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Wladimir I. Lenin 19131227 Die nationale Zusammensetzung der Schüler in den russischen Schulen

Wladimir I. Lenin: Die nationale Zusammensetzung der Schüler in den russischen Schulen

[Proletarskaja Prawda", Nr. 7., 14./27. Dezember 1913. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 135-138]

Um von dem Plan der „national-kulturellen Autonomie", die auf die Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten hinausläuft, eine genauere Vorstellung zu bekommen, ist es von Nutzen, die konkreten Angaben über die nationale Zusammensetzung der Schüler in den russischen Schulen zur Hand zu nehmen. Für den Petersburger Schulbezirk sind diese Daten bei der Schulzählung vom 18. Januar 1911 gesammelt worden.

Hier die Angaben des Ministeriums für Volksaufklärung über die Verteilung der Schüler in den Elementarschulen nach der Muttersprache, Die Angaben beziehen sich auf den ganzen St. Petersburger Schulbezirk; in Klammern geben wir die Ziffern für St. Petersburg selbst. Unter der Bezeichnung „russische Sprache" werfen die Beamten beständig die großrussische, weißrussische und ukrainische („kleinrussische", laut amtlicher Bezeichnung) Sprache zusammen. Gesamtzahl der Schüler 265.660 (48.076).

Russisch 232.618 (44.223); polnisch 1737 (880); tschechisch 3 (2); litauisch 84 (35); lettisch 1371 (113); schmudisch 1 (0); französisch 14 (13); italienisch 4 (4); rumänisch 2 (2); deutsch 2408 (845); schwedisch 228 (219); norwegisch 31 (0); dänisch 1 (1); holländisch 1 (0); englisch 8 (7); armenisch 3 (3); Zigeunersprache 4 (0); jüdisch 1196 (396); georgisch 2 (1); ossetisch 1 (0); finnisch 10.750 (874); karelisch 3998 (2); tschudisch 247 (0); estnisch 4723 (536); loparisch 9 (0); syrjänisch 6008(0); samojedisch 5 (0); tatarisch 63 (13); persisch 1 (1); chinesisch 1 (1); Sprache unbekannt 138 (7).

Das sind die verhältnismäßig genauen Angaben. Sie zeigen die gewaltige nationale Buntscheckigkeit der Bevölkerung, obwohl sie sich auf eines der am stärksten, von Großrussen bewohnten Gebiete Russlands beziehen. Sofort sieht man die große nationale Buntheit der Großstadt, St. Petersburgs. Das ist keine zufällige Erscheinung, sondern ist in allen Ländern und an allen Ecken und Enden der Welt ein Gesetz des Kapitalismus. Die Großstädte, Fabrik-, Bergbau-, Eisenbahn-, überhaupt die Handels- und Industrieflecken zeichnen sich unvermeidlich durch besonders große nationale Buntheit der Bevölkerung aus, und gerade solche Ansiedlungen wachsen am schnellsten, wobei sie dem abgelegenen Dorfe einen immer größeren Teil der Bewohner entreißen.

Man versuche nun, mit diesen Angaben aus dem wirklichen Leben jene tote Utopie der nationalistischen Spießer zu vergleichen, die da heißt „national-kulturelle Autonomie" oder (in der Übersetzung der Bundisten) „Beseitigung der staatlichen Kompetenz" in den Fragen der nationalen Kultur, d. h. in erster Linie des Schulwesens.

Das Schulwesen wird „der Kompetenz des Staates entzogen" und in die Hände von 23 (in Petersburg) „nationalen Verbänden" übergehen, von denen jeder „seine" „nationale Kultur" fördert!!

Es ist lächerlich, überhaupt auch nur Worte zu verschwenden, um das Abgeschmackte und Reaktionäre eines derartigen „nationalen Programms" zu beweisen.

Es ist klar wie der Tag, dass die Agitation für einen solchen Plan in der Tat die Verwirklichung oder Unterstützung der Ideen des bürgerlichen Nationalismus, Chauvinismus und Klerikalismus bedeutet. Die Interessen der Demokratie im Allgemeinen und die Interessen der Arbeiterklasse im Besonderen verlangen gerade das Gegenteil: es muss angestrebt werden, dass die Kinder sämtlicher Nationalitäten in jedem Orte in Einheitsschulen vereinigt werden; es ist nötig, dass die Arbeiter aller Nationalitäten gemeinsam jene proletarische Politik im Schulwesen verfolgen, die der Abgeordnete der Wladimirer Arbeiter, Samoilow, im Namen der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterfraktion in der Reichsduma so treffend zum Ausdruck gebracht hat. Wir müssen uns aufs Entschiedenste gegen jede wie immer geartete Teilung des Schulwesens nach Nationalitäten wenden.

Nicht dafür müssen wir sorgen, dass die Nationen auf die eine oder andere Art in den Schulen voneinander abgegrenzt werden, sondern, umgekehrt, dafür, dass die grundlegenden demokratischen Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben der Nationen auf der Grundlage der Gleichberechtigung geschaffen werden. Nicht die „nationale Kultur" sollen wir auf den Schild erheben, sondern den klerikalen und bürgerlichen Charakter dieser Losung sollen wir im Namen der internationalen Kultur der proletarischen Weltbewegung entlarven.

Aber, wird man uns fragen, ist es möglich, auf der Grundlage der Gleichberechtigung die Interessen eines georgischen Kindes unter 48.076 Schülern Petersburgs zu schützen? Wir antworten darauf: auf der Grundlage der „nationalen Kultur" in Petersburg eine besondere georgische Schule zu gründen, ist unmöglich, und wer einen solchen Plan propagiert, trägt schädliche Ideen in die Volksmassen.

Doch wir werden nichts Schädliches vertreten und nichts Unmögliches erstreben, wenn wir fordern, dass diesem Kinde unentgeltlich ein staatlicher Raum für den Unterricht in der georgischen Sprache, georgischen Geschichte usw. zur Verfügung gestellt wird, dass für dieses Kind georgische Bücher aus der Zentralbibliothek beschafft werden, dass der Staat einen Teil der Kosten für die Entlohnung des georgischen Lehrers bezahlt usw. Bei tatsächlicher Demokratie und bei vollständiger Vertreibung des Bürokratismus und der „Peredonowiade" aus der Schule kann die Bevölkerung dies durchaus erreichen. Aber diese tatsächliche Demokratie kann nicht anders erreicht werden als unter der Bedingung, dass sich die Arbeiter aller Nationalitäten vereinigen.

Besondere nationale Schulen für jede „nationale Kultur" zu propagieren, ist reaktionär. Aber unter der Bedingung einer tatsächlichen Demokratie können die Interessen des Unterrichts in der Muttersprache, in der nationalen Geschichte u. a. vollauf gewahrt werden, ohne die Schulen nach Nationalitäten zu trennen. Und die vollständige lokale Selbstverwaltung bedeutet die Unmöglichkeit, beispielsweise, den 713 karelischen Kindern des Kreises Kama (wo es nur 514 russische Kinder gibt), oder den 681 syrjänischen Kindern des Kreises Petschora (153 russische Kinder), oder den 267 lettischen Kindern im Kreise Nowgorod über 7.000 russische), usw. usw. irgend etwas mit Gewalt aufzuzwingen.

Die Propaganda der nicht durchführbaren national-kulturellen Autonomie ist ein Unsinn, der nur die Arbeiter heute schon ideologisch zersplittert. Die Propaganda der Vereinigung der Arbeiter aller Nationalitäten erleichtert den Sieg .der proletarischen Klassensolidarität, die imstande ist, die Gleichberechtigung und das friedlichste Zusammenleben aller Nationalitäten zu gewährleisten.

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