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Wladimir I. Lenin 19070207 Der Protest der 31 Menschewiki

Wladimir I. Lenin: Der Protest der 31 Menschewiki

[Proletarij" Nr. 12, 7. Februar (25. Januar) 1907. Nach Sämtliche Werke, Band 10, Wien-Berlin 1930, S. 402-406]

Wir erhalten eben die Flugschrift „Warum wir genötigt waren, die Konferenz zu verlassen? (Erklärung von 31 Konferenzmitgliedern an das ZK)."

Über die grundsätzliche Seite der Sache sagen die Menschewiki hier kein einziges Wort! Der Übergang von der Arbeiterpartei zum kleinbürgerlichen Block (Menschewiki, Sozialrevolutionäre, Trudowiki und Volkssozialisten) und von dort zu den Kadetten, alles das muss wohl dem Proletariat gleichgültig sein. Über das Wesen der Sache wünschen sich die Protestler nicht zu äußern, sie stehen nur auf formalem Boden.

Schauen wir uns ihre formalen Argumente an. Es sind ihrer drei: 1. die Geschichte des Petersburger Komitees und seine undemokratische Organisation, 2. die unrichtige Mandatsbestätigung durch die Konferenz, 3. die Weigerung der Konferenz, sich zu teilen und getrennt als Stadtkonferenz und Gouvernementskonferenz zu tagen.

Zum ersten Argument fragen wir: Was hat das Petersburger Komitee damit zu tun? Zur Konferenz fanden doch besondere Wahlen statt?

Was die Menschewiki über die Geschichte des Petersburger Komitees und seine angeblich undemokratische Organisation sagen, ist eine grobe Unwahrheit. Man muss es geradezu als Kuriosum verzeichnen, dass z. B. der lettische Bezirk (die Menschewiki beschweren sich darüber, dass er in die Organisation aufgenommen wurde) noch vor dem Vereinigungsparteitag, d. h. zu einer Zeit, als das Petersburger Komitee zu gleichen Teilen aus Bolschewiki und Menschewiki zusammengesetzt war, der Petersburger Organisation angeschlossen wurde. Folglich haben die Menschewiki selbst aus freien Stücken vor mehr als einem halben Jahr den Anschluss der Letten als zu recht erfolgt anerkannt! Oder noch eins: die Menschewiki beschweren sich darüber, dass das Petersburger Komitee die Kooptation einer gewissen Anzahl von Mitgliedern für zulässig erachtet hat. Sie vergessen hinzuzufügen, dass die Menschewiki selbst ihre Zustimmung zu dieser Kooptation gegeben haben! Nach diesen Beispielen kann man darüber urteilen, wie gerechtfertigt die verspätete Kritik an der Zusammensetzung des Petersburger Komitees ist.

Zweites Argument. Die Konferenz, seht ihr, ist bei der Mandatsprüfung unrichtig vorgegangen. Die Menschewiki wünschen nicht die Stimmen der Angestellten anzuerkennen und erkennen selbst folgendes Stimmenverhältnis als allein richtig an: Bolschewiki – 1560 Stimmen plus 180 Stimmen für die Plattform des revolutionären Blocks, insgesamt – 1740 Stimmen; Menschewiki – 1589 Stimmen. Oder auf Mandate umgerechnet, wobei auch die Reststimmen mitgezählt werden: Bolschewiki – 35, Menschewiki – 32 Mandate (siehe S. 8 der menschewistischen Flugschrift).

Es bleibt uns nur übrig, zu unterstreichen, dass die Bolschewiki auch nach der Meinung unserer gestrengen Kritiker auf der Konferenz das Übergewicht hatten und haben mussten.

Genossen, es ist doch jedermann bekannt, dass die „Dissidenten" (Plattform des revolutionären Blocks) auch Bolschewiki sind. Wenn ihr nun einmal anerkennt, dass die Bolschewiki, sogar wenn die Mandate von den Menschewiki bestätigt worden wären, 35 gegen 32 Mandate der Menschewiki gehabt hätten, wozu dann der ganze Lärm?

Ihr seid selbst genötigt, zuzugeben, dass die Petersburger Sozialdemokratie bolschewistisch ist.

Schauen wir uns aber noch an, wie die Menschewiki die Prüfung der Mandate durch die Konferenz kritisieren.

Die Stimmen der Angestellten wollen sie überhaupt nicht zählen. Warum? „Unter dem Vorwand der Unmöglichkeit, Versammlungen einzuberufen – lesen wir in der Flugschrift – erhielt das führende Kollektiv der Angestellten, nachdem sie versucht hatten, ihre Mitglieder zu befragen, und dabei insgesamt ungefähr 100 Stimmen gezählt hatten, von dem Petersburger Komitee das Recht, fünf Vertreter zu wählen, wobei aus unbekannten Gründen bei insgesamt 313 organisierten Angestellten je ein Mandat auf 60 Mitglieder gerechnet wurde …" (S. 4.)

Jedermann weiß, dass es schwierig ist, Angestelltenversammlungen zu organisieren. Was für ein Grund besteht dann, von einem „Vorwand" zu reden? Was für ein Grund besteht, 313 organisierte Angestellte (d. h. Parteimitglieder) überhaupt hinauszuwerfen? Müsst ihr nicht selbst zugeben, dass man versucht hat, die Mitglieder zu befragen, d. h. dass das Kollektiv Maßnahmen getroffen hat, allen Parteimitgliedern die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen?

Dadurch aber, dass das Petersburger Komitee die Norm von 50 auf 60 erhöhte, hat es selbst schon dem nicht ganz demokratischen Charakter der Vertretung Rechnung getragen.

Moskauer Bezirk. Die Menschewiki zählen unter den Stimmen, die angefochten wurden, 185 bolschewistische Stimmen. Dabei schreiben die Verfasser der Flugschrift in der Spalte: „Motive der Anfechtung der Wahlen" selbst buchstäblich folgendes: „Bedingt angefochten, für den Fall, dass ähnliche Wahlen in einem andern Bezirk von den Bolschewiki nicht bestätigt werden."

Gut, nicht wahr? Die Menschewiki haben die bolschewistischen Mandate bedingt angefochten, auf jeden Fall!! Zusammenfassend erklären sie selbst, dass „die Zahl der Stimmen, die wirklich nicht bestätigt werden durften", bei den Bolschewiki nicht 300, sondern – 115 betrug, das heißt, sie geben selbst zu, dass 185 Stimmen bestätigt werden mussten!

Also „bedingte" Anfechtung der Stimmen, die in Wirklichkeit zu bestätigen waren, – das sind die Methoden der Menschewiki!

Und diese Leute erlauben sich noch davon zu reden, dass die Mitgliedschaft auf der Konferenz nicht richtig vertreten war …

Die Zahl der unanfechtbaren Stimmen beträgt nach den Menschewiki selbst bei den Bolschewiki – 1376, bei den Menschewiki – 795.

Sogar unter Anwendung der unerhört eigenartigen Methode .,der bedingten Anfechtung" konntet ihr, liebe Genossen, also die überwiegende Masse der bolschewistischen Stimmen nicht anfechten.

Unter den 789 menschewistischen Stimmen, die (laut der Flugschrift) von den Bolschewiki angefochten wurden, werden 234 Stimmen aus dem Wiborger Bezirk hervorgehoben. In der Spalte: „Motive der Anfechtung" lesen wir: „Wahlen nicht nach Plattformen, obschon eine Erörterung stattfand". Die Erörterung beweist nicht im geringsten, dass die an der Abstimmung Beteiligten selbst für Blocks mit den Kadetten eingetreten sind, infolgedessen hat es die Konferenz mit Recht abgelehnt, für die Anhänger von Blocks mit den Kadetten solche Stimmen zu zählen, die nicht offen und unzweideutig dafür abgegeben waren. Für diese 234 Stimmen hat die Konferenz die Vertreternorm erhöht.

Ferner haben die Bolschewiki 370 Stimmen des französisch-russischen1 Unterbezirks (städtischer Bezirk) angefochten. In der Spalte: „Gründe der Anfechtung" lesen wir: „Ohne Plattform – 100, der Rest aber (270) auf Grund von indirekten Wahlen nach Erörterung".

Man sieht: nieder mit den Stimmen der Angestellten, ungeachtet des „Versuchs der Befragung". Von den Stimmen, die für die Menschewiki abgegeben wurden, müssen alle ohne Ausnahme anerkannt werden, ungeachtet der indirekten Wahlen, die sich in Wirklichkeit durch nichts von dem Verfahren unterscheiden, nach dem die Angestellten ihre Vertreter gewählt haben! Nein, Genossen Menschewiki, das ist eine schlechte Verteidigung der menschewistischen Mandate!

Über die Teilung der Konferenz sagen die Menschewiki ganz kurz: „Trotzdem dieser Vorschlag durchaus vernünftig war…" wurde er von der Konferenz abgelehnt (S. 5). Auf der folgenden Seite aber schämt man sich nicht, das Geheimnis dieser „Vernünftigkeit" aufzudecken: „Im Bereich der eigentlichen Stadtgrenzen gehörte die ungeheure Mehrheit (?!) den Menschewiki." (Wenn man die Stimmen auf menschewistische Art zählt, d. h. wenn man alle Angestelltenstimmen herauswirft, alle Stimmen des französisch-russischen und des Wiborger Bezirks aber mitzählt!)

Darum handelt es sich also! Die Teilung war vernünftig, weil man sich ein menschewistisches Übergewicht erschleichen wollte. Das ist ziemlich naiv. Warum habt ihr dann vergessen, Genossen, zu erzählen, wie man „vernünftig" zum Beispiel den Eisenbahner-Bezirk teilen könnte, oder weshalb das ZK nicht den vernünftigen Vorschlag gemacht hat, die Wilnaer , die Odessaer Konferenz usw. zu teilen?

Die formalen Proteste der Menschewiki sind ein leerer Vorwand, der nicht ernst zu nehmen ist. Ernst ist ihr Entschluss, zu den Kadetten überzulaufen. Darüber aber hüllen sich die 31 Protestler in tiefstes Schweigen.

1 Benannt nach einer Fabrik. Die Red.

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