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Wladimir I. Lenin 19050315 Wen wollen sie betrügen?

Wladimir I. Lenin: Wen wollen sie betrügen?

[Wperjod" Nr. 10, 2./15. März 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 220-222]

In der bei uns soeben eingelaufenen Nummer 89 der „Iskra" finden wir einen Beschluss des „Parteirates" vom 8. März 1905. Der ausländische „Parteirat" schüttet, wie zu erwarten war, Pech und Schwefel über den von den russischen Parteikomitees einzuberufenden Parteitag und erklärt, dass „dessen Teilnehmer sich durch ihre Handlungsweise selbst außerhalb der Partei stellen". Die Wut des ausländischen Konventikels, von dem sich die in Russland arbeitende Partei faktisch längst entfernt hat und jetzt sich auch formell entfernt, ist uns durchaus verständlich. Es ist auch verständlich, dass Menschen nur unter dem Einfluss der Wut und Verzweiflung so schlecht überlegen und so ungeschickt „von der Wahrheit abweichen" können, wie es der Parteirat tut. „Nach dem Statut“ – sagt man uns – „kann der Parteitag nur durch den Parteirat einberufen werden." Ja, mit Ausnahme des Falles, wo der Rat das Statut bricht und sich durch Betrug seiner Pflicht, den Parteitag einzuberufen, entzieht. Eben dieser „Fall" ist von der Partei dem Rat längst nachgewiesen worden (siehe Orlowski: „Der Parteirat gegen die Partei", wo unter anderem gezeigt wird, dass nach der Arithmetik des „Rates" 16 X 4 = 61 ist). Zum 1. Januar, heißt es weiter, habe es nach dem einstimmigen Beschluss des Rates (mit Einschluss Lenins) 33 rechtsfähige Organisationen gegeben, außer den Zentralinstanzen. Das ist unwahr. Der Partei ist aus derselben Broschüre längst bekannt, dass es zum 1. Januar 1905 nur 29 rechtsfähige Organisationen gegeben hat. Die Komitees des Kubangebiets und von Kasan, die von der „Iskra" genannt werden, sind niemals vom Rat bestätigt worden, und die von Polessje und dem Nordwestgebiet sind erst zum 1. April 1905 bestätigt worden. Es verbleiben 29 Organisationen (die Komitees von St. Petersburg, Moskau, Twer, Norden, Tula, Nischni-Nowgorod, Saratow, Ural-Ufa, Sibirien, Dongebiet, Charkow, Kiew, Odessa, Jekaterinoslaw, Riga, Orel-Brjansk, Smolensk, Samara, Woronesch, der kaukasische Verband – vier Komitees, Kursk, Astrachan, Nikolajew, Krim, das Komitee des Berg- und Hüttenreviers und die Liga). Das „Büro der Komitees der Mehrheit" berufe sich auf die Vollmachten von zehn Organisationen, sagt ferner der Rat. Das ist Schwindel. Das Büro ist, wie alle Welt weiß, noch vor dem 1. Januar 1905 auf drei Konferenzen von dreizehn Komitees (sechs des Nordens, drei des Südens, vier kaukasische) gewählt worden. Nachdem das Büro die Einberufung des Parteitages in die Wege geleitet hatte, schlossen sich dem Büro die Komitees von Woronesch und Tula an, so dass zum 1. Januar 1905 von 28 voll berechtigten russischen Organisationen sich 15 gegen den Willen der bonapartistischen Zentralinstanzen für den Parteitag ausgesprochen haben. Hierbei sind noch nicht mitgerechnet jene voll berechtigten Organisationen (die Komitees von Saratow, Sibirien u. a.), die sich schon lange für einen Parteitag überhaupt ausgesprochen haben (siehe die Broschüre von Schachow: „Der Kampf um den Parteitag"). Wie lächerlich und plump die Versuche des Parteirates sind, das ununterrichtete Publikum, das die Sache nicht aus Dokumenten, sondern aus dem Geschwätz der Emigranten kennen lernt, zu betrügen, ist besonders aus folgenden zwei Beispielen zu ersehen. In der äußerst interessanten Broschüre „Bericht über die Versammlung in Genf vom 2. September 1904", herausgegeben von der Minderheit, gibt Dan zu, dass die Mehrzahl der Parteikomitees die parteigenössischen Beziehungen zu der „Iskra" abgebrochen habe; und Plechanow, der der Mehrheit ausgesprochen feindlich gegenübersteht, sieht sich zu der Erklärung gezwungen, dass die Kräfte der streitenden Parteien ungefähr gleich seien!! (Wohlgemerkt, es ist die Äußerung eines im Auslande Lebenden.) In der „Erklärung" von Lenin, die nicht nur von der Minderheit nicht widerlegt, sondern im Gegenteil durch das direkte Eingeständnis Popows bestätigt worden ist, gibt kein anderer als ein Vertreter des Zentralkomitees zu, dass die Minderheit nur vier russische Komitees hinter sich habe und dass auf einem wirklichen Parteitag zweifellos die Absetzung der Redaktion und des Parteirates beschlossen werden würde. Also nochmals: wen wollt ihr betrügen, verehrteste Helden der Kooptierung? Ihr fürchtet den einzigen wirklichen parteimäßigen Ausweg – den Parteitag – wie Feuer, und beteuert gleichzeitig, dass eure Gegner einen verschwindenden Teil der Organisation, im Ganzen etwa ein Viertel, hinter sich haben! In eurer Wut bemerkt ihr gar nicht, wie ihr euch selber schlagt. Nikolaus II. hat wohl darum solche Angst vor einer konstituierenden Versammlung, weil die Gegner des Zarismus einen verschwindenden Teil des Volkes ausmachen?

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