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Januarstreiks 1918

Im Januar 1918 setzten in Österreich und Deutschland Massenstreiks ein aus Anlass der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. Die Streikforderungen waren: allgemeiner demokratischer Frieden, gerechte Verteilung der Lebensmittel u. a. Während dieser Streiks entstanden spontan in Wien, Budapest und auch in Berlin Arbeiterräte. Die Massen stellten rein politische Forderungen wie: allgemeines Wahlrecht, Befreiung der verhafteten Arbeiterführer usw. Die Bewegung wurde von den Regierungen unterdrückt. Besonders niederträchtig benahmen sich dabei die deutschen Sozialdemokraten, die in die Streikausschüsse eintraten, um die Bewegung zu zersetzen. Ebert und Scheidemann erklärten in dem von ihnen nach dem Kriege angestrengten Beleidigungsprozess ganz offen, dass sie in die Streikleitung eingetreten seien, um die Bewegung zu zersetzen. [Band 22]

Die revolutionäre Bewegung in Deutschland und Österreich erreichte wirklich zu dieser Zeit beispiellose Ausmaße. Die Ereignisse entfalteten sich unter dem Motto „Brot und Frieden". Der unmittelbare Anlass für den Aufruhr war die Verschlechterung der Ernährungslage. Die Bevölkerung war am Verhungern: Im Winter 1916-1917 fehlte es in Deutschland an Kartoffeln, die durch Kohlrüben ersetzt wurden, auch Weizen und Mais aus Rumänien konnten nur in sehr unzureichenden Mengen geliefert werden. Noch schlimmer war die Lage in Österreich: Deutschland, das im Vierbund führte, belieferte zunächst sich selbst, außerdem war der gesamte Versorgungsapparat in Österreich nicht gut. Am 16. Januar wurde in Österreich die Mehlration für ein Familienoberhaupt auf 475 Gramm reduziert. Am selben Tag lesen wir in Czernins Tagebuch:

Verzweifelte Hilferufe aus Wien um Nahrungsmittel. Ich möge mich sofort an Berlin um Hilfe wenden, da sonst die Katastrophe vor der Tür stehe." [Ottokar Czernin, Im Weltkriege, Berlin und Wien 1919, S. 323]

Zur gleichen Zeit waren die Arbeiter wegen des Mangels an Informationen über den Verlauf der Friedensverhandlungen besorgt. Am Vorabend (15. Januar) fanden in Wien Massenarbeiterversammlungen statt, bei denen Protestresolutionen über das Fehlen von Berichten über die Friedensverhandlungen verabschiedet und Forderungen gestellt wurden, einen demokratischen Frieden zu schließen und Polen, Litauen und Kurland Garantien der Selbstbestimmung zu gewähren. Am 17. Januar brach in Wien und einigen Provinzstädten ein Streik aus. In Wien streikten das Arsenal, für die Verteidigung arbeitende Betriebe und Privatbetriebe. Das gleiche geschah in Niederösterreich. In Brünn, Krakau und Budapest gab es Demonstrationen, die den sofortigen Abschluss des allgemeiner Friedens forderten. „Schlechte Nachrichten aus Wien und Umgebung“, lesen wir in Czernins Tagebuch vom 17. Januar, „große Streikbewegung, die auf gekürzte Mehlquote und auf den schleppenden Verlauf der Brester Verhandlungen zurückzuführen ist.“ [a.a.O., S. 324 f.]

Die Regierung musste Zugeständnisse machen: Sie versprach, alles daran zu setzen, möglichst bald ein Friedensabkommen zu schließen, die Lebensmittelversorgung auf demokratischer Grundlage neu zu organisieren, das Wahlrecht in den Gemeinden zu demokratisieren, über den Fortschritt der Friedensverhandlungen zu berichten und die Militarisierung der Arbeiterorganisationen abzuschaffen. Die österreichisch-ungarische Sozialdemokratie beeilte sich, mit diesen Versprechen zufrieden zu sein. Adler sagte, die Arbeiter hätten alles erreicht, was unter den geschaffenen Bedingungen erreicht werden könne. Trotz der Zustimmung des Zentralkomitees [= Parteivorstands] der Sozialdemokraten, den Streik zu beenden, ging die Unruhe weiter. Inzwischen fanden die Ereignisse in Österreich ein Echo in Deutschland. Auch hier waren die Hauptgründe für die Unruhen die Nahrungsmittelprobleme und die Verzögerungen bei den Verhandlungen. Die Hauptlosung der Bewegung war die Forderung nach dem sofortigen Abschluss eines demokratischen Friedens.

Der Streik, der in Berlin begann, breitete sich sofort auf die Provinzen aus. Die Krupp-Fabriken, die Danziger Werften, die Hamburger „Vulkan“-Werke, die Rüstungsfabriken in Kiel, die Militärindustrie in Berlin und Umgebung stellten die Arbeit ein. In Berlin, wo bis zu einer halben Million Menschen streikten, wurde ein Arbeiterdeputiertenrat gebildet, der folgende Forderungen stellte: 1) den Abschluss eines allgemeinen demokratischen Friedens; 2) die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für dem preußischen Landtag; 3) die Freilassung von Gefangenen; und 4) die Neuorganisation der Lebensmittelversorgung. Zur gleichen Zeit fanden mehrere große Demonstrationen gegen den Krieg statt. Am 1. Februar wurde in Berlin und einigen anderen wichtigen Zentren der Bewegung das Kriegsrecht erklärt. Bei einer passiven und manchmal feindseligen Haltung der Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegenüber der Bewegung, die sich selbst als „neutral" bezeichneten und sich weigerten, den Streikenden Beihilfen zu gewähren, gelang es der deutschen Regierung, die Bewegung zu überwältigen. Sie wurde unterdrückt, der Rat wurde aufgelöst und vorerst wurde die „Ordnung" wiederhergestellt. [Trotzki, Sotschinenija 17.1]

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