellen. Die Februarrevolution verstärkte die oppositionellen Gefühle in Polen noch. Die Besatzungsmächte reagierten mit Gewalt. Die politischen Parteien, die mit der Unentschlossenheit des Staatsrates unzufrieden waren, zogen ihre Vertreter aus dem Staatsrat zurück. Je mehr sich die Gärung in Polen entwickelte, desto dreister wurde die Gewalt der Besatzungsbehörden. Nach der Schließung der polnischen Universität, der Verhaftung des Organisators der polnischen Truppen J. Pilsudski und der Entsendung polnischer Truppen an die russische Front ohne Wissen des Staatsrates trat dieser zurück. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Revolution in Russland stellten sich die Mittelmächte die Aufgabe, Polen zu benutzen, um die Revolution zu bekämpfen und den Großgrundbesitzern Macht zu geben. Im September 1917 wurde der sogenannte Regentschaftsrat gebildet, besteht aus 3 Personen: 2 Großgrundbesitzern und einem Erzbischof. Im November wurde ein neues Kabinett organisiert und ein neuer Staatsrat gebildet. Die Angst vor der russischen Revolution zwang die ehemalige oppositionelle Bourgeoisie, sich um die neue Regierung zu sammeln, die Kurs auf die Vereinigung Polens mit Österreich-Ungarn nahm. An der Spitze der Regierung stand ein bürgerlicher Demokrat, der austrophile Kuharzewski, dem aber die bürgerlichen Parteien nur dann ihre Hilfe versprachen, wenn er die Forderung nach Entfernung der Besatzungstruppen und Schaffung einer polnischen Armee unterstützte.

Auf der anderen Seite begann die Arbeiterklasse Polens unter dem Einfluss der russischen Revolution den Kampf gegen den Krieg und gegen alle möglichen Abmachungen mit dem deutschen Imperialismus. Die Januarbewegung in Deutschland und Österreich fand auch in Polen ein Echo. Das beste Zeugnis von der Stimmung der breiten polnischen Massen war der begeisterte Empfang, der in Warschau dem Genossen Trotzki gegeben wurde, als er dort in der Januarpause zusammen mit den Genossen Karachan und Karelin ankam. [Trotzki, Sotschinenija 17.1]

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