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Wladimir I. Lenin 19041222 Erklärung und Dokumente über den Bruch der zentralen Parteikörperschaften mit der Partei

Wladimir I. Lenin: Erklärung und Dokumente über den Bruch der zentralen Parteikörperschaften mit der Partei

[Geschrieben am 22. (9.) Dezember 1904. Veröffentlicht als Sonderbroschüre im Dezember 1904. Nach Sämtliche Werke, Band 6. Wien-Berlin 1930, S. 503-513]

In Nr. 77 der „Iskra" fordern drei Mitglieder des Zentralkomitees, die im Namen des gesamten Zentralkomitees sprechen, gegen den Genossen N. ein Schiedsgericht, weil er „mit dem Ziel der Desorganisierung der Partei eine unwahre Erklärung abgegeben" habe. Diese angeblich unwahre Erklärung wurde auf dem Wege über „ein Mitglied des Zentralkomitees abgegeben, das an der Ausarbeitung der Deklaration nicht teilgenommen hat", d. h. durch meine Vermittlung. Angesichts meiner nahen Beziehungen zu der Sache, und auch auf Grund der Vollmacht, die ich von Genossen N. erhalten habe, halte ich mich für berechtigt und verpflichtet, an der schiedsgerichtlichen Untersuchung teilzunehmen, indem ich mit folgender Anklage gegen die Zentralkomiteemitglieder Glebow, Walerjan und Nikititsch auftrete.

Ich klage sie statutenwidriger, falscher, formell und moralisch unzulässiger Handlungen gegen ihre Kollegen vom Zentralkomitee und gegen die gesamte Partei an.

Da diese falschen Handlungen die Parteikrise außerordentlich in die Länge ziehen und verschärfen und dabei die Masse der Parteiarbeiter in unmittelbarster Weise beeinflussen, so halte ich die Öffentlichkeit der Untersuchung in allem, was keine konspirativen Geheimnisse enthält, für unbedingt notwendig, und darum setze ich den Inhalt meiner Anklage ausführlich auseinander.

I. Ich klage die drei Zentralkomiteemitglieder Glebow, Walerjan, Nikititsch an, die Partei systematisch belogen zu haben.

1. Ich klage sie an, die Macht, die sie vom 2. Parteitag erhalten haben, benutzt zu haben zur Unterdrückung der öffentlichen Meinung der Partei, die in der Agitation für den 3. Parteitag zum Ausdruck gekommen ist. Sie hatten kein Recht, diese Agitation, die das unantastbare Recht eines jeden Parteimitgliedes ist, zu unterdrücken. Insbesondere hatten sie nicht das geringste Recht, das Südbüro wegen seiner Agitation für den Parteitag aufzulösen. Sie hatten weder das formelle noch das moralische Recht, mir als Mitglied des Parteirats eine Rüge zu erteilen, weil ich im Parteirat für den Parteitag gestimmt habe;

2. klage ich sie an, der Partei die Resolutionen der Komitees für den Parteitag verheimlicht und, auf das in sie gesetzte Vertrauen als Mitglieder der höchsten Parteikörperschaft spekulierend, die Komitees durch eine bewusst falsche Darstellung der Lage der Dinge in der Partei irregeführt zu haben. Sie verhinderten die Klärung der wahren Sachlage, indem sie es ablehnten, die Bitte des Rigaer Komitees um Veröffentlichung und Verbreitung der Resolution der 22 und um die Zusendung der Literatur der Mehrheit nach Russland zu erfüllen. Sie lehnten das unter dem Vorwand ab, dass diese Literatur keine Parteiliteratur sei;

3. klage ich sie an, in ihrer Agitation gegen den Parteitag selbst vor der Desorganisierung der örtlichen Arbeit nicht haltgemacht zu haben. Sie appellierten an die Organisationen der Peripherie gegen die Komitees, die sich für den Parteitag ausgesprochen hatten, sie diskreditierten diese Komitees in jeder Weise in den Augen der örtlichen Parteiarbeiter und zerstörten so das Vertrauen zwischen Komitee und Peripherie, ohne das jede Arbeit unmöglich ist;

4. klage ich sie an, durch den Delegierten des Zentralkomitees im Parteirat an den Beschlussfassungen des Parteirats über die Bedingungen für die Einberufung des 3. Parteitags mitgewirkt zu haben – an Beschlussfassungen, die den Parteitag unmöglich machen und der Partei so die Möglichkeit einer normalen Lösung des innerparteilichen Konflikts nehmen;

5. klage ich sie an, den Komitees erklärt zu haben, dass sie prinzipiell mit der Stellung der Mehrheit solidarisch seien, dass eine Verständigung mit der Minderheit nur möglich sei, wenn diese auf ihre geheime Sonderorganisation und auf die Kooptation in das Zentralkomitee verzichte, während sie gleichzeitig im Geheimen vor der Partei und bewusst gegen ihren Willen mit der Minderheit unter folgenden Bedingungen Abmachungen getroffen haben: 1. die Autonomie der technischen Unternehmungen der Minderheit bleibt bestehen; 2. drei von den eingefleischtesten Vertretern der Minderheit werden in das Zentralkomitee kooptiert;

6. klage ich sie an, ihre Autorität als Mitglieder der höchsten Parteikörperschaft ausgenutzt zu haben, um auf ihre politischen Gegner einen Schatten zu werfen. Sie haben Genossen P. gegenüber ehrlos gehandelt, als sie im Juli den Beschluss fassten, sein angeblich betrügerisches Auftreten im Nordkomitee zu untersuchen, und ihm dann bis jetzt (22. Dezember) nicht einmal von der Anklage Mitteilung machten, obgleich Glebow den Genossen P. mehrfach sah und obgleich derselbe Glebow sich als Mitglied des Parteirats herausnahm, in der „Iskra" die Handlung eines Genossen als „Betrug" zu bezeichnen, der der Möglichkeit, sich zu verteidigen, beraubt ist. Sie haben eine bewusste Unwahrheit gesprochen, als sie erklärten, Lidin sei nicht Vertrauensmann1 des Zentralkomitees gewesen. Sie haben die Parteimitglieder irregeführt, um in ihren Augen den Genossen Bontsch-Brujewitsch und seine Mitarbeiter in der Expedition zu diskreditieren, als sie in (Nr. 77) der „Iskra" eine Erklärung veröffentlichten, in der (und noch dazu fälschlicherweise) auf die Passiva der Expedition hingewiesen wird, – und das, nachdem sie Genossen Bontsch-Brujewitsch durch ihre Bevollmächtigten eine schriftliche Bescheinigung darüber ausgehändigt hatten, dass er die Sache gut durchgeführt habe und dass die Abrechnung in bester Ordnung sei;

7. klage ich sie an, die Abwesenheit der früheren Vertreter des Zentralkomitees im Ausland, der Genossen Wassiljew und Sw-w, ausgenutzt zu haben, um eine Parteieinrichtung (die Bibliothek und das Archiv der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands in Genf) zu diskreditieren. Sie haben in der „Iskra" mit der Unterschrift eines mir unbekannten „Vertreters" des Zentralkomitees eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie die Geschichte und den wahren Charakter dieser Einrichtung vollkommen entstellt haben.

II. Außerdem beschuldige ich die drei Zentralkomiteemitglieder Glebow, Walerjan und Nikititsch einer Reihe weder moralisch noch formell zulässiger Handlungen gegen die übrigen Mitglieder des Kollegiums.

1. Haben sie jede Grundlage der Parteiorganisation und Parteidisziplin zerstört, als sie mir (durch Genossen Glebow) das Ultimatum stellten, entweder aus dem Zentralkomitee auszuscheiden oder die Agitation für den Parteitag einzustellen;

2. haben sie das in ihrem Namen vom Zentralkomiteemitglied Glebow geschlossene Abkommen verletzt, als die Durchführung dieses Abkommens infolge der Änderung in der Zusammensetzung des Zentralkomitees für sie unvorteilhaft wurde;

3. hatten sie kein Recht, in ihrer Juli-Sitzung den Genossen N. für aus dem Zentralkomitee ausgeschieden zu erklären, ohne weder seine noch meine Erklärung gehört zu haben, um so mehr, als diesen drei Mitgliedern des Zentralkomitees unsere Forderung (die Forderung von vier Mitgliedern des Zentralkomitees) bekannt war, die strittige Frage in einer allgemeinen Sitzung des Zentralkomitees zu behandeln. Die Erklärung, Genosse N. sei aus dem Zentralkomitee ausgeschieden, ist auch sachlich falsch, denn die drei Mitglieder des Zentralkomitees haben eine bedingte (und nicht allen Genossen mitgeteilte) Erklärung des Genossen N. missbraucht;

4. hatten die drei Mitglieder des Zentralkomitees kein Recht, die Änderung ihrer Ansichten und ihre Absichten vor mir zu verheimlichen. Genosse Glebow behauptete Ende Mai, ihr Standpunkt sei in der von ihnen im März verfassten Deklaration zum Ausdruck gekommen. So ist also die Annahme der Juli-Deklaration, die sich von der im März angenommenen von Grund aus unterscheidet, mir verheimlicht worden, und die Erklärungen Glebows waren Betrug;

5. hat Glebow die mit mir getroffene Vereinbarung verletzt, derzufolge in dem Bericht an den Amsterdamer Kongress, den Dan (der Delegierte des Zentralorgans) und er, Glebow (der Delegierte des Zentralkomitees), schreiben wollten, von den Meinungsverschiedenheiten in der Partei nicht die Rede sein sollte. Der von Dan allein verfasste Bericht war durchweg eine verhüllte Polemik und war ganz durchdrungen von den Auffassungen der „Minderheit". Glebow hat gegen den Bericht Dans nicht protestiert und hat auf diese Weise an dem an der internationalen Sozialdemokratie begangenen Betrug indirekt teilgenommen;

6. hatten die drei Mitglieder des Zentralkomitees kein Recht, die Bekanntgabe und Veröffentlichung meiner besonderen Meinung in einer wichtigen Frage des Parteilebens abzulehnen. Die Juli-Deklaration war dem Zentralorgan zur Veröffentlichung zugeschickt worden, bevor man mir die Möglichkeit gegeben hatte, mich über sie zu äußern. Am 18. September sandte ich dem Zentralorgan einen Protest gegen die Deklaration zu. Das Zentralorgan erklärte, es würde meinen Protest nur in dem Falle veröffentlichen, wenn die drei Mitglieder des Zentralkomitees, die die Deklaration geschrieben haben, ihre Zustimmung dazu geben. Diese haben es nicht getan, und sie haben also meinen Protest der Partei verheimlicht;

7. hatten sie kein Recht, mir die Protokolle des Parteirats vorzuenthalten und mich, ohne formellen Ausschluss aus dem Zentralkomitee, jeder Benachrichtigung über die Ernennung neuer Vertrauensleute in Russland und im Ausland, über die Verhandlungen mit der Minderheit, über die Kassenangelegenheiten usw. usw. zu berauben;

8. hatten sie kein Recht, drei neue Genossen (Versöhnler) in das Zentralkomitee zu kooptieren, ohne über die Kooptation den Parteirat beschließen zu lassen, wie das Parteistatut es erfordert, wenn keine Einstimmigkeit vorhanden ist; die Einstimmigkeit aber war nicht vorhanden, weil ich gegen diese Kooptation Protest erhoben hatte.

Beilage

Angesichts der großen Wichtigkeit der Stellung des Zentralkomitees im innerparteilichen Konflikt halte ich es für notwendig, folgende Dokumente zur allgemeinen Kenntnisnahme zu veröffentlichen:

I. Die Briefe des Genossen Glebow an die Mitglieder des „Kollegiums".

a) September

Die Beziehungen zum Zentralorgan und zur Liga sind noch nicht geklärt. Nach unserer Erklärung sind sie, das muss man sagen, frech geworden, und ihr Appetit wächst. Unsere Lage ist hier sehr schwierig: das Ausland ist in Händen der Liga, die Privatquellen in Händen des Zentralorgans, und darum stecken wir bis über die Ohren in Schulden. Bedrückt durch die Not (die Schuld beträgt 9000), bin ich gezwungen, irgendeinen Ausweg zu finden. Darum habe ich mich an die Minderheit mit dem Vorschlag gewandt, mir den Plan der ihnen erwünschten Reformen zu entwerfen."

b) 7. September

Gestern Abend hatte ich in Gegenwart von S. eine geschäftliche Besprechung mit drei Bevollmächtigten der Minderheit: Popow, Blumenfeld und Martow."

Von den in dieser Sitzung – die, wie sich Glebow äußerte, zu einer „Präliminarsitzung zur Vorbereitung des Friedens" wurde – erörterten Fragen wollen wir folgende erwähnen:

1. Die organisatorischen Beziehungen im Ausland

Die Sorge um die Bewegung in Russland nehmen das Zentralkomitee, das Zentralorgan und die Liga auf sich. Um gegenseitige Reibungen zu vermeiden, das Interesse für die Arbeit zu steigern und das vollständige Vertrauen herzustellen, wird die allgemeine Führung der Geschäfte einer Kommission aus Vertretern des Zentralkomitees, des Zentralorgans und der Liga anvertraut, wobei das Zentralkomitee zwei Stimmen und das Vetorecht erhält … "

2. Literaturtransport

Das Zentralorgan wird der Kontrolle des Zentralkomitees untergeordnet, behält aber eine gewisse Autonomie. Und zwar: im Auslande kann es nur eine Expedition geben, die Expedition des Zentralkomitees. Das Zentralorgan kümmert sich auch weiterhin um seinen Grenztransport. Der Literaturvertrieb in Russland liegt in Händen des Zentralkomitees. Damit das Zentralorgan mehr Autonomie habe, wird ihm der Süden zur Verfügung gestellt. Das will ich gleich erklären. Das Zentralorgan hat Transportmöglichkeiten. Das Zentralorgan fürchtet, sie zu verlieren, wenn die Leitung geändert wird. Darum bittet das Zentralorgan, ihm seine Transportmöglichkeiten auf organisatorischem Wege zu sichern."

c) 7. September

Auf das Abkommen, das gestern über die Führung der Geschäfte getroffen wurde, ist hier Dan sehr böse, vielleicht auch noch andere. Das sind gefräßige Leute. Sie möchten hier ein Auslandskomitee aus Vertretern des Zentralorgans, des Zentralkomitees und der Liga gründen, das im Auslande über alles zu bestimmen hätte; natürlich hat jeder nur eine Stimme. Nicht schlecht, nicht wahr?"

d) September

Ich lenke die Aufmerksamkeit auf den vom Parteirat geäußerten Wunsch der Ergänzung (es handelt sich um die Ergänzung der Vertretung des Zentralkomitees im Parteirat). Man wird irgend jemand an Lenins Stelle wählen müssen, was dieser natürlich für statutenwidrig erklären wird. Ich würde vorschlagen, Dan oder Deutsch in den Parteirat zu wählen, wobei genau festgelegt werden müsste, dass ihre Vollmachten nur für die Sitzungen im Parteirat gelten. Sonst ist, glaube ich, niemand da, den man wählen könnte."

II. Brief eines (jetzt offiziell in das Zentralkomitee kooptierten) Vertrauensmannes des Zentralkomitees an Genossen Glebow.

4. September

Aus Anlass der Deklaration ist es zu einem solchen Durcheinander gekommen, dass es schwierig ist, sich zurechtzufinden. Eins ist klar: alle Komitees, mit Ausnahme der Komitees von Charkow, der Krim, des Bergwerkgebiets und des Dongebiets, sind Mehrheitskomitees. Das Komitee des Dongebiets scheint neutral zu sein, aber genau weiß ich es nicht. Von den ,Mehrheits'-Komitees haben die Komitees von Riga, Moskau, Petersburg und das Nordkomitee dem Zentralkomitee wegen der Deklaration ihr Misstrauen ausgesprochen, wie ich Dir schon früher mitgeteilt habe. Nur von einer ganz unbedeutenden Zahl von Komitees ist dem Zentralkomitee das volle Vertrauen ausgesprochen worden. Die übrigen haben ihm für die Versöhnungsversuche das Vertrauen ausgesprochen, unter der Bedingung, dass im Falle eines Misserfolges sofort ein außerordentlicher Parteitag einberufen wird. Von diesen Komitees verlangen verschiedene als Bedingung für die Aussöhnung, dass die Minderheit darauf verzichte, sich als verhandelnde ,Partei' zu betrachten, und dass sie die Forderung der Kooptation als ,Partei' (?) aufgibt. So steht es. Sollten die Aussöhnungsversuche misslingen, so verliert das Zentralkomitee das Vertrauen der Mehrheit der Komitees, und es wird dann schon selber für einen Parteitag agitieren müssen, um seine Vollmachten zur Verfügung zu stellen.

Aus der Stimmung der Komitees aber geht klar hervor, dass man auf dem Parteitag Beschlüsse im Geiste der 22 annehmen, d. h. die Absetzung der Redaktion und die Übergabe des Zentralorgans in die Hände der Mehrheit, die Änderung der Zusammensetzung des Parteirats usw. beschließen wird. Damit aber die Aussöhnung die Komitees befriedige, ist die Bedingung notwendig, von der ich Dir schon geschrieben habe – die Annahme einer Deklaration durch die Minderheit und ihr Verzicht, sich als verhandelnde ,Partei' zu betrachten. Wenn sie das tun, dann wird, glaube ich, Lenin in Russland den Boden verlieren, und man wird den Frieden wiederherstellen können. Deine Mitteilung, die Sache mit Martow käme ,allmählich' wieder in Ordnung, hat mich in Staunen versetzt. Die Hartnäckigkeit der Redaktionsmitglieder beginnt geradezu Ärger zu erregen, und trotz meiner ideologischen und anderen Sympathien für sie fange ich an, das Vertrauen zu ihnen als zu politischen ,Führern' zu verlieren. Die Organisationsfrage haben sie vollständig geklärt, und ihr weiterer Starrsinn bei mangelnder Unterstützung in Russland (die Minderheit ist hier machtlos) wird zeigen, dass sie nur um der Posten willen in den Kampf ziehen."

Das ist der Anfang des Kuhhandels, hier ist sein Ende: Das Zentralkomitee versendet an die Komitees einen Brief, in dem es ihnen folgende Mitteilung macht:

Die Verhandlungen werden in allernächster Zukunft (spätestens in zwei Wochen) abgeschlossen sein, vorläufig aber können wir mitteilen, dass erstens das Zentralkomitee keine Minderheit kooptiert hat (diesbezüglich wird ein von irgend jemand in Umlauf gesetzter Klatsch verbreitet … ), dass zweitens die Verhandlungen mit der Minderheit in demselben Sinne geführt werden, wie es euch Walerjan berichtet hat, d. h. wenn von Zugeständnissen geredet werden kann, so können diese nur auf Seiten der Minderheit sein; sie müssen in dem Verzicht auf die Fraktionspolemik des Zentralorgans, in der Auflösung der Geheimorganisation der Minderheit, im Verzicht auf die Kooptation ihrer Mitglieder in das Zentralkomitee, in der Übergabe aller Unternehmungen (Technik, Transport, Verbindungen) an das Zentralkomitee bestehen. Nur unter diesen Bedingungen ist die Wiederherstellung des Friedens in der Partei möglich. Es ist Grund zur Hoffnung vorhanden, dass es so sein wird. Auf jeden Fall wird das Zentralkomitee, sollte die Minderheit jetzt den Wunsch offenbaren, ihre alle Politik fortzusetzen, sofort die Verhandlungen einstellen und zur Einberufung eines außerordentlichen Parteitages schreiten."

So sucht das Zentralkomitee die Komitees zu beruhigen, die ihm ihr Misstrauen aussprechen. Hier weiter die Briefe „hervorragender" Vertreter der Minderheit. Die Briefe sind Mitte Dezember 1904 alten Stils eingetroffen.

Endlich waren wir mit dem Pack zusammen. Ihre Antwort war folgende: mit der Autonomie unserer technischen Unternehmungen sind sie einverstanden; was die Agitationskommissionen anbelangt, so sind sie dagegen, da sie der Meinung sind, das sei eine unmittelbare Funktion (die Leitung der Agitation) des Zentralkomitees; sie ziehen diesem Plan eine Umgestaltung des Zentralkomitees vor, können aber jetzt nicht offiziell kooptieren, sondern schlagen die faktische (nicht offizielle) Kooptation von drei Vertretern der Minderheit vor (Popow, Fomin, Fischer). Natürlich waren wir mit X. sofort einverstanden und die menschewistische Opposition ist von nun an offiziell aufgelöst. Eine Zentnerlast ist von den Schultern gefallen. In diesen Tagen wird eine Sitzung des gesamten Zentralkomitees mit uns zusammen stattfinden, und dann berufen wir eine Konferenz der nächststehenden Komitees ein.

Wir sind natürlich vollkommen davon überzeugt, dass wir uns des Zentralkomitees bemächtigen und es in die uns erwünschte Bahn lenken werden. Das wird um so leichter sein, als viele von ihnen die prinzipielle Kritik der Minderheit bereits als richtig anerkennenIn allen konsequent felsenfesten Komitees in Baku, in Odessa, Nischni-Nowgorod und Petersburg) fordern die Arbeiter das Wahlsystem. Das ist ein klares Symptom der Agonie der Felsenfesten."

Gleichzeitig mit diesem Brief ist noch ein anderer eingetroffen: „Zwischen den Bevollmächtigten der ,Minderheit' und dem Zentralkomitee ist es zu einer Verständigung gekommen. Die Bevollmächtigten haben ein Schriftstück unterzeichnet. Da aber vorher keine Umfrage der ,Minderheit' stattgefunden hat, so ist natürlich auch das Schriftstück nicht sehr glücklich abgefasst, denn in ihm wird dem Zentralkomitee das ,Vertrauen' ausgesprochen, nicht aber seiner Einigungspolitik; dort ist sowohl von der Aufsaugung durch die Partei als auch von der Aufhebung der Sonderexistenz die Rede, das zweite aber würde schon allein genügen. Schließlich fehlt in dem Schriftstück das ,credo' der ,Minderheit'. Darum ist beschlossen worden, alle Organisationen der ,Minderheit' noch eine Resolution mit dem ,credo' und den genannten Verbesserungen annehmen zu lassen, wobei natürlich das Abkommen unserer Bevollmächtigten mit dem Zentralkomitee als getroffen anerkannt werden soll."

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die am Orte der Tat ertappten Leute, die durch diese Dokumente entlarvt werden, mit dem ihnen eigenen „moralischen Zartgefühl" alle Kräfte anstrengen werden, um die Aufmerksamkeit der Partei von dem Inhalt der Dokumente auf die moralische Frage des Rechts ihrer Veröffentlichung abzulenken. Ich bin überzeugt, dass die Partei nicht gestatten wird, ihr durch dieses Ablenkungsmanöver Sand in die Augen zu streuen. Ich erkläre, dass ich die moralische Verantwortung für diese Enthüllung vollkommen auf mich nehme und dass ich dem Schiedsgericht, das die Angelegenheit in ihrer Gesamtheit untersuchen wird, Rede stehen werde.

1 „Vertrauensmann" bei Lenin deutsch. Die Red.

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