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linke Bolschewiki 1918

Die „linke" Richtung innerhalb der bolschewistischen Partei bildete sich Anfang 1918 in Zusammenhang mit den Meinungsverschiedenheiten im der Frage der Außenpolitik der Sowjetmacht heraus. Bereits Anfang Januar 1918 fasste eine Reihe der größten Parteiorganisationen (das Moskauer Gebietsbüro, Petersburger Parteikomitee, Uraler Gebietskomitee u. a.) Resolutionen, in denen sie den Abbruch der Friedensverhandlungen forderten. Das ZK der Partei nahm am 24. (11.) Januar den Vorschlag Trotzkis an, der den „linken" Anschauungen nahekam: „Einstellung des Krieges, kein Friedensschluss, Demobilisierung der Armee."

Mitte Februar 1918, nachdem das ZK beschlossen hatte, die deutschen Friedensbedingungen anzunehmen, bildeten die „Linken" eine organisatorisch geschlossene Fraktion. In der Sitzung des ZK vom 23. Februar gab die Gruppe der „linken" Mitglieder des ZK und der Volkskommissare eine Erklärung ab, dass sie die Arbeit im ZK und ihre verantwortlichen Posten im Staate niederlege. Die „Linken" erklärten sich ursprünglich einverstanden, ihren Rücktritt von den verantwortlichen Posten aufzuschieben, „bis das ZK und der Rat der Volkskommissare gezwungen, sein werden, eine Politik der Verteidigung zu führen", traten aber Anfang März, nach der Unterzeichnung des Präliminarfriedens mit den Deutschen von ihren Posten zurück. Gleichzeitig entfalteten sie innerhalb und außerhalb der Partei eine energische Agitation gegen die Ratifizierung des Friedens und gaben am 5. März ein eigenes Organ „Kommunist" heraus, das sich offiziell als Organ des Petersburger Parteikomitees und des Petersburger Kreisparteikomitees bezeichnete. Am 6. März veröffentlichten Bucharin, Lomow, Urizki und Bubnow einen Aufruf „An die Parteimitglieder", in denen sie die Ursachen ihres Rücktritts von den verantwortlichen Posten erklärten. In diesem Aufruf hieß es: „Wir halten es, jetzt, vor dem Parteitag, für notwendig, die Frage mit größtem Ernst zu stellen und von allen ihren Seiten zu prüfen. Wir hoffen, dass das oberste Parteiorgan, der Parteitag, die Frage so entscheiden wird, wie ein revolutionärer Proletarier sie entscheiden muss, nicht wie ein deklassierter Schleichhändler."

Auf dem VII. Parteitag traten die „Linken" mit eigenen „Thesen über die gegenwärtige Lage" auf und bestimmten N. Bucharin zum Korreferenten in der Frage Krieg und Frieden. Nachdem der Parteitag die Ratifikation des Friedens billigte, lehnten die „Linken" es ab, ins ZK einzutreten. Trotzdem wurden N. Bucharin, M. Urizki und G. Lomow ins ZK gewählt. Aber, obwohl das ZK wiederholt in dieser Frage Beschlüsse fasste, lehnten sie es bis zur Liquidierung der Gruppe im Sommer 1918 ab, an der Arbeit des ZK teilzunehmen. In der Fraktion des IV. Allrussischen Rätekongresses (14.–16. März) verteidigten die „Linken", trotzdem der Parteitag die Ratifikation des Friedens gebilligt hatte, ihren Standpunkt. Nachdem die Mehrheit der Fraktion einer Resolution über die Ratifikation zugestimmt hatte, verlasen die „Linken" in der Plenarsitzung des Kongresses ihre „Deklaration einer Gruppe von Kommunisten (Bolschewiki), die Gegner des Friedensschlusses sind", trotzdem das Zentralkomitee der Partei diesen fraktionellen Schritt kategorisch verboten hatte.

Die fraktionelle Tätigkeit der „Linken" entwickelte sich insbesondere nach der Unterzeichnung des Friedens. Das leitende Zentrum der Fraktion war damals das Moskauer Gebietsbüro, das den „linken" Organisationen in ganz Russland Direktiven erteilte. Das Moskauer Gebietsbüro berief verschiedene Beratungen der „linken Bolschewiki" ein. Das Moskauer Gebietsbüro gab auch seit dem 20. April ein Fraktionsorgan der „Linken" heraus, die Zeitschrift „Kommunist".

Die wichtigsten Etappen der weiteren fraktionellen Arbeit der „Linken" waren folgende: am 4. April 1918, in der Sitzung der „führenden Gruppe des ZK" zusammen mit den „Linken" nahmen sie einen scharf ablehnenden Standpunkt zu den Leninschen Thesen „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" ein, insbesondere zu den von Lenin aufgestellten Thesen von der Bedeutung des Staatskapitalismus in Russland, der Ausnutzung der bürgerlichen Spezialisten, der Notwendigkeit der Steigerung der Arbeitsdisziplin, der Einführung des Taylorsystems usw. Mitte April traten die „Linken" mit ihren „Thesen über die gegenwärtige Lage" gegen Lenins Thesen „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" auf. In diesen Thesen wurden die Meinungsverschiedenheiten bereits auf das Gebiet der Innenpolitik verschoben.

Nachdem Lenin alle Möglichkeiten erschöpft hatte, um die „Linken" zur Arbeit im Partei- und Staatsapparat heranzuziehen, trat er im Auftrag des ZK mit einer offenen Polemik gegen sie auf (siehe das Referat „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" und den Aufsatz „Über die ,linke' Kinderei und die Kleinbürgerlichkeit").

Infolge der offenen Polemik Lenins gegen die „Linken" und des Abmarschs der Arbeitermassen, die sich allmählich von der Richtigkeit der Taktik Lenins in der Frage der Ausnutzung der Atempause für den wirtschaftlichen Aufbau überzeugt hatten, verloren die „Linken" im Mai/Juni die Parteiorganisationen, in denen sie früher die Mehrheit hatten. Am 15. Mai nimmt die Moskauer Gebietsparteikonferenz die Thesen Lenins „Über die gegenwärtige politische Lage" an. Darauf verlieren die „Linken" das Uraler Gebietskomitee, setzen aber ihre fraktionelle Tätigkeit fort, fordern die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags und drohen mit Parteispaltung. Charakteristisch war der Versuch der linken Sozialrevolutionäre, N. Bucharin als Vertreter der „linken" Bolschewiki zu einer Verschwörung hinzuzuziehen, die sich das Ziel setzte, Lenin zu verhaften und eine Regierung der linken Sozialrevolutionäre und der „linken" Kommunisten zu bilden. Ende Sommer 1918 gab die Mehrheit der „Linken" ihre Fehler zu und löste ihre Fraktion auf. Aber die Überreste der Anschauungen der „linken" Kommunisten tauchten wiederholt in den späteren innerparteilichen Abweichungen wieder auf: in der Militäropposition und in den Auseinandersetzungen über das Programm auf dem VIII. Parteitag, in der „Arbeiteropposition" usw.

Zu den „linken" Kommunisten gehörten: R. Abramowitsch, Arkadi (Krumin), N. Antonow (Lukin), Armand (Ines), G. Boki, A. Bubnow, S. Bobinski, N. Bucharin, M. Bronski, K. Bela Kun, D, Bogoliepow, M. Wassiljew (Saratowski), A. Wyborgskaja, I. Wardin-Mgeladse, W. Doletzki, B. Sul, W. Iwanow, Kieselstein, A. Kollontai, S. Kossior, B. Kuibyschew, Kritzmann, Kusmin, A. Lomow, J. Lenski, H. Lukina (Bucharina), N. Muralow, W. Maximowski, G. Mjasnikow, I. Minkow, W. Ossinski, M. Pokrowski, J. Preobraschenski, G. Pjatakow, S. Rawitsch, K. Radek, M. Saweljew, T. Sapronow, G. Safarow, W. Smirnow, W. Sorin, Spunde, I. Stukow, I. Skworzow-Stepanow, A. Solz (bis zum Parteitag), M. Urizki, I. Unszlicht, Ussiewitsch, P. Sternberg, W. Jakowlewa, J. Jaroslawski u. a. [Band 22]

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