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Syndikalismus

Syndikalismus: „Der französische Syndikalismus war in bestimmter Weise eine Reaktion auf die Niederlage der Pariser Kommune, denn er stellt eine Distanzierung vom Kampf für die Diktatur des Proletariats dar. Andererseits war er eine Reaktion auf den Reformismus und den Opportunismus in der Arbeiterbewegung des Westens (…) Die Grundelemente der Theorie des französischen Syndikalismus lassen sich auf folgende Thesen zusammenfassen:

1. Die Zukunftsgesellschaft ist als Resultat der Abschaffung des kapitalistischen Systems und auf Grundlage sich selbst verwaltender Syndikate [Gewerkschaften] aufgebaut; sie wird einen weitaus größeren Raum für die Entwicklung der Produktivkräfte schafften als es im Kapitalismus möglich war.

2. Die Arbeiterklasse kann sich nur durch einen erbitterten Kampf von der kapitalistischen Fesselung befreien. Dieser Kampf wird nicht auf der Grundlage des bestehenden politischen Systems geführt, auf keinen Fall in ihm, nicht mit Hilfe der Ausnutzung seiner Institutionen wie z.B. des Parlamentarismus, sondern außerhalb dieses Systems. Der bestehende bürgerliche Staat soll nicht verändert, sondern zerschlagen werden.

3. Bei den gegenwärtigen Bedingungen des revolutionären Kampfes würden die Methoden des Barrikadenkampfes zu einer blutigen Niederlage führen. Die einzig spezifische Form des proletarischen Kampfes ist der Generalstreik, der der Arbeiterklasse erlaubt, die Machtübernahme des Proletariats zu verwirklichen. (…)

5. Der revolutionäre Syndikalismus, der sich gegen den bürgerlichen Staat stellt und diesen zerschlagen will, wendet sich damit zugleich gegen den Militarismus und Patriotismus. (…)

Ein Teil der Syndikalisten wie Lagardelle hinkte hinter der patriotischen Welle von 1914 her und beeilte sich, der allgemeinen chauvinistischen Psychose der Bourgeoisie zu folgen. Umgekehrt blieb der andere Teil und das ist sehr bedeutsam, seiner antipatriotischen Haltung treu und nahm gegen den Weltkrieg eine ablehnende Stellung ein. Dieser Teil der Syndikalisten verstand den historischen Sinn der Oktoberrevolution in Russland und sympathisierte offen mit den Bolschewiki. (…)

Die Syndikalisten sprechen sich nicht nur gegen den Parlamentarismus aus, sie sind überhaupt gegen den politischen Kampf und auch gegen den Aufbau einer politischen Partei des Proletariats (…)

der Generalstreik ist eine Form des Kampfes, den politischen Kampf gegen den Kapitalismus und gegen den bürgerlichen Staat zu umgehen und den bewaffneten Aufstand durch bedeutend leichtere und weniger riskante Aktionen zu ersetzen. Damit ist der Generalstreik, den die Syndikalisten äußerlich mit revolutionärer Phraseologie umschrieben, ein Rückschritt nicht nur im Vergleich zum revolutionären Marxismus, sondern auch im Vergleich zum französischen Blanquismus und zur Pariser Kommune. (…) Die Generalstreiks, die siegreichen aber auch die misslungenen, sind keineswegs ein Mythos. Sie haben in der Vergangenheit nicht nur einmal stattgefunden und sie werden sich wahrscheinlich auch in Zukunft ereignen. Jedoch ist ein solcher Generalstreik, der den Kapitalismus und den bürgerlichen Staat stürzen könnte, ohne allerdings in einen Aufstand überzugehen, tatsächlich ein Mythos (…) im wahrsten Sinne des Wortes. Solche Streiks gab es nicht und wird es auch nicht geben.“ (E. Preobraschenskij, Die sozialistische Alternative, Berlin 1974, S. 96f., 127, 100, 101, 103. Preobraschenskij war Bolschewist, 1923-29 führendes Mitglied von Trotzkis linker Opposition gegen den Stalinismus, 1937 von Stalin ermordet)


Der Syndikalismus entstand als Reaktion gegen den parlamentarischen Reformismus und die opportunistische Politik der sozialistischen Parteien. Er war hauptsächlich in den romanischen Ländern verbreitet. Die Syndikalisten übten scharfe Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und erklärten, die Befreiung der Arbeiterklasse müsse das Werk der Arbeiter selbst sein, fassten aber dies als einen von der Politik unabhängigen Wirtschaftskampf der Arbeit gegen das Kapital auf. Der Parlamentstaktik der Reformisten stellten sie die Ablehnung der Politik und die sogenannte „direkte Aktion" entgegen. Die Syndikalisten leugneten die Rolle der Partei, indem sie die Partei nur als Mechanismus für Wählerfang betrachteten. Aus diesen Erwägungen heraus waren die Syndikalisten dem Gedanken der proletarischen Diktatur gegenüber feindlich eingestellt, in der Auffassung, die Arbeiter sollten nicht die Eroberung der Staatsmacht, sondern nur die Zerstörung des Staats anstreben. Als einzige Organisation der Arbeiterklasse betrachteten sie die Gewerkschaftsorganisationen (französisch: syndicats), deren alleinige Aufgabe der Wirtschaftskampf sei und die nur auf diesem Wege das Proletariat dem Sozialismus entgegenführten. Straßendemonstrationen, Boykott, Sabotage und endlich Generalstreik – das ist die Taktik der revolutionären Syndikalisten. Der Generalstreik, dessen Ziel die Expropriation aller Produktionsmittel für die Gesellschaft ist, muss, nach Meinung der Syndikalisten, das ausschlaggebende und einzig richtige Mittel des Übergangs zum Sozialismus sein.

Eine Zeitlang (19061909) begann der Syndikalismus auch in Russland einige Verbreitung zu gewinnen. Manche Ökonomisten, so Teplow, Kritschewski, begeisterten sich für ihn; unter den Bolschewiki war es A. W. Lunatscharski, der dem Syndikalismus zuneigte.

Vor dem Kriege 1914 trieben die Syndikalisten antipatriotische und antimilitaristische Propaganda. Die Geschicke des Syndikalismus im Weltkrieg traten im französischen Syndikalismus, der einen starken Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegung besaß, besonders krass zutage. Die französischen Syndikalisten neigten in der Mehrzahl dem Chauvinismus zu (Jouhaux), ein anderer Teil bildete die Zimmerwalder Rechte (A. Merrheim, später Chauvinist und Mitarbeiter von Jouhaux), die dritte Gruppe endlich beteiligte sich aktiv am Komitee zur Wiederherstellung der internationalen Verbindungen und schloss sich dem Zimmerwalder Zentrum an (Monmousseau, Monatte, Rosmer). Die letztgenannten gaben das Organ „La Vie Ouvrière" („Das Arbeiterleben") heraus und waren Organisatoren und Teilnehmer des Komitees der III. Internationale, entstanden im Mai 1919 aus dem oben erwähnten Komitee zur Wiederherstellung der internationalen Verbindungen. In der ersten Periode der Kommunistischen Internationale war diese Gruppe ihr angeschlossen. Doch vermochten die Führer dieser Richtung nicht, ihre syndikalistischen Vorurteile ganz zu überwinden, und wandten sich, mit geringen Ausnahmen, von der KI ab. Die Hauptgruppe der Syndikalisten steht heute an der Spitze der französischen CGT (Confédération Générale du Travail), arbeitet im Kontakt mit der sozialistischen Partei und predigt die Zusammenarbeit der Klassen. [Band 12]

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