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Wladimir I. Lenin 19050710 Revolutionäre Armee und revolutionäre Regierung

Wladimir I. Lenin: Revolutionäre Armee und revolutionäre Regierung

[Proletarij" Nr. 7, 27. Juni/10. Juli 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 514-523]

Der Aufstand in Odessa und der Übertritt des Panzerkreuzers „Potemkin" auf die Seite der Revolution bezeichneten einen neuen und großen Schritt vorwärts in der Entwicklung der revolutionären Bewegung gegen den Absolutismus. Die Ereignisse haben mit überraschender Schnelligkeit das Zeitgemäße der Aufrufe zum Aufstand und zur Bildung einer provisorischen revolutionären Regierung – der Aufrufe, die die zielbewussten Vertreter des Proletariats in Gestalt des III. Parteitages der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands an das Volk richteten – bestätigt. Das neue Auflodern der revolutionären Flamme verbreitet Licht über die praktische Bedeutung dieser Aufrufe und veranlasst uns, die Aufgaben der revolutionären Kämpfer im gegenwärtigen Moment in Russland genauer zu bestimmen.

Der allgemeine bewaffnete Volksaufstand reift und organisiert sich vor unseren Augen unter dem Einfluss der elementaren Entwicklung der Ereignisse. Die Zeiten liegen gar nicht so weit zurück, wo die einzige Äußerung des Volkskampfes gegen den Absolutismus Revolten waren, d. h. unbewusste, unorganisierte, spontane, zuweilen barbarische Empörungen. Aber die Arbeiterbewegung als die Bewegung der vorgeschrittensten Klasse, des Proletariats, wuchs rasch über dieses Anfangsstadium hinaus. Die zielbewusste Propaganda und Agitation der Sozialdemokratie hat ihre Schuldigkeit getan. An Stelle der Revolten traten organisierte Streikkämpfe und politische Demonstrationen gegen den Absolutismus. Die brutalen Militärexekutionen „schulten" im Laufe von einigen Jahren das Proletariat und das einfache Volk der Städte und bereiteten es zu höheren Formen des revolutionären Kampfes vor. Der verbrecherische und schändliche Krieg, in den der Absolutismus das Volk hineintrieb, brachte den Becher der Volksgeduld zum Überlaufen. Es begannen Versuche der bewaffneten Abwehr der Menge gegen die zaristischen Truppen. Es begannen regelrechte Straßenschlachten zwischen dem Volke und dem Militär, Barrikadenkämpfe. Der Kaukasus, Łódź, Odessa, Libau zeigten uns in allerletzter Zeit Muster des proletarischen Heldenmuts und des Volksenthusiasmus. Der Kampf begann in den Aufstand umzuschlagen. Die schändliche Rolle von Henkern der Freiheit, von Bütteln der Polizei musste allmählich auch der zaristischen Armee selbst die Augen öffnen. Die Armee begann zu schwanken. Anfangs vereinzelte Fälle des Ungehorsams, Empörungsausbrüche der Reservisten, Proteste der Offiziere, Agitation unter den Soldaten, Weigerung einzelner Kompanien oder Regimenter, auf ihre Arbeitsbrüder zu schießen. Dann – Übertritt eines Teils der Armee auf die Seite des Aufstandes.

Die gewaltige Bedeutung der letzten Ereignisse in Odessa besteht gerade darin, dass hier zum ersten Mal ein bedeutender Teil der Militärmacht des Zarismus – ein ganzer Panzerkreuzer – offen auf die Seite der Revolution übergetreten ist. Die Regierung machte wütende Anstrengungen und wendete alle möglichen Schliche an, um vor dem Volke dieses Ereignis zu verheimlichen, um den Aufstand der Matrosen im Keime zu ersticken. Nichts hat geholfen. Die gegen den revolutionären Panzerkreuzer „Potemkin" entsandten Kriegsschiffe weigerten sich, gegen ihre Kameraden zu kämpfen Die absolutistische Regierung, die in Europa Nachrichten über die Kapitulation des „Potemkin", über den Befehl des Zaren, den revolutionären Panzerkreuzer zu versenken, verbreitete, hatte sich vor der ganzen Welt vollends blamiert. Das Geschwader ist nach Sewastopol zurückgekehrt, die Regierung beeilt sich, die Matrosen zu entlassen, die Kriegsschiffe zu entwaffnen; es zirkulieren Gerüchte über Massenverabschiedungen von Offizieren der Schwarzmeerflotte; auf dem Panzerkreuzer „Georgij Pobjedonossez", der kapituliert hatte, haben wiederum Meutereien begonnen. In Libau und Kronstadt erheben sich die Matrosen ebenfalls; es häufen sich die Zusammenstöße mit dem Militär; in Libau geht ein Barrikadenkampf der Matrosen und Arbeiter gegen die Soldaten. Die ausländische Presse berichtet über Meutereien auf einer ganzen Reihe anderer Kriegsschiffe (Minin, Alexander II. usw.). Die zaristische Regierung ist ohne Flotte geblieben, das Höchste, was sie vorläufig erreichen konnte, das ist, die Flotte vom aktiven Übertritt auf die Seite der Revolution zurückzuhalten. Der Panzerkreuzer „Potemkin" aber blieb ein unbesiegbares Territorium der Revolution, und welches immer sein Schicksal sein mag, wir haben die unzweifelhafte und höchst bedeutsame Tatsache vor uns: den Versuch zur Bildung eines Kerns der revolutionären Armee.

Keine Repressalien, keine Teilsiege über die Revolution werden die Bedeutung dieses Ereignisses aus der Welt schaffen. Der erste Schritt ist getan. Der Rubikon ist überschritten. Der Übergang der Armee auf die Seite der Revolution hat sich ganz Russland und der ganzen Welt eingeprägt. Neue, noch energischere Versuche zur Bildung einer revolutionären Armee werden auf die Ereignisse in der Schwarzmeerflotte unausbleiblich folgen. Unsere Sache ist es jetzt, diese Versuche mit allen Kräften zu unterstützen, den breitesten Massen des Proletariats und der Bauernschaft die allgemeine Bedeutung der revolutionären Armee im Kampfe um die Freiheit klarzumachen, den einzelnen Teilen dieser Armee zu helfen, die nationale Fahne der Freiheit zu hissen, die geeignet ist, die Massen heranzuziehen, die Kräfte zu vereinen, welche den zaristischen Absolutismus zermalmen könnten.

Revolten – Demonstrationen – Straßenkämpfe – Teile einer revolutionären Armee – das sind die Entwicklungsetappen des Volksaufstandes. Jetzt sind wir endlich an der letzten Etappe angelangt. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass die Bewegung als Ganzes schon auf dieser neuen, höchsten Stufe steht. Nein, in der Bewegung ist noch Vieles unentwickelt, die Odessaer Ereignisse weisen noch deutliche Züge der alten Revolten auf. Aber das bedeutet, dass die ersten Wogen des spontanen Stromes sich bereits bis zur Schwelle der absolutistischen „Zwingburg" herangewälzt haben. Das bedeutet, dass die vorgeschrittenen Vertreter der Volksmasse selbst, nicht auf Grund theoretischer Erwägungen, sondern unter dem Druck der wachsenden Bewegung, bereits zu neuen, höheren Aufgaben des Kampfes, des Endkampfes gegen den Feind des russischen Volkes gekommen sind. Der Absolutismus hat alles getan, um diesen Kampf vorzubereiten. Er hat jahrelang das Volk zum bewaffneten Kampf gegen das Militär getrieben und jetzt erntet er, was er gesät hat. Aus dem Militär selbst erwachsen die Abteilungen der revolutionären Armee.

Die Sache solcher Abteilungen ist es, den Aufstand zu proklamieren, den Massen die militärische Leitung zu geben, die für den Bürgerkrieg ebenso notwendig ist, wie für jeden anderen Krieg, Stützpunkte des allgemeinen offenen Kampfes zu schaffen, den Aufstand in die benachbarten Gegenden zu tragen, die volle politische Freiheit – wenn auch zunächst nur in einem kleinen Gebietsteil des Reiches – zu sichern, mit dem revolutionären Umbau der verfaulten autokratischen Ordnung zu beginnen, die revolutionäre schöpferische Tätigkeit der unteren Volksschichten, die in friedlichen Zeiten an dieser Tätigkeit wenig beteiligt sind, die aber in revolutionären Epochen in den Vordergrund treten, in voller Breite zu entfalten. Nur wenn sie diese neuen Aufgaben erkennen, nur wenn sie sie kühn und umfassend stellen, können die Abteilungen der revolutionären Armee den vollen Sieg erringen und als Stützpunkte der revolutionären Regierung dienen. Und die revolutionäre Regierung ist in dem gegebenen Stadium des Volksaufstandes ebenso dringend notwendig, wie die revolutionäre Armee. Die revolutionäre Armee ist notwendig zum militärischen Kampf und zur militärischen Leitung der Volksmassen gegen die Reste der Militärmacht des Absolutismus. Die revolutionäre Armee ist deshalb notwendig, weil die großen geschichtlichen Probleme nur durch Gewalt gelöst werden können, die Organisation der Gewalt im modernen Kampf aber ist eine militärische Organisation. Und außer den Resten der Militärmacht des Absolutismus gibt es noch militärische Kräfte der Nachbarstaaten, bei denen die stürzende russische Regierung jetzt schon um Unterstützung bettelt, worüber weiter unten gesprochen werden soll.

Die revolutionäre Regierung ist notwendig zur politischen Leitung der Volksmassen, zuerst in jenem Gebietsteil, der dem Zarismus durch die revolutionäre Armee schon entrissen ist, und später im ganzen Staate. Die revolutionäre Regierung ist notwendig zur sofortigen Inangriffnahme der politischen Umgestaltung, um die es in der Revolution geht – zur Errichtung einer revolutionären Selbstverwaltung des Volkes, zur Einberufung einer wirklich nationalen und wirklich konstituierenden Versammlung, zur Durchführung jener „Freiheiten", ohne die ein richtiger Ausdruck des Volkswillens unmöglich ist. Die revolutionäre Regierung ist notwendig zur politischen Vereinigung des aufständischen Teils des Volkes, der tatsächlich und endgültig mit dem Absolutismus gebrochen hat, zu seiner politischen Organisation. Diese Organisation kann natürlich nur eine provisorische sein, ebenso wie die revolutionäre Regierung nur provisorisch sein kann, die im Namen des Volkes die Macht in die Hände nimmt, um den Volkswillen zu sichern und ihre Tätigkeit mit Hilfe des Volkes auszuüben. Aber diese Organisation muss sofort beginnen, in untrennbarer Verbindung mit jedem erfolgreichen Schritt des Aufstandes, denn die politische Vereinigung und die politische Leitung können keinen Augenblick aufgeschoben werden. Für den vollständigen Sieg des Volkes über den Zarismus ist die sofortige politische Leitung des aufständischen Volkes nicht minder notwendig als die militärische Leitung seiner Kräfte.

Wie der endgültige Ausgang des Kampfes zwischen den Anhängern des Absolutismus und der Volksmasse ausfallen wird, darüber können bei niemand, der einigermaßen seine Urteilskraft bewahrt hat, Zweifel bestehen. Jedoch dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass der ernste Kampf erst jetzt beginnt, dass uns noch große Prüfungen bevorstehen. Die revolutionäre Armee sowohl wie die revolutionäre Regierung stellen „Organismen" von so hohem Typus dar, erfordern so komplizierte Einrichtungen, ein so entwickeltes staatsbürgerliches Selbstbewusstsein, dass es falsch wäre, die einfache, sofortige, richtige Durchführung dieser Aufgaben mit einem Schlage zu erwarten. Nein, das erwarten wir nicht, wir wissen die Bedeutung jener beharrlichen, langsamen, oft unsichtbaren Arbeit der politischen Erziehung zu schätzen, die die Sozialdemokratie stets verrichtet hat und verrichten wird. Aber wir dürfen auch den im gegenwärtigen Moment noch gefährlicheren Unglauben an die Kräfte des Volkes nicht zulassen, wir müssen daran denken, welche gewaltige aufklärende und organisierende Kraft die Revolution besitzt, wenn mächtige historische Ereignisse die Spießer aus ihren Bärenhöhlen, aus ihren Dachböden und Kellern mit Gewalt herausziehen und sie zwingen, Bürger zu werden. Monate der Revolution erziehen zuweilen schneller und gründlicher zu Staatsbürgern als Jahrzehnte der politischen Stagnation. Die Aufgabe der bewussten Führer der revolutionären Klasse ist es, ihr bei der Erziehung stets voranzugehen, die Bedeutung der neuen Aufgaben klarzumachen und sie nach vorwärts zu rufen, zu unserem großen Endziel. Die Misserfolge, die uns unvermeidlich bei den weiteren Versuchen zur Bildung einer revolutionären Armee und zur Errichtung einer provisorischen revolutionären Regierung erwarten, werden uns nur die praktische Lösung dieser Aufgaben lehren, werden nur neue und frische, jetzt verborgen schlummernde Volkskräfte zu dieser Lösung heranziehen.

Nehmen wir das Militärwesen. Kein Sozialdemokrat, der auch nur halbwegs mit der Geschichte vertraut ist, der bei dem großen Kenner dieser Sache Engels gelernt hat, zweifelte jemals an der großen Bedeutung der militärischen Kenntnisse, an der ungeheuren Wichtigkeit der militärischen Technik und der militärischen Organisation als eines Werkzeugs, dessen sich die Volksmassen und Volksklassen zur Lösung der großen geschichtlichen Konflikte bedienen. Die Sozialdemokratie sank nie dazu herab, mit militärischen Verschwörungen zu spielen, sie stellte nie die militärischen Fragen in den Vordergrund, solange nicht die Bedingungen des begonnenen Bürgerkrieges vorhanden waren.* Jetzt aber rückten alle Sozialdemokraten die militärischen Fragen, wenn nicht an die erste Stelle, so doch an eine der ersten Stellen, setzten sie das Studium dieser Fragen und das Bekanntmachen der Volksmassen mit ihnen auf die Tagesordnung. Die revolutionäre Armee muss die militärischen Kenntnisse und die militärischen Mittel zur Lösung des weiteren Schicksals des russischen Volkes, zur Lösung der ersten, dringlichsten Frage, der Frage der Freiheit, praktisch anwenden.

Auch die Aufgabe der Errichtung einer revolutionären Regierung ist ebenso neu, ebenso schwierig und kompliziert, wie die Aufgabe der Organisierung der militärischen Kräfte der Revolution. Aber auch diese Aufgabe kann und muss vom Volke gelöst werden. Und auch dabei wird jeder teilweise Misserfolg eine Vervollkommnung der Methoden und Mittel, eine Festigung und Erweiterung der Resultate zeitigen. Der III. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands hat in seiner Resolution die allgemeinen Bedingungen zur Lösung der neuen Aufgabe umrissen – es ist höchste Zeit, an die Besprechung und Vorbereitung der praktischen Bedingungen ihrer Verwirklichung zu gehen. Unsere Partei hat ein Minimalprogramm, ein abgeschlossenes Programm jener Umgestaltungen, die sofort im Rahmen der demokratischen (d. h. bürgerlichen) Umwälzung durchaus durchführbar und die dem Proletariat zu seinem weiteren Kampf für die sozialistische Umwälzung notwendig sind. Doch dieses Programm enthält Grundforderungen und Teilforderungen, die aus den Grundforderungen folgen oder die man als selbstverständlich voraussetzt. Wichtig ist gerade, bei jedem Versuch der Errichtung einer provisorischen revolutionären Regierung die Grundforderungen in den Vordergrund zu rücken, um dem ganzen Volke, der ganzen, selbst der unaufgeklärtesten Masse, in kurzen Formeln, in scharfen, klaren Umrissen die Ziele dieser Regierung, ihre nationalen Aufgaben zu zeigen.

Wir glauben, man könnte sechs solcher grundlegenden Punkte nennen, die zum politischen Banner und zum nächsten Programm jeder revolutionären Regierung werden müssen, die geeignet sind, die Sympathien des Volkes zu gewinnen, und auf die sich die ganze revolutionäre Energie des Volkes, als auf das Dringlichste konzentrieren muss.

Diese sechs Punkte sind: 1. konstituierende Nationalversammlung, 2. Bewaffnung des Volkes, 3. politische Freiheit, 4. volle Freiheit für die unterdrückten und nicht voll berechtigten Völkerschaften, 5. Achtstundentag und 6. revolutionäre Bauernkomitees. Selbstverständlich ist es nur eine ungefähre Aufzählung, es sind nur Überschriften, Bezeichnungen einer ganzen Reihe von Umgestaltungen, die sofort notwendig sind, um die demokratische Republik zu erkämpfen. Wir erheben hierbei keinen Anspruch auf erschöpfende Vollständigkeit. Wir wollen lediglich unseren Gedanken über die Wichtigkeit gewisser Grundaufgaben anschaulich klarmachen. Es ist notwendig, dass die revolutionäre Regierung bestrebt ist, sich auf die unteren Volksmassen, auf die Masse der Arbeiterklasse und der Bauernschaft zu stützen – ohne das kann sie sich nicht halten, ohne die revolutionäre Selbsttätigkeit des Volkes ist sie eine Null, ja schlimmer als eine Null. Wir haben das Volk vor dem Abenteurertum der hochtönenden, aber sinnlosen Versprechungen (wie etwa sofortige „Sozialisierung", wovon diejenigen, die darüber sprechen, selbst keine Vorstellung haben) zu warnen, indem wir zugleich Reformen in Vorschlag bringen, die im gegebenen Augenblick wirklich durchführbar und zur Festigung der Revolution wirklich notwendig sind. Die revolutionäre Regierung muss das „Volk" emporheben und seine revolutionäre Aktivität organisieren. Volle Freiheit den unterdrückten Völkerschaften, d. h. Anerkennung nicht nur ihrer kulturellen, sondern auch ihrer politischen Selbstbestimmung, Sicherstellung der dringlichsten Maßnahmen zum Schutze der Arbeiterklasse (den Achtstundentag als erste aus einer Reihe dieser Maßnahmen) und endlich Garantien ernster Maßnahmen im Interesse der Bauernmasse, ohne Rücksicht auf den Eigennutz der Grundherren – dies sind unseres Erachtens die Hauptpunkte, die jede revolutionäre Regierung besonders unterstreichen muss. Wir sprechen nicht von den ersten drei Punkten, die viel zu klar sind, als dass sie eines Kommentars bedürften. Wir sprechen nicht von der Notwendigkeit der praktischen Verwirklichung dieser Umgestaltungen selbst auf einem kleinen Gebiet, wenn man es dem Zarismus entrissen hat; die praktische Verwirklichung ist tausendmal wichtiger als alle Manifeste und allerdings auch tausendmal schwieriger. Wir lenken nur die Aufmerksamkeit darauf, dass man jetzt schon und sofort mit allen Mitteln eine richtige Vorstellung von unseren allgemeinen und nächsten Aufgaben verbreiten muss. Man muss verstehen, an das Volk – im wahren Sinne dieses Wortes – zu appellieren, nicht allein durch eine allgemeine Aufforderung zum Kampf (das genügt in der Zeit bis zur Bildung der revolutionären Regierung), sondern durch die direkte Aufforderung zur sofortigen Durchführung der grundlegendsten demokratischen Umgestaltungen, zu ihrer sofortigen selbständigen Umsetzung in die Wirklichkeit.

Die revolutionäre Armee und die revolutionäre Regierung – das sind zwei Seiten derselben Medaille. Das sind zwei Institutionen, gleich notwendig zum Gelingen des Aufstandes und zur Festigung seiner Errungenschaften. Das sind zwei Losungen, die unbedingt aufgestellt und erläutert werden müssen, als die einzigen konsequenten revolutionären Losungen. Bei uns gibt es jetzt viele Leute, die sich Demokraten nennen. Jedoch viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. In der sogenannten „Gesellschaft", in den angeblich demokratischen Semstwos gibt es wohl viele Schwätzer der „konstitutionell demokratischen Partei", aber wenig wahrhafte Demokraten, d. h. Leute, die aufrichtig für die volle Souveränität des Volkes eintreten, die fähig sind, gegen die Feinde der Volkssouveränität, gegen die Verteidiger des zaristischen Absolutismus auf Leben und Tod zu kämpfen.

Bei der Arbeiterklasse gibt es nicht diese Feigheit, diese heuchlerische Halbheit, wie sie der Bourgeoisie als Klasse eigen ist. Die Arbeiterklasse kann und muss ganz konsequent demokratisch sein. Die Arbeiterklasse hat mit ihrem in den Straßen von Petersburg, Riga, Libau, Warschau, Łódź, Odessa, Baku und vielen anderen Städten vergossenen Blut ihr Recht auf die Rolle der Avantgarde in der demokratischen Revolution bewiesen. Sie muss sich auch im gegenwärtigen entscheidenden Augenblick auf der Höhe dieser großen Rolle zeigen. Die bewussten Vertreter des Proletariats, die Mitglieder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, müssen – ohne auch nur einen Augenblick ihr sozialistisches Ziel, ihre Selbständigkeit als Klasse und Partei zu vergessen – vor dem ganzen Volk mit den vorgeschrittenen demokratischen Losungen auftreten. Für uns, für das Proletariat, ist die demokratische Umwälzung nur die erste Stufe zur vollständigen Befreiung der Arbeit von jeder Ausbeutung, zum großen sozialistischen Ziel. Und deshalb müssen wir um so rascher diese erste Stufe zurücklegen, müssen wir um so entschiedener mit den Feinden der Volksfreiheit aufräumen, müssen wir um so lauter die Losungen der konsequenten Demokratie verkünden: eine revolutionäre Armee und eine revolutionäre Regierung.

* Vgl. „Die Aufgaben der russischen Sozialdemokraten“ von Lenin, S. 23, über das Unzeitgemäße (im Jahre 1897) der Frage nach den Methoden des entscheidenden Angriffs gegen den Zarismus.

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