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Karl Kautsky 19080328 Nochmals Marx und die Sklaverei

Karl Kautsky: Nochmals Marx und die Sklaverei1

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 26.1907-1908, 2. Band (1907-1908), Heft 27 (28. März 1908), S.26-27]

Schippel protestierte im „Vorwärts" gegen meinen Vorwurf, dass er Marx zum Verfechter der Sklaverei gemacht habe, und versprach, er werde mit „ein paar, aber nicht allzuvielen und nicht allzuhöflichen Worten" in der nächsten Nummer der „Monatshefte" „auf die Sache" zurückkommen.

Das Versprechen der nicht allzuhöflichen Worte hat er ausreichend eingelöst. Weniger das des Zurückkommens „auf die Sache". Mit großer Redseligkeit im Punkte der Unhöflichkeit paart sich auffallende Schweigsamkeit über die entscheidenden Punkte der „Sache".

Es handelt sich darum, dass Schippel behauptete, wir dürften nicht grundsätzlich gegen die Ausbeutung, Expropriierung und Versklavung der Eingeborenen in den Kolonien auftreten. Auch Marx habe mitunter gezögert, sich entschieden gegen die Abschaffung der Sklaverei auszusprechen. So habe er 1847 die Notwendigkeit der Sklaverei für Amerika anerkannt, und Engels habe 1884 erklärt, dass 1847 allerdings die Abschaffung der Sklaverei noch nicht möglich gewesen sei.

Wer sich gegen die Abschaffung der Sklaverei erklärt, ist ein Verfechter der Sklaverei. Aus welchen Gründen also Schippel gegen die Behauptung protestiert, er habe Marx zum Verfechter der Sklaverei gemacht, ist unerfindlich. Tatsächlich wiederholt er in seiner Entgegnung diese seine Darstellung des Marxschen Standpunktes.

Die Marxzitate von 1864 und 1865 gegen die Sklaverei lässt er nicht gelten, denn diese Zitate bewiesen bloß, dass sich die Verhältnisse seit 1847 geändert hätten. Was damals unmöglich gewesen, sei 1864 möglich geworden.

Schippel vergisst dabei, dass die Zitate von 1864 und 1865 nirgends sagen, erst jetzt sei die Zeit gekommen, die Sklaverei zu bekämpfen. Sie sprechen von der Sklaverei im Allgemeinen, so auch die Zitate aus dem „Kapital". Man nennt nicht eine Institution eine Infamie, eine Schande, einen Gräuel, wenn man gegen ihre Abschaffung noch wenige Jahre vorher Bedenken geäußert hat.

Wohl stammen diese Zitate aus den sechziger Jahren, aber ich nahm sie aus dem einfachen Grunde, weil ich Zitate aus früherer Zeit über die Stellung des Proletariats zur Abschaffung der Sklaverei in den Marxschen Schriften nicht fand. Solange andere nicht gefunden werden, können eben nur diese zur Kennzeichnung der Stellung benutzt werden, die Marx in der Frage der Abschaffung der Sklaverei einnahm. Wir haben sie um so unbedenklicher zu benutzen, als sie nicht bloß entschieden und klar sprechen, sondern auch vollkommen zu dem allgemeinen Standpunkt stimmen, den Marx schon 1844 entwickelte, dass das Proletariat sich nicht befreien kann, ohne aller Knechtung und Ausbeutung ein Ende zu machen, dass es daher naturgemäß jeder Knechtung und Ausbeutung entgegenwirken muss.

Kennt Schippel frühere Aussprüche von Marx über die Haltung, die das Proletariat zur Sklaverei einzunehmen hat, dann möge er damit hervorkommen. Das Zitat aber aus dem „Elend der Philosophie", auf das er sich auch jetzt wieder stützt, ist dazu völlig unbrauchbar, denn, ich wiederhole es, darin wird nicht die Frage behandelt, auf die es ankommt. In dem Zusammenhang, in den es steht. wird mit keinem Wort die Frage untersucht, wie das Proletariat sich zur Abschaffung der Sklaverei zu stellen hat, sondern es wird gezeigt, welche Rolle die Sklaverei für die bürgerliche Industrie spielt.

Das habe ich in meiner Kritik ausführlich gezeigt. das war der springende Punkt meiner Ausführungen – gerade darüber aber schweigt sich Schippel vollständig aus. Ich kennzeichne seine Auffassung des Marxschen Zitats als eine Verdrehung – und er bringt jetzt einfach die Verdrehung nochmals vor, ohne nur den leisesten Versuch, mich zu widerlegen oder zu korrigieren. Da brauchte natürlich auch ich nichts weiter zu tun, als die Anklage der Fälschung, die ich gegen ihn erhoben, ohne weitere Begründung als die in meinem ersten Artikel gegebene zu wiederholen.

Da aber Schippel in seiner Replik das Wort von Engels unterstreicht, die Abschaffung der Sklaverei sei 1847 noch nicht möglich gewesen, so sei für etwaige unerfahrene Leser eine kurze Bemerkung angefügt.

Marx und Engels begnügten sich nicht damit, die Institutionen, die sie bekämpften, einfach zu verdonnern. Sie suchten sie zu begreifen, ihre Grundlagen in den gegebenen Verhältnissen zu erkennen, nicht um in ihrer Bekämpfung zu „zögern", sondern um ihre Bekämpfung zweckmäßiger zu gestalten. Denn um dem Feind wirksam entgegentreten zu können, muss ich seine starken Seiten kennen.

Dank diesem Streben, nicht bloß die schwachen, sondern auch die starken Seiten des Gegners zu erforschen, haben sie manchen Satz geschrieben, der jeden stutzig macht, der nur Verurteilungen und Brandmarkungen unserer Gegner in unserer Literatur sucht. Aber jeder Kenner des Marxismus macht sich einer Fälschung schuldig, der solche Stellen als Anerkennung der gegnerischen Position. hinstellt und in diesem Sinne ausnutzt.

So schrieb zum Beispiel Engels 1875 in seiner Schrift „Soziales aus Russland": „Nicht bloß der russische Staat im Allgemeinen, sondern sogar seine spezifische Form, der Zarendespotismus, statt in der Luft zu hängen, ist ein notwendiges und logisches Produkt der russischen Gesellschaftszustände."

Wäre es nicht eine freche Fälschung, wenn jemand diesen Satz dahin auslegte, Engels habe 1875 noch „gezögert", auf die Beseitigung des Zarendespotismus hinzuarbeiten, der für Russland notwendig sei?

Marx nennt einmal die industrielle Reservearmee, also die Arbeitslosigkeit, „eine Lebensbedingung der modernen Industrie", wer aber fände den Mut, zu behaupten, John Burns, diese Parallelerscheinung zu Max Schippel, stehe auf dem Boden des Marxismus, wenn er allen energischen Maßregeln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit widerstrebt?

Marx und Engels waren nicht die Leute, die erst an dem Tage Republikaner werden, an dem die Einführung der Republik möglich ist, erst dann Sozialisten, wenn die Diktatur des Proletariats vor der Türe steht, nur dort Gegner der Sklaverei, wo die bürgerliche Welt selbst schon deren Überwindung möglich macht.

Das mag Isegrims Auffassung sein. Es war nie die von Kämpfern wie Marx und Engels.

Isegrim suchte sie aber auf sein Niveau herunterzuziehen, um sie zur Deckung zu benützen für seinem eigenen Standpunkt, da es ihm doch zu bedenklich schien, ihn ohne solche Deckung einzunehmen, den Standpunkt, wir sollten um der „positiven Arbeit" in der Kolonialpolitik willen auch deren notwendige Konsequenzen schlucken: Expropriierung, Ausbeutung, Zwangsarbeit der Eingeborenen. Kurz, wir sollten unsere, in unserem Programm wie aus unseren Kongressen mehrfach festgesetzten Grundsätze verleugnen, die er obendrein noch als matte Predigerdenkweise verhöhnt.

Der Protest dagegen bildete den Ausgangspunkt meines Artikels. Ich erklärte dort: Schippel tritt unser Parteiprogramm mit Füßen, und um dies saubere Treiben zu beschönigen, fälscht er Marx.

Um die Anklage der Marxfälschung redet er sich mit unhöflichen Worten herum, die dem springenden Punkt aus dem Wege gehen. Die Anklage, sein Standpunkt bilde eine Verletzung unseres Programms, übergeht er mit völligem Stillschweigen nicht aus Raummangel, denn ein volles Drittel seiner Entgegnung gilt einer Auseinandersetzung über das Milizsystem und die zweijährige Dienstzeit in Österreich.

Nun, die Antwort, die er nicht gibt, ist auch eine Antwort.

Ich habe kein Jota meiner Anklage zurückzunehmen.

  1. 1 Vorliegender Artikel war schon für das vorige Heft druckfertig und wurde nur durch ein Versehen zurückgestellt. Die Redaktion

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