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Karl Marx 18590328 Brief an Ferdinand Lassalle

Karl Marx: Brief an Ferdinand Lassalle

in Berlin

[Nach Marx Engels Werke, Band 29, Berlin 1978, S. 586-588]

28 March 59

9, Grafton Terrace, Maitland Park,

Haverstock Hill, London

Lieber Lassalle,

Ad vocem Finanznot: D'abord1 meinen besten Dank für Deine Bereitwilligkeit. Indes hab' ich zunächst einen andern Weg versucht, indem ich an meine Mutter geschrieben, ob sie mir für ein paar Wochen das Geld leihen will. Je verrai.2 Hier in London wäre eine Wechseltransaktion nur durch Gerstenberg zu machen gewesen. Dieser aber, Kinkels Protektor und ein kleinlich aufgeblähter Herr, soll nicht das Pläsier haben, dass ich ihn um selbst eine rein formelle Gefälligkeit angehe.

Ad vocem Duncker: Nächsten Mittwoch (übermorgen) hat der Mann das Manuskript beinahe 9 Wochen. Noch sind mir erst 3 Korrekturbogen zugeschickt worden. Unter uns offen gesagt, scheint mir, dass Dfuncker] bereut, die Sache übernommen zu haben und sie daher in diesem Wetzlarkanzleiverschleppungsstil betreibt. Wenn er so fort macht, kann die Geschichte selbst nicht für Ostern erscheinen. Es erwächst mir daraus noch eine andre Verlegenheit. Ich stehe in Verhandlung mit einem Engländer wegen einer englischen Bearbeitung dieser ersten Hefte. Letztere hängt natürlich ab vom Erscheinen der deutschen Schrift, und da in London alles sehr dampfmäßig betrieben wird, fängt der Engländer an, misstrauisch zu werden. Einem Engländer kannst Du absolut die deutsche Geschäftsmanier nicht klarmachen.

Du wirst sehen, dass die erste Abteilung das Hauptkapitel, nämlich das 3te vom Kapital, noch nicht enthält. Ich hielt dies geraten aus politischen Gründen, denn mit III beginnt die eigentliche Schlacht, und es schien mir ratsam, nicht erschrecken zu machen de prime abord3.

Ad vocem Telegraph: I accept the offer.4 Die Sache ist nicht ganz so einfach, wie Du denkst. Die Nachrichten zu erhalten, ist nichts, aber viel Zeit geht verloren. Ich werde ein office in der Nähe der Börse (wo auch die telegraphischen Kompagnien, die die Sachen spedieren, ihre Büros haben) errichten. Nun muss Dein Vetter mich aber wissen lassen: 1. Auf welchem Weg will er die Depeschen? Es sind 3 Kompagnien, eine über Frankreich, die zweite über Ostend, die 3te über Antwerpen. Ich denke, über Frankreich schickt man nur Sachen, die keine französische Zensur zu fürchten haben. Letzteres ist übrigens die kürzeste Linie. 2. Was will er telegraphiert haben? Verschiedene Blätter verfolgen sehr verschiedene Grundsätze in dem, was sie für wichtig halten. 3. Wie oft will er telegraphiert haben? 4. Brauchen die Leute außer den englischen News5 auch die amerikanischen, kurz außereuropäischen? Alles dies muss er genau angeben, da das Telegraphieren vor allem Entfernung alles Überflüssigen heischt. 5. Schließlich muss ich wissen (wenigstens im Innern von England ist das verschieden bei verschiedenen Zeitungen je nach der Zeit ihres Erscheinens) für welche Stunden die „Presse" am liebsten die Nachrichten hat? Bei außerordentlichen Vorfällen lässt sich natürlich keine Zeit bestimmen, wohl aber für die ordinären Depeschen. Für Börsennachrichten hätte ich durch Freiligrath exzeptionelle Quelle.

Ad vocem „Presse": Ich nehme dies Anerbieten ebenfalls an: Erstens, weil nicht, wie das vorige Mal, mir Bedingungen gestellt sind in Bezug auf die Behandlung besonderer politischer Charaktere. Es ist absolutes Prinzip bei mir, nie auf eine Bedingung mich einzulassen. Auf Takt des Korrespondenten kann andrerseits jede Zeitung Anspruch machen. Zweitens, weil die Zeiten verändert sind und ich es jetzt für wesentlich halte, dass unsre Partei, wo sie kann, Position nimmt, sollte es auch einstweilen nur sein, damit nicht andere sich des Terrains bemächtigen. Einstweilen kann es natürlich nur mit Vorsicht benutzt werden, aber das Wichtigste ist, sich des Einflusses an verschiedenen Punkten für entscheidendere Zeitpunkte zu bemächtigen. Die mir von F, wie Du sagst, zugeschickten „Pressen" habe ich nie erhalten, wahrscheinlich wegen falscher Adresse. Es müssten mir übrigens sofort einige Nummern zugeschickt werden; aus dem Blatt selbst muss man sehen, wie man für das Wiener Publikum zu schreiben hat, nicht was.

Ad vocem Deine Korrespondenz an die „Presse": Ich bin absolut der Meinung, dass Du korrespondieren sollst. Für Dich als Preußen wäre es allerdings „unanständig", in einem österreichischen Blatt jetzt zu schreiben. Prinzipiell aber müssen wir, was Luther vom lieben Gott sagt, „einen Buben mit dem andern schlagen"6, und, wo sich eine Chance öffnet, zur allgemeinen Auflösung, Verwirrung beitragen. Vor den jetzt eingetretenen Wirren würde ich weder selbst an die „Presse" geschrieben, noch Dir dazu geraten haben. Aber der Gärungsprozess hat begonnen, und nun muss jeder tun, was er kann. Gift infiltrieren wo immer, ist nun ratsam. Sollten wir uns darauf beschränken, an Blättern zu schreiben, die unsern Standpunkt im Allgemeinen teilen, so müssten wir alle journalistische Tätigkeit absolut vertagen. Soll man nun der sogenannten „Public Opinion"7 nur Kontre-revolutionäres einpumpen lassen?

Ad vocem „Tribune": Du hast mich sicher missverstanden, wenn Du meinst, ich habe von Dir Rücksicht auf die Abonnenten der „Tribune" verlangt. Die Sache ist die: Mein eigentliches Geschäft an der „Tribune" besteht im Schreiben von Leitartikeln, worüber ich will. England spielt dabei die Hauptrolle, Frankreich in zweiter Linie. Ein guter Teil ist ökonomischen Inhalts. Aber seit dem Umschwung in Preußen habe ich mir das Privatvergnügen gemacht, von Zeit zu Zeit eine „Berliner" Korrespondenz zu schreiben, und der „innere" Zusammenhang mit dem hohenzollernschen Vaterland hat es mit sich gebracht, dass ich mit großer Sicherheit die Verhältnisse beurteilen konnte. Unter diesen Abonnenten der „Tribune" sind viele Deutsche. Ferner schreiben die deutsch-amerikanischen Zeitungen, deren Namen Legion, sie ab. Hier war es also wichtig, den ausnahmsweisen Artikeln, die ich von „Berlin" schrieb, lokale Färbung zu geben, um meine Polemik mit dem preußischen Staat in der Neuen Welt fortzusetzen. Zu solcher Färbung ist etwas Klatsch unerlässlich Zudem besteht die Geschichte Preußens wesentlich jetzt aus chronique scandaleuse. Hinc illae lacrimae.8 Dein letzter Brief hat mir in der Hinsicht guten Dienst getan. -.

Salut.

Dein

K.M.

P. S. Eben erhalte ich Brief von Buchhändler Nutt in der City, dass Dein Paket angekommen. Ich werde es heute noch abholen.

Wie ist es mit Es' Brochure? Ich schickte sie ab 10th of March9. Ich meine, so etwas könnte in 5 Tagen fertig gemacht werden.

1 Zunächst

2 Ich werde sehen.

3 von vornherein

4 Ich nehme das Angebot an.

5 Nachrichten

6 Luther, „Von Kauffshandlung und Wucher".

7 „Öffentlichen Meinung"

8 Klatschgeschichten. Daher jene Tränen. (Terenz: Andria. I.Akt)

9 am 10. März

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