Lenin‎ > ‎1905‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19050200 Änderung der Bestimmung des Statuts über die Zentralinstanzen

Wladimir I. Lenin: Änderung der Bestimmung des Statuts über die Zentralinstanzen1

[Geschrieben im Februar 1905. Zum ersten Mal veröffentlicht 1926 im „Lenin-Sammelbuch" Nr. 5. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 191-194]

Ein erheblicher Teil der in Russland tätigen Genossen, darunter das Büro der Komitees der Mehrheit, spricht sich für ein Zentrum in Russland aus.

Was bedeutet eigentlich eine solche Reform? In einem Zentrum sollen die Genossen überwiegen, die in Russland tätig sind – das ergibt sich zweifellos aus der erwähnten Tendenz. Ihre Verwirklichung hängt ganz vom Willen des Parteitages ab, der das Zentrum wählt. Also braucht man darüber nicht zu streiten und nicht zu sprechen.

Aber weiter, wie wird das Verhältnis des Zentralorgans zum Zentralkomitee aussehen? Das Zentralorgan, sagt man uns, sei eine Kommission, die vom Zentralkomitee eingesetzt ist. Ein (oder zwei) Mitglieder der Redaktion des Zentralorgans (sagen dieselben Genossen) können als Teil, und zwar als kleinerer Teil dem Zentralkomitee angehören. Es ist dann die Frage, worin die Teilnahme dieses ausländischen Teils des Zentralkomitees an den Angelegenheiten des Zentralkomitees sich äußern soll? Durch „Briefwechsel" real an den Angelegenheiten des Zentralkomitees teilzunehmen, ist eine offenkundige Utopie, darüber kann man nur im Scherz sprechen. Im Auslande gelingt es nur mit großer Mühe, um den Preis einer Unmenge von Scherereien, Arbeit, Geschimpfe und Unannehmlichkeiten, eine schlechte Information post factum zu erreichen, von einer „Teilnahme an Entscheidungen" vom Auslande aus kann man nur „aus Wichtigtuerei" oder aus Heuchelei sprechen.

Also, von zwei Dingen eins: entweder die ausländischen Mitglieder (respektive das ausländische Mitglied) des Zentralkomitees bedingen sich aus nach dem Statut der Partei (denn andere „Verträge" haben keine Gültigkeit) periodische Zusammenkünfte des gesamten Zentralkomitees im Auslande. Wenn dem so ist, dann entspricht dieses oberste Zentrum faktisch durchaus dem jetzigen Parteirat, d. h. es wird zu einer Institution, die sich drei-, vier- oder fünfmal im Jahr versammelt und nur die allgemeine Direktive für die gesamte Arbeit gibt. Oder aber das Zentralkomitee versammelt sich in Russland und entscheidet dort alle Angelegenheiten ohne das ausländische Mitglied; dann ist letzteres nur dem Namen nach und notorisch fiktiv Mitglied des Zentralkomitees. In Wirklichkeit kann es bei der Entscheidung der allgemeinen Angelegenheiten nicht mitwirken. Unter solchen Umständen könnte man mit vollem Recht im Zweifel sein, ob sich Leute für diesen „Posten" (oder für diese Sinekure?) als „Auslandsmitglieder" des Zentralkomitees finden würden!

Eine andere (und letzte mögliche) Annahme. Das ganze Zentralkomitee, als ein Zentrum, besteht aus Genossen, die in Russland tätig sind. Nur ein solches Zentrum wird real ein einheitliches russisches Zentrum sein. Dieses bestimmt im Auslande eine Vertretung. Praktisch wird jedoch diese Vertretung als selbständiges Zentrum existieren: in der Tat, man stelle sich die Redaktion des Zentralorgans vor. Natürlich braucht man hier ein ganzes Kollegium, das sich erst sehr langsam herausbildet und einarbeitet (Russland brauchte anderthalb Jahre, um ein neues Zentralorgan nach dem II. Parteitag zu schaffen, und das bei größtem Interesse ganz Russlands an der schweren Krise der Gesamtpаrtei!). In der Praxis führt dieses Kollegium das wöchentliche Organ durchaus selbständig. Das russische Zentralkomitee äußert sich über die Führung des Organs bestenfalls durch eine „Beratung" einmal in einem halben Jahr (oder einmal in anderthalb Jahren), wodurch unterscheidet sich nun eine solche „Beratung" von dem „Parteirat"? – oder durch einen „Brief" eines einzelnen Mitgliedes des Zentralkomitees. In der Praxis führt dieses ausländische Kollegium die Agitation und die Vorbereitung von Funktionären im Auslande (Referate und Versammlungen) vor Hunderten von Parteimitgliedern. Das Zentralkomitee ist physisch nicht imstande, diese Arbeit tatsächlich zu lenken, tatsächlich diese Arbeit des ausländischen Kollegiums zu leiten. Das Zentralkomitee ist physisch nicht imstande, sich an dieser Arbeit anders zu beteiligen als durch seltene Besprechungen mit den Personen, die diese Arbeit machen. Und wiederum: wodurch werden sich diese Beratungen von dem Parteirat unterscheiden??

Das Fazit: in Wirklichkeit, in der Praxis wird „ein" Zentrum entweder eine Fiktion sein oder es wird auf das jetzige System hinauslaufen, unbedingt und unvermeidlich auf das hinauslaufen, was man spöttisch „dreifaches Zentrum" nennt. In Wirklichkeit, in der Praxis wird der Unterschied der geographischen und politischen Bedingungen im Charakter der Arbeit unvermeidlich und unabwendbar (bis zum Sturz des Absolutismus) immer wieder zwei Zentren in unserer Partei hervorrufen, die lediglich von Zeit zu Zeit durch „Beratungen" vereinigt werden, die in Wirklichkeit stets auch die Rolle des obersten oder des höchsten „Rates" der Partei spielen werden.

Es ist durchaus verständlich, dass die Reaktion gegen das Ausland bei den in Russland Tätigen den allgemeinen Schrei auslöste: Weg mit dem Ausland! Weg mit den zwei Zentren! Diese Reaktion ist berechtigt und lobenswert, denn sie bedeutet ein gewaltiges Wachstum der Parteikräfte und des Selbstbewusstseins der Partei nach dem II. Parteitag. Diese Reaktion bringt einen Fortschritt unserer Partei zum Ausdruck, darüber gibt's keinen Streit. Man soll sich aber durch Worte nicht verführen lassen oder die Stimmung des betreffenden Augenblicks, die vorübergehende „Wut" gegen die „Emigranten" zu einem „System" erheben. Aus Wut lässt sich kein Parteisystem bauen. Nichts ist leichter, als die kurze und einfache Regel zu beschließen: es gibt nur ein Zentrum; aber mit einem solchen Beschluss kommen wir keineswegs der Lösung der sehr komplizierten Frage näher, wie man real (und nicht auf dem Papier) die verschiedenen Funktionen der Arbeit in Russland und im Auslande vereinigen kann.

1 Dieser Artikel richtete sich gegen die Versuche einiger Genossen, Mitglieder des Büros der Komitees der Mehrheit, speziell Bogdanows, sich von der Kontrolle und Leitung des ausländischen bolschewistischen Zentrums, nämlich des von Lenin redigierten „Wperjod", zu befreien.

Kommentare