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Wladimir I. Lenin 19180518 Rede auf dem Allrussischen Kongress der Vertreter der Finanzabteilungen der Sowjets

Wladimir I. Lenin: Rede auf dem Allrussischen Kongress der

Vertreter der Finanzabteilungen der Sowjets

18. Mai 1918. Kurzer Zeitungsbericht1

[Nach Ausgewählte Werke, Band 7, Zürich 1934, S. 389-393]

Lenin begann seine Rede mit dem Hinweis darauf, dass die Finanzlage des Landes zweifellos kritisch sei. Bei der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft ist eine ganze Reihe von Schwierigkeiten zu überwinden, die oft sogar unsere Kräfte zu übersteigen scheinen. Doch die Aufgaben sind derart, dass es lohnt, sich um ihretwillen Mühe zu geben und der Bourgeoisie die letzte Schlacht zu liefern.

Ihr wisst besser als sonst jemand — führt Lenin aus —, was für Schwierigkeiten wir zu überwinden haben, wenn wir von allgemeinen Vermutungen und Dekreten zum täglichen Leben übergehen. Es steht uns eine schwere Arbeit bevor, denn der Widerstand der besitzenden Klassen wird verzweifelt sein. Doch die uns bevorstehende Mühe wird sich reichlich bezahlt machen, wenn wir einmal den Widerstand der Bourgeoisie besiegt und sie der Kontrolle der Sowjetmacht unterstellt haben werden. Man darf nicht vergessen, dass alle unsere radikalen Reformen zum Scheitern verurteilt sind, wenn wir nicht in der Finanzpolitik Erfolg haben werden. Von dieser Aufgabe hängt der Erfolg des von uns geplanten gewaltigen Werks der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft ab.

Die von der Sowjetmacht ins Auge gefassten grundlegenden Finanzaufgaben verlangen die sofortige Umsetzung ins praktische Leben, und nur die Beratung mit euch, Männern der Erfahrung und der Praxis, wird dazu beitragen, dass die von uns geplanten Maßnahmen nicht bloße Deklarationen bleiben.

Wir müssen um jeden Preis eine feste Umgestaltung der Finanzen herbeiführen.

Im Namen des Rates der Volkskommissare lenke ich eure Aufmerksamkeit auf die Aufgaben, die in zahlreichen Beratungen und Besprechungen klargestellt worden sind, und bitte euch, sie bis ins einzelne durchzuarbeiten, um sie praktisch durchzuführen. Diese Aufgaben sind die folgenden:

Zentralisierung des Finanzwesens. Der Berichterstatter hält die volle Loslösung der einzelnen Orte vom Zentrum für ganz natürlich. Er erblickt darin den natürlichen Hass und die Abscheu des Volkes gegen die frühere Zentralisierung, die unter dem Absolutismus geherrscht hat. Doch das Volk wird auf Grund seiner eigenen Erfahrungen zur Einsicht kommen, dass eine demokratische Zentralisation notwendig ist, denn sonst wird es unmöglich sein, die finanziellen Umgestaltungen aufrechtzuerhalten, die jedem Bürger Brot und kulturelles Leben sichern.

Wie groß die Zerrüttung auch ist, wenn jeder Ortssowjet eine selbständige Republik bildet, so dürfen wir doch nicht verzweifeln, denn es ist nur eine Wachstumskrankheit, eine durchaus natürliche Erscheinung beim Übergang vom zaristischen Russland zu einem Russland vereinigter Sowjetorganisationen.

Einführung der Einkommen- und Vermögenssteuer. Ich möchte euch bitten, diese Frage als allererste zu behandeln. Ihr wisst, dass alle Sozialisten gegen indirekte Steuern sind, denn die vom sozialistischen Standpunkt aus einzig richtige Steuer ist die progressive Einkommen- und Vermögenssteuer. Wie gesagt, wird der Widerstand der besitzenden Klassen bei der Durchführung dieser Steuer verzweifelt sein. Heute bringen sie es fertig, mit Hilfe ihrer Verbindungen und auf verschiedenen unlauteren Wegen, einschließlich der Bestechung, diese Steuer zu umgehen. Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, damit ihnen das nicht gelinge.

Auf diesem Gebiet haben wir uns vieles vorgenommen, der Boden für das Fundament ist gesäubert, doch das Fundament dieses Gebäudes selbst ist noch nicht gelegt, denn es bedarf einiger Zeit, um die erforderlichen Leute dafür zu finden. Nunmehr rückt dieser Augenblick heran. Die Frage der Einkommensteuer ist solcher Natur, dass Dekrete allein für ihre Durchführung nicht genügen; es bedarf der Erfahrung und praktischer Methoden.

Wir sind der Auffassung, dass man zur monatlichen Erhebung der Einkommensteuer übergehen muss. Man muss alle Maßnahmen ergreifen, damit denjenigen, die ihre Einnahmen aus der Staatskasse beziehen, die Einkommensteuer allmonatlich vom Gehalt abgezogen wird.

Die Einkommensteuer muss von allen ohne jede Ausnahme erhoben werden, denn das Wirtschaften mit Hilfe der Notenpresse, wie es bisher geübt wurde, kann nur als provisorische Maßnahme gerechtfertigt werden.

Gegenwärtig ist diese Übergangszeit zu Ende, und wir müssen zur progressiven Vermögenssteuer mit sehr häufigen Zahlungsfristen übergehen. Ich möchte euch bitten, diese Maßnahme eingehend praktisch durchzuarbeiten und genaue Plane zu entwerfen, denen wir binnen kürzester Frist die Form von Dekreten und Instruktionen verleihen könnten.

Auf die Frage der Kontributionen eingehend, führt Lenin aus:

Ich bin durchaus kein Gegner von Kontributionen, denn ich verstelle ausgezeichnet, dass das Proletariat in der ersten Zeit ohne sie nicht auskommen konnte. Es war eine richtige Maßnahme der Übergangsmacht. Aber die Übergangszeit ist jetzt zu Ende, und wir werden zur zentralisierten Erhebung der progressiven Einkommensteuer mit sehr häufigen Zahlungsfristen übergehen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Bourgeoisie aus allen Kräften versuchen wird, unsere Gesetze zu umgehen, dass sie zu kleinlichem Betrug greifen wird. Das werden wir bekämpfen, um die Überreste der Bourgeoisie gänzlich zu untergraben.

Einführung der Arbeitspflicht und Hebung der Arbeitsdisziplin. Der auf Freihandel und freier Konkurrenz fußende alte Kapitalismus ist in ganz Europa durch den Krieg in bedeutendem Maße gebrochen.

In vielen Ländern hat der Krieg zur Arbeitspflicht der Bevölkerung geführt. Doch in Wirklichkeit erwies sich, dass diese Arbeitspflicht nur für die Armen eingeführt wurde, da die Reichen sich von ihr mit Leichtigkeit loskaufen. Wir müssen die Arbeitspflicht in erster Linie nicht für die Armen, die dem Krieg ohnehin genug Opfer gebracht haben, sondern für die Reichen einführen, die sich am Krieg bereichert haben. Mit dieser Maßnahme muss man beginnen. Es müssen vor allem für die Reichen Arbeits-, Budget- und Steuerbücher eingeführt werden, damit man sehen kann, welche Arbeit ein jeder von ihnen für seine Heimat und ihre Rettung leistet. Die Kontrolle darüber wird in den Händen der Ortssowjets liegen.

Den Armen gegenüber ist diese Maßnahme heute vollkommen überflüssig, denn sie arbeiten ohnehin genug. Außerdem ergreifen die Gewerkschaften alle Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsproduktivität und der Arbeitsdisziplin.

Diese Maßnahme muss, ich wiederhole es, in erster Linie durchgeführt werden. Sie wird als Vorbereitung dafür dienen, dass die Steuerlast, wie es die Gerechtigkeit verlangt, ganz und gar von den Reichen getragen wird.

Umtausch des heutigen Geldes gegen neues Geld. Eine der Kriegsfolgen ist die große Menge von Papiergeld in allen Ländern. Beim Übergang zum Sozialismus ist die Ersetzung der heutigen Geldscheine durch andere Anteilscheine am gesellschaftlichen Wohlstand notwendig. Geld, Papierchen — das was heute Geld heißt — wirken zersetzend und sind dadurch gefährlich, dass die Bourgeoisie, die Vorräte von solchen Papierchen anhäuft, an der wirtschaftlichen Macht bleibt. Um diese Erscheinung abzuschwächen, müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden.

Diese Maßnahmen sind: strengste Registrierung des vorhandenen Papiergelds auf dem Wege der völligen Ersetzung des jetzigen Geldes durch neues. Zweifelsohne werden sich der Durchführung dieser Maßnahme große wirtschaftliche und politische Schwierigkeiten entgegenstellen. Sie verlangt sorgfältige Vorbereitung, doch haben wir bereits damit begonnen.

Wir werden eine sehr kurze Frist festsetzen, binnen der jeder einzelne eine Erklärung über die Menge des in seinen Händen befindlichen Geldes zu machen und dafür neues zu erhalten hat. Ist die Summe nicht groß, so erhält er sie voll eingetauscht — Rubel gegen Rubel. Geht sie über die Norm hinaus, so erhält er nur einen Teil davon. Diese Maßnahme wird zweifellos auf den stärksten Widerstand nicht nur der Bourgeoisie, sondern auch unserer Bauernschaft stoßen, die in der Kriegszeit reich geworden ist und Papiergeld in Flaschen vergraben hat. Wir werden mit dem Klassenfeind hart auf hart zusammengeraten. Es wird ein schwerer, aber dankbarer Kampf sein. In unserer Mitte gibt es keine Zweifel darüber, dass wir alle Lasten dieses Kampfes auf uns nehmen müssen, denn er ist notwendig und unvermeidlich.

Für die Durchführung dieser Maßnahme bedarf es einer gewaltigen Vorarbeit: es muss der Text des Erklärungsformulars ausgearbeitet, es muss an den einzelnen Orten eine entsprechende Propaganda entfaltet, die Frist für den Umtausch des alten Geldes gegen das neue festgesetzt werden usw. Doch wir werden das alles machen. Es ist der letzte entscheidende Kampf mit der Bourgeoisie, der uns die Möglichkeit geben wird, an das ausländische Kapital die Schulden zu zahlen bis in Westeuropa die Stunde der sozialen Revolution geschlagen haben wird und die notwendigen wirtschaftlichen Reformen im Lande durchzuführen.

Die Schlussworte der Rede des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, der der festen Überzeugung Ausdruck gab, dass die von ihm aufgezählten Maßnahmen die Sympathie aller finden werden, denen die Kultur und die Errungenschaften der Revolution am Herzen liegen, weckten stürmischen, langanhaltenden Beifall.

1 Eine der Hauptfragen, die auf dem Kongress der Vertreter der Finanzabteilungen der lokalen Sowjets, auf dem Lenin die vorliegende Rede hielt, diskutiert wurde, war die Frage der Einführung der Einkommen- und Vermögenssteuer. Diese Maßnahme war durch die außerordentlich schwere Finanzlage, in der sich das Land befand, notwendig geworden. So beliefen sich im ersten Halbjahr 1918 die Einnahmen auf 3.294.000.000 Rubel, die Ausgaben dagegen, ohne die Aufwendungen für die Kommissariate, den Obersten Volkswirtschaftsrat und die Eisenbahnen, auf 20.480.000.000 Rubel. Lenin hob hervor, dass das Proletariat in der ersten Zeit ohne Kontributionen nicht auskommen konnte, hielt es aber jetzt, im Frühjahr 1918, entsprechend seinem Plan der Schaffung der Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus, den er in seinem Artikel „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“ dargelegt hatte, für unerlässlich, von Kontributionen zur Einkommensteuer überzugehen.

Die „linken“ Kommunisten, die in dem Verzicht auf die Kontributionen eine Rechtsschwenkung, ein Zugeständnis an den Klassenfeind erblickten, konnten die Notwendigkeit dieses Übergangs nicht einsehen.

Bucharin z. B. erklärte in einer Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees anlässlich des Referats des Volkskommissars für das Finanzwesen, Gukowski, der im Großen und Ganzen Lenins Vorschläge auf dem Gebiet der Finanzpolitik verteidigte, dass die Anträge Gukowskis einen Verzicht auf jene Linie darstellten, die von der Partei bisher die ganze Zeit durchgeführt worden sei.

Indessen war gerade die Einführung der Einkommen- und Vermögenssteuer vom Standpunkt des Kampfes gegen den Klassenfeind in jener Periode die zweckmäßigste Maßnahme. Lenin widmete einen Teil seiner Rede auf dem Kongress der Finanzabteilungen dieser Frage und betonte besonders die prinzipielle Bedeutung der Einkommen- und Vermögenssteuer als einer Waffe kn Kampf gegen die Bourgeoisie.

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