3. Reichtum und Elend, Eigentümer und Arbeiter auf dem Lande

3. Reichtum und Elend, Eigentümer und Arbeiter auf dem Lande

Wir wissen jetzt, was die Sozialdemokraten wollen. Sie wollen gegen die ganze reiche Klasse für die Befreiung des Volkes vom Elend kämpfen. Auf dem Lande aber ist bei uns das Elend nicht geringer, sondern vielleicht sogar noch größer als in den Städten. Wie groß das Elend auf dem Lande ist, davon wollen wir hier nicht sprechen: jeder Arbeiter, der auf dem Lande gewesen ist, und jeder Bauer weiß gut Bescheid über Not, Hunger, Kälte, Verelendung auf dem Lande.

Der Bauer weiß aber nicht, warum er Not und Hunger leidet, warum er zugrunde gerichtet wird, und wie er sich aus dieser Not befreien kann. Um das zu wissen, muss man vor allem begreifen, wo jede Not und jedes Elend in Stadt und Land ihren Ursprung haben. Wir haben schon kurz davon gesprochen und gesehen, dass die besitzlosen Bauern und die Landarbeiter sich mit den städtischen Arbeitern vereinigen müssen. Aber das genügt nicht. Man muss weiter wissen, wer auf dem Lande für die Reichen, die Eigentümer, und wer für die Arbeiter, die Sozialdemokraten eintreten wird. Man muss wissen, ob es viele Bauern gibt, die es nicht schlechter als die Gutsbesitzer verstehen, Kapital zu erwerben und von fremder Arbeit zu leben. Wenn man sich darin nicht gut auskennt, so wird kein Gerede über das Elend zu etwas führen, die Dorfarmut wird nicht begreifen, wer auf dem Lande sich miteinander und mit den Arbeitern der Städte vereinigen soll und was zu machen ist, damit das ein sicheres Bündnis wird, damit der Bauer, außer von dem Gutsbesitzer, nicht auch noch von seinem eigenen Bruder – dem reichen Bauern – betrogen wird.

Um uns darin zurechtzufinden, wollen wir jetzt sehen, wie groß auf dem Lande die Macht der Gutsbesitzer und wie groß die Macht der reichen Bauern ist.

Beginnen wir mit den Gutsbesitzern. Über ihre Macht kann man vor allem nach der Menge des Bodens urteilen, der sich in ihrem Privatbesitz befindet. Im Europäischen Russland betragen die Landanteile der Bauern und die Privatländereien insgesamt gegen 240 Millionen Desjatinen* (die staatlichen Ländereien, von denen wir besonders sprechen wollen, sind nicht mit inbegriffen). Von diesen 240 Millionen Desjatinen befinden sich in Händen der Bauern, d. h. im Besitz von über zehn Millionen Höfen 131 Millionen Desjatinen. In den Händen der Privateigentümer dagegen, d. h. in den Händen von weniger als einer halben Million Familien, befinden sich 109 Millionen Desjatinen. Wenn man also sogar durchschnittlich rechnen wollte, so kämen auf eine Bauernfamilie 13 Desjatinen, auf eine Privateigentümerfamilie dagegen 218 Desjatinen! Aber die Ungleichheit in der Verteilung des Bodens ist noch viel größer, wie wir gleich sehen werden.

Von den 109 Millionen Desjatinen Land der Privateigentümer sind sieben Millionen Apanageländereien, d. h., sie sind Privateigentum der Zarenfamilie. Der Zar und seine Familie ist der erste unter den Gutsbesitzern, er ist der größte Gutsbesitzer Russlands. Eine Familie hat mehr Land als eine halbe Million Bauernfamilien! Ferner besitzen die Kirchen und Klöster gegen sechs Millionen Desjatinen Land. Unsere Pfaffen predigen den Bauern Uneigennützigkeit und Enthaltsamkeit, aber sie selber haben mit rechten und unrechten Mitteln eine ungeheure Menge an Boden für sich zusammengerafft.

Weiter gehören gegen zwei Millionen Desjatinen Land den Städten und Vorstädten und ebenso viel den verschiedenen Handels- und Industriegesellschaften. 92 Millionen Desjatinen Land (die genaue Zahl beträgt 91.605.845, aber wir wollen der Einfachheit halber runde Zahlen nehmen) gehören weniger als einer halben Million (481.358) Privateigentümerfamilien. Die Hälfte dieser Familien besteht aus ganz kleinen Eigentümern; jeder von ihnen besitzt weniger als zehn Desjatinen Land. Und sie alle zusammen besitzen weniger als eine Million Desjatinen. Sechzehntausend Familien aber besitzen je über tausend Desjatinen Land; zusammen besitzen sie fünfundsechzig Millionen Desjatinen. Welche unermesslichen Mengen an Grund und Boden in den Händen der Großgrundbesitzer angehäuft sind, das geht noch daraus hervor, dass von etwas weniger als tausend Familien (924) jede über zehntausend Desjatinen Land besitzt, und sie alle zusammen über siebenundzwanzig Millionen Desjatinen verfügen! Eintausend Familien besitzen ebenso viel wie zwei Millionen Bauernfamilien.

Es ist klar, dass Millionen und aber Millionen des Volkes Not leiden und hungern müssen und dass sie immer Not leiden und hungern werden, solange ein paar tausend Reicher so unermessliche Mengen an Boden in Händen haben werden. Es ist klar, dass auch die Staatsgewalt, die Regierung selber (auch die Zarenregierung) bis dahin nach der Pfeife dieser Großgrundbesitzer tanzen wird. Es ist klar, dass die Dorfarmut von niemand und von nirgends Hilfe zu erwarten hat, wenn sie sich selber nicht vereinigt, sich nicht zu einer Klasse zusammenschließt zum zähen, verzweifelten Kampf gegen diese Gutsbesitzerklasse.

Hier muss bemerkt werden, dass bei uns sehr viele Leute (und sogar viele gebildete Leute) eine ganz falsche Meinung von der Kraft der Gutsbesitzerklasse haben, wenn sie sagen, dass der „Staat" noch sehr viel mehr Land besitze. „Schon jetzt – sagen diese schlechten Berater der Bauernschaft – gehört ein großer Teil des Territoriums (d. h. des ganzen Landes) Russlands dem Staate" (diese Worte sind der Zeitung „Rewoluzionnaja Rossija" Nr. 8, S. 8 entnommen)1. Der Fehler dieser Leute ist folgendermaßen entstanden. Sie haben gehört, dass bei uns, im Europäischen Russland, 150 Millionen Desjatinen dem Staate gehören. Das ist richtig. Aber sie haben vergessen, dass diese 150 Millionen Desjatinen fast durchweg aus unfruchtbarem Land und Wald im fernen Norden bestehen, – in den Gouvernements Archangelsk, Wologda, Olonez, Wjatka und Perm. Dem Staat sind also nur solche Ländereien geblieben, die bisher für die Wirtschaft vollkommen untauglich waren. Was dagegen den nutzbaren Boden anbelangt, so besitzt der Staat weniger als vier Millionen Desjatinen. Und diese nutzbaren staatlichen Ländereien (z. B. im Gouvernement Samara, wo es besonders viel davon gibt) werden sehr billig, für einen Spottpreis an die Reichen verpachtet. Die Reichen nehmen Tausende und aber Tausende Desjatinen von diesem Boden und vergeben ihn dann zu einem Wucherpreis an die Bauern.

Nein, es sind ganz schlechte Berater der Bauern, die sagen: der Staat hat viel Land. In Wirklichkeit haben die privaten Großgrundbesitzer (darunter auch der Zar persönlich) viel guten Boden, und die Großgrundbesitzer haben auch die Staatskasse in der Hand. Und solange die Dorfarmut es nicht versteht, sich zu vereinigen und durch die Vereinigung zu einer drohenden Macht zu werden, – solange bleibt der „Staat" immer der gehorsame Diener der Gutsbesitzerklasse. Und folgendes darf auch nicht vergessen werden: früher waren fast nur die Adligen Gutsbesitzer. Die Adligen haben auch jetzt eine Menge Land (115.000 Adlige besaßen im Jahre 1877/78 – 73 Millionen Desjatinen). Aber zur Hauptmacht ist jetzt das Geld, das Kapital geworden. Ungeheuer viel Land haben die Kaufleute und die wohlhabenden Bauern aufgekauft. Man nimmt an, dass die Adligen im Verlaufe von dreißig Jahren (von 1863–1892) für über sechshundert Millionen Rubel Land verloren (d. h. mehr verkauft als gekauft) haben. Die Kaufleute und angesehenen Bürger aber haben für 250 Millionen Rubel Land erworben. Die Bauern, Kosaken und „übrigen Dorfbewohner" (so nennt unsere Regierung die Leute von einfacher Herkunft zum Unterschied von den „vornehmen" und „feinen Leuten") haben für 300 Millionen Rubel Land erworben. Folglich kaufen sich die Bauern in ganz Russland in jedem Jahr durchschnittlich für 10 Millionen Rubel Land als Privateigentum.

Es gibt also verschiedene Bauern: die einen leiden Not und hungern, die andern werden reich. Es gibt also immer mehr reiche Bauern, die es zu den Gutsbesitzern hinzieht, die die Reichen gegen die Arbeiter unterstützen werden. Und die Dorfarmut, die sich mit den städtischen Arbeitern vereinigen will, muss sich das gut überlegen, sie muss wissen, ob es viele solcher reichen Bauern gibt, wie groß ihre Macht ist und welchen Bund wir zum Kampf gegen diese Macht brauchen. Wir haben soeben die schlechten Berater der Bauern erwähnt. Diese schlechten Berater der Bauern pflegen zu sagen: die Bauern haben schon einen Bund. Dieser Bund ist der Mir, die Gemeinde. Der Mir ist eine große Kraft. Diese Vereinigung durch den Mir verknüpft die Bauern eng miteinander; die Organisation (d. h. die Vereinigung, der Bund) der Mir-Bauernschaft ist kolossal (d. h. ungeheuer, unermesslich) groß.

Das ist nicht wahr. Es ist ein Märchen. Wenn auch gute Leute es erdacht haben, so ist es doch nur ein Märchen. Wenn wir auf Märchen hören, so werden wir unsere Sache, die Sache des Bündnisses der Dorfarmut mit den städtischen Arbeitern, nur verderben. Mag jeder Dorfbewohner sich gut umsehen: sieht die Vereinigung im Mir, sieht die Bauerngemeinde einem Bund der Armut zum Kampf gegen alle Reichen, gegen alle, die von fremder Arbeit leben, ähnlich? Nein, sie sieht ihm nicht ähnlich und kann ihm nicht ähnlich sehen. In jedem Dorf, in jeder Gemeinde gibt es viele Landarbeiter, viele verarmte Bauern, und es gibt Reiche, die selber Landarbeiter halten und sich „für ewig" Boden kaufen. Diese Reichen sind auch Mitglieder der Gemeinde, und sie spielen dort die erste Geige, weil sie eine Macht darstellen. Brauchen wir aber einen Bund, dem reiche Leute als Mitglieder angehören, in dem reiche Leute den Ton angeben? Keineswegs. Wir brauchen einen Bund zum Kampf gegen die Reichen. Folglich ist die Mir-Vereinigung für uns ganz unbrauchbar.

Wir brauchen eine freiwillige Vereinigung, eine Vereinigung nur solcher Leute, die begriffen haben, dass sie sich mit den städtischen Arbeitern vereinigen müssen. Die Gemeinde aber ist keine freiwillige, sondern eine Zwangsvereinigung. Der Gemeinde gehören nicht nur die Leute an, die für die Reichen arbeiten, die vereint gegen die Reichen kämpfen wollen. Der Gemeinde gehören allerhand Leute nicht durch eigenen Willen an, sondern weil ihre Eltern auf diesem Boden gelebt, für diesen Gutsbesitzer gearbeitet haben, weil die Behörden sie dieser Gemeinde zugeschrieben haben. Die armen Bauern haben nicht das Recht, aus der Gemeinde ohne weiteres auszutreten, sie haben nicht das Recht, in die Gemeinde einen fremden Menschen aufzunehmen, den die Polizei in einem andern Amtsbezirk eingetragen hat, den wir aber für unsere Vereinigung vielleicht gerade hier brauchen. Nein, wir brauchen eine ganz andere Vereinigung, eine freiwillige Vereinigung, nur von Arbeitern und armen Bauern zum Kampf gegen alle, die von fremder Arbeit leben.

Die Zeiten, in denen der Mir eine Macht war, sind längst vorbei. Und diese Zeiten werden nie wiederkehren. Der Mir war eine Macht, als es unter den Bauern fast keine Knechte und Arbeiter gab, die durch ganz Russland auf der Suche nach Arbeit umherwandern, als es auch fast keine Reichen gab, als auf allen gleich stark der Druck der Fronherren lastete. Jetzt aber ist das Geld die Hauptmacht geworden. Um des Geldes willen kämpfen auch – nicht besser als wilde Tiere – die Angehörigen ein und derselben Gemeinde gegeneinander. Die Bauern, die Geld besitzen, bedrängen und plündern ihre eigenen Gemeindegenossen mehr als mancher Gutsbesitzer. Was wir jetzt brauchen, ist keine Mir-Vereinigung, sondern eine Vereinigung gegen die Macht des Geldes, gegen die Macht des Kapitals, eine Vereinigung aller Landarbeiter und aller besitzlosen Bauern der verschiedenen Gemeinden, die Vereinigung der gesamten Dorfarmut und der städtischen Arbeiter zum Kampf gegen die Gutsbesitzer und reichen Bauern.

Wie groß die Macht der Gutsbesitzer ist, haben wir gesehen. Jetzt muss man sehen, ob es viele reiche Bauern gibt und wie groß ihre Kraft ist.

Über die Macht der Gutsbesitzer haben wir nach der Größe ihrer Güter geurteilt, nach der Bodenmenge, die sie besitzen. Die Gutsbesitzer verfügen frei über ihren Boden, kaufen und verkaufen ihn nach ihrem Ermessen. Darum kann ihre Kraft auf Grund der Bodenmenge, die sie besitzen, genau beurteilt werden. Die Bauern dagegen haben bis jetzt bei uns noch nicht das Recht, über ihren Boden frei zu verfügen, bis heute noch leben sie in halber Hörigkeit, sind sie an ihre Gemeinde gebunden. Darum kann man über die Kraft der reichen Bauern nicht auf Grund der Größe ihrer Landanteile urteilen. Es sind nicht die ihnen zugewiesenen Landanteile, an denen sie sich bereichern: sie kaufen sehr viel Boden auf, sie kaufen ihn sowohl „für ewig" (d. h. als ihr Privateigentum) als auch „für Jahre" (d. h. sie pachten ihn), sie kaufen ihn den Gutsbesitzern ab und auch ihresgleichen, dem Bauern, der seinen Boden aufgibt, der aus Not seinen Landanteil verpachtet. Am richtigsten wird es darum sein, die reichen, mittleren und besitzlosen Bauern nach der Zahl ihrer Pferde zu unterscheiden. Der Bauer, der viele Pferde besitzt, ist fast immer ein reicher Bauer; wenn er viel Arbeitsvieh hält, so heißt das, dass er viel Saatgut hat und außer dem Landanteil noch Boden und auch einen Geldvorrat besitzt. Außerdem haben wir die Möglichkeit, zu erfahren, wie viel pferdereiche Bauern es in ganz Russland (im Europäischen Russland, ohne Sibirien und ohne den Kaukasus) gibt. Man darf natürlich nicht vergessen, dass man nur vom Durchschnitt in ganz Russland sprechen kann: in den einzelnen Kreisen und Gouvernements gibt es sehr viele Unterschiede. In der Nähe der Städte z. B. gibt es oft reiche Bauern, die nur ganz wenig Pferde besitzen. Sie beschäftigen sich mit Gartenbau, der sehr vorteilhaft ist; andere halten wenig Pferde, dafür aber viele Kühe und handeln mit Milch. Es gibt überall in Russland auch solche Bauern, die sich nicht am Boden, sondern an Handelsgeschäften bereichern: sie errichten Ölpressereien, Graupenmühlen und andere Betriebe. Jeder, der auf dem Lande wohnt, kennt die reichen Bauern seines Dorfes oder des Kreises sehr gut. Wir müssen aber wissen, wie viel es von ihnen in ganz Russland gibt, wie groß ihre Macht ist, damit der arme Bauer nicht aufs Geratewohl geht, nicht mit verbundenen Augen, sondern damit er genau weiß, wie seine Freunde und wie seine Feinde aussehen.

Wir wollen nun also sehen, ob es viele pferdereiche und viele pferdearme Bauern gibt. Wir haben schon gesagt, dass es in Russland im ganzen gegen zehn Millionen Bauernhöfe gibt. Sie besitzen insgesamt wahrscheinlich gegen fünfzehn Millionen Pferde (vor vierzehn Jahren waren es siebzehn Millionen, aber jetzt ist die Zahl niedriger). Durchschnittlich kommen also auf je zehn Höfe fünfzehn Pferde. Die ganze Sache ist aber die, dass die einen, Wenigen, viele Pferde haben, die andern, und dazu noch sehr Vielen, dagegen entweder nur sehr wenig oder gar keine Pferde haben. Die Zahl der pferdelosen Bauern beträgt mindestens drei Millionen, dazu kommen gegen dreieinhalb Millionen Bauern, die nur ein Pferd besitzen. Das sind entweder ganz zugrunde gerichtete oder besitzlose Bauern. Wir nennen sie Dorfarmut. Solcher Bauern gibt es sechseinhalb von zehn Millionen, d. h. fast zwei Drittel! Dann kommen die mittleren Bauern, die zwei Stück Arbeitsvieh besitzen. Da gibt es gegen zwei Millionen Bauernhöfe, die gegen vier Millionen Pferde besitzen. Ihnen folgen die reichen Bauern, die mehr als zwei Stück Arbeitsvieh besitzen. Hiervon gibt es anderthalb Millionen Höfe, die aber siebeneinhalb Millionen Pferde besitzen**. Das bedeutet: ungefähr der sechste Teil der Höfe hat die Hälfte aller Pferde in seinem Besitz.

Wenn wir das wissen, können wir ziemlich genau über die Kraft der reichen Bauern urteilen. An Zahl gibt es ihrer sehr wenige: in den verschiedenen Gemeinden, den verschiedenen Amtsbezirken wird es wohl ein bis zwei Dutzend auf je hundert Höfe geben. Aber diese wenigen Höfe sind die reichsten. Darum erweist es sich, dass sie in ganz Russland fast ebenso viel Pferde besitzen wie alle übrigen Bauern zusammengenommen. Folglich beträgt die ihnen gehörende Saatfläche auch fast die Hälfte der gesamten Saatfläche der Bauern. Diese Bauern ernten also viel mehr Getreide, als ihre Familien brauchen. Sie verkaufen sehr viel Getreide. Ihnen dient das Getreide nicht nur zur Ernährung, sondern vor allem – für den Verkauf, zur Einnahme von Geld. Solche Bauern können Geld anhäufen. Sie legen es in die Sparkassen und Banken. Sie kaufen sich Boden als Eigentum. Wir haben schon gesagt, wie viel Boden in ganz Russland jährlich von den Bauern gekauft wird; fast alle diese Ländereien gelangen in den Besitz dieser wenigen reichen Bauern. Die Dorfarmut ist gezwungen, nicht an den Ankauf von Boden, sondern an die Möglichkeit, sich durchzufüttern, zu denken. Ihr Geld reicht oft selbst für Brot nicht aus, wo wäre da an den Kauf von Land zu denken. Darum helfen die verschiedenen Banken im Allgemeinen, und insbesondere die Bauernbank, keineswegs allen Bauern, Land zu erwerben (wie mitunter Bauernfänger oder gar zu einfältige Leute versichern), sondern nur einer sehr geringen Zahl von Bauern, nur den reichen Bauern. Darum sagen auch die schlechten Berater der Bauern, die wir erwähnt haben, über den Bodenankauf der Bauern die Unwahrheit, wenn sie behaupten, dass der Boden vom Kapital auf die Arbeit übergehe. Auf die Arbeit, d. h. auf den besitzlosen Arbeitsmenschen, kann der Boden nie übergehen, denn für den Boden zahlt man Geld. Von überflüssigem Geld aber kann bei armen Bauern nicht die Rede sein. Der Boden geht nur auf reiche Geldbauern über, auf das Kapital, nur auf die Leute, gegen die die Dorfarmut im Bündnis mit den städtischen Arbeitern kämpfen muss.

Die reichen Bauern kaufen den Boden nicht nur „für ewig", sondern sie sind es auch, die den Boden am meisten für Jahre mieten, die den Boden pachten. Sie nehmen den Boden der Dorfarmut weg, indem sie große Grundstücke pachten. Zum Beispiel in einem Kreis des Gouvernements Poltawa (im Kreis Konstantinograd) wurde berechnet, wie viel Land die reichen Bauern gepachtet haben. Und was hat sich erwiesen? Es hat nur ganz wenige Bauern gegeben, die 30 oder mehr Desjatinen gepachtet hatten, es kamen ihrer nur 2 auf je 15 Höfe. Aber diese reichen Bauern haben die Hälfte des ganzen Pachtlandes in ihre Hände genommen, auf jeden reichen Bauer kamen 75 Desjatinen Pachtland! Oder zum Beispiel im Gouvernement Taurien ist berechnet worden, wie viel von dem Boden, den die Bauern durch den Mir, die Gemeinde, vom Staat gepachtet haben, die reichen Bauern für sich genommen haben. Es hat sich erwiesen, dass die reichen Bauern – an Zahl im ganzen der fünfte Teil der Höfe – sich dreiviertel des ganzen Pachtlandes angeeignet haben. Der Boden wird überall nach dem Gelde zugeteilt, Geld aber pflegen nur wenige reiche Bauern zu haben.

Viel Boden wird jetzt auch von den Bauern selber verpachtet. Sie geben ihre Landanteile auf, weil sie kein Vieh, kein Saatgut, weil sie kein Geld für ihre Wirtschaft haben. Ohne Geld kann man heute auch mit dem Boden nichts anfangen. Im Kreis Nowousensk des Gouvernements Samara zum Beispiel pachten ein oder auch zwei von je drei der reichen Bauernhöfe das Anteilland in ihrer eigenen oder in einer fremden Gemeinde. Verpachtet wird das Land von den Bauern, die nur ein Pferd oder gar keins besitzen. Im Gouvernement Taurien verpachtet nicht weniger als ein Drittel der Bauernhöfe ihre Anteile. Der vierte Teil aller Bauernanteile, eine Viertelmillion Desjatinen, wird verpachtet. Und von dieser Viertelmillion geraten 150.000 Desjatinen (drei Fünftel) in die Hände der reichen Bauern! Wir können hier wiederum sehen, ob für die Dorfarmut die Mir-Vereinigung, die Gemeinde, tauglich ist. Wer in der Dorfgemeinde das Geld hat, der hat auch die Macht. Wir aber brauchen die Vereinigung der Dorfarmut aus verschiedenen Gründen.

Wie beim Landankauf, so werden die Bauern auch durch das Gerede über den billigen Ankauf von Pflügen, Mähmaschinen und verschiedenen anderen vervollkommneten Gerätschaften betrogen. In den Semstwos werden Lager errichtet, Artels gebildet und man sagt: die vervollkommneten Geräte werden die Lage der Bauernschaft bessern. – Das ist nur Betrug. Alle diese besseren Geräte gelangen nur in die Hände der Reichen, die Armut dagegen erhält fast nichts. Ihr steht der Sinn nicht nach Pflügen und nicht nach Mähmaschinen, – wenn sie überhaupt nur leben kann! Eine solche „Hilfe für die Bauern" ist eine Hilfe für die Reichen und sonst nichts. Der Masse der Armen aber, die weder Land noch Vieh noch Vorräte haben, kann man dadurch nicht helfen, dass man die besseren Geräte billiger hergibt. In einem Kreis des Gouvernements Samara zum Beispiel ist gezählt worden, wie viel verbesserte Geräte die reichen und wie viel die armen Bauern haben. Es hat sich erwiesen, dass der fünfte Teil der Höfe, d. h. die wohlhabenden Bauern, fast dreiviertel aller verbesserten Geräte, die armen Bauern, die Hälfte der Höfe, dagegen im ganzen den dreißigsten Teil besitzen. Die Zahl der Höfe, die kein Pferd oder nur eins haben, beträgt 10.000 von der Gesamtzahl von 28.000; und diese 10.000 Höfe besitzen im ganzen sieben von den 5724 verbesserten Geräten, die sich im Besitz aller Bauernhöfe im ganzen Kreis befinden. Sieben Geräte von 5724 das ist der Anteil der Dorfarmut an all diesen Verbesserungen der Wirtschaft, an der Verbreitung von Pflügen und Mähmaschinen, die angeblich der „gesamten Bauernschaft" helfen! Das ist es, was die Dorfarmut von Leuten zu erwarten hat, die von der „Verbesserung der Bauernwirtschaft" reden!

Schließlich besteht eine der wichtigsten Besonderheiten der reichen Bauernschaft darin, dass sie Landarbeiter und Tagelöhner anstellt. Ebenso wie die Gutsbesitzer leben auch die reichen Bauern von fremder Arbeit. Ebenso wie die Gutsbesitzer werden sie darum reich, weil die Masse der Bauernschaft zugrunde gerichtet wird und in Elend gerät. Ebenso wie die Gutsbesitzer bemühen sie sich, möglichst viel Arbeit aus ihren Arbeitern herauszupressen und ihnen möglichst wenig zu zahlen.

Wenn Millionen von Bauern nicht ganz zugrunde gerichtet und gezwungen wären, zu fremden Leuten als Lohnarbeiter zu gehen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, dann könnten die reichen Bauern nicht bestehen, könnten sie ihre Wirtschaft nicht aufrechterhalten. Dann könnten sie nirgends die „abgefallenen" Landanteile aufsammeln, nirgends Arbeiter für sich finden. In ganz Russland aber haben die anderthalb Millionen reicher Bauern sicherlich mindestens eine Million Landarbeiter und Tagelöhner eingestellt. Es ist klar, dass in dem großen Kampf zwischen der Klasse der Eigentümer und der besitzlosen Klasse, zwischen den Unternehmern und den Arbeitern, zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, – die reichen Bauern sich auf die Seite der Eigentümer gegen die Arbeiterklasse stellen werden.

Jetzt kennen wir die Lage und die Kraft der reichen Bauernschaft. Sehen wir nun, wie die Dorfarmut lebt.

Wir haben bereits gesagt, dass zur Dorfarmut die gewaltige Mehrheit, fast zwei Drittel aller Bauernhöfe in ganz Russland gehören. Vor allem beträgt die Zahl der pferdelosen Höfe auf keinen Fall weniger als drei Millionen, – wahrscheinlich sogar mehr, jetzt wohl schon dreieinhalb Millionen. Jedes Hungerjahr, jede Missernte richtet Zehntausende von Wirtschaften zugrunde. Die Bevölkerung wächst an, es wird immer schwerer, zu leben, der beste Teil des Bodens befindet sich aber bereits in den Händen der Gutsbesitzer und reichen Bauern. Mit jedem Jahr werden immer mehr Leute zugrunde gerichtet, sie gehen in die Städte und in die Fabriken, werden Landarbeiter, Handlanger. Der pferdelose Bauer ist ein Bauer, der bereits ganz besitzlos geworden ist. Er ist ein Proletarier. Er lebt (solange er lebt oder, besser gesagt, sich durchschlägt, nicht lebt) nicht vom Boden, nicht von der Wirtschaft, sondern von der Lohnarbeit. Er ist der leibliche Bruder des städtischen Arbeiters. Der pferdelose Bauer kann auch mit dem Boden nichts anfangen: die Hälfte der pferdelosen Höfe verpachten ihre Landanteile, manchmal geben sie sie sogar umsonst der Gemeinde ab (mitunter zahlen sie noch selber etwas drauf!), weil sie nicht imstande sind, den Boden zu bearbeiten. Der pferdelose Bauer bebaut vielleicht eine Desjatine, höchstens zwei. Er muss immer noch Brot hinzukaufen (wenn er Geld dazu hat), – sein eigenes Brot reicht für seine Ernährung nicht aus. Nicht viel besser haben es auch die Bauern, die ein Pferd besitzen. Sie besitzen in ganz Russland gegen dreieinhalb Millionen Höfe. Natürlich gibt es Ausnahmen, und wir haben schon gesagt, dass es hier und da Bauern gibt, die nur ein Pferd besitzen und doch ganz gut leben oder sogar reich sind. Aber wir sprechen nicht von Ausnahmen, nicht von einzelnen Ortschaften, sondern von ganz Russland. Wenn man die ganze Masse der Bauern nimmt, die nur ein Pferd besitzen, so ist es zweifellos eine Masse der Armut und des Elends. Der nur ein Pferd besitzende Bauer bebaut selbst in den landwirtschaftlichen Gouvernements drei, vier, selten fünf Desjatinen; mit seinem eigenen Brot kommt er auch nicht aus. Selbst in guten Jahren ernährt er sich nicht besser als ein pferdeloser Bauer, er hat also nie satt zu essen, er hungert beständig. Die Wirtschaft befindet sich in vollkommenem Verfall, das Vieh ist schlecht, Viehfutter ist nur wenig vorhanden, die Kraft reicht nicht aus, den Boden richtig zu pflegen. Für seine ganze Wirtschaft (mit Ausnahme des Viehfutters) kann der ein Pferd besitzende Bauer – zum Beispiel im Gouvernement Woronesch – höchstens zwanzig Rubel im Jahr ausgeben! (Der reiche Bauer gibt zehnmal soviel aus.) Zwanzig Rubel im Jahr – für die Pacht des Bodens, für den Ankauf von Vieh, für die Reparatur des Pfluges und der übrigen Geräte, für den Hirten und für alles andere! Ist das eine Wirtschaft? Das ist doch nur Schererei, nur Mühe und Qual, die reine Zuchthausarbeit. Es ist klar, dass es auch unter den ein Pferd besitzenden Bauern solche gibt – und es sind nicht wenige –, die ihre Landanteile verpachten. Ein Bettler hat auch vom Boden nicht viel Nutzen. Geld ist nicht vorhanden, der Boden aber gibt nicht nur kein Geld, sondern auch nicht den Unterhalt. Geld aber braucht man für alles: für die Nahrung, die Kleidung, die Wirtschaft, die Steuern. Im Gouvernement Woronesch zahlt gewöhnlich der ein Pferd besitzende Bauer für Steuern allein achtzehn Rubel, dabei aber hat er alles in allem, für alle Ausgaben höchstens 75 Rubel im Jahr zur Verfügung. Hier kann man nur zum Spott von Bodenankauf, von verbesserten Geräten, von Bauernbanken sprechen: das ist nicht für die Dorfarmut ersonnen.

Woher aber Geld nehmen? Man ist gezwungen, einen „Verdienst" zu suchen. Der ein Pferd besitzende Bauer kann sich ebenso wie der pferdelose Bauer nur mit Hilfe von „Nebenverdienst" durchschlagen. Was aber bedeutet das – „Nebenverdienst"? Das bedeutet Arbeit bei fremden Menschen, Lohnarbeit. Das bedeutet, dass der ein Pferd besitzende Bauer zur Hälfte aufgehört hat, Landwirt zu sein, dass er Lohnarbeiter, Proletarier geworden ist. Darum nennt man solche Bauern Halbproletarier. Auch sie sind die leiblichen Brüder des städtischen Arbeiters, denn auch sie werden von allen möglichen Besitzern in jeder Weise ausgeplündert. Auch für sie gibt es keinen anderen Ausweg, keine andere Rettung, als sich mit den Sozialdemokraten zu vereinigen zum Kampf gegen alle Reichen, gegen alle Eigentümer. Wer arbeitet am Bau der Eisenbahnen? Wen plündern die Bauunternehmer aus? Wer geht zum Holzfällen und Holzflößen? Wer verdingt sich als Landarbeiter? Wer als Tagelöhner? Wer verrichtet die schwerste Arbeit in Städten und Häfen? Das alles ist die Dorfarmut. Das alles sind die pferdelosen oder ein Pferd besitzenden Bauern. Das alles sind die Dorfproletarier und Halbproletarier. Und welch eine Menge solcher Leute gibt es in Russland? Man hat berechnet, dass in ganz Russland (mit Ausnahme von Sibirien und dem Kaukasus) jährlich acht, mitunter auch neun Millionen Pässe ausgegeben werden. Das sind alles Wanderarbeiter. Sie sind nur dem Namen nach Bauern, in Wirklichkeit aber Lohnarbeiter, Proletarier. Sie müssen sich alle mit den städtischen Arbeitern zu einem Bund zusammenschließen, und jeder Strahl des Lichts und des Wissens, der ins Dorf fällt, wird diesen Bund stärken und festigen.

Noch eine Sache darf bei den „Nebenverdiensten" nicht vergessen werden. Alle Beamten und Leute, die wie Beamte denken, sprechen gern davon, dass der Bauer, der Muschik, zwei Dinge „braucht": Grund und Boden (nur nicht sehr viel – man wüsste ja auch nicht, wo man viel Boden hernehmen sollte, denn die Reichen haben ja schon alles an sich gerissen!) und „Nebenverdienste". Darum müsste man, sagen sie, um dem Volk zu helfen, auf dem Lande mehr Gewerbezweige einführen, mehr Möglichkeiten zum „Erwerb" geben. Solche Reden sind nichts als Heuchelei. Für die Dorfarmut bedeutet Nebenerwerb Lohnarbeit. Dem Bauer „einen Nebenverdienst geben" heißt ihn in einen Lohnarbeiter verwandeln. Eine schöne Hilfe, das muss man sagen! Für die reichen Bauern gibt es andere „Erwerbsmöglichkeiten", die Kapital erfordern, – z. B. die Errichtung einer Mühle oder eines anderen Unternehmens, den Kauf einer Dreschmaschine, den Handel und ähnliches. Diesen Erwerb der Geldmenschen mit der Lohnarbeit der Dorfarmut in einen Topf werfen, heißt die Dorfarmut betrügen. Für die Reichen ist ein solcher Betrug natürlich vorteilhaft; es ist für sie vorteilhaft, die Sache so darzustellen, als wären alle Arten des „Nebenverdienstes" allen Bauern gleich zugänglich. Wer aber der Dorfarmut wirklich Gutes wünscht, der sagt ihr die ganze Wahrheit und nur die Wahrheit.

Wir müssen noch etwas über die Mittelbauern sagen. Wir haben schon gesehen, dass in ganz Russland durchschnittlich der Bauer als Mittelbauer gelten kann, der zwei Stück Arbeitsvieh hat, und dass von zehn Millionen Bauernhöfen etwa zwei Millionen auf solche Bauernhöfe entfallen. Der Mittelbauer steht in der Mitte zwischen dem reichen Bauer und dem Proletarier – darum heißt er auch Mittelbauer. Er lebt auch mittelmäßig: in einem guten Jahr schlägt er aus der Wirtschaft soviel heraus, wie er braucht, aber die Not sitzt ihm immer im Genick. Ersparnisse hat er entweder gar nicht oder nur sehr wenige. Darum steht seine Wirtschaft auf unsicherem Boden. Geld zu beschaffen ist schwer: aus seiner Wirtschaft schlägt er nur sehr selten soviel Geld heraus, wie er braucht, und auch das nur recht kärglich. Einen Nebenerwerb suchen heißt aber die Wirtschaft verlassen, und dann wird die Wirtschaft vernachlässigt. Viele Mittelbauern können aber ohne Nebenerwerb nicht auskommen: sie werden gezwungen, sich als Lohnarbeiter zu verdingen, die Not zwingt sie, in die Knechtschaft der Gutsbesitzer zu gehen, Schulden zu machen. Seine Schulden aber wird der Mittelbauer fast nie los: sichere Einkünfte, wie der reiche Bauer, hat der Mittelbauer nicht. Hat er also einmal Schulden gemacht, dann ist es so, als habe er sich eine Schlinge um den Hals gelegt. Aus den Schulden kommt er nie wieder heraus, bis er dann schließlich ganz zugrunde gerichtet ist. Der Mittelbauer geht am meisten in die Knechtschaft der Gutsbesitzer, denn der Gutsbesitzer braucht für die nichtständige Arbeit einen nicht verelendeten Bauer, der zwei Pferde und alle für die Wirtschaft notwendigen Geräte besitzt. Sein Dorf zu verlassen, fällt dem Mittelbauer schwer; – darum lässt er sich von den Gutsbesitzern knechten – für Getreide, für die Weide, für die Pacht der abgetrennten Bodenstücke, für das Gelddarlehen im Winter. Außer dem Gutsbesitzer und dem Kulaken bedrängt den Mittelbauer auch der reiche Nachbar: er wird ihm immer zuvorkommen und den Boden wegschnappen und nie die Gelegenheit vorübergehen lassen, ihn zu bedrängen. So lebt nun der Mittelbauer: nicht Fisch nicht Fleisch. Er ist weder ein richtiger, echter Besitzer noch Arbeiter. Alle Mittelbauern zieht es zu den Besitzern hin, sie wollen Eigentümer werden, aber das gelingt nur sehr wenigen. Eine sehr geringe Zahl von ihnen stellt sogar Landarbeiter oder Tagelöhner ein, sie bemühen sich, selber durch fremde Arbeit reich zu werden, auf dem Rücken anderer zu den Reichen aufzusteigen. Die Mehrheit der Mittelbauern aber kann nicht nur nicht daran denken, jemand einzustellen, – sie sind gezwungen, sieh selber zu verdingen.

Überall wo zwischen Reichen und Armen, zwischen Eigentümern und Arbeitern der Kampf beginnt, steht der Mittelbauer in der Mitte und weiß nicht, wohin er gehen soll. Die Reichen rufen ihn zu sich: du bist doch auch ein Besitzer, ein Eigentümer, du hast mit den Habenichtsen, den Arbeitern nichts zu tun. Die Arbeiter aber sagen: die Reichen werden dich betrügen und ausplündern, und es gibt für dich keine Rettung, als uns in unserem Kampf gegen die Reichen zu helfen. Dieser Kampf um den Mittelbauer ist überall im Gange, in allen Ländern, in denen die sozialdemokratischen Arbeiter für die Befreiung der Arbeiter kämpfen. In Russland beginnt dieser Streit gerade erst. Darum müssen wir diese Angelegenheit besonders gut prüfen und gut verstehen, mit welchen Betrügereien die reichen Bauern den Mittelbauer ködern, wie wir diesen Betrug aufdecken und dem Mittelbauer helfen können, seine wahren Freunde zu finden. Wenn die russischen sozialdemokratischen Arbeiter von Anfang an den richtigen Weg beschreiten, so wird es uns viel eher als den deutschen Arbeitern gelingen, ein dauerhaftes Bündnis des arbeitenden Landvolkes mit den Arbeitern der Städte zu schaffen und rasch zum Sieg über alle Feinde der Werktätigen zu gelangen.

* Alle diese und die folgenden Zahlen über die Bodenmenge sind bereits sehr veraltet. Sie beziehen sich auf die Jahre 1877/78. Aber neuere Zahlen sind nicht vorhanden. Die russische Regierung kann sich nur im Dunkeln halten, darum werden bei uns so selten vollständige und wahrheitsgetreue Angaben über das Leben des Volkes in allen Teilen des Staates gesammelt.

1 Zitat aus dem Aufruf des Bauernbundes der Partei der Sozialrevolutionäre „An alle, die in Russland für den revolutionären Sozialismus wirken" („Rewoluzionnaja Rossija" Nr. 8 vom 25. Juni 1902).

** Wir wiederholen noch einmal, dass wir hier annähernde, durchschnittliche Zahlen nehmen. Vielleicht beträgt die Zahl der reichen Bauern nicht genau anderthalb Millionen, sondern eineinviertel Millionen oder eine und dreiviertel Millionen oder sogar zwei Millionen. Das ist kein großer Unterschied. Es handelt sich hier nicht darum, jedes Tausend und Hunderttausend zu berücksichtigen, sondern es handelt sich darum, genau zu erfassen, wie groß die Macht der reichen Bauern ist, in welcher Lage sie sich befinden, damit man seine Feinde und seine Freunde unterscheiden kann, damit man sich nicht betrügen lässt durch allerhand Gerede und leere Worte, sondern die Lage der Armen und insbesondere die Lage der Reichen genau kennt.

Mag jeder Arbeiter im Dorf sich seinen Amtsbezirk und die benachbarten Amtsbezirke genau ansehen. Er wird sich überzeugen, dass unsere Berechnung richtig ist, dass sich durchschnittlich überall dasselbe ergibt: auf je hundert Höfe kommen zehn, höchstens zwanzig reiche Bauern, gegen zwanzig mittlere Bauern, alle übrigen sind arme Bauern.

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