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Politische Zentralstelle für Schifffahrtswesen

Am 15. April 1920 fasste das ZK der Partei einen Beschluss über die Ausdehnung der Maßnahmen, die im Eisenbahnwesen Geltung hatten, auch auf das Schifffahrtswesen. Zwischen dem Zentralkomitee des Verbandes der Schifffahrtsarbeiter und der Politischen Zentralstelle für Schifffahrtswesen wurde ein Abkommen über „Koordinierung der Arbeit" getroffen. Normale Beziehungen kamen jedoch nicht zustande. Bereits am 28. Juni wandte sich das Büro (Vorstand) der Fraktion des Zentralkomitees des Schifffahrtsarbeiterverbandes an das ZK der KPR(B) mit einer Erklärung, worin darauf hingewiesen wurde, dass „die leitenden Funktionäre der Politischen Abteilungen für Schifffahrtswesen das Verhältnis der Kommunistischen Partei zu den Gewerkschaften völlig verkennen". Zur Erhärtung wurde eine Reihe von Fällen bürokratischen Herumzerrens an den Gewerkschaften seitens der Politabteilungen für Schifffahrtswesen angeführt.

Entgegen den Direktiven des IX. Parteitages über die Stärkung der Gewerkschaften hielt es die Politische Zentralstelle des Schifffahrtswesens nicht für notwendig, mit dem Verband der Schifffahrtsarbeiter zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil, sie stellte sich dem Gewerkschaftsverband und damit auch den Arbeitermassen entgegen, verfiel immer wieder ins Kommandieren, ließ die Bedürfnisse der Massen unberücksichtigt und rief häufig durch bürokratische Ausfälle die Empörung der Arbeiter hervor.

Auf der Dezemberberatung des ZK der Transportarbeiter (Zektran), die in den ersten Dezembertagen 1920 stattfand, stellten die Schifffahrtsarbeiter eine Reihe von Forderungen auf. Die Mehrheit der Beratung lehnte es ab, diese Forderungen auch nur zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit wurden gegen die Schifffahrtsarbeiter heftige Beschuldigungen wegen Zünftlerei, wegen „Hamsterer-Stimmungen“ usw. erhoben. Darauf verließ die Gruppe der Schifffahrtsarbeiter nach Verlesung ihrer Deklaration die Beratung, wodurch sie die Partei- und Gewerkschaftsdisziplin verletzte. [...]

Das ZK der KPR(B) ging an die Lösung des entstandenen Konflikts nicht von dem formellen Standpunkt der Verletzung der Disziplin durch die Schifffahrtsarbeiter heran. Die in einer der größten Gewerkschaften eingetretene Spaltung war von großer politischer Tragweite, sie barg in sich politische Gefahren. Von dem Ernst der Lage im Zektran zeugt die Tatsache, dass auf der Beratung ein Teil der Eisenbahnerdelegierten (zuerst 10, dann 32 von den 60 anwesenden gewählten Delegierten) sich im Wesentlichen der Plattform der Schifffahrtsarbeiter anschloss und die Liquidierung der Politischen Abteilungen sowie den Übergang zu den Methoden der gewerkschaftlichen Arbeiterdemokratie forderte.

Das Zentralkomitee schlug nach Untersuchung des Konflikts dem ZK-Plenum am 7. Dezember folgende Entschließung vor:

1. Die Politischen Abteilungen und die Politischen Zentralstellen im Schifffahrtswesen werden aufgelöst; 2. das Zektran reiht sich in die allgemeine Familie der Gewerkschaften ein; 3. die Einberufung des Verbandstages der Eisenbahner und Schifffahrtsarbeiter wird beschleunigt, und zwar wird der Verbandstag für den Februar anberaumt; 4. das Zektran in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung wird aufgelöst; auf der gegenwärtigen Konferenz wird ein neues Zentralkomitee der Transportarbeiter gebildet, das der Stimmung der Konferenzmehrheit entspricht.

Das Plenum des ZK der KPR(B) vom 7. Dezember nahm Stellung zum Bericht der Gewerkschaftskommission über den Konflikt zwischen den Schifffahrtsarbeitern und dem Zektran. Auf diesem Plenum bildete sich eine „Puffer“-Fraktion Bucharin-Preobraschenski-Serebrjakow. Mit 8 gegen 7 Stimmen wurde eine Resolution Bucharins angenommen, in der es in Bezug auf den Konflikt heißt: „1. In dem vereinigten Zektran wird eine Sektion der Schifffahrtsarbeiter gebildet; 2. im Februar wird ein Verbandstag der Eisenbahner und Schifffahrtsarbeiter einberufen, auf dem die normale Wahl eines neuen ZK durchzuführen ist; 3. bis dahin funktioniert das Zektran in seiner bisherigen Zusammensetzung weiter … ; 5. die Politische Zentralstelle für Schifffahrtswesen und die Politische Zentralstelle für Verkehrswesen werden unverzüglich abgeschafft; alle ihre Kräfte und Mittel sind der auf der Grundlage des normalen Demokratismus tätigen Gewerkschaftsorganisation zu übergeben“. [...]

Infolge ihrer Halbheit konnte die Resolution vom 7. Dezember die entstandene Krise nicht lösen. Die Beziehungen zwischen den Schifffahrtsarbeitern und dem Zektran hatten sich nach dem Plenum des ZK der Partei vom 7. Dezember – infolge der Beibehaltung des Zektran in seiner alten Zusammensetzung – nicht gebessert. Am 9. Dezember legten die Vertreter der Schifffahrtsarbeiter im Zektran ihre Mandate nieder, da sie „die Unfähigkeit des Zektran einsehen, die gewaltigen Aufgaben zu lösen, die vor der Gewerkschaftsbewegung der Transportarbeiter stehen“. Das Präsidium des Zektran dagegen hielt die Niederlegung der Mandate für „völlig unbegründet und im Widerspruch zum Beschluss des ZK der KPR(B) stehend“ und nahm den Rücktritt nicht an. [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 9, Anm. 14]

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