III. 3. Das System der Abarbeit

3. Das System der Abarbeit

Wie bereits festgestellt, sind die Arten der Abarbeit äußerst mannigfaltig. So bieten sich die Bauern bei der sogenannten „Akkordarbeit", beim „Desjatinenverdienst"A, bei der Bearbeitung der sogenannten „Nester"B (d. h. je einer Desjatine Sommergetreide und Wintergetreide) u. dgl. gegen Barzahlung an, das Land des Gutsbesitzers mit ihrem bäuerlichen Inventar zu bestellen. Mitunter borgen die Bauern Geld oder Getreide gegen die Verpflichtung, die ganze Schuld oder den Zins abzuarbeitenC. Bei dieser Form tritt einer der Wesenszüge der Abarbeit überhaupt besonders scharf hervor: die Schuldknechtschaft, der Wuchercharakter. Zuweilen arbeiten die Bauern die ihnen gesetzlich auferlegte Buße für Weideschaden ab, oder sie arbeiten einfach aus „Gefälligkeit" (vgl. Engelhardt, a. a. O., S. 56) unentgeltlich gegen bloße Beköstigung, um nicht anderer „Verdienste" beim Grundbesitzer verlustig zu gehen. Schließlich ist noch die Abarbeit gegen Land sehr verbreitet, sei es in der Form der Halbpacht, sei es in der Form direkter Arbeitsleistung für die dem Bauern verpachteten Äcker, Nutzland u. dgl.

Die mannigfaltigen Formen, die die Pachtleistungen annehmen, bestehen dabei häufig nebeneinander, so dass z. B. Barzahlung, Zahlung in Produkten und Abarbeit in einer Reihe figurieren. Beispielsweise sind zu leisten: für jede Desjatine Pachtland 1½ Desjatine bestellen + 10 Eier + 1 Huhn + ein Frauenarbeitstag; oder für 43 Desjatinen Sommersaat je 12 Rubel und für 51 Desjatinen Wintersaat je 16 Rubel bar + eine bestimmte Menge Hafer, 7 Kopna (je 52–60 Garben) Buchweizen und 20 Kopna Roggen ausdreschen + mindestens 5 Desjatinen Pachtland mit je 300 Fuhren Dung aus eigener Viehhaltung düngen. (Karyschew, Die bäuerliche Pacht usw., S. 348). Hier geht sogar der Dünger der Bauernwirtschaft in die Wirtschaft des Grundeigentümers ein! Auf die Verbreitung und die mannigfaltigen Formen der Abarbeit weisen auch ihre zahlreichen Bezeichnungen hin: Otrabotki, Otbutschi, Otbutki, Barschtschina, Bassarinka, Possobka, Panschtschina, Postupok, Wyjemka usw. (ebenda S. 342). Mitunter verpflichtet sich der Bauer zur Arbeit „nach Bestimmung des Grundbesitzers" (ebenda S. 346), oder er verpflichtet sich ganz allgemein, ihm „Folge zu leisten", ihm „Beistand zu leisten". Die Abarbeit

umfasst den ganzen Arbeitszyklus in der Dorfwirtschaft. Mittels der Abarbeit werden alle landwirtschaftlichen Operationen bei der Bestellung der Felder und bei der Getreide- und Heuernte ausgeführt, Holzvorräte eingebracht Frachten befördert" (S. 347), „Dächer und Rauchfänge hergerichtet" (S 35l' 348); die Bauern verpflichten sich Hühner und Eier zu liefern (ebenda).

Der Statistiker des Kreises Gdow (Gouvernement Petersburg) sagt mit Recht, dass die bestehenden Formen der Abarbeit „den Charakter des einstigen Frondienstes" tragen (S. 349).D

Von besonderem Interesse ist die Abarbeit gegen Land – die sogenannte Arbeits- oder Naturalpacht.E Das vorige Kapitel hat uns das Eindringen kapitalistischer Verhältnisse in die bäuerliche Pacht gezeigt; hier sehen wir eine „Pacht", die ein direktes Fortleben der Fronwirtschaft darstelltF und bisweilen unmerklich in das kapitalistische System der Versorgung der Güter mit Landarbeitern durch Überlassung von Landfetzen hinüber gleitet. Die Semstwostatistik zeigt ganz offensichtlich eine solche Verbindung der „Pacht" dieser Art mit der eigenen Wirtschaftsführung des Verpächters.

Mit der Entwicklung der eigenen Wirtschaftsführung der privaten Grundeigentümer entsteht das Bedürfnis, sich die Verfügbarkeit der Arbeitskräfte zum Zeitpunkt des Bedarfs zu sichern1. Daher entwickelt sich bei ihnen in vielen Gegenden die Tendenz, den Bauern Land gegen Abarbeit oder … gegen Produktenanteil mit Abarbeit zu verpachten …" Dieses Wirtschaftssystem..…besitzt keine geringe Verbreitung. Je häufiger sich bei den Verpächtern eigene Wirtschaft vorfindet, je geringer das Angebot von Pachtland und je stärker die Nachfrage nach ihm ist, desto stärker entwickelt sich diese Art der Bodenpacht" (ebenda, S. 266, vgl. auch 367).

Es entsteht damit vor uns das Bild einer ganz neuartigen Pacht, die nicht den Verzicht des Grundeigentümers auf eigene Wirtschaftsführung, sondern gerade die Entwicklung der privatwirtschaftlichen Bodenbestellung ausdrückt, die nicht eine Stärkung der Bauernwirtschaft durch erweiterten Grundbesitz, sondern die Umwandlung des Bauern in einen Landarbeiter bedeutet. Das vorige Kapitel hat uns die zwiespältige Bedeutung der Pacht innerhalb der Bauernwirtschaft aufgezeigt: für die einen ist sie eine gewinnbringende Erweiterung des Betriebes, für die anderen ein Akt der Not. Jetzt sehen wir diese zwiespältige Bedeutung der Bodenverpachtung auch für den Gutsbesitzer: entweder bedeutet die Bodenverpachtung die Übergabe der Wirtschaft an eine andere Person gegen Rentenzahlung, oder sie ist eine eigentümliche Art der eigenen Wirtschaftsführung, der Versorgung des Gutes mit Arbeitskräften.

Gehen wir zur Frage des Arbeitsentgelts bei Abarbeit über. Die verschiedenen Quellen stimmen darin überein, dass der Arbeitslohn bei Abarbeit oder Schuldabtragung stets niedriger ist als bei der „freien" kapitalistischen Lohnarbeit. Erstens ist nämlich die Naturalpacht, d. h. Abarbeit und Halbpacht (die, wie wir eben gesehen, nur eine Form der Arbeiterdingung darstellen) in der Regel allenthalben teurer als die Geldpacht (ebenda S. 350), mitunter sogar doppelt so teuer (S. 356, Kreis Rschew, Gouvernement Twer). Zweitens findet sich die Naturalpacht am häufigsten unter den ärmsten Bauern (S. 261 ff.). Wir haben hier eine Pacht aus Not, eine „Pacht" des Bauern, der schon nicht mehr die Kraft hat, sich seiner Umwandlung in einen landwirtschaftlichen Lohnarbeiter zu widersetzen, die auf diese Weise erfolgt. Die wohlhabenden Bauern dagegen bemühen sich um Geldpachten.

Der Pächter benutzt jede sich bietende Möglichkeit, um die Pachtsumme in Geld abzutragen und damit die Nutzung fremden Grund und Bodens billiger zu gestalten" (ebenda, S. 265);

und wir ergänzen: nicht nur um die Pachtkosten zu verbilligen, sondern auch um der Schuldknechtschaft zu entgehen. Es ist bezeichnend, dass im Kreise Rostow am Don mit der steigenden Höhe der Pachtpreise sich der Übergang von der Geldpacht zum Teilbau (Skopschtschina) vollzieht, und zwar trotz der Verringerung des Anteils des Bauern an der Skopschtschina (S. 266). Wir haben hier eine Illustration dafür, wie die Naturalpacht den Bauern völlig ruiniert und in einen Landarbeiter verwandelt.G Drittens brauchen wir nur die Zahlungen für die Abarbeit und Lohnarbeit direkt zu vergleichen, um die höhere Entlohnung der „freien" kapitalistischen Lohnarbeit zu erkennen. In der schon angeführten, vom Landwirtschaftsdepartement herausgegebenen Schrift „Freie Lohnarbeit usw." wird als Durchschnittszahlung für die vollständige Bearbeitung einer Desjatine Wintersaat mit dem Inventar des Bauern der Betrag von 6 Rubel errechnet (mittleres Schwarzerdegebiet, 1883–1891). Bei freier Lohnarbeit ergeben sich 6,19 Rubel für die bloße Arbeit ohne Pferd (die Kosten der Pferdearbeitsleistung sind mit mindestens 4,50 Rubel anzusetzen, a. a. O., S. 45). Der Verfasser betrachtet diese Erscheinung mit vollem Recht als „ganz unnormal" (ebenda). Wir bemerken nur, dass die höhere Entlohnung der rein kapitalistischen Lohnarbeit im Vergleich mit den vorkapitalistischen Arbeitsverhältnissen nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Industrie, nicht nur in Russland, sondern auch in den übrigen Ländern festgestellt ist. Wir lassen hierzu genauere Ziffern der Semstwostatistik folgen („Sammlung stat. Daten für den Kreis Saratow", Bd. I, Abschnitt III, S. 18 u. 19. Zitiert nach Karyschew „Die bäuerliche Pacht", S. 3522):

Arbeitsarten

Durchschnittsentgelt für die Bearbeitung einer Desjatine in Rubel

Bei Winter­kon­trakt unter Vor­aussetzung von 80-100% des Arbeitsentgelts

bei Abarbeit für Pachtland

bei freier Lohnarbeit nach Aussagen

nach schriftlich fixierten Bedingungen

nach Aussagen der Pächter

der Herren

der Arbeiter

Volle Bestellung und Einerntung einschl. Einfahren und Dreschen..…

9,6

9,4

20,5

17,5

Dasselbe ohne Dreschen (Sommergetreide)

6,6

6,4

15,3

13,5

Dasselbe ohne Dreschen (Wintergetreide)

7,0

_

7,5

15,2

14,3

Bestellung.……

2,8

2,8

4,3

3,7

Ernte (Mähen u. Einfahren)

3,6

3,7

3,8

10,1

8,5

Ernte (ohne Einfahren)

3,2

2,6

3,3

8,0

8,1

Heuernte (ohne Einfahren)

2,1

2,0

1,8

3,5

4,0

Bei der Abarbeit beträgt also das Arbeitsentgelt (ebenso wie bei der Schuldknechtschaft, verbunden mit Wucher) gewöhnlich nicht einmal die Hälfte der kapitalistischen Arbeitslöhne.H Da nur der am Ort ansässige und dazu noch unbedingt „Anteilland besitzende" Bauer Abarbeit übernehmen kann, so beweist die Tatsache des außerordentlich niedrigen Entgelts für die Abarbeit, dass der Landanteil auch heute noch unter diesen Verhältnissen einen Naturalarbeitslohn darstellt. Der Landanteil dient heute in ähnlichen Fällen nach wie vor als Mittel, „den Grundherrn mit billigen Arbeitskräften zu versorgen". Doch sind die Unterschiede zwischen der freien und der „halbfreien"I Arbeit mit der Lohnverschiedenheit keineswegs erschöpft. Größte Tragweite besitzt noch die bei der halbfreien Arbeit bestehende persönliche Abhängigkeit des Arbeiters vom Herrn, der in größerem oder geringem Umfange bestehende „außerökonomische Zwang''. Engelhardt sagt sehr treffend, dass die starke Verbreitung der Gelddarlehen gegen Abarbeit auf die große Sicherheit dieser Schulden zurückzuführen ist; durch Vollstreckungsbefehl Schulden vom Bauern einzutreiben, ist schwer;

ist der Bauer jedoch eine Arbeitsverpflichtung eingegangen, so wird deren Leistung von den Behörden erzwungen, auch wenn des Bauern eigenes Getreide noch ungeerntet auf den Feldern steht" (a. a. O., S. 216)3. „Nur viele Jahre der Knechtschaft und Leibeigenschaft konnten die" (nur scheinbare) „Gleichgültigkeit erzeugen, mit der der Bauer sein eigenes Getreide im Regen verfaulen lässt, um fremde Garben unter Dach und Fach zu bringen" (ebenda, S. 429).

Ohne Fesselung an den Wohnort, an die „Gemeinde", ohne eine gewisse bürgerliche Rechtsbeschränktheit der Bauern wäre die Abarbeit als System unmöglich. Selbstverständliche Folge des beschriebenen Systems ist niedrige Arbeitsproduktivität; eine auf Abarbeit beruhende Wirtschaft muss unvermeidlich die veralteten Methoden beibehalten; die Arbeit des geknechteten Bauern wird sich ihrer Qualität nach von der Arbeit des Leibeigenen niemals wesentlich unterscheiden.

Die Verbindung der Abarbeit mit dem kapitalistischen System in der heutigen Organisation der Gutswirtschaft erinnert sehr an die ökonomische Struktur, die in unserer Textilindustrie vor dem Aufkommen der maschinellen Großindustrie vorherrschte. In der Textilindustrie ließ der Kaufmann einzelne Teilarbeiten mit seinen eigenen Gerätschaften von Lohnarbeitern ausführen (Aufscheren des Garns, Färben und Appretieren der Gewebe usw.), andere Arbeiten übertrug er bäuerlichen Kleinproduzenten (Kustari), die auf ihren Maschinen das Material des Kaufmanns bearbeiteten; in der Gutswirtschaft wird ein Teil der Arbeiten mit dem Inventar des Gutsbesitzers von Lohnarbeitern, ein anderer von Bauern ausgeführt, die mit ihrem Inventar auf fremdem Boden Arbeit leisten. Dort verband sich mit dem industriellen kaufmännisches Kapital, und auf dem Kustar lastete außer dem Kapital Verschuldung, Zwischenmeisterei, Trucksystem usw.; hier verbindet sich mit dem produktiven Kapital gleichfalls Handels- und Wucherkapital unter mannigfachen Formen des Lohndrucks und verstärkter persönlicher Abhängigkeit des Produzenten. Dort bestand das Übergangssystem mit seiner primitiven handwerksmäßigen Technik jahrhundertelang, um dann in etwa drei Jahrzehnten durch die maschinelle Großindustrie beseitigt zu werden. Hier ist die Abarbeit fast ebenso alt wie Russland selbst (die Grundherren knechteten den gemeinen Mann schon zur Zeit der „Russkaja Prawda"4) und schleppt eine veraltete Technik durch die Jahrhunderte fort, um erst nach der Reform dem Kapitalismus schnell zu weichen. Hier wie dort bedeutet das alte System Stillstand der Produktionsweise (und damit auch aller gesellschaftlichen Verhältnisse) und Herrschaft der Barbarei. Hier wie dort bedeuten die neuen kapitalistischen Wirtschaftsformen trotz aller Widersprüche, die ihnen anhaften, einen großen Fortschritt.

A „Sammlung stat. Daten f. d. Gouv. Rjasan."

B Engelhardt, a. a. O.

C „Sammlung stat. Daten f. d. Gouv. Moskau", Bd. V, Lief. 1, Moskau 1879, S. 186–189. Wir bringen die Quellenangaben nur beispielshalber. Die Literatur über die Bauernwirtschaft und das private Grundeigentum bietet eine Unmenge ähnlicher Hinweise.

D Bemerkenswert ist, dass die ganze Formenvielheit der russischen Abarbeit der verschiedenartigen Pachtleistungen usw. vollinhaltlich in den Grundformen der kapitalistischen Landwirtschaft enthalten ist, die Marx im 47. Kapitel des III. Bandes des „Kapital“ aufgestellt hat. Wie schon im vorigen Kapitel festgestellt, handelt es sich hierbei um drei Grundformen: 1. die Arbeitsrente; 2 die Produkten- oder Naturalrente; 3. die Geldrente. Es ist deshalb zu verstehen, dass Marx gerade die russischen Tatsachen für seine Darlegungen über die Grundrente heranziehen wollte.

E Nach den „Ergebnissen der Semstwostatistik" (Bd. II) erstreckt sich die Geldpacht der Bauern auf 76% des gesamten von ihnen gepachteten Landes, die Pacht gegen Abarbeit auf 3–7%, die Pacht gegen Produktenanteil auf 1317% und schließlich die Pacht mit gemischter Pachtleistung auf 2–3%. {Siehe Karyschew, Nikolai, „Die bäuerliche Pacht von Nicht-Anteilland", Dorpat 1892, S. 257.}

F Siehe die früher in Anm. S. 154 angeführten Beispiele. Unter der Fronwirtschaft gab der Gutsherr den Bauern Land, um die Arbeitskraft des Bauern zu gewinnen. Bei der Verpachtung von Land gegen Abarbeit handelt es sich offenbar um denselben wirtschaftlichen Zweck.

1 Von Lenin gesperrt. – S. 159.

G Die neuesten Ziffern über die Pacht (bei Karyschew „Einfluss der Ernten usw.", Bd. I) bestätigen vollkommen, dass nur die Not den Bauer zu Halbpacht oder Abarbeit zwingt und dass die vermögenden Bauern der Geldpacht den Vorzug geben (S. 317–330), da die Naturalpacht den Bauer stets und ständig unvergleichlich teurer zu stehen kommt als die Geldpacht (S 342–346) Aber alle diese Tatsachen haben Karyschew nicht an der Behauptung hindern können, dass „der unbemittelte Bauer die Möglichkeit gewinnt seinen Bedarf an Lebensmitteln mittels seiner erweiterten Aussaat auf fremdem Boden m Form der Halbpacht besser zu befriedigen" (S. 321) Welche wirren Vorstellungen entstehen doch aus der Voreingenommenheit für die ..Naturalwirtschaft"! Bewiesen ist, dass die Naturalpacht teurer ist als die Geldpacht, dass sie eine Art landwirtschaftliches Trucksystem ist, dass sie den Bauer völlig ruiniert und in einen Landarbeiter verwandelt – und dann redet unser Nationalökonom von einer Verbesserung der Ernährung! Man denke nur, die Halbpacht „soll dem notleidenden Teil der Landbevölkerung helfen", Boden in Pacht zu nehmen (S. 320). „Hilfe" nennt der Herr Nationalökonom eine Bodenpacht zu den ungünstigsten Bedingungen, die den Bauer in einen Landarbeiter verwandeln! Da fragt sich doch, wo eigentlich der Unterschied zwischen den russischen Narodniki und den russischen Agrariern liegt, die heute wie einst bereit sind, dem „notleidenden Teil der Landbevölkerung" eine solche „Hilfe" zu gewähren. Ein interessantes Beispiel in diesem Zusammenhang. Im Kreis Chotin in Bessarabien beträgt der mittlere Tagesverdienst des Halbpächters 60 Kopeken, des Tagelöhners im Sommer 35 bis 30 Kopeken. „Der Verdienst des Halbpächters ist also doch höher als der des Landarbeiters" (S. 344). Dieses „doch" ist sehr charakteristisch. Nun hat doch aber der Halbpächter im Gegensatz zum Landarbeiter noch Ausgaben für die Wirtschaftsführung? Muss er nicht Pferd und Geschirr halten? Warum sind diese Ausgaben nicht berücksichtigt? Wenn der Sommertaglohn in Bessarabien sich auf 40–77 Kopeken stellt (1883–1887 und 1888–1892), so beträgt der Durchschnittslohn für den Arbeit mit Gespann 124–180 Kopeken (1883–1887 und 1888–1892). Folgt nicht eher, dass der Landarbeiter „doch" mehr als der „Halbpächter" erhält? Der durchschnittliche Tagelohn eines Arbeiters ohne Pferd (im Jahresdurchschnitt belief sich 1882–1891 in Bessarabien auf 67 Kopeken (ebenda, S. 178).

2 Die Urquelle ist hier laut Buch Karyschews angegeben, weshalb sich eine Ungenauigkeit eingeschlichen hat: die entsprechende Tabelle befindet sich in der „Sammlung statistischer Daten für das Gouvernement Saratow", Bd. I, Kreis Saratow, Saratow 1883, Abschnitt II (und nicht III), S. 17 u. 18 (und nicht 18 u. 19).

H Wie soll man nach alledem die Kritik des Kapitalismus, die so ein Narodnik wie Fürst Wassiltschikow gibt, nicht als reaktionär bezeichnen? Schon in dem Worte „freie Lohnarbeit" – ruft er pathetisch aus – liegt ein Widerspruch, denn Lohnarbeit setzt Unselbständigkeit voraus, und Unselbständigkeit schließt „freien Willen" aus. Dass aber der Kapitalismus die freie Unselbständigkeit an die Stelle der unfreien Unselbständigkeit setzt, das vergisst der sich als Narodnik gebärende Gutsbesitzer selbstverständlich.

I Ausdruck von Karyschew (a. a. O.). Wie schade, dass er nicht auch den Schluss gezogen hat: die Halbpacht „hilft" dem Fortbestehen der „halbfreien' Arbeit.

3 Von Lenin gesperrt.

4 „Russkaja Prawda" – das erste russische Gesetzbuch aus dem Jahre 1019, das das älteste russische Gewohnheitsrecht zusammenfasste.

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