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Linke Kommunisten 19180420 Thesen über die gegenwärtige Lage

Thesen der „Linken Kommunisten" über die gegenwärtige Lage

[„Kommunist" Nr. 1 20. April 1918. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 627-640]

Vorbemerkung der Redaktion. Jeder Genosse, der das Parteileben aufmerksam verfolgt, weiß, dass bereits Anfang Januar d. J. in den Reihen der Partei ernste Meinungsverschiedenheiten über die Frage des Friedensschlusses mit Deutschland entstanden sind.

Diese Meinungsverschiedenheiten wurden zweimal im Zentralkomitee unter Hinzuziehung von verantwortlichen Parteifunktionären zur Debatte gestellt: das erste Mal am 20. (7.) Januar und das zweite Mal am 3. Februar (21. Januar) 1918. In diesen Sitzungen traten zwei Hauptrichtungen zutage, von denen die eine, die als „rechte" bezeichnet wurde, sich für den schnellsten Abschluss des Friedens unter den damals vorgeschlagenen Bedingungen aussprach und keinen Abbruch der Verhandlungen wollte, und die andere, die man als „linke" bezeichnete, für die Ablehnung dieser Bedingungen und die Führung eines revolutionären Krieges eintrat. Eine Mittelgruppe war dafür, dass man keinen Gewaltfrieden unterzeichnen, aber auch keinen Krieg führen solle.

Bekanntlich siegte zuerst diese Mittelgruppe. Nach dem Beginn des deutschen Vormarsches, der die Antwort auf die Taktik der Einstellung des Krieges ohne Unterzeichnung des Friedens war, wurde die Frage abermals im Zentralkomitee behandelt und letzten Endes beschlossen, dass man den Frieden unterzeichnen müsse. Infolgedessen trat die Minderheit, die die Aufnahme des Kampfes gegen den deutschen Imperialismus forderte, aus dem ZK aus, und gleich danach traten die Genossen, die sich dieser Richtung anschlossen, von ihren verantwortlichen Posten in den Organen der Sowjetmacht zurück.

Endgültig wurden diese Meinungsverschiedenheiten in ihrer ursprünglichen Form vom Parteitag entschieden, der Anfang März zusammentrat, und vom Rätekongress, der Mitte März stattfand. Der Parteitag billigte mit 28 gegen 12 Stimmen, bei 4 Stimmenthaltungen, die Taktik der Mehrheit des Zentralkomitees und erkannte die Bestätigung des Friedens für notwendig an. Der Rätekongress ratifizierte mit großer Mehrheit den Frieden.

Die Gruppe der linken Bolschewiki, die in Petersburg die Zeitung „Kommunist" herausgab, und die auf dem Parteitag in der Minderheit blieb, hielt sich jedoch nicht für berechtigt, auf dem Rätekongress ganz aufs Wort zu verzichten. Im Auftrage von 58 Delegierten und 10 Mitgliedern des Zentralexekutivkomitees wurde auf dem Rätekongress eine Resolution verlesen, in der die linken Kommunisten erklärten, dass sie nicht für die Ratifizierung des Friedens stimmen können, weil sie ihn für die russische Revolution und das internationale Proletariat für verderblich halten, dass sie sich aber der Parteidisziplin unterordnen und nicht dagegen stimmen, sondern sich der Stimme enthalten.

Nach der Ratifizierung des Friedens schien es einerseits, dass die Meinungsverschiedenheiten in der Partei gegenstandslos wurden, weil die Ratifizierung des Friedens, jener einzige Punkt, um den sich der Streit drehte, zu einer vollendeten, unanfechtbaren Tatsache geworden war. Aber andererseits schuf der Friedensschluss den Boden für die Entstehung neuer Meinungsverschiedenheiten. Der Friedensschluss konnte nicht ein einfacher juristischer Akt sein. Das war ein Ereignis, das von Grund auf die gesamte politische und wirtschaftliche Lage änderte. Bei den Streitigkeiten über den Friedensschluss waren bereits zwei verschiedene Auffassungen über die Aufgaben des russischen Proletariats, zwei Einschätzungen der gegenwärtigen politischen Lage zu erkennen. Die Tatsache des Friedensschlusses stellte die russische Revolution vor die Wahl zwischen zwei Wegen. Die Parteimehrheit setzte einen Weg der Politik fest, die Parteiminderheit – der linke, proletarisch-kommunistische Flügel – einen anderen Weg.

Jetzt ist es noch schwer zu sagen, wie weit diese Wege auseinandergehen werden. Möglich, dass die Meinungsverschiedenheiten in einer kameradschaftlichen Diskussion überwunden werden. Möglich ist aber auch, dass sie sich noch mehr verschärfen werden. Auf jeden Fall hält es der linke Flügel nicht für notwendig und zweckmäßig, die Meinungsverschiedenheiten zu verbergen. Zu diesem Zweck hat das Moskauer Gebietsbüro der KPR, das auf dem Standpunkt des linken Flügels der Partei steht, die Spalten seines soeben erscheinenden Organs für die Diskussion dieser Meinungsverschiedenheiten geöffnet. Die nachstehenden Thesen* geben die Auffassungen der Redaktion über die gegenwärtige politische Lage und die Aufgaben der russischen Arbeiterklasse wieder.

1. Der Abschluss des annexionistischen Friedens mit Deutschland vollendet die vorhergehende Periode der russischen Revolution und eröffnet einen neuen Abschnitt ihrer Geschichte. Er war die Folge des offenen Zusammenstoßes zwischen dem deutschen Imperialismus und der russischen Arbeiter- und Bauernrevolution, die die revolutionären internationalen Forderungen den annexionistischen Bestrebungen der Imperialisten entgegenstellte. Diese Gegenüberstellung allein rief eine Verschärfung des Klassenkampfes in Österreich und Deutschland hervor, der vorübergehend unterdrückt wurde, als der deutsche Imperialismus gegen die Sowjetrepublik einen entschiedenen Vorstoß unternahm. Sowohl die deutsche Offensive als auch das deutsche Ultimatum und der annexionistische Frieden waren die Formen und Mittel dieses Ansturms.

2. Anfang März wurde die proletarisch-bäuerliche Revolution vor die Wahl gestellt: Aufnahme des Kampfes oder Ausweichen vor dem Kampf? Die entscheidende Mehrheit der Organisationen der Arbeiter, Soldaten und Bauern wählte den letzten Weg. Diese Mehrheit bestand aus Vertretern der ermüdeten und deklassierten Soldatenmasse, aus Vertretern eines Teils der Arbeiter des nordrussischen Industriegebiets, wo die Isolierung von den südlichen Rohstoffquellen, von der Kohle und dem Getreide, im Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Zerrüttung Hunger, raschen Zerfall der Industrie, Arbeitslosigkeit, Unterbrechung der regulären produktiven Arbeit hervorgerufen hat und folglich auch die Tendenz zur Deklassierung des Proletariats (zur Schwächung seiner Klasseneinheit und seines Klassenbewusstseins), auf jeden Fall zur Verringerung seiner Kampffähigkeit im Klassenkampfe; und schließlich bestand diese Mehrheit aus Vertretern der Bauern des nördlichen und zentralen Industriegebiets, die infolge der durch den Krieg hervorgerufenen Missernte, Ernährungsschwierigkeiten und Zerrüttung der städtischen Industrie vollständig erschöpft waren. – Die Arbeiter und Bauern der wirtschaftlich lebendigeren und mit Getreide besser versorgten Gebiete des Südens, des Südostens und des Urals waren in den meisten Fällen für die Aufnahme des Kampfes, aber sie gaben nicht den Ausschlag. Um der Erhaltung des industriellen Nordens wegen, der in der vorhergehenden Periode das Zentrum der Revolution war, wurde ein Frieden geschlossen um den Preis der faktischen Trennung des industriellen Nordens von dem kornreichen und industriellen Süden.

3. Es wäre lächerlich, wie die linken Sozialrevolutionäre, die „prinzipielle Unannehmbarkeit" dieses Friedens zu predigen. Der Abschluss dieses Friedens, als Sieg der rückständigen und ermüdeten Schichten der Arbeiter und Bauern, ist eine objektive Tatsache, die eine neue objektive Situation schafft, eine neue wirtschaftliche Situation, eine neue Gruppierung der Klassenkräfte. Die Abschneidung „Großrusslands" von der Westukraine, die drohende Abschneidung von dem Jekaterinoslawer und Donez-Bezirk, die Evakuierung Petersburgs sind objektive Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens; die Zugeständnisse wirtschaftlichen Charakters, die die ausländischen Imperialisten, ausgehend von dem in Brest-Litowsk abgeschlossenen Friedensvertrag, fordern werden, können ebenfalls auf die objektive Situation einen starken Einfluss ausüben; schließlich ist die Verankerung der passiven „Psychologie des Friedens" unter den Massen eine objektive Tatsache der gegenwärtigen politischen Lage.

Aber indem die proletarischen Kommunisten die durch den Brest-Litowsker Frieden geschaffene Situation in Rechnung stellen, können sie nicht nur von diesen Tatsachen ausgehen, können sie sich nicht auf das geistige Niveau des rückständigen und passiven, untätigen Teils einer der Abteilungen des russischen Proletariats und der Bauernschaft stellen. Sie bestimmen ihre Aufgaben, indem sie von den Interessen der Arbeiter ganz Russlands ausgehen und diese Aufgaben im Zusammenhang mit der anwachsenden internationalen revolutionären Bewegung stellen. Nicht Erhaltung der Errungenschaften der Arbeiter und Bauern um jeden Preis auf dem jetzigen, beschnittenen Territorium der Sowjetrepublik, um den Preis der Opferung dieser Errungenschaften in den übrigen Gebieten Russlands und um den Preis der kleinbürgerlichen Entartung des jetzigen Sowjetstaates, sondern Entwickelung und Stärkung ganz Russlands, als einer Abteilung der internationalen Arbeiterrevolution gegen den internationalen Imperialismus, – das ist ihre Aufgabe, das ist die Hauptlinie ihrer Politik.

4. Der Abschluss des annexionistischen Friedens zwischen der Sowjetrepublik und Deutschland hat zweifelsohne vorübergehend die Kräfte der internationalen Revolution geschwächt und den internationalen Imperialismus gestärkt. Aber die Hauptkräfte der internationalen Revolution wachsen immer mehr an, werden den gegen sie aufgerichteten Damm durchbrechen und sich einige Folgen des Friedensschlusses zunutze machen, als Faktoren, die die revolutionäre Bewegung stärken.

Der Friedensschluss hat zunächst das Streben der Imperialisten nach einem internationalen Pakt geschwächt. Von ihrem Standpunkt aus ist Russland als Herd der Weltrevolution zurückgeworfen worden. Die Furcht vor ihrem Einfluss treibt nicht mehr mit der alten Stärke die kämpfenden Imperialisten gegenseitig in die Arme. Sie ist auch als militärische Einheit zerschlagen. Deshalb haben die deutschen Imperialisten die Möglichkeit bekommen, alle ihre Kräfte nach dem Westen zu werfen und den Kampf für den völligen Sieg über die Imperialisten der Ententestaaten aufzunehmen. Die Ententestaaten wiederum müssen infolge der begonnenen Aufteilung Russlands und der ihnen drohenden Gefahr der Vernichtung alle Kräfte anspannen zur Abwehr und zur Sicherung von Annexionen für sich im Fernen Osten und in der Türkei. Um sich diese Eroberungen zu sichern, müssen sie versuchen, auf dem entscheidenden Kriegstheater das Übergewicht zu erlangen. Deshalb hat der Abschluss des Friedens bereits zu einer Verschärfung des Ringens zwischen den imperialistischen Staaten geführt.

5. Der Abschluss des annexionistischen Friedens im gegenwärtigen Augenblick hat unbedingt die Entwicklung der psychologischen Voraussetzungen für die internationale Revolution, die im Frühjahr 1918 heranreiften, stark aufgehalten. Aber er vermochte nicht die Entfaltung der materiellen Widersprüche aufzuhalten, die die wichtigste Grundlage für eine revolutionäre Explosion bilden. Er verschärft sie sogar zum Teil. Die Verzögerung des offenen Ausbruchs der Revolution wird ihr wahrscheinlich einen um so schwereren und stürmischeren Charakter verleihen.

Die Verschärfung des Kampfes zwischen den Koalitionen der Imperialisten erschöpft bis zum äußersten die untergrabenen wirtschaftlichen Kräfte der kämpfenden Staaten, führt zu einer neuen Ausrottung des „Menschenmaterials" und zur größten Verschärfung der allgemeinen wirtschaftlichen Zersetzung. Die Verschärfung der materiellen Gegensätze auf dem Boden der Ernährungs- und Wirtschaftskrise in den mitteleuropäischen Staaten (besonders in Österreich) kann durch die Eroberung der Ukraine nicht wesentlich aufgehalten werden, weil das deutsche Kapital während der kritischsten Situation, im Frühjahr 1918, nicht imstande sein wird, die notwendigen Nahrungs- und Produktionsmittel aus der Ukraine herauszuziehen. Die Besetzung der Ukraine erfolgt im Augenblick der Beendigung der Getreidebeschaffung (die sowieso schlecht ausgefallen ist), im Feuer des Bürgerkriegs, in einem Augenblick, wo die Fabriken und Gruben der notwendigen Arbeitshände beraubt sind, keinen Koks, kein Holz, kein Benzin usw. haben und es den Eisenbahnen an Kohle und Waggons fehlt. Gleichzeitig erzeugt die deutsche annexionistische Politik an der Ostfront eine Reihe von nationalen Reibungen sowohl im „nächsten" deutschen „Hinterland" (Polen, Ukraine, Lettland, Estland) als auch innerhalb des österreichischen Nationalitätenblocks (Galizien, Tschechoslowakei) sowie innerhalb des Bundes der Mittelmächte selbst.

Andererseits muss man mit aller Entschiedenheit feststellen, dass der Abschluss des Friedens einen negativen Einfluss auf die geistige, ideologische Auslösung der internationalen Revolution ausübt. Der Einfluss der russischen Revolution auf die internationale Arbeiterbewegung wird schwächer infolge ihrer Kapitulation vor dem internationalen Imperialismus (Einschränkung der revolutionären Propaganda an der Front, Verzicht auf die Politik der Entlarvung des internationalen Imperialismus; Durchführung eines möglichst „gemäßigten" Kurses in der Innenpolitik Russlands). Die Versuche der Sowjetmacht, diplomatisch zu manövrieren, können ebenfalls das internationale Proletariat nicht begeistern, denn sie demonstrieren nicht die Stärke, sondern die Schwäche der Revolution. Die bloße Tatsache des Abschlusses des annexionistischen Friedens stärkt die Richtungen der Vaterlandsverteidigung unter den rückständigen Schichten des internationalen Proletariats. In Deutschland versprechen die Imperialisten den Arbeitern immer lauter, unter Hinweis auf diesen Frieden, ihnen durch imperialistische Siege Frieden und Brot zu bringen. Sie schrecken sie mit dem Beispiel der Zertrümmerung und „Zersetzung" Russlands. In Frankreich und England hetzen sie ihre Arbeiter gegen das deutsche Proletariat, das die russische Revolution „verraten" hat. In Amerika wird eine Agitation der Vaterlandsverteidigung entfaltet, wobei man sich in frecher Weise der Flagge der Verteidigung der russischen Revolution gegen die deutschen Eroberungen bedient.

Aber gleichzeitig zerstört die Verschärfung des Weltgemetzels die Hoffnungen auf den Frieden, die die Arbeitermassen im Herbst 1917 ergriffen hatten. Die außerordentlich krasse Entlarvung der Eroberungspolitik der herrschenden Klassen und ihrer sozialdemokratischen Agenten während des Abschlusses des Friedens enthüllt den wirklichen Hintergrund der Vaterlandsverteidigung und des Burgfriedens. Sie bereitet den Zusammenbruch der letzten Vorurteile vor, die die Aktion der Arbeitermassen hemmen.

Der kritischste Augenblick der Entfaltung der Widersprüche, die durch das imperialistische System und den imperialistischen Krieg hervorgerufen worden sind, naht heran. Im Laufe des nächsten Frühjahrs und Sommers muss der Zusammenbruch des imperialistischen Systems beginnen, der im Falle eines Sieges des deutschen Imperialismus in der jetzigen Phase des Krieges nur aufgeschoben werden kann und dann in noch schärferen Formen zum Ausdruck kommen wird.

6. Die Erwartungen der deutschen Imperialisten bei dem Abschluss des Friedens mit der Sowjetrepublik bestanden in folgendem. Einerseits schien es vorteilhaft, die militärische Eroberung Nordrusslands, den unmittelbaren Sturz der Sowjetmacht und die direkte Besitzergreifung der Wirtschaft Nordrusslands aufzuschieben: dazu trieb die Schwierigkeit der Organisierung der Wirtschaft und des Ernährungswesens im Norden und das Fehlen starker bürgerlicher Agenten, die die Okkupationsmacht zu unterstützen bereit waren (etwa wie die Ukrainische Zentralrada); andererseits war es wichtig, die Wirtschaft des kornreichen und industriellen Südens sich zu unterwerfen und sie für die Bedürfnisse der deutschen kapitalistischen Wirtschaft nutzbar zu machen; drittens rechnete der deutsche Imperialismus, indem er den Norden vom Süden trennte und dadurch eine natürliche wirtschaftliche Zersetzung des Nordens hervorrief, die Kontrolle über die Rohstoffquellen und Getreidegebiete ausübte, die den Norden versorgten, von den im Norden eroberten strategischen Punkten aus einen bewaffneten Druck ausübte und neue Teilannexionen durchführte, darauf, den Norden wirklich den Fühlern des deutschen Finanzkapitals zu unterwerfen, die sozialen Errungenschaften der Arbeiterrevolution zu vernichten und damit die Sowjetmacht von innen, an der Wurzel zu untergraben. Die größere oder geringere Schärfe, der verhüllte oder offene Charakter des Drucks des deutschen Imperialismus auf die Sowjetrepublik wird von verschiedenen Umständen abhängen: von der Lage auf dem Kriegstheater, von der inneren Lage in den Ländern der Mittelmächte, von der Entschiedenheit des Widerstandes sowohl der Sowjetmacht als auch der revolutionären Klassen des Südens Russlands und des besetzten Nordwestgebiets Russlands.

7. Außer dem Ansturm des deutschen Imperialismus droht der Sowjetrepublik der Ansturm der Koalition der Alliierten. Die Pläne des deutschen Imperialismus in der nächsten Zeit werden darauf gerichtet sein, die Wirtschaft Nordrusslands dem inneren Einfluss des deutschen Finanzkapitals zu unterwerfen: durch Erpressungen gegenüber der Sowjetrepublik, durch Versuche, ihren revolutionären Inhalt zu kastrieren, nicht aber durch direkten Sturz der Sowjetmacht. Der anglo-französische und japanische Imperialismus werden ihre Pläne darauf richten, eine halbe Okkupation, eine halbe Restauration der bürgerlich-kompromisslerischen Ordnung in einzelnen Gebieten des Fernen Ostens durchzuführen, diese Gebiete der Kontrolle des Kapitals der Alliierten zu unterwerfen vermittels ihrer russischen kleinbürgerlichen Agenten der Vaterlandsverteidiger und der Kadetten). Die letzte Note der „Alliierten" über die Annullierung der Anleihen zeigt übrigens, dass auch das anglo-französische Kapital geneigt ist, die Sowjetrepublik seiner inneren Kontrolle zu unterwerfen. Und schließlich laufen die Bestrebungen Amerikas darauf hinaus, die Sowjetmacht durch ihre eigenen Handlungen, ohne Ausnutzung der Erschöpfung der Sowjetrepublik (wie Deutschland), dem Einfluss des amerikanischen Kapitals zu unterwerfen. Das amerikanische Kapital rechnet in diesem Falle darauf, sich einen gesunden, vom Feudalismus gereinigten bäuerlichen Markt zu sichern, rechnet auf die Schaffung einer zu Trusts zusammengefassten Großindustrie in Russland und auf die Gegenüberstellung der ihm vorschwebenden industriellen bäuerlich-bürgerlichen Demokratie in Russland den Rivalen der Vereinigten Staaten – Deutschland und Japan. Im Großen und Ganzen ist die Lage der Sowjetrepublik jetzt derart, dass sie angesichts der Gefahr eines unmittelbaren Ansturms des Imperialismus von allen Seiten zunächst nicht imstande ist, eine Politik der allgemeinen offenen Offensive zu treiben; sie kann und muss aber jeden Moment darauf vorbereitet sein, indem sie zunächst eine Politik der systematischen Abwehr und des aktiven Widerstandes gegen die Erpressungen der Imperialisten aller Länder und aller Schattierungen führt.

8. Die wirtschaftliche Lage und die Klassengruppierungen in Russland haben sich nach dem Abschluss des Friedens verändert. Die entstandene Situation schafft zwei entgegengesetzte Tendenzen (zur Schwächung und zum Anwachsen der revolutionären Kräfte), von denen die erste unmittelbar durch den Friedensschluss gestärkt worden ist und in der ersten Zeit die Oberhand behalten kann.

Die teilweise Liquidierung des Petersburger Bezirks vollendet dessen raschen Verfall, der bereits im Frühjahr 1917 zutage trat und die Folge der künstlichen wirtschaftlichen „Aufpäppelung" der Petersburger Industrie während des Krieges und der Einstellung des Seeverkehrs war. Der Frieden sollte die rote Hauptstadt retten, aber er rettete nur das Territorium Petersburgs und ließ es als revolutionäre Kraft verbluten. Die Zerrüttung der Produktion, die Arbeitslosigkeit, die Deklassierung des Proletariats, die Schwächung seiner Kampffälligkeit ist größer geworden. Petersburg hat seine Bedeutung als wichtigstes wirtschaftliches und revolutionäres Zentrum verloren.

Der Abschluss des annexionistischen Friedens untergräbt, wenn auch in geringerem Maße, einen anderen fortgeschrittenen Industriebezirk – den Moskauer Bezirk, wo die Arbeiterklasse ebenfalls durch die Einstellung der Zufuhr von Metall, Kohle, Getreide und der daraus sich ergebenden Arbeitslosigkeit und Deklassierung geschwächt werden wird.

Einen negativen Einfluss übt der Abschluss des annexionistischen Friedens auch auf die wirtschaftliche Lage und die politische Aktivität (Kampffähigkeit) der ermüdeten und hungrigen armen Bauernschaft der nördlichen und zentralen industriellen Gouvernements aus. Die Zerrüttung der städtischen Industrie, die Einstellung der Zufuhren von Getreide aus dem Süden, die Verringerung der Saisonarbeitsmöglichkeiten in Südrussland wird zur Verarmung und Deklassierung führen; andererseits wird die Proletarisierung der Bauernschaft zum Teil die revolutionären Bestrebungen und den Hass gegen die deutschen Okkupanten wecken.

Die arme und „werktätige" Bauernschaft der landwirtschaftlichen Gouvernements, die mit der Aufteilung des Landes beschäftigt ist und nicht die Möglichkeit hat, in der Epoche des Niederganges der bürgerlichen Ordnung und des Zerfalls der Produktivkräfte in allen Ländern, eine kräftige Eigentümerwirtschaft zu organisieren, wird die Sowjetmacht weiter unterstützen.

Ein relativ gesunder Wirtschaftsbezirk, der allerdings stark von kleinbürgerlichen Schichten durchsetzt ist und ebenfalls dem allgemein wirtschaftlichen Zerfall ausgesetzt war, ist der Uraler Bergbaubezirk mit dem Vorural, Westsibirien und seinen Industriezentren. Unter den Arbeitern und armen Bauern dieser Gebiete wird die Arbeiter- und Bauernrevolution und die Sowjetmacht ebenfalls eine Stütze finden.

Das Proletariat des Südens, das die ganze Last der Niederschlagung des bürgerlichen Aufstandes im Süden ertragen hat und jetzt der deutschen Okkupation den entschiedensten Widerstand entgegensetzt, muss trotz der Zerrüttung und Erschöpfung gerade dank seiner Erziehung zum Klassenkampfe im Feuer des Bürgerkrieges eine große Kampffähigkeit bewahren. Zusammen mit der armen Bauernschaft der Ukraine, der die Gefahr der Rückkehr der Gutsbesitzer und der Ausplünderung durch die Deutschen und die Haidamaken droht, wird es eine ständige Stütze bilden für die Erhebung gegen die imperialistischen Annexionisten und ihre ukrainischen bürgerlichen Lakaien.

Die arme Bauernschaft Nordwest-Russlands (kein Schwarzerdegebiet) wird infolge des noch viel zerstörenderen Einflusses der deutschen Requisitionen auf ihre Wirtschaft ebenfalls Kräfte für den Kampf gegen die Eroberer und wieder eingesetzten Gutsbesitzer stellen und tut das bereits.

Ein positives Moment ist die Beendigung der Demobilisierung der alten Armee, die Millionen Menschen der produktiven Arbeit wieder zugeführt hat, die bäuerliche Wirtschaft stärkt, den revolutionären Prozess im Dorfe verschärft und die sich zersetzenden Reihen der untätigen Truppenteile beseitigt. Erst jetzt beginnt sich auch der günstige Einfluss der faktischen Einstellung des imperialistischen Krieges (bereits seit dem Oktober 1917) und der damals schon begonnenen Demobilisierung der Industrie bemerkbar zu machen.

9. Unter diesen Umständen ist trotz der zeitweiligen Schwächung der Kräfte der Revolution, trotz der schweren internationalen Lage der Sowjetrepublik im Rahmen des jetzigen Sowjetstaates keine ernste Stütze vorhanden für die Wiederherstellung der Monarchie oder einer Regierung der Kompromisslerparteien.

Die Wirtschaft der Gutsbesitzer ist zerschlagen und die politische Kraft der Gutsbesitzerklasse gebrochen; die Bourgeoisie ist vernichtet, eine starke Bauernschaft (eine neue Schicht der ländlichen Kleinbourgeoisie vermochte sich noch nicht herauszubilden, die alte Schicht verschwindet unter dem Ansturm der armen Bauernschaft) gibt es nicht. Die Stützen der Monarchie sind beseitigt. Andererseits ist auch das städtische Kleinbürgertum und die bürgerliche Intelligenz geschwächt. Es ist kein Boden vorhanden für die Wiederherstellung einer Regierung der Kompromisslerparteien, der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die überhaupt nur eine Übergangsstufe zur Diktatur des Proletariats und der armen Bauernschaft sein konnte und nicht eine Übergangsstufe zur Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung. Ebenso ist auch kein Boden vorhanden für eine gründliche Wiederherstellung der kapitalistischen und gutsherrlichen Wirtschaft in den von den Deutschen eroberten Gebieten.

Im Gegenteil, Boden vorhanden ist für die Stärkung und Entwicklung der Diktatur des Proletariats und der armen Bauern und der von ihnen begonnenen sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft. Außer den Faktoren, auf die wir bereits früher hingewiesen haben, die diese positive Tendenz in der Entwicklung der Revolution stärken, sind noch folgende Umstände von Wichtigkeit. Vor allen Dingen ist der Prozess des ursprünglichen Zerbrechens der bürgerlich-kompromisslerischen Staatsordnung, der alten Produktionsverhältnisse und der materiellen Klassenkraft der Bourgeoisie und ihrer Verbündeten fast beendet. Ferner gibt die Klassenerziehung des Proletariats im Laufe des Bürgerkrieges ihm eine große Reserve an Geschlossenheit, Energie und Klassenbewusstsein. Ebenso haben die von ihm erworbenen realen Errungenschaften diese revolutionären Kräfte und die Energie für den Widerstand gegen den Feind gestärkt, der die Errungenschaften des Proletariats bedroht. Die energische Organisierung der Produktion nach sozialistischen Grundsätzen muss einerseits die wirtschaftliche Basis des Proletariats als revolutionäre Kraft stärken und andererseits für das Proletariat eine neue Schule der Klassenorganisation und Aktivität werden. Schließlich steigert auch die Aufrechterhaltung des Kontakts mit der internationalen und gesamtrussischen proletarischen Bewegung die Klassenaktivität des Proletariats und bewahrt es vor Zersetzung und Ermüdung.

Aber im Zusammenhang mit den nächsten, unmittelbaren Folgen des Friedens: der Verringerung der Klassenaktivität und des Umsichgreifens der Deklassierung des Proletariats in den revolutionären Hauptzentren; im Zusammenhang mit der immer größer werdenden Annäherung des Proletariats und der armen Bauernschaft (die nach der Unterzeichnung des Friedens unter dem Druck ihrer Forderungen und ihres Einflusses zu einem Pfeiler der Sowjetmacht werden muss) wird die Tendenz zur Abweichung der Mehrheit der Kommunistischen Partei und der von ihr geleiteten Sowjetmacht in der Richtung einer kleinbürgerlichen Politik neuen Schlages zu einer Möglichkeit, mit der man rechnen muss.

Wenn eine solche Tendenz Wirklichkeit werden sollte, so wird die Arbeiterklasse aufhören, der Führer, der Hegemon der sozialistischen Revolution zu sein, der die arme Bauernschaft zur Beseitigung der Herrschaft des Finanzkapitals und der Gutsbesitzer führt; sie wird sich dann als Kraft erweisen, die in die Reihen der halbproletarisch-kleinbürgerlichen Masse hineingeraten ist, die sich nicht den proletarischen Kampf im Bunde mit dem westeuropäischen Proletariat für den Sturz des imperialistischen Systems zum Ziel stellt, sondern die Verteidigung des Farmervaterlandes gegen die Drangsale des Imperialismus, was man auch durch ein Kompromiss mit ihm erreichen kann. Verzichtet man auf eine aktive proletarische Politik, so werden die Errungenschaften der Arbeiter- und Bauernrevolution zu einem System des Staatskapitalismus und der kleinbürgerlichen wirtschaftlichen Verhältnisse erstarren. Die „Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes" wird sich dann in Wirklichkeit als eine Verteidigung des kleinbürgerlichen, dem Einfluss des internationalen Kapitals unterworfenen Vaterlandes erweisen.

10. Der Partei des Proletariats stehen zwei Wege offen. Der eine von ihnen ist der Weg der Verteidigung und Stärkung des unversehrten Teils des Sowjetstaates, der jetzt wirtschaftlich – der revolutionäre Prozess ist noch nicht zu Ende – nur eine Übergangsorganisation zum Sozialismus (nicht beendete Nationalisierung der Banken, kapitalistische Form der Finanzierung der Betriebe, teilweise Nationalisierung der Betriebe, Herrschaft des Kleinbetriebs und des Kleinbesitzes im Dorfe, Versuche der Bauern, die Landfrage durch Aufteilung des Bodens zu lösen) ist, aber politisch aus der Hülle der Diktatur des Proletariats, die von der armen Bauernschaft unterstützt wird, sich in ein Werkzeug der politischen Herrschaft der halbproletarisch-kleinbürgerlichen Masse verwandeln und sich lediglich als Übergangsstadium zur vollen Herrschaft des Finanzkapitals entpuppen kann.

Dieser Weg kann – mit Worten – durch das Bestreben gerechtfertigt werden, um jeden Preis für die internationale Revolution die revolutionären Kräfte und die Sowjetmacht zu erhalten, wenn auch nur in „Großrussland". In diesem Falle werden alle Kräfte auf die Stärkung und Entwicklung der Produktivkräfte, auf den „organischen Aufbau" gerichtet werden, wobei man auf das weitere Zerbrechen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse verzichten und sie sogar zum Teil wieder herstellen wird.

11. Im Falle einer konsequenten Durchführung dieses Kurses bekommen wir folgendes wirtschaftliche und politische Programm, das teilweise von den Vertretern des rechten Flügels der Partei und teilweise von der Parteimehrheit aufgestellt worden ist.

In der Außenpolitik wird die offensive Taktik der Entlarvung des Imperialismus durch ein diplomatisches Manövrieren des russischen Staates unter den imperialistischen Staaten abgelöst. Die Sowjetrepublik schließt nicht nur Handelsabkommen mit ihnen, sondern kann auch organische, wirtschaftliche und politische Beziehungen anknüpfen, ihre militärische und politische Unterstützung in Anspruch nehmen (Abkommen über die Unterstützung mit militärischen Instruktoren, möglicherweise Aufnahme von Anleihen unter Zulassung einer Kontrolle innerhalb des Landes, Abkommen über Vereinbarung von politischen Aktionen usw.).

Die diesem Kurs entsprechende Wirtschaftspolitik muss sich in der Richtung des Abschlusses von Abkommen mit kapitalistischen Geschäftsleuten entwickeln, sowohl mit „einheimischen" als auch mit den hinter ihrem Rücken stehenden ausländischen Geschäftsleuten, als auch mit den Vertretern der „starken" Schichten des Dorfes (den „Genossenschaftlern"). Die Denationalisierung der Banken ist, wenn auch in verhüllter Form, logisch mit solchen Abkommen verbunden. Sie kann durch Bildung von speziellen (halb privaten, halb staatlichen) Banken für einzelne Zweige der Industrie (das Statut der Mühlenbank ist bereits bestätigt), durch Erhaltung der Exterritorialität der sogenannten „Genossenschaftsbanken", durch Verzicht auf den Übergang zum System einer zentralen gesellschaftlichen Buchhaltung und durch Verankerung des kapitalistischen Kredits in staatlicher und halbstaatlicher Form verwirklicht werden.

An Stelle des Überganges von der teilweisen Nationalisierung zur allgemeinen Sozialisierung der Großindustrie müssen Abkommen mit den „Industriekapitänen" zur Bildung großer, von ihnen geleiteter, und die Hauptzweige der Industrie umfassender Trusts führen, die äußerlich wie Staatsunternehmen aussehen können. Ein solches System der Organisierung der Produktion schafft die soziale Basis für die Evolution zum Staatskapitalismus und ist eine Übergangsstufe zu ihm.

Mit der Politik der Verwaltung der Betriebe nach dem Prinzip einer breiten Teilnahme der Kapitalisten und einer halb bürokratischen Zentralisation ist natürlich eine Arbeiterpolitik verbunden, die darauf gerichtet ist, unter der Flagge der „Selbstdisziplin" bei den Arbeitern die Disziplin einzuführen, die Arbeitspflicht für die Arbeiter (ein entsprechender Entwurf ist von den rechten Bolschewiki eingebracht worden), die Akkordarbeit, die Verlängerung des Arbeitstages usw. einzuführen.

Die Form der Staatsverwaltung muss sich in der Richtung der bürokratischen Zentralisation, der Herrschaft verschiedener Kommissare, der Beseitigung der Selbständigkeit der lokalen Sowjets und des faktischen Verzichts auf den Typus des von unten sich verwaltenden „Kommunestaates" entwickeln. Zahlreiche Tatsachen zeigen, dass hier sich bereits eine ganz bestimmte Tendenz entwickelt (die Verordnung über die Verwaltung der Eisenbahnen, die Artikel von Lazis usw.).

Auf dem Gebiet der Militärpolitik muss die Tendenz zur Wiederherstellung der allgemeinen Militärpflicht (auch für die Bourgeoisie) in Erscheinung treten. Das ist bereits der Fall (siehe den Aufruf Trotzkis und Podwoiskis). Bei der Bildung von Armeekader, zu deren Schulung und Leitung Offiziere notwendig sind, wird die Aufgabe der Schaffung eines proletarischen Offizierskorps durch großzügige und planmäßige Organisierung von entsprechenden Schulen und Kursen außer acht gelassen und praktisch auf diese Weise das alte Offizierskorps und die Kommandogewalt der zaristischen Offiziere wiederhergestellt.

Unter dem Deckmantel der Agitation „für die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes" wird sich unter diesen Verhältnissen die Propaganda der Idee des kleinbürgerlichen Vaterlandes und des nationalen Krieges gegen den deutschen Imperialismus ausbreiten.

12. Der oben beschriebene Weg in seiner Gesamtheit, ebenso die Tendenzen in dieser Richtung sind für das russische und das internationale Proletariat außerordentlich gefährlich. Dieser Weg wird die durch den Brest-Litowsker Frieden begonnene Abschneidung der „großrussischen" Räterepublik von der revolutionären Bewegung des gesamtrussischen und des internationalen Proletariats besiegeln und sie in den Rahmen des nationalen Staates mit einer Übergangsform der Wirtschaft und einer kleinbürgerlichen politischen Ordnung einschließen.

Bei der unvermeidlichen Schwäche sowohl der Sowjetdiplomatie als auch des Einflusses der Sowjetrepublik auf der Arena des internationalen imperialistischen Kampfes wird dieser Kurs auf dem Gebiet der Außenpolitik die Sowjetrepublik den imperialistischen Beziehungen unterwerfen und sie von der Verbindung mit dem revolutionären Proletariat aller Länder trennen. Er wird die internationale revolutionäre Bedeutung der Sowjetmacht und der russischen Revolution noch mehr schwächen.

Innerhalb des Landes wird er den wirtschaftlichen und politischen Einfluss der russischen und internationalen Bourgeoisie und deshalb auch die Kräfte der Konterrevolution sowie der Gruppen der Intelligenz stärken, die die Sowjetmacht sabotierten. Bei dem Verfall der Produktivkräfte in der ganzen Welt können die Zugeständnisse an die Bourgeoisie nicht zu einem raschen Aufschwung der Volkswirtschaft in kapitalistischer Form führen. Gleichzeitig beseitigen sie die Möglichkeit der sparsamsten, planmäßigen Ausnutzung der unversehrt gebliebenen Produktionsmittel, die nur bei entschiedenster Vergesellschaftung denkbar ist.

Die Einführung der Arbeitsdisziplin in Verbindung mit der Wiederherstellung der Leitung der Produktion durch die Kapitalisten kann die Produktivität der Arbeit nicht wesentlich erhöhen, wird aber die Selbständigkeit, Aktivität und Organisiertheit des Proletariats als Klasse verringern. Sie beschwört die Gefahr der Versklavung der Arbeiterklasse herauf, sie wird Unzufriedenheit sowohl unter den rückständigen Schichten als auch unter der Vorhut des Proletariats hervorrufen. Zur Durchführung dieses Systems müsste die Kommunistische Partei bei dem in den Reihen des Proletariats herrschenden starken Klassenhass gegen die „kapitalistischen Saboteure" sich auf die Kleinbourgeoisie stützen und gegen die Arbeiter vorgehen, wodurch sie sich als Partei des Proletariats zugrunde richten würde.

Die bürokratische Zentralisation der Sowjetrepublik und die Abkommen vom grünen Tisch mit den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Geschäftsleuten können ebenfalls nur zu einem Sinken der Klassenaktivität und des Klassenbewusstsein des Proletariats und zur Verringerung der Sympathien der Arbeiter für die Partei führen.

Die Versuche der Wiedereinführung der allgemeinen Militärpflicht würden, insoweit sie nicht zum Scheitern verurteilt sind, zur Bewaffnung und Organisierung der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Konterrevolutionäre führen. Noch klarer ist das in Bezug auf die Wiederherstellung des alten Offizierskorps und der Kommandogewalt der zaristischen Generale, wenn nicht ihre Ausnutzung von den energischsten Anstrengungen zur Schaffung proletarischer Kader eines revolutionären Offizierskorps und von der Durchführung einer strengen Kontrolle über die zaristischen Kommandeure in der Übergangszeit begleitet sein wird. Eine „allgemein-nationale" (nicht nach dem Klassenstandpunkt zusammengesetzte) Streitmacht, mit der alten Generalität an der Spitze, kann nicht vom revolutionären Klassengeist durchdrungen sein, entartet unvermeidlich zum deklassierten Söldnertum und kann nicht eine Stütze für das bewaffnete Eingreifen des russischen Proletariats in die internationale Revolution sein.

Die oben geschilderte Politik kann in Russland den Einfluss der äußeren und inneren konterrevolutionären Kräfte stärken, die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse zersetzen, die russische Revolution von der internationalen Revolution trennen und damit einen verhängnisvollen Einfluss auf die Interessen sowohl der einen wie der anderen ausüben.

13. Die proletarischen Kommunisten halten einen andern Weg der Politik für notwendig. Nicht den Weg der Erhaltung der Sowjetoase im Norden Russlands durch Zugeständnisse, die den Sowjetstaat in einen kleinbürgerlichen Staat verwandeln. Nicht den Übergang zur „organischen Arbeit im Innern", bestärkt durch die Erwägung, dass die akute Periode" des Bürgerkrieges zu Ende sei.

Die akute Periode des Bürgerkriegs ist nur in dem Sinne zu Ende,

dass die überwiegende Anwendung der schärfsten physischen Methoden der revolutionären Gewalt objektiv nicht nötig ist. Ist die Bourgeoisie geschlagen und zum offenen Kampf nicht mehr fähig, so fallen die „militärischen" Methoden zum größten Teil fort. Aber die Schärfe des Klassengegensatzes zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie kann sich nicht verringern: ebenso wie früher läuft die Stellung des Proletariats zur Bourgeoisie auf eine vollkommene Negation, auf die Vernichtung der Bourgeoisie als Klasse hinaus. Die Beendigung der akuten Periode des Bürgerkrieges kann nicht bedeuten, dass man mit den unversehrt gebliebenen Kräften der Bourgeoisie Abkommen trifft; und der „organische Aufbau" des Sozialismus, der zweifellos die dringendste Aufgabe des Augenblicks ist, kann nur mit den Kräften des Proletariats selbst unter Mitwirkung der qualifizierten Techniker und Administratoren durchgeführt werden, nicht aber durch diese oder jene Zusammenarbeit mit den „Zensuselementen" als solchen.

Die russische Arbeiterrevolution kann sich nicht dadurch „erhalten", dass sie den internationalen revolutionären Weg verlässt, ununterbrochen dem Kampf ausweicht, vor dem Ansturm des internationalen Kapitals zurückweicht und dem „einheimischen Kapital" Zugeständnisse macht.

Von diesem Standpunkt aus ist notwendig: eine entschiedene internationale Klassenpolitik, die die internationale revolutionäre Propaganda in Wort und Tat zusammenfasst, und die Stärkung des organischen Zusammenhanges mit dem internationalen Sozialismus (und nicht mit der internationalen Bourgeoisie); eine entschiedene Abwehr jeder Einmischung der Imperialisten in die inneren Angelegenheiten der Sowjetrepublik; der Verzicht auf politische und militärische Abkommen, die die Sowjetrepublik zu einem Werkzeug der imperialistischen Lager machen.

Auf dem Gebiet der internationalen Wirtschaftspolitik sind nur dann Handelsabkommen, Anleihen, Versorgung mit technischen Kräften zulässig, wenn das russische Kapital nicht der leitenden Kontrolle durch das ausländische Finanzkapital unterworfen wird.

Man muss die Nationalisierung der Banken zu Ende führen, sowohl extensiv (Vergesellschaftung der sogenannten „Genossenschaftsbanken", die bisher unangetastet geblieben sind) als auch intensiv (Schaffung einer zentralen gesellschaftlichen Buchhaltung und Beseitigung der kapitalistischen Form der Finanzierung). Die Nationalisierung der Banken muss mit der Sozialisierung der industriellen Produktion und der völligen Beseitigung der kapitalistischen und feudalistischen Überreste in den Produktionsverhältnissen verknüpft werden, die eine planmäßige und großzügige Organisierung der Produktion behindern. Die Leitung der Betriebe muss gemischten Kollegien aus Arbeitern und Technikern übergeben werden, die von den lokalen Volkswirtschaftsräten kontrolliert und geleitet werden. Das gesamte Wirtschaftsleben muss dem organisierenden Einfluss dieser Volkswirtschaftsräte unterstellt werden, die von den Arbeitern ohne Teilnahme des „Zensuselements", aber unter Teilnahme der Techniker und Angestellten der Betriebe gewählt werden.

Keine Kapitulation vor der Bourgeoisie und ihren kleinbürgerlichen Handlangern unter den Intellektuellen, sondern gänzliche Vernichtung der Bourgeoisie und endgültiges Brechen der Sabotage. Endgültige Liquidierung der konterrevolutionären Presse und der konterrevolutionären bürgerlichen Organisationen. Einführung der Arbeitspflicht für qualifizierte Fachleute und Intellektuelle, Organisierung von Konsumkommunen, Beschränkung des Konsums der wohlhabenden Klassen und Konfiskation ihres überflüssigen Besitzes. Organisierung des Kampfes der armen Bauern gegen die reichen, Schaffung großer vergesellschafteter landwirtschaftlicher Betriebe und Unterstützung der zu gesellschaftlichen Wirtschaftsformen hinüber führenden Formen der Landbearbeitung durch die armen Bauern.

Man muss einige Stützpunkte, einige gesunde Zentren für die Organisierung der Produktion (z. B. Ural und Westsibirien u. a.) aussuchen und technische, finanzielle und Nahrungsmittel in großem Umfange hinschaffen (um die Produktivität der Arbeit rasch zu heben), nicht Hungerrationen, wie das bisher geschehen ist.

Nicht Einführung der Akkordarbeit und Verlängerung des Arbeitstages, die bei der wachsenden Arbeitslosigkeit unsinnig sind, sondern Festsetzung von Arbeitsnormen durch die lokalen Volkswirtschaftsräte und die Gewerkschaften und Verringerung des Arbeitstags, Vermehrung der Schichten und großzügige Organisierung von öffentlichen Arbeiten.

Einräumung einer großen Selbständigkeit an die lokalen Sowjets und Verzicht auf die Beschneidung dieser Selbständigkeit durch Kommissare der Zentralbehörden. Die Sowjetmacht und die Partei des Proletariats müssen sich in der Klassenselbsttätigkeit der breiten Massen eine Stütze suchen, und man muss alle Anstrengungen darauf richten, um diese Selbsttätigkeit zu entwickeln.

Bei der Organisierung der Streitkräfte brauchen wir: die Schaffung eines Kaders von Instrukteuren und Leitern für rasch zu mobilisierende Arbeiterabteilungen der zu evakuierenden Gebiete, die ohne produktive Beschäftigung bleiben; Ausnutzung der zaristischen Offiziere für die Schulung dieser Instrukteure, Schaffung eines proletarisch-revolutionären, und nicht eines bürgerlich-intellektuellen Reserveoffizierskorps, militärische Ausbildung nur für Arbeiter und arme Bauern, Schaffung einer wirklichen Kontrolle über die zaristischen Generale und Heranbildung eines obersten Kommandeurkaders aus Parteigenossen, die bereits militärische Erfahrungen haben, denen aber noch eine theoretische Schulung abgeht.

14. Praktisch sind die proletarischen Kommunisten gegen eine Sprengung des Friedens durch die Organisierung von Partisanenaktionen an den Frontabschnitten, wo der Frieden eingehalten wird. Das würde eine unorganisierte Aktion einer Minderheit der Arbeiter sein, der die Unterstützung durch die Massen fehlt. Aber sie sind für eine allseitige Vorbereitung und Unterstützung der Aufstände (im Hinterland) in den besetzten Gebieten, für den energischsten Kampf an den Stellen, wo die militärischen Operationen fortdauern, für die Bildung von Partisanenabteilungen durch die Parteiorganisationen und ihre Entsendung an die Front.

15. Ihre Stellung zur Parteimehrheit bestimmen die proletarischen Kommunisten als Standpunkt des linken Flügels der Partei und der Avantgarde des russischen Proletariats, die mit der Partei vollkommen die Einigkeit aufrechterhält, insofern die Politik der Mehrheit nicht eine Spaltung in den Reihen des Proletariats selbst unvermeidlich machen wird. Ihre Stellung zur Sowjetmacht bestimmen sie als Standpunkt der allseitigen Unterstützung dieser Macht im Falle der Notwendigkeit – durch Mitarbeit, insofern die Bestätigung des Friedens die Frage der Verantwortung für diesen Beschluss von der Tagesordnung abgesetzt und eine neue objektive Situation geschaffen hat. Diese Mitarbeit ist nur auf Grund eines bestimmten politischen Programms möglich, das dem Abweichen der Sowjetmacht und der Mehrheit der Partei auf den verhängnisvollen Weg einer kleinbürgerlichen Politik vorbeugt. Tritt eine solche Abweichung ein, so wird der linke Flügel der Partei eine .sachliche und verantwortliche proletarische Opposition treiben müssen.

* Diese Thesen wurden in einer gemeinsamen Sitzung der linken Kommunistengruppe und der führenden Genossen aus der Parteizentrale am 4. April 1917 verlesen und diskutiert.

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