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Wladimir I. Lenin 19050905 Die klarste Darlegung des konfusesten Planes

Wladimir I. Lenin: Die klarste Darlegung des konfusesten Planes

[„Proletarij", Nr. 15, 5. September (23. August) 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 8, 1931, S. 236-238]

Im Leitartikel haben wir auf die Verworrenheit des neuen „Duma-Kampagne"-Planes der neuen „Iskra" hingewiesen. Hier seine allerklarste Auslegung von Martow selbst in der Wiener „Arbeiter-Zeitung" vom 24. August n. St. (die Unterstreichungen in den Zitaten sind überall von Martow selbst). Er schreibt, wobei er sich auf die „Unterstützung durch viele russische Organisationen" beruft:

Der Plan ist dieser: Die Arbeiterorganisationen ergreifen die Initiative zur Gründung der Volksagitationskomitees, die von allen mit der zarischen „Reform" nicht zufriedengestellten Elementen der Bevölkerung zu wählen sind. Die Aufgabe solcher Komitees ist, zuallererst die Agitation für die wirkliche Volksvertretung im ganzen Lande zu entfalten. Diese Komitees werden formell zum Zwecke der Teilnahme der Masse der Bevölkerung an den bevorstehenden Wahlen gebildet. Da sie durch das Wahlrecht von der direkten Teilnahme ausgeschlossen sind, können die Staatsbürger an den Wahlen indirekt teilnehmen, indem sie ihre Meinungen und Forderungen den engeren Kollegien der privilegierten Wähler mitteilen. Auf die Wählerkollegien üben die Komitees den Druck in dem Sinne, dass in die Duma nur entschiedene Anhänger der demokratischen und freien Vertretung gewählt werden. Dabei trachten die Komitees außerhalb der „legalen" Vertretung eine illegale Vertretung zu schaffen, die in einem bestimmten Moment vor dem Lande als provisorisches Organ des Volkswillens auftreten könnte. Die Komitees rufen die Bevölkerung auf, ihre Vertreter durch allgemeine Stimmenabgabe zu wählen, diese Vertreter sollen im gegebenen Moment in einer Stadt zusammenkommen und sich als konstituierende Versammlung proklamieren. Das ist sozusagen das ideale Ziel dieser Kampagne.1 Ob es dazu kommt oder nicht, die Bewegung auf diesem Wege wird die Organisation der revolutionären Selbstverwaltung schaffen, die den Rahmen der zaristischen Legalität bricht und Grundsteine zu dem kommenden Triumph der Revolution legt. Die Elemente einer solchen revolutionären Selbstverwaltung werden nach und nach in ganz Russland gebildet, wie zum Beispiel jetzt schon in zwei kaukasischen Gouvernements, wo die offiziellen Behörden durch die ganze Bevölkerung boykottiert werden und die Bevölkerung von der eigenen gewählten Behörde verwaltet wird. (Nebenbei: Die Bauern von Gurien2 verlangen die Bestätigung dieser Behörde durch unser Komitee.)

Die Organisation einer solchen überall öffentlich funktionierenden Selbstverwaltung ist die Form, in der die Liquidation der Autokratie, welche nicht freiwillig die Konstitutionsära inaugurieren will, vor sich gehen soll. Es versteht sich, dass die Möglichkeit selbst einer solchen Organisation durch die wachsende Desorganisation des Regierungsapparates und durch das Anwachsen der wirkenden Kraft im Volke geschaffen wird."

Wir empfehlen den Genossen diesen beispiellosen Plan als das ideale Ziel der monarchistischen (Oswoboschdjenije-) Bourgeoisie, als das ideale Ziel der Liquidierung der russischen proletarisch-bäuerlichen Revolution durch die liberalen Grundherren.

Die Oswoboschdjenije-Bourgeoisie, d.h. die monarchistische Bourgeoisie, will, wie wir schon hunderte Mal gezeigt haben, eben eine solche „Liquidierung", bei der sich der Übergang der Macht an die Bourgeoisie ohne einen Volksaufstand oder wenigstens ohne einen vollen Sieg des Volksaufstandes vollzöge. Manilowsche Pläne von „Wahlen" unter Aufrechterhaltung der Macht des Absolutismus sind der liberalen Bourgeoisie ganz und gar gelegen, die einzig und allein imstande ist, etwas durchzuführen, was solchen Wahlen ähnlich sieht.

Bei den Einzelheiten dieses lächerlichen Planes wollen wir uns nur kurz aufhalten. Ist es nicht naiv, zu vergessen, dass sich im Kaukasus (nicht in zwei Gouvernements, sondern in einigen Amtsbezirken) die Selbstverwaltung auf den bewaffneten Aufstand stützt? Ist es nicht Kinderei, zu glauben, dass das, was in einigen Gebirgsdörfern im fernen Randgebiete möglich ist, auch in Zentralrussland, ohne den Sieg des Volkes über den Absolutismus, möglich sei? Ist der Plan vielstufiger „Wahlen" unter Aufrechterhaltung der Macht der absolutistischen Regierung nicht ideale Pedanterie? Die „unzufriedenen Elemente der Bevölkerung" (?) wählen Volksagitationskomitees (ohne Programm, ohne klare Losungen). Die Komitees setzen eine „illegale Vertretung" ein (die offenbar die illegale Organisation der sozialistischen Arbeiterpartei einfach durch eine Oswoboschdjenije-Organisation ersetzt!). Dass die Ersetzung des klaren revolutionären Ausdruckes „provisorische Regierung als Organ des Aufstandes" durch den unklaren Ausdruck „Organ des Volkswillens" der bürgerlichen Semstwo-Partei ganz und gar in den Kram passt, ist offensichtlich. Allgemeine Wahlen zur konstituierenden Versammlung durch die Initiative der „illegalen" Komitees und bei der Belassung der Regierungsmacht in den Händen der Trepow und Komp. ist eine ganz kindische Idee.

In Polemiken ist der „Anwalt des Teufels", des Verteidigers der unsinnigen, von allen abgelehnten Meinung, zuweilen von Nutzen. Diese Rolle hat jetzt die „Iskra" übernommen. Ihr Plan eignet sich vortrefflich für den Unterricht im Widerlegen von Unsinn in Zirkeln, fliegenden Versammlungen, Massenmeetings usw., für die deutlichere Gegenüberstellung der Losungen des Proletariats und der Losungen der monarchistischen liberalen Bourgeoisie.

1 Dieser Satz fehlt in der „Arb.-Ztg."; wahrscheinlich hat Lenin das Zitat einem anderen Abdruck des Artikels übernommen. D. Red.

2 Landschaft am Schwarzen Meere, zwischen Batum und Poti. D. Red.

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