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Wladimir I. Lenin 19070202 Die Wahlen in Petersburg und die Heuchelei der 31 Menschewiki

Wladimir I. Lenin: Die Wahlen in Petersburg und die Heuchelei der 31 Menschewiki

[Geschrieben am 2. Februar (20. Januar) 1907 Veröffentlicht als Broschüre Februar (Januar) 1907 im Verlag „Nowaja Duma“. Nach Sämtliche Werke, Band 10, Wien-Berlin 1930, S. 407-420]

Die Zeitung „Towarischtsch" veröffentlicht heute (den 2. Februar [20. Januar]) umfangreiche Auszüge aus dem Aufruf der 31 Menschewiki, die sich am Vorabend der Wahlen in St. Petersburg von der sozialistischen Organisation abgespalten haben.

Schildern wir zunächst in zwei Worten die wirkliche Geschichte der Machenschaften der Menschewiki, die sich von der Sozialdemokratie gespalten haben, nachdem sie die Konferenz verlassen hatten.

1. Nachdem sie sich von den sozialdemokratischen Arbeitern abgespalten hatten, bildeten sie einen Block mit dem Kleinbürgertum (Sozialrevolutionäre, Trudowiki und Volkssozialisten) zu gemeinsamem Mandatsschacher mit den Kadetten. Den schriftlichen Vertrag über ihren Eintritt in den kleinbürgerlichen Block haben die abgespaltenen Sozialdemokraten den Arbeitern und der Öffentlichkeit verheimlicht.

Wir verlieren indessen nicht die Hoffnung darauf, dass dieser Vertrag trotzdem veröffentlicht und das Geheimnis enthüllt wird.

2. Die abgespaltenen Menschewiki haben als Bestandteil des kleinbürgerlichen Blocks (der in den Zeitungen fälschlich als „Linksblock" bezeichnet wird) mit den Kadetten darum gefeilscht, dass diesem Block drei von sechs Dumasitzen überlassen werden. Die Kadetten wollten zwei Sitze geben. Man wurde nicht handelseinig. Die kleinbürgerliche „Konferenz" (dieser Ausdruck stammt nicht von uns, sondern ist den Zeitungen entnommen) mit den Kadetten fand am 31. (18. Januar) statt. Über diese Sitzung haben die „Rjetsch" und der „Towarischtsch" berichtet. Die „Rjetsch" erklärt heute, dass ein Abkommen nicht zustande gekommen ist (obwohl wir natürlich darauf gefasst sein müssen, dass im geheimen trotzdem noch Verhandlungen stattfinden).

Die Menschewiki berichten einstweilen in der Presse nichts über diese ihre „Aktion" zum Verkauf der Arbeiterstimmen an die Kadetten.

Sie werden wahrscheinlich dem kleinbürgerlichen Block, dem sie während der Verhandlungen angehörten – und nicht der Arbeiterpartei Bericht erstatten!

Sie wünschen wahrscheinlich nichts darüber zu erzählen, weshalb Genosse Dan an den Verhandlungen teilgenommen hat, obwohl er weder von der Gruppe der 31 noch von irgendeiner andern Parteiorganisation dazu bevollmächtigt war.

Das sind die Taten der 31 Menschewiki.

Wie aber steht es um ihre Worte?

Ihr erstes Argument besagt, dass die Bolschewiki, die geleugnet hatten, dass es eine Schwarzhundert-Gefahr in Petersburg gebe, kein Recht hätten, für ein Abkommen mit den Sozialrevolutionären und den Trudowiki einzutreten, ohne – angeblich – die Beschlüsse der allrussischen Konferenz zu verletzen, die verlangten, dass die Sozialdemokraten selbständig vorgehen, falls keine Schwarzhundert-Gefahr drohe.

Diese ganze Argumentation ist von Anfang bis Ende falsch.

Die 31 abgespalteten Menschewiki betrügen die Leser. Keine einzige Parteistelle hat jemals ein förmliches Verbot erlassen, auf Grund dessen Abkommen mit den Sozialrevolutionären und Trudowiki im Falle des Fehlens einer Schwarzhundert-Gefahr unzulässig wären. Ein solches Abkommen besteht z. B. in Moskau, und das ZK hat keinen Widerspruch dagegen erhoben.

Nicht genug daran. Wie sehr die 31 Menschewiki die Dinge entstellen, indem sie sich auf einen Beschluss der allrussischen sozialdemokratischen Konferenz berufen, ist aus folgendem ersichtlich. Es ist allgemein bekannt, dass die Beschlüsse dieser (beratenden) Konferenz von den Menschewiki und den Bundisten gegen die Stimmen der Bolschewiki, Polen und Letten angenommen wurden. Und nun haben diese selben Bundisten, die den Beschluss der allrussischen sozialdemokratischen Konferenz durchgesetzt haben, offiziell erklärt, dass sie Blocks mit den Sozialrevolutionären und mit der revolutionären Demokratie überhaupt für zulässig erachten, gesetzt den Fall, dass keine Schwarzhundert-Gefahr, sondern eine Kadettengefahr besteht. Darüber liegt ein Beschluss des ZK des „Bund" vor, der von niemand angefochten wurde. Darüber wurde auch in dem russischen Organ des „Bund", „Nascha Tribuna" berichtet, und alle russischen Sozialdemokraten, die lesen und schreiben können, wissen davon.

Die 31 Menschewiki betrügen die Arbeiter und die gesamte Leserwelt.

Wir haben überdies auseinandergesetzt, dass die allrussische Sozialdemokratische Konferenz dem ZK anheimgestellt hat, Nicht-Sozialdemokraten überall aus den sozialdemokratischen Wahllisten auszuschließen, d. h. zu verlangen, dass die Sozialdemokraten unbedingt selbständig vorgehen. Nirgends hat das ZK bisher von diesem seinem Recht Gebrauch gemacht, und damit hat es tatsächlich die Autonomie des „Bund" und aller übrigen Organisationen der SDAPR anerkannt.

Ferner sind die 31 Menschewiki unzufrieden damit, dass die Konferenz die Volkssozialisten (oder Soziainarodniki) von dem Block mit den Trudowiki ausgeschlossen hat. Die 31 Menschewiki schreiben:

Jedermann weiß, dass diese drei Parteien (Sozialrevolutionäre, Volkssozialisten und Trudowiki – die letzteren bilden keine Partei) bereits seit langem in St. Petersburg einen engen Block miteinander geschlossen haben und gemeinsam vorgehen."

Wiederum unwahr. Erstens wurde nirgends und niemals offiziell erklärt, dass dieser Block gebildet wurde und dass seine Bedingungen ihn wirklich zu einem „engen" Block machen. Es gab bisher nur ganz unbestimmte Zeitungsnotizen, auf die man sich in ernsten Angelegenheiten bei offiziellen Verhandlungen zwischen Parteien nicht stützen kann. Zweitens – dass der Block, der drei Trudowiki-Parteien und -Gruppen nicht besonders „eng" war, wird dadurch bewiesen, dass die Sozialrevolutionäre und das Komitee der Trudowiki-Gruppe, an die sich die sozialdemokratische Konferenz gewandt hat, die Verhandlungen mit der Konferenz ohne die Volkssozialisten begonnen haben. Man kann einen Block nicht als engen Block bezeichnen, wenn er einen Teil der Blockparteien nicht daran hindert, unabhängig von dem andern Teil Verhandlungen zu führen. Bislang ist eine offizielle Antwort der Sozialrevolutionäre, die von uns verlangt hätte, das Abkommen auch auf die Volkssozialisten auszudehnen, nicht erfolgt. Drittens wird auf derselben Seite des „Towarischtsch", auf der die Mitteilung der 31 Mitglieder zum Abdruck gebracht wird, „die Resolution des Petersburger Komitees der Partei der Sozialrevolutionäre vom 29. (16.) Januar" veröffentlicht. Diese Resolution ist mit folgender Anmerkung versehen:

Der Rücktritt der Gruppe der Volkssozialisten von diesem Abkommen (nämlich dem Abkommen der Sozialrevolutionäre, Trudowiki und Volkssozialisten) hebt das Abkommen nicht auf. Der Austritt einer andern sozialistischen Gruppe oder Partei aber hebt das Abkommen auf."

Die Tatsachen haben also bewiesen, dass die 31 Menschewiki die Unwahrheit gesprochen haben, als sie den Trudowiki-Block als eng bezeichneten.

Die Konferenz der Petersburger Sozialdemokratie tat recht daran, die Volkssozialisten von dem Abkommen auszuschließen. Sie tat recht daran – erstens grundsätzlich, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass die Volkssozialisten die rechteste, die unzuverlässigste Trudowiki-Partei sind, die den Kadetten am nächsten steht. Zweitens tat sie recht daran auch in praktisch-politischer Beziehung, denn sie hat die Trennungslinie zwischen den Trudowiki-Parteien, die im Verlauf der politischen Kampagne unweigerlich in Erscheinung treten musste, richtig vorgezeichnet. Jetzt ist es schon allen und jedem klar, dass die Sozialrevolutionäre, und nicht etwa die Sozialdemokraten, die volle Verantwortung für die unzuverlässigen Trudowiki getragen hätten, wenn die Trudowiki uns trotz allem die Volkssozialisten aufgezwungen hätten (es wäre natürlich lächerlich gewesen, sich vor der Aufnahme der Volkssozialisten in den Trudowikiblock zu fürchten, wenn dies zum Sieg über die Kadetten führen konnte). Die Arbeiterpartei hat dafür gesorgt, dass alle Arbeiter und alle Bürger den wirklichen Unterschied zwischen den zuverlässigeren und weniger zuverlässigeren Trudowiki kennen lernen, sie hat dafür gesorgt, dass die Verantwortung für die schlechten Trudowiki den Sozialrevolutionären, und nicht etwa der Partei des Proletariats zufällt.

Welcher Schluss ergibt sich aus diesen Verwicklungen mit den Volkssozialisten?

Der Schluss, dass die Menschewiki grundsatzlos handelten, als sie wahllos und unfähig, die Pflicht von Sozialdemokraten in einer Wahlkampagne zu erfüllen, nämlich die Massen zu lehren, die Parteien streng und richtig voneinander zu unterscheiden, einen kleinbürgerlichen Block bildeten. Die Menschewiki haben sich beeilt, sich in einen kleinbürgerlichen Block zu setzen, zusammen mit den Volkssozialisten, d. h. zusammen mit einer halbkadettischen Gruppe!

Die Bolschewiki haben grundsätzlich konsequent gehandelt. Sie haben damit begonnen, durch eine offene Resolution, die überall im Namen einer offiziellen sozialdemokratischen Körperschaft veröffentlicht wurde, alle und jeden davon in Kenntnis zu setzen, dass die Volkssozialisten eine unzuverlässige Partei sind. Und die Bolschewiki haben es jetzt erreicht, dass der revolutionärste Teil der Trudowiki (nämlich die Sozialrevolutionäre) selbst erklärt haben, dass die Volkssozialisten aus dem Trudowikiblock austreten können, ohne ihn aufzulösen!

Die Bolschewiki haben es erreicht, dass sich die revolutionären Trudowiki von den opportunistischen Trudowiki getrennt haben. Die Menschewiki sind selbst bis über die Ohren in den opportunistischen kleinbürgerlichen Block gekrochen.

Die Bolschewiki haben die Trudowiki offen und für jedermann vernehmlich zum gemeinsamen Kampf gegen die Kadetten gerufen und schon jetzt unbestreitbare politische Erfolge erzielt, bevor sie noch irgendeinen Block mit irgend jemand gebildet haben. Die Menschewiki sind hinter dem Rücken der Arbeiter und grundsatzlos in einen kleinbürgerlichen Block gekrochen, um mit den Kadetten zu schachern.

Die Arbeiter können danach urteilen, wohin sie die Menschewiki in Wirklichkeit führen.

Das dritte und letzte Argument der 31 Menschewiki ist, dass das Abkommen der Sozialdemokraten mit den Trudowiki in Petersburg die Schwarzhundert-Gefahr nicht verringere, sondern vergrößere. Diese Behauptung ist so unsinnig oder so heuchlerisch, dass es sich verlohnt, die Beweisführung der Menschewiki ungekürzt wiederzugeben. Sie erklären:

Die gemeinsame Liste der Sozialdemokraten und Narodniki wird populär genug sein, den Kadetten viele Stimmen zu entreißen, sie wird jedoch nicht dazu ausreichen, in ganz Petersburg einen Sieg zu erringen, -– sie wird besonders dann nicht dazu ausreichen, wenn die Schuld an dem Nichtzustandekommen eines Wahlabkommens aller revolutionären und oppositionellen Parteien in den Augen der Wählermassen die Sozialdemokraten und ihre Verbündeten treffen wird. In diesem Falle aber werden die Stimmen, die im verstärkten Maße den Kadetten entrissen werden, ganz den vereinigten Schwarzhundertern zugute kommen, die sowohl die Kadettenliste als auch die linke Liste schlagen werden."

Diese ganze Betrachtung ist eine einzige Heuchelei, die den Mandatsschacher der Menschewiki mit den Kadetten verschleiern soll.

In der Tat, man überlege sich nur einmal, was die Menschewiki sagen: das Abkommen der Sozialdemokraten mit den Trudowiki vergrößert die Schwarzhundert-Gefahr, denn es entreißt den Kadetten viele Stimmen! Sehr gut, verehrteste Genossen! Wann ist aber nach eurer Meinung der Sieg der Schwarzhunderter gefährlicher – dann, wenn sich die Nicht-Schwarzhundert-Stimmen auf zwei Listen verteilen, oder dann, wenn sie sich auf drei Listen verteilen? Nehmen wir an, die Schwarzen erhielten 1000 Stimmen, alle übrigen 2100. In welchem Falle ist der Sieg der Schwarzen gefährlicher: dann, wenn die 2100 Stimmen sich auf zwei Listen verteilen, oder dann, wenn sie sich auf drei Listen verteilen.

Zur Lösung dieser verzwickten Aufgabe mögen sich die 31 Menschewiki an einen Schüler der ersten Gymnasialklasse um Hilfe wenden.

Gehen wir aber weiter. Nicht genug daran, dass die 31 Menschewiki offenbaren Unsinn reden, wenn sie so tun, als ob sie nicht verstünden, dass im Falle eines Abkommens der Sozialdemokraten mit den Trudowiki in Petersburg insgesamt zwei, falls jedoch ein Abkommen nicht zustande kommt, drei Anti-Schwarzhundertlisten vorhanden sein werden. Aber das ist nicht alles.

Die 31 Menschewiki zeichnen sich außerdem durch eine solche Unkenntnis der Geschichte der ersten Wahlen aus, dass sie das Verhältnis der schwarzen und der kadettischen Stimmen bei den ersten Dumawahlen in Petersburg nicht kennen. Nicht umsonst haben wir das Beispiel genommen: 1000 Stimmen für die Schwarzen, 2100 für alle übrigen Listen. Dies Beispiel kennzeichnet neun von den zwölf Petersburger Wahlbezirken der ersten Dumawahlen!

In neun Wahlbezirken, die zusammen 114 von insgesamt 160 Wahlmännern ergeben, übersteigt die geringste Stimmenzahl, die für die Kadetten abgegeben wurde, um mehr als das Doppelte die höchste Stimmenzahl, die für die Schwarzen oder für den sogenannten Rechtsblock abgegeben wurden.

Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass in Petersburg bei Aufstellung von zwei „linken" (d. h. Nicht-Schwarzhundert-) Listen keine Zersplitterung der linken Stimmen den Schwarzen zum Sieg verhelfen konnte.

Da die 31 Menschewiki offenbar in den ersten Anfängen der Rechenkunst nicht fest sind, so wollen wir es ihnen erklären: mögen sie einmal versuchen, die 2100 Stimmen in zwei solche Teile zu teilen, dass 1000 schwarze Stimmen sowohl den einen als auch den andern dieser beiden Teile schlagen.

Mögen sich die Menschewiki den Kopf über diese Aufgabe ebenso zerbrechen wie darüber, ob die Aufstellung dreier statt zweier Listen die Schwarzhundert-Gefahr vergrößert oder verringert.

Anzunehmen, dass die Schwarzen in diesem Jahr bei den Wahlen in Petersburg stärker sein werden als im vorigen Jahr, – dazu ist nicht der geringste Grund vorhanden. Nicht ein einziger Politiker, der bei gesundem Menschenverstand ist, wird das zu behaupten wagen. Jedermann sieht, dass die Schwarzen sich nach den Enthüllungen über die Lidwaliade, nach der Ermordung Herzensteins usw. mit Schimpf und Schande bedeckt haben. Jeder weiß, dass jetzt von allen Ecken und Enden Russlands Nachrichten über Wahlsiege der Linken eintreffen.

Unter solchen Umständen ist das Geschrei über die Schwarzhundert-Gefahr entweder vollkommener Unverstand oder Heuchelei. Heucheln aber muss derjenige, der seine wahren Ziele verbirgt und seine Taten verheimlicht. Die Menschewiki schreien deshalb über die Schwarzhundert-Gefahr, weil sie die Aufmerksamkeit der Arbeiter von den Winkelzügen ablenken wollen, die sie machen oder gestern machten, als sie in den kleinbürgerlichen Block eintraten und mit den Kadetten feilschten.

Bei zwei linken Wahllisten kann keine wie immer geartete Stimmenverteilung in Petersburg den Schwarzen zum Siege verhelfen, wenn nicht die Stimmenzahl der Schwarzen diesmal größer ist als bei den vorigen Dumawahlen, – alle Anzeichen aber deuten nicht auf eine Vermehrung, sondern auf eine Verminderung ihrer Stimmenzahl. Die Menschewiki sind also nicht wegen des Kampfes gegen die Schwarzhundert-Gefahr in den kleinbürgerlichen Block eingetreten und haben nicht deswegen mit den Kadetten geschachert, – das ist eine kindische Erfindung, mit der man nur einen ganz unwissenden oder einen ganz dummen Menschen betrügen kann.

Die Menschewiki haben mit den Kadetten gefeilscht, um mit Hilfe der Kadetten und gegen den Willen der Arbeiter einen der ihren in die Duma zu bringen, – das ist die einfache Lösung des Rätsels aller dieser Wanderungen von den Sozialdemokraten zum kleinbürgerlichen Block und vom kleinbürgerlichen Block zu den Kadetten.

Nur ganz naive Leute sehen nicht, was hinter diesen menschewistischen Handlungen steckt, die durch das Geschrei über die Schwarzhundert-Gefahr verschleiert werden.

Deshalb haben auch die Menschewiki, als sie im kleinbürgerlichen Block waren, auf drei Dumasitze bestanden, um auf jeden Fall ein Dumasitzchen für sich zu erhalten. Wenn die Kadetten nur zwei Sitze gäben, wäre es möglich, dass die Menschewiki nicht einen einzigen erhalten. Einen dieser Sitze wollten die Kadetten offen den Narodniki (den Volkssozialisten) geben, den andern aber wagten sie nicht der Arbeiterkurie wegzunehmen. In der Arbeiterkurie aber ist es noch ungewiss, wer siegen wird.

Aus diesem Grunde haben die Menschewiki der Öffentlichkeit sowohl vorenthalten, auf Grund welcher Vollmacht Genosse Dan gehandelt hat, als auch, worin die Bedingungen ihres Eintritts in den kleinbürgerlichen Block bestanden und was der genaue Inhalt der Erörterungen war, die auf der „Konferenz" des kleinbürgerlichen Blocks mit den Kadetten gepflogen wurden usw. usw. Auch jetzt, nach einer solchen Handlungsweise der Menschewiki wissen wir noch nicht und können nicht wissen, wohin sie nach einer Absage der Kadetten gehen werden. Werden sich die Volkssozialisten mit den Menschewiki vereinigen, um bei den Kadetten zwei kleine Dumasitze auf Kosten der Arbeiterkurie zu erbetteln (von der Möglichkeit eines solchen Entschlusses sprach ein Leitartikel der „Rjetsch")? Oder werden sie sich für selbständige sozialdemokratische Listen entschließen, d. h. für die Aufstellung dreier linker Listen in Petersburg an Stelle von zwei? Oder werden sie, nach ihrem missglückten Spaziergang in die gute Stube der Kleinbürger und in das Vorzimmer der Kadetten, zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und ihrem Beschluss zurückkehren?

Wenn sich die Menschewiki wirklich von der Furcht vor der Schwarzhundert-Gefahr und nicht von dem leidenschaftlichen Wunsch, ein Dumaplätzchen von den Kadetten zu erhalten, leiten ließen, hätten sie sich dann wegen der Frage der Anzahl der Dumasitze mit den Kadetten entzweien können?

Wenn ein Sozialist wirklich glaubt, dass eine Schwarzhundert-Gefahr besteht und ehrlich gegen sie ankämpft, wird er seine Stimme ohne Mandatsschacher dem Liberalen geben und nicht die Verhandlungen abbrechen, weil man ihm nicht drei, sondern nur zwei Dumasitze abtritt. Es kommt bei Stichwahlen in Europa zum Beispiel vor, dass eine Schwarzhundert-Gefahr besteht, wenn der Liberale, sagen wir einmal 8000 Stimmen, der Schwarzhunderter oder Reaktionär 10.000, der Sozialist aber 3000 Stimmen erhalten hat. Wenn der Sozialist glaubt, dass die Schwarzhundert-Gefahr eine wirkliche Gefahr für die Arbeiterklasse ist, wird er für den Liberalen stimmen. Bei uns in Russland gibt es keine Stichwahlen, es kann jedoch im zweiten Wahlgang Fälle geben, die Stichwahlen entsprechen. Wenn z. B. von 174 Wahlmännern 86 Schwarze, 84 Kadetten und 4 Sozialisten sind, so müssen die Sozialisten ihre Stimmen dem Kandidaten der Kadetten geben, wogegen bisher auch nicht ein einziger Mensch in der ganzen SDAPR Einwände erhoben hat.

Die Menschewiki aber wollen glauben machen, dass sie in St. Petersburg die Schwarzhundert-Gefahr fürchten, während sie gleichzeitig wegen zweier oder dreier Dumasitze mit den Kadetten brechen!

Diese offenkundige Heuchelei verfolgt den Zweck, den Schacher zu verdecken, den der kleinbürgerliche Teil der Arbeiterpartei um das bei den Kadetten erbettelte Plätzchen in der Duma getrieben hat.

Genau so heuchlerisch ist jetzt das Gerede der Menschewiki über die selbständige Kampagne, die die Sozialdemokraten in Petersburg ohne Abkommen mit den Trudowiki durchführen sollen. Herr Lewizki – ein Menschewik – sagte z. B. laut dem Bericht des „Towarischtsch"1 am 1. Februar (19. Januar) im Theater Nemetti folgendes:

Die Sozialdemokraten haben auf die selbständige Wahlkampagne nur verzichtet, um die Schwarzhundert-Gefahr abzuwenden. Da das nicht gelungen ist, müssen die Sozialdemokraten zumindest bestrebt sein, eine breite Agitation zu entfalten, deshalb also trat der Redner für ein selbständiges Vorgehen der Sozialdemokraten ein."

Man muss sich fragen, ist dieser Lewizki, wenn er bei gesundem Verstand ist und sein Gedächtnis nicht verloren hat, wirklich kein Heuchler? Da es nicht gelungen ist, durch die Schaffung einer gemeinsamen Liste aller Linken einschließlich der Kadetten „die Schwarzhundert-Gefahr abzuwenden", wünscht Lewizki drei linke Listen, eine Kadettenliste, eine sozialdemokratische und eine Trudowikiliste!

Ist das etwa nicht ein Zeichen der völligen Kopflosigkeit eines Opportunisten, der jeden Boden unter den Füßen verloren hat und glaubt, er könne uns vergessen machen, dass die Menschewiki vorgestern in dem kleinbürgerlichen Block saßen und gestern mit den Kadetten schacherten!

Die Menschewiki haben Verrat begangen an den Arbeitern, sind zu den Kadetten übergelaufen und wollen sich jetzt, wo ihnen diese schmutzige Schiebung nicht gelingt, mit der Phrase von dem selbständigen Vorgehen der Sozialdemokraten reinwaschen! Das ist nämlich weiter nichts als eine hohle Phrase, dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit abzulenken, denn bei drei linken Listen könnten die Schwarzen in St. Petersburg wirklich nur dank der Spaltung der Linken durchkommen, die Menschewiki aber haben selbst die Stellung des kleinbürgerlichen Blocks gestärkt, indem sie sich von der proletarischen Partei lossagten und zum gemeinsamen Schacher mit den Kadetten in diesen Block eingetreten sind.

Die Menschewiki haben jetzt wirklich allen Grund, „sich reinzuwaschen", so sehr haben sie sich durch ihre ganze Handlungsweise in der Wahlkampagne in St. Petersburg mit Schmach bedeckt. Den Menschewiki bleibt jetzt wirklich nichts übrig, als eine hohle und tönende Phrase, da sie selbst nicht ernstlich daran glauben, dass jetzt eine reine sozialdemokratische Liste in Petersburg möglich ist.

Die Bolschewiki aber warnen wir aufs Energischste davor, diesen tönenden und heuchlerischen Phrasen zu trauen.

Die Bolschewiki brauchen sich von nichts „reinzuwaschen", brauchen nichts zu bereuen. Die Richtigkeit unserer anfänglich von der gesamten bürgerlichen Presse der Hauptstadt verspotteten politischen Linie wird jetzt schlagend und anschaulich durch den ganzen Gang der Ereignisse bestätigt. Die Unsinnigkeit der Märchen von der Schwarzhundert-Gefahr tritt klar zutage. Es wird augenscheinlich, dass eine Kadettengefahr vorhanden ist. Gelüftet wird der Schleier, der die Politik der Kadetten verdeckt hat, deren Führer jetzt eine Audienz bei Stolypin erhält (oder erhalten hat?).

Die Bolschewiki sind nicht hinter dem Rücken der Arbeiterpartei in den kleinbürgerlichen Block eingetreten. Sie haben diesen Block nicht dadurch gefestigt, dass sie die Beteiligung der Volkssozialisten, dieser halbkadettischen Partei unter den Trudowiki, guthießen. Sie haben nicht einen einzigen Schritt getan, nicht ein einziges Wort gesagt, das die kleinbürgerlichen Parteien als Verzicht der Sozialdemokraten auf selbständiges Vorgehen deuten konnten.

Während Miljukow um Stolypin scharwenzelte, während die Menschewiki und Trudowiki aller Schattierungen um Miljukow scharwenzelten, standen allein die Bolschewiki fest und unerschütterlich und stellten auch nicht auf eine einzige Minute die Tätigkeit ein, deren sich jetzt aus Ärger über die Kadetten Genosse Lewizki und seinesgleichen erinnern.

Deshalb dürfen wir jetzt keinesfalls die Dummheit begehen, von der die Menschewiki in ihrer Kopflosigkeit und Heuchelei schwatzen, wir dürfen nicht auf den revolutionären Block, auf die Unterstützung der Sozialisten durch das Kleinbürgertum gegen die Kadetten verzichten.

Gerade deshalb, weil die Bolschewiki ohne zu schwanken sofort die richtige Linie eingeschlagen haben, haben sie es erreicht, dass jetzt jedem die Wankelmütigkeit der Trudowiki und die Festigkeit der Arbeiterpartei (ihr opportunistisches Anhängsel natürlich ausgenommen) durch die Tat klar geworden ist. Es hat sich wirklich herausgestellt, dass gerade das sozialdemokratische Proletariat selbständig seinen Weg geht und dabei alle übrigen Elemente gegen die Schwarzen und gegen die Liberalen lenkt, alle kleinbürgerlichen Parteien und Strömungen von dem Einfluss der Kadettenideologie und der Kadettenpolitik befreit und vor aller Welt den Grad der Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit der revolutionären und der opportunistischen Gruppen unter den Trudowiki feststellt.

Sich jetzt zu fürchten, alle Trudowiki ins Schlepptau zu nehmen, die mit der Gewogenheit der Kadetten ihre bitteren Erfahrungen gemacht haben und bereit sind, gegen die Kadetten zu kämpfen, wäre eine unverzeihliche Kinderei und ein Zeichen von politischer Charakterlosigkeit.

Die 31 Menschewiki, die sich auf den Schacher mit den Kadetten eingelassen haben, sind jetzt selbst genötigt, gegen ihren Willen zuzugeben: „Eine gemeinsame Liste der Sozialdemokraten und Trudowiki wird populär genug sein, um den Kadetten viele Stimmen zu entreißen!" Jawohl, das ist es eben! Und deswegen dürfen wir eben nicht die Aufgabe vernachlässigen, in der Hauptstadt, auf die die Blicke ganz Russlans gerichtet sind, die Hegemonie der Kadetten zu brechen.

Es genügt uns, den Kadetten in einigen Bezirken die Hälfte ihrer Stimmen plus eine Stimme mehr zu entreißen, und wir werden siegen, da wir alle Vorteile der Spaltung der Schwarzhundert-Bourgeoisie und der liberal-kompromisslerischen Bourgeoisie ausnützen werden (eine Gefahr aber gibt es hier nicht, da die Kadetten in neun Bezirken mehr als doppelt soviel Stimmen haben als die Schwarzen).

Von Tag zu Tag wird es klarer, dass die Menschewiki einen falschen politischen Kurs einschlugen, als sie das Geschrei von der Schwarzhundertgefahr erhoben. Es stellt sich heraus, dass die Zusammensetzung der Bevollmächtigten und Wahlmänner radikaler ist als im vorigen Jahr. Anstatt den liberalen Grundbesitzern unsinnige und schimpfliche Helfershelferdienste zu leisten (die nicht durch die Schwarzhundertgefahr gerechtfertigt werden können, da es keine solche Gefahr gibt), fällt uns eine nützliche und verantwortliche Rolle zu: die Rolle der Hegemonie des Proletariats über das demokratische Kleinbürgertum im Kampf gegen die Unterordnung der unaufgeklärten Massen unter die Führung der Liberalen.

Die ersten Dumawahlen haben einen Sieg der Kadetten gezeitigt, und diese liberalen Bourgeois bemühen sich aus allen Kräften, ihre Hegemonie zu befestigen und zu verewigen, die darauf beruht, dass die Massen abgestumpft sind und keinen selbständigen Gedanken haben, keine selbständige Politik machen.

Es ist unsere unmittelbare Pflicht, alle Kräfte anzuspannen, um gerade in Petersburg alle diejenigen um uns zu sammeln, die fähig sind, gegen die Schwarzen und gegen die Kadetten zu kämpfen, es ist unsere Pflicht, sie um uns zu sammeln im Namen der Aufgaben der Volksrevolution, im Namen der Selbsttätigkeit der Millionenmassen des Volkes.

Und wir werden es tun, ohne auch nur ein i-Tüpfel der völligen ideologischen Selbständigkeit unserer eigenen sozialdemokratischen Agitation zu opfern, ohne auch nur etwas von unsern sozialistischen Zielen und ihrer uneingeschränkten Propagierung abzuweichen, ohne auch nur auf eine Minute auf die Entlarvung aller Schwankungen und Verrätereien des Kleinbürgertums zu verzichten.

Nur die revolutionäre Sozialdemokratie steht fest und unerschütterlich auf dem Boden des Kampfes für Freiheit und Sozialismus.

1 Lenin meint die Versammlung der progressiven Wähler vom 1. Februar (19. Januar) im Nemetty-Theater unter dem Vorsitz W. A. de Plansons. In der Versammlung sprachen W. A. Mjakotin (Volkssozialist), A. W. Pjeschechonow (Volkssozialist), G. G. Efron (Trudowik), der Menschewik Lewizki und die für den Linksblock eintretenden Bolschewiki Goldenberg und Archipow. Die Versammlung konnte nicht zu Ende geführt werden, da der in der Versammlung anwesende Polizeibeamte sie wegen der scharfen Rede eines der Redner auflöste.

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