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Wladimir I. Lenin 19040800 An die Partei

Wladimir I. Lenin: An die Partei

[Geschrieben in der ersten Hälfte des August 1904 Gedruckt als Flugblatt im August 1904 in der Druckerei des Rigaer Komitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Nach Sämtliche Werke, Band 6. Wien-Berlin 1930, S. 472-480]

Vor kurzem fand eine private Sitzung von 22 Mitgliedern der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands statt, – von Gesinnungsgenossen, die auf dem Standpunkt der Mehrheit des zweiten Parteitages stehen; diese Konferenz erörterte die Frage unserer Parteikrise und die Mittel zu ihrer Überwindung und beschloss, an alle russischen Sozialdemokraten folgenden Aufruf zu richten:

Genossen! Die schwere Krise im Parteileben zieht sich immer mehr in die Länge, ihr Ende ist nicht abzusehen. Die Zwietracht wächst und schafft immer neue Konflikte, die positive Arbeit der Partei wird dadurch auf der ganzen Linie äußerst erschwert. Die Kräfte der Partei, die noch jung ist und keine Zeit gehabt hat, sich zu festigen, werden in bedrohlichem Maße zwecklos vergeudet.

Indessen stellt aber der geschichtliche Augenblick an die Partei so ungeheure Forderungen, wie nie zuvor. Die revolutionäre Erregung der Arbeiterklasse wächst an, und auch in anderen Schichten der Bevölkerung wird die Gärung immer stärker; Krieg und Krise, Hunger und Arbeitslosigkeit untergraben die Grundlagen der Selbstherrschaft mit elementarer Unvermeidlichkeit. Das schmachvolle Ende des schmachvollen Krieges ist nicht mehr fern, dieses Ende aber wird unweigerlich die revolutionäre Erregung verzehnfachen, wird die Arbeiterklasse unweigerlich ihren Feinden Auge in Auge gegenüberstellen und von der Sozialdemokratie eine riesenhafte Arbeit, eine ungeheure Anspannung der Kräfte fordern, um den entscheidenden letzten Kampf gegen die Selbstherrschaft zu organisieren.

Kann unsere Partei in dem Zustand, in dem sie sich heute befindet, diesen Forderungen gerecht werden? Jeder gewissenhafte Mensch muss ohne Schwanken antworten: Nein! Die Einheit der Partei ist tief untergraben, ihr innerer Kampf hat in jeder Beziehung den Parteirahmen verlassen. Die Organisationsdisziplin ist bis in ihre Grundlagen erschüttert, die Fähigkeit der Partei zu straffem, einheitlichem Handeln wird zu einem Phantom.

Und doch betrachten wir diese Krankheit der Partei als eine Krankheit des Wachstums. Die Wurzel der Krise sehen wir im Übergang des Lebens der Sozialdemokratie von der Zirkelform zur Parteiform, das Wesen ihres inneren Kampfes in dem Konflikt zwischen Zirkelwesen und Parteiwesen. Und darum kann unsere Partei erst, wenn sie diese Krankheit überwunden hat, eine wirkliche Partei werden.

Unter dem Namen der Partei„minderheit" haben sich verschiedenartige Elemente in der Partei zusammengefunden, die miteinander verbunden sind durch das bewusste oder unbewusste Bestreben, die Zirkelbeziehungen, die Organisationsformen, wie sie vor Gründung der Partei bestanden haben, aufrechtzuerhalten.

Einige hervorragende Führer der einflussreichsten früheren Zirkel, die an die organisatorischen Selbstbeschränkungen nicht gewöhnt sind, die die Parteidisziplin erfordert, neigen aus Gewohnheit dazu, ihre Zirkelinteressen mit den allgemeinen Parteiinteressen zu verwechseln, die zur Zeit des Zirkelwesens tatsächlich oft zusammenfallen konnten, – eine ganze Reihe solcher Führer hat sich an die Spitze des Kampfes für das Zirkelwesen gegen das Parteiwesen gestellt (ein Teil der früheren „Iskra"-Redaktion, ein Teil des früheren Organisationskomitees, die Mitglieder der früheren Gruppe „Juschny Rabotschij" u. a.).

Als ihre Bundesgenossen erwiesen sich alle jene Elemente, die in Theorie und Praxis von den Prinzipien des strengen Sozialdemokratismus abwichen, denn nur das Zirkelwesen war imstande, die ideologische Individualität und den Einfluss dieser Elemente aufrechtzuerhalten, während das Parteiwesen sie mit der Auflösung oder mit dem Verlust des Einflusses bedrohte (die Ökonomisten, die „Rabotscheje Djelo"-Leute usw.). Als Hauptkaders der Opposition dienten schließlich überhaupt alle Elemente unserer Partei, die in ihrer Mehrheit der Intelligenz angehörten. Im Vergleich zum Proletariat war die Intelligenz stets individualistisch schon kraft der Grundbedingungen ihres Lebens und ihrer Arbeit, die ihr keine unmittelbare, weitgehende Zusammenfassung der Kräfte, keine unmittelbare Erziehung durch organisierte gemeinsame Arbeit geben. Darum fällt es den intellektuellen Elementen schwerer, sich der Disziplin des Parteilebens anzupassen, und diejenigen von ihnen, die nicht imstande sind, mit dieser Aufgabe fertig zu werden, erheben natürlich das Banner des Aufstandes gegen die notwendigen organisatorischen Beschränkungen und machen ihren spontanen Anarchismus zum Kampfprinzip, wobei sie ihn fälschlich als Streben nach „Autonomie", als Forderung der „Duldsamkeit" usw. bezeichnen.

Der Auslandsteil der Partei, wo die Zirkel sich durch eine verhältnismäßig lange Lebensdauer auszeichnen, wo sich die Theoretiker der verschiedenen Schattierungen gruppieren, wo die Intelligenz entschieden überwiegt, musste sich als der Teil erweisen, der am meisten zum Standpunkt der „Minderheit" neigte. Darum erwies diese sich dort auch sehr bald als die wirkliche Mehrheit. In Russland dagegen, wo die Stimme der organisierten Proletarier lauter ertönt, wo auch die Intellektuellen der Partei dank der lebendigeren und engeren Gemeinschaft mit ihnen in einem mehr proletarischen Geiste erzogen werden, wo die Schwere des unmittelbaren Kampfes die Notwendigkeit der organisierten Einheit der Arbeit stärker fühlen lässt, – in Russland ist die Partei entschieden gegen das Zirkelwesen, gegen die desorganisierenden anarchischen Tendenzen aufgetreten. Die in Russland lebenden Genossen haben ihr Verhältnis zu diesen Tendenzen in einer ganzen Reihe von Erklärungen der Komitees und anderer Parteiorganisationen zum Ausdruck gebracht.

Der Kampf entwickelte und verschärfte sich. Und wie weit ist er gegangen!

Das Parteiorgan, das die „Minderheit" entgegen dem Willen des Parteitages und dank den persönlichen Zugeständnissen der vom Parteitag gewählten Redakteure in ihre Hände genommen hat, ist ein Organ des Kampfes gegen die Partei geworden!

Zuallerletzt ist es jetzt ein ideologischer Führer der Partei in ihrem Kampf gegen Selbstherrschertum und Bourgeoisie, es ist viel mehr ein Führer der Zirkelopposition im Kampf gegen den Parteigeist. Einerseits fühlt es die Unzulänglichkeit seiner entscheidenden Stellung vom Standpunkt der Parteiinteressen, und darum sucht es eifrig nach wirklichen und vermeintlichen Meinungsverschiedenheiten, um diese Stellung ideologisch zu verdecken; auf dieser Suche klammert es sich heute an eine Losung, morgen an eine andere und entlehnt sein Material immer mehr dem rechten Flügel der Partei – den früheren Gegnern der „Iskra", denen es sich ideologisch immer mehr nähert, deren von der Partei abgelehnte Theorien es wieder herstellt, um so das ideologische Leben der Partei zu der – wie es schien – bereits überwundenen Periode der prinzipiellen Unklarheit, der ideologischen Schwankungen zurück zu zerren. Anderseits ist die neue „Iskra" in ihrem Bestreben, den moralischen Einfluss der Parteimehrheit zu untergraben, noch eifriger damit beschäftigt, Fehler der Anhänger der Parteimehrheit zu suchen und zu brandmarken, wobei sie jeden wirklichen Fehler ins Ungeheuerliche aufbauscht und sich bemüht, die Verantwortung für ihn der gesamten Parteimehrheit zur Last zu legen; jeden Zirkelklatsch greift sie auf, jede Insinuation, die die Gegner schädigen könnte, ohne die Dinge nachzuprüfen, ja häufig, ohne nach ihrer Wahrscheinlichkeit zu fragen. Auf diesem Wege sind die Führer der neuen „Iskra" so weit gekommen, dass sie den Mitgliedern der Mehrheit nicht nur ganz ungeheuerliche, sondern sogar unmögliche Verbrechen zuschreiben, und zwar nicht nur in politischer Hinsicht (zum Beispiel wird das Zentralkomitee beschuldigt, gewaltsam Genossen fortgejagt und Organisationen aufgelöst zu haben), sondern auch in allgemein-moralischer Hinsicht (hervorragende Parteimitglieder wurden beschuldigt, Fälschungen begangen zu haben und an Fälschungen moralisch mitbeteiligt zu sein)1. Noch nie war die Partei gezwungen, durch ein solches Meer von Schmutz zu waten, wie es die Minderheit im Ausland in der jetzigen Polemik geschaffen hat. Wie konnte all das geschehen?

Die Handlungsweise jeder der beiden kämpfenden Lager entsprach dem Grundcharakter ihrer Tendenzen. Die Mehrheit der Partei, die bestrebt war, die Einheit und den organisatorischen Zusammenhalt der Partei um jeden Preis aufrechtzuerhalten, kämpfte nur mit parteilich-loyalen Mitteln und ging mehr als einmal um des Friedens willen auf Zugeständnisse ein. Die Minderheit, die eine anarchistische Tendenz vertrat, kümmerte sich um Parteifrieden und Parteieinheit nicht. Jedes Zugeständnis machte sie zu einem Werkzeug des weiteren Kampfes. Von allen Forderungen der Minderheit ist nur eine bisher nicht erfüllt worden – das Hineintragen des Zwistes in das Zentralkomitee der Partei durch Kooptation der ihm gewaltsam aufgezwungenen Mitglieder der Minderheit – und die Angriffe der Minderheit wurden erbitterter als je zuvor. Nachdem die Minderheit vom Zentralorgan und vom Parteirat Besitz ergriffen hat, geniert sie sich nicht, jetzt in ihrem Zirkelinteresse die Disziplin auszubeuten, gegen die sie im Grunde kämpft.

Die Lage ist unmöglich, unerträglich geworden; sie länger zu dulden, wäre geradezu verbrecherisch.

Als erstes Mittel zur Überwindung dieser Lage betrachten wir die vollständige Klarheit und Aufrichtigkeit in den Parteibeziehungen. In Schmutz und Nebel ist es unmöglich, den richtigen Weg zu finden. Jede Parteirichtung, jede Gruppe muss offen und entschieden sagen, was sie über die jetzige Lage in der Partei denkt und welchen Ausweg sie wünscht. Diese Aufforderung richten wir an alle Genossen, an die Vertreter aller Schattierungen der Partei. Den praktischen Ausweg aus der Krise sehen wir in der sofortigen Einberufung des 3. Parteitages. Er allein kann die Lage klären, die Konflikte beilegen, den Kampf in einen festen Rahmen bringen. – Ohne ihn ist nur die fortschreitende Zersetzung der Partei zu erwarten.

Alle Einwände, die gegen die Einberufung des Parteitages angeführt werden, betrachten wir als unbedingt unhaltbar.

Man sagt uns: der Parteitag wird zur Spaltung führen. Aber warum? Wenn die Minderheit in ihren anarchistischen Bestrebungen unversöhnlich ist, wenn sie bereit ist, eher den Weg der Spaltung zu beschreiten, als sich der Partei unterzuordnen, so hat sie sich in Wirklichkeit bereits von ihr gespalten, und dann wäre es mehr als unvernünftig, die unvermeidliche formale Spaltung hinauszuschieben, – die an eine Kette geschmiedeten beiden Lager würden immer mehr in sinnloser Weise ihre Kräfte im kleinlichen Kampf und Gezänk vergeuden, sie würden sich moralisch erschöpfen und verkümmern. Aber wir geben die Möglichkeit der Spaltung nicht zu. Die anarchistisch gestimmten Elemente werden gezwungen sein, und wir denken, sie werden imstande sein – sich der wirklichen Kraft der organisierten Partei zu beugen, denn eine selbständige Kraft können sie ihrem Wesen nach nicht bilden. Es wird auf die Möglichkeit einer Aussöhnung ohne Parteitag hingewiesen. Aber was für eine Aussöhnung? Die endgültige Kapitulation vor dem Zirkelwesen, die Kooptation der Minderheit in das Zentralkomitee und folglich die Vollendung der Desorganisation der zentralen Parteikörperschaften. Die Partei wäre dann nur noch ein leeres Wort, die Parteimehrheit wäre gezwungen, einen neuen Kampf zu beginnen. Die Minderheit aber? Bisher war jedes erkämpfte Zugeständnis für sie nur eine Stütze der Desorganisationsarbeit; selbst von ihrem Standpunkt ist der Kampf weit über den Rahmen des Kooptationsgezänks hinausgewachsen; wie also kann sie den Kampf einstellen? Und um so weniger wird sie ihn einstellen, wenn sie nicht alle Zugeständnisse erhält. Man sagt uns: der Parteitag kann sein Ziel nicht erreichen, weil die Meinungsverschiedenheiten bisher nicht geklärt sind. Aber kommt es denn jetzt zu ihrer Klärung, wächst das Durcheinander nicht immer mehr an? Die Meinungsverschiedenheiten werden jetzt nicht geklärt, sondern ausgetüftelt und geschaffen, und nur der Parteitag kann dem ein Ende setzen. Nur der Parteitag, der die kämpfenden Lager einander gegenüberstellt, der sie zwingt, ihre Ziele offen und entschieden auseinanderzusetzen, ist imstande, in die Wechselbeziehungen der Parteiströmungen und Parteikräfte vollständige Klarheit hineinzubringen. Der Parteitag könnte aber durch Auflösung von Organisationen zusammengeschoben werden, erklärt die Minderheit. Das ist eine lügenhafte Insinuation, erwidern wir, eine Insinuation, die sich auf keine einzige Tatsache stützen kann. Hätte es solche Tatsachen gegeben, dann würde die Minderheit, die über das Parteiorgan verfügt, sie natürlich an die große Glocke gehängt haben, und da sie den Parteirat in Händen hält, so hätte sie alle Möglichkeiten, die Dinge zu verbessern. Schließlich gibt die vor kurzem angenommene Resolution des Parteirates, die solche Tatsachen in der Vergangenheit nicht aufzeigt, die endgültige Gewähr für ihre Unmöglichkeit in der Zukunft. Wer wird jetzt einer unwahrscheinlichen Insinuation Glauben schenken? Es wird die Befürchtung ausgesprochen, der Parteitag könnte der positiven Arbeit allzu viel Kräfte und Mittel entziehen. Welch bitterer Hohn! Ist denn eine stärkere Entziehung der Kräfte und Mittel denkbar, als sie jetzt die Zwietracht verursacht? Der Parteitag ist notwendig! Er wäre sogar bei normalem Verlauf des Parteilebens notwendig – angesichts der Ausschließlichkeit des geschichtlichen Augenblicks, angesichts der Möglichkeit neuer Aufgaben, die der Partei durch die Weltgeschehnisse gestellt werden. Er ist doppelt notwendig in der jetzigen Parteikrise, um einen ehrlichen und vernünftigen Ausweg aus dieser Krise zu finden, um die Kräfte der Partei, um ihre Ehre und Würde zu erhalten.

Was muss der 3. Parteitag tun, um der Zwietracht ein Ende zu setzen, um das normale Parteileben wieder herzustellen? In dieser Hinsicht halten wir folgende Umgestaltungen, die wir mit allen loyalen Mitteln verteidigen und durchführen werden, für die wesentlichsten.

1. Übergang der Redaktion des Zentralorgans in die Hände der Anhänger der Parteimehrheit. Die Notwendigkeit dieses Überganges ist angesichts der offensichtlichen Unfähigkeit der jetzigen Redaktion, das Zentralorgan auf dem Niveau der Interessen der Gesamtpartei zu halten, genügend begründet. Ein Zirkelorgan kann und darf nicht das Parteiorgan sein.

2. Genaue Regelung des Verhältnisses der örtlichen Auslandsorganisation (der Liga) zu der allgemein-russischen Zentralstelle, dem Zentralkomitee. Die jetzige Lage der Liga, die sich selbst zu einer zweiten Parteileitung gemacht hat, unkontrolliert die angeschlossenen Gruppen leitet und gleichzeitig das Zentralkomitee vollkommen ignoriert, ist offensichtlich anormal; ihr muss ein Ende gesetzt werden.

3. Statutarische Sicherung parteimäßiger Methoden in der Führung des Parteikampfes. Die Notwendigkeit einer solchen Reform geht aus der ganzen Erfahrung des Kampfes nach dem Parteitag klar hervor. Es ist erforderlich, im Parteistatut die Rechte jeder Minderheit sicherzustellen, um die ständigen und nicht zu beseitigenden Quellen der Meinungsverschiedenheiten, der Unzufriedenheit und Gereiztheit aus dem alten spießbürgerlichen Flussbett des Zirkelskandals und -gezänks in das noch ungewohnte Flussbett eines disziplinierten und würdigen Kampfes für seine Überzeugung umzuleiten. Als notwendige Bedingungen für eine solche Wendung betrachten wir folgendes. Der Minderheit wird eine literarische Gruppe (oder mehrere) mit dem Rechte der Vertretung auf den Parteitagen zugebilligt, ferner weitestgehende formale Sicherung für die Herausgabe der der Kritik an der Tätigkeit der zentralen Parteikörperschaften gewidmeten Parteiliteratur. Formale Anerkennung des Rechtes der Parteikomitees, (durch den allgemeinen Parteiapparat) die Parteiliteratur zu beziehen, die sie gern haben wollen. Genaue Festlegung der Grenzen für das Recht des Zentralkomitees, die persönliche Zusammensetzung der Komitees zu beeinflussen. Wir halten es für sehr wichtig, dass die Maßnahmen zur Herausgabe der Literatur der Unzufriedenen, die das Zentralkomitee der Minderheit des 2. Parteitages vorgeschlagen hat, statutarisch festgelegt werden, damit das von der Minderheit geschaffene Phantasiegebilde des „Belagerungszustandes" zerstreut werde, damit der unvermeidliche innerparteiliche Kampf in würdigen Formen geführt werde und die positive Arbeit nicht hemme.

Wir wollen hier unsere Vorschläge nicht ausführlich ausarbeiten, denn wir schlagen nicht einen Entwurf zu einem Statut vor, sondern nur das allgemeine Programm für den Kampf um die Einheit der Partei. Darum zeigen wir nur kurz die Richtung einiger unseres Erachtens wünschenswerter Teiländerungen im Statut an, ohne uns hinsichtlich seiner weiteren Ausarbeitung auf Grund neuer Erfahrungen die Hände zu binden. Es ist z. B. notwendig, den Parteirat umzugestalten, denn diese Körperschaft hat in der Praxis gezeigt, dass sie in ihrer jetzigen Form nicht imstande ist, die Aufgaben, vor die sie gestellt ist – die Zusammenfassung der Tätigkeit der zentralen Körperschaften und die oberste Kontrolle über sie –, zu erfüllen. Der Parteirat muss ein ganz vom Parteitag gewähltes Kollegium sein, und nicht ein Schiedsgericht des vom Parteitag gewählten fünften Mitgliedes über die zentralen Körperschaften, die sich durch ihre Delegierten verteidigen. Ferner muss – im Einklang mit den Hinweisen der Parteikritik – der § 1 revidiert werden im Sinne einer genaueren Festlegung der Grenzen der Partei usw.

Indem wir dieses Programm für den Kampf um die Einheit der Partei vorschlagen, fordern wir die Vertreter aller anderen Schattierungen und alle Parteiorganisationen auf, sich zur Frage ihrer Programme klar zu äußern, um die Möglichkeit einer ernsten und konsequenten, bewussten und planmäßigen Vorbereitung zum Parteitag zu schaffen. Für die Partei wird eine Lebensfrage entschieden, die Frage ihrer Ehre und Würde: besteht sie als ideologische und reale Kraft, die fähig ist, sich so weit vernünftig zu organisieren, dass sie als tatsächliche Führerin der revolutionären Arbeiterbewegung unseres Landes auftreten kann? Durch ihre ganze Handlungsweise sagt die Auslandsminderheit: Nein! Und sie handelt in diesem Sinne entschlossen und entschieden weiter, wobei sie auf die weite Entfernung Russlands, auf den häufigen Wechsel der in Russland tätigen Genossen, auf die Unersetzlichkeit ihrer eigenen Führer, ihrer eigenen literarischen Kräfte baut. Bei uns ist eine Partei im Entstehen begriffen! sagen wir, die wir das Steigen des politischen Bewusstseins der vorgeschrittenen Arbeiter, die aktiv am Parteileben teilnehmenden Komitees sehen. Bei uns ist eine Partei im Entstehen begriffen, bei uns mehren sich die jungen Kräfte, die fähig sind, jene alten literarischen Kollegien zu ersetzen und zu beleben, die das Vertrauen der Partei verlieren; bei uns wächst die Zahl der Revolutionäre, die die konsequente Richtung des Parteilebens höher schätzen als irgendeinen Zirkel ehemaliger Führer. Bei uns ist eine Partei im Entstehen begriffen, und keine Ausflüchte oder Verzögerungen können ihr entschiedenes und endgültiges Urteil aufhalten.

Aus diesen Kräften unserer Partei schöpfen wir die Überzeugung, dass wir siegen werden.

Genossen! Druckt und verbreitet diesen Aufruf.

1 Anscheinend handelt es sich um solche Tatsachen, wie die gegen Gussew erhobene Anschuldigung, auf dem 2. Parteitag eine „falsche" Liste der Zentralkomitee-Kandidaten angefertigt zu haben (siehe „Der Zusammenstoß zwischen Genossen Gussew und Genossen Deutsch“).

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