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Wladimir I. Lenin 19031010 Brief an G. D. Leiteisen

Wladimir I. Lenin: Brief an G. D. Leiteisen

[Geschrieben am 10. Oktober (27. September) 1903 Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1927 im „Leninskij Sbornik" Nr. 6. Nach Sämtliche Werke, Band 6, 1930, S. 91 f.]

Lieber Leiteisen! Ich habe Ihren Brief erhalten und antworte Ihrem Wunsch gemäß sofort. Ob und wann der Kongress stattfinden wird, weiß ich nicht. Ich habe gehört, dass die drei hiesigen Mitglieder der Administration der Liga sich mit Stimmenmehrheit gegen den Kongress ausgesprochen haben und dass beschlossen wurde, die beiden abwesenden Mitglieder, Sie und Wetscheslow, um ihre Meinung zu fragen; auf diese Weise ist die Entscheidung in dieser Frage verschoben worden.1

Was mich anbelangt, so bin ich gegen den Kongress. Sie sind der Meinung, dass die Liga sich äußern müsse und dass ihre Spaltung ohnehin nicht zu vermeiden sei, dass zwei aktive, kämpfende Teile besser seien als eine einige, untätige Liga. Die Sache ist aber die, dass die Spaltung der Liga nicht nur unvermeidlich, sоndern bereits fast vollständig durchgeführt ist; die beiden aktiven, kämpfenden Teile haben sich schon gebildet, solange aber die Spaltung der Partei nicht erfolgt ist, werden diese kämpfenden Teile unbedingt in der einigen Liga bleiben. Anderseits hat der Parteitag die ganze Organisationsbasis der Liga vollkommen umgeworfen: ihr altes Statut, das Sie natürlich gut kennen, muss eigentlich nach dem Parteitag ganz von selber wegfallen. Die Liga muss erneuert werden und wird natürlich auf neuen Grundsätzen erneuert werden, und zwar vom Zentralkomitee der Partei, das mit der Organisierung des Parteikomitees und überhaupt aller Parteikörperschaften betraut worden ist.

Folglich hätte der Kongress nichts anderes zu tun, als sozusagen zusammenzukommen, um auseinanderzugehen. In zweierlei Sinn auseinanderzugehen: im Sinne eines Geschimpfes zwischen uns und den „Martowleuten" und im Sinne der Auflösung der alten Liga. Lohnt es, zu diesem Zweck zusammenzukommen?

Die „Spaltung" (besser gesagt, das Sitzen im Schmollwinkel) kann dadurch nicht geheilt werden, statt dessen werden sowohl die einen wie die anderen noch erbitterter werden. Wozu das?

Wozu ein Rede-Turnier, wo es jetzt ebenfalls unzweifelhaft ist, dass von den 40 Mitgliedern der Liga 35 bereits eine feste Stellung eingenommen haben?

Vielleicht, um eine „Generаlprоbe" zu veranstalten, d. h. um ungefähr zu sehen, wie wir kämpfen werden, wenn es zu einer Spaltung der Partei kommt?

Diese Bedeutung des Kongresses kann ich nicht leugnen, aber das ist meines Erachtens der Mühe nicht wert.

Die endgültige Verteilung der übrigen fünf (oder gegen fünf) Mitglieder der Liga kann man auf viel einfachere Weise erfahren.

Die Arbeit der Liga im Ausland aber wird ohnehin auf neuen Grundsätzen vor sich gehen, die das Zentralkomitee der Partei festlegen wird. Ein Kongress der Liga würde jetzt alles für den Streit und nichts für die Sache, d. h. für die Arbeit im Ausland ergeben.

1 Die Administration der Liga bestand formell aus fünf Mitgliedern: N. Krupskaja, M. Litwinow, L. Deutsch, G. Lindow (Leiteisen) und M. Wetscheslow; von ihnen arbeiteten tatsächlich nur die ersten drei. Was Lindow und Wetscheslow anbelangt, so hatten sie im Verlaufe eines Jahres an den Arbeiten der Administration gar keinen Anteil genommen. Als die Menschewiki die Frage der Notwendigkeit der Einberufung eines Kongresses der Liga aufwarfen, da sprach sich die Administration mit einer Mehrheit von zwei Stimmen (Krupskaja und Litwinow), gegen die Stimme von Deutsch, gegen den Kongress aus. Der in der Minderheit gebliebene Deutsch verlangte daraufhin, dass Lindow und Wetscheslow zur Abstimmung herangezogen werden; diese beiden Mitglieder der Administration erwiesen sich als Anhänger der Einberufung eines Kongresses. So wurde schließlich mit einer Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen beschlossen, den Kongress einzuberufen.

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