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Wendung zu Hegel LW

Die Wendung zu Hegel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war charakteristisch für die Entwicklung der bürgerlichen Philosophie in einer Reihe europäischer Länder und in den USA. In England begann sie mit dem Erscheinen des Buches von James Hutchison Stirling „The Secret of Hegel" (Das Geheimnis Hegels) im Jahre 1865. In der Periode des Hinüberwachsens des vormonopolistischen Kapitalismus in den Imperialismus konnte die empirische Philosophie (Jeremias Bentham, John Stuart Mill, Herbert Spencer) mit ihrem Prinzip des ethischen Individualismus die Interessen der konservativen Kreise der englischen Bourgeoisie bereits nicht mehr befriedigen. Ihre Ideologen interessierten sich für den absoluten Idealismus Hegels, der große Möglichkeiten für die theoretische Begründung der Religion eröffnet hatte. Es bildete sich eine besondere philosophische Richtung heraus, die die Bezeichnung „Anglo-Hegelianismus" erhielt und deren Vertreter (Thomas Green, die Brüder Edward und John Caird, Francis Bradley u. a.) aktiv gegen den Materialismus und die Naturwissenschaft, insbesondere gegen den Darwinismus auftraten. Die „Anglo-Hegelianer" nutzten die reaktionären Seiten der Lehre Hegels aus, insbesondere den Begriff des absoluten Geistes, des Absoluten. Unter dem Einfluss der subjektiv-idealistischen Tradition Berkeleys und Humes lehnten sie den Hegelschen Rationalismus, seine Idee der Entwicklung ab; Elemente der Hegelschen Dialektik wurden nur ausgenutzt, um den Agnostizismus sophistisch zu rechtfertigen. Bradley z. B., der die Argumentation Kants teilweise wiederholte, zog aus dem widersprüchlichen Charakter des menschlichen Denkens die Schlussfolgerung, dass sich das menschliche Denken nur auf dem Gebiet der Erscheinungen bewegt, da das wirkliche Wesen des Seins angeblich nicht widersprüchlich, sondern harmonisch, absolut sei. Auf dem Gebiet der Soziologie versuchten die „Anglo-Hegelianer" zu beweisen, dass es notwendig sei, einen mächtigen, zentralisierten Staat zu schaffen, dem die Interessen der einzelnen Bürger völlig untergeordnet sind.

In den skandinavischen Ländern nahm der Einfluss der Philosophie Hegels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu. Den Versuch, sie in Schweden zu erneuern, machte Johan Jacob Borelius, der den Hegelianismus der herrschenden subjektiv-idealistischen Philosophie (Christopher Jacob Boström, Sigurd Ribbing u. a.) entgegenstellte. In Norwegen wurde die Philosophie Hegels von den rechten Hegelianern Markus Jakob Monrad, Georg Wilhelm Ling u. a. im Sinne des Mystizismus ausgelegt, die sich über den Rationalismus der Hegelschen Philosophie hinwegsetzten und versuchten, die Wissenschaft der Religion unterzuordnen. Von denselben Positionen wurde die Hegelsche Philosophie in Dänemark kritisiert, wo sie schon zu Lebzeiten Hegels verbreitet war.

Die Verbreitung der Hegelschen Philosophie führte nicht zu ihrer Wiedergeburt. Der widersprüchliche Charakter der Philosophie Hegels rief zwei einander entgegengesetzte Richtungen ihrer Kritik hervor: Marx und Engels, zum Teil auch die russischen revolutionären Demokraten, entwickelten die revolutionäre Seite der Hegelschen Philosophie, die Dialektik, weiter; die bürgerlichen Epigonen Hegels entwickelten (vor allem im Sinne des subjektiven Idealismus) verschiedene Seiten seines konservativen philosophischen Systems weiter. Diese zweite Richtung bereitete den Boden für die Entstehung des Neuhegelianismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, einer reaktionären Richtung des bürgerlichen philosophischen Denkens in der Epoche des Imperialismus, einer Richtung, die die Philosophie Hegels der faschistischen Ideologie anzupassen versuchte.

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