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Wladimir I. Lenin 19040100 Vorwort zur Broschüre „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben"

Wladimir I. Lenin: Vorwort zur Broschüre „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben"1

[Veröffentlicht im Jahre 1904 in der Broschüre W. I. Lenins „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben". Genf. Nach Sämtliche Werke, Band 6, Wien-Berlin 1930, S. 172 f.]

Den „Brief an einen Genossen", den ich wieder abdrucke, habe ich vor über einem Jahre geschrieben, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, im September 1902. Er ging zunächst in Abschriften von Hand zu Hand und wurde in Russland als Darlegung der iskristischen Ansichten über Organisationsfragen verbreitet. Dann hat der „Sirbirski Sojus"2 im vorigen Jahre diesen Brief abgedruckt und in einer sehr hohen Zahl von Exemplaren verbreitet. Auf diese Weise ist der Brief bereits Gemeingut geworden, und es liegt jetzt kein Grund vor, mit seiner Veröffentlichung zu zögern. Die Erwägung, die mich bisher veranlasste, den Brief nicht zu drucken, nämlich der Umstand, dass er literarisch ganz ungenügend durchgearbeitet war, dass er den Charakter eines ersten Entwurfs trug, fällt weg, da schon viele Genossen, die in Russland in der praktischen Arbeit stehen, den Brief eben in dieser Form gelesen haben. Außerdem ist jetzt ein noch wichtigerer Grund für den Abdruck dieses Briefes in der nicht durchgearbeiteten Form (ich habe nur die notwendigsten stilistischen Verbesserungen vorgenommen) – seine Bedeutung als „Dokument"*. Die neue Redaktion der „Iskra" hat bekanntlich schon in Nr. 53 Meinungsverschiedenheiten in Organisationsfragen hervorgehoben. Leider hat sich die Redaktion nicht damit beeilt, klar zu sagen, worin diese Meinungsverschiedenheiten bestehen, sie hat sich meist nur auf niemand verständliche Andeutungen beschränkt.

Man muss sich bemühen, der neuen Redaktion ihre schwierige Aufgabe zu erleichtern. Mögen die alten organisatorischen Auffassungen der „Iskra" in allen ihren Einzelheiten, sei es selbst in ihren ersten Entwürfen, bekannt werden, – vielleicht wird dann die neue Redaktion daran gehen, endlich der von ihr „ideologisch geführten" Partei ihre neuen organisatorischen Auffassungen zu eröffnen. Vielleicht wird uns dann endlich die neue Redaktion die genaue Formulierung der grundlegenden Änderungen mitteilen, die sie für das Organisationsstatut unserer Partei entwerfen würde. Denn wer versteht in der Tat nicht, dass gerade in dieses Organisationsstatut die Organisationspläne, die wir stets vertreten haben, übernommen wurden?

Wenn die Leser „Was tun?" und die Artikel in der „Iskra" über Organisationsfragen mit dem vorliegenden „Brief an einen Genossen" und diesen Brief mit dem Statut, das auf dem zweiten Parteitag angenommen wurde, vergleichen, so werden sie sich eine klare Vorstellung davon machen können, wie konsequent wir, die Mehrheit der Iskristen und die Mehrheit des Parteitages, unsere organisatorische „Linie" durchgeführt haben. Von der neuen Redaktion der „Iskra" aber erwarten wir, und zwar mit größter Ungeduld, dass sie ihre neuen organisatorischen Auffassungen darlegt, wir werden darauf warten, dass sie mitteilt, warum und seit welchem Augenblick sie sich enttäuscht fühlt und warum sie begonnen hat, zu „verbrennen, was sie angebetet hat".

Januar 1904

1 In dem Vorwort zur Broschüre „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben" wird Nr. 53 der „Iskra" vom 25. November 1903 erwähnt: Lenin meint den von Martow geschriebenen Leitartikel der „Iskra" „Unser Parteitag". In diesem Artikel schrieb Martow, die Debatten auf dem 2. Parteitag zu den einzelnen Punkten des Statuts hätten „in der einheitlichen ,iskristischen' Mehrheit eine Teilung hervorgerufen, in der das grundverschiedene Verhalten zu wichtigen Fragen der Parteiorganisation zum Ausdruck gekommen ist. Aber der übergroßen Mehrheit der Parteitagsdelegierten ist weder die Tiefe dieser Meinungsverschiedenheit noch ihre prinzipielle Grundlage sofort klar geworden"…

Indem Lenin auf Seite 172 dieses Bandes sagt, es würde ungeschickt sein, „beim Abdruck (des Briefes) irgendwelche Änderungen vorzunehmen", spielt er auf die Broschüre L. Trotzkis „Der Zweite Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Bericht der sibirischen Delegation" an. Diese hektographierte Broschüre enthielt ursprünglich eine Reihe von Ausfällen gegen Plechanow; nachdem Plechanow die vier früheren Redaktionsmitglieder kooptiert hatte, wurde die Broschüre noch einmal vom Verfasser durchredigiert und beim Druck wurden alle gegen Plechanow gerichteten Stellen weggelassen.

2 „Sibirischer Bund". Die Red.

* Nachdem meine Opponenten mehrfach den Wunsch äußerten, diesen Brief als Dokument zu benutzen, würde ich, gelinde gesagt, es für geradezu ungeschickt halten, wollte ich beim Abdruck irgendwelche Änderungen vornehmen.

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