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Wladimir I. Lenin: Rede in der Sitzung des ZK der SDAPR (B)

Wladimir I. Lenin: Rede in der Sitzung des ZK der SDAPR (B)

18. Februar 1918 (abends). Protokollarische Aufzeichnung

[Zum ersten Mal veröffentlicht in N. Lenin, Gesammelte Werke, Bd. XV, 1922. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 275-277]

I

Das ist eine wesentliche Frage. Der Antrag Urizkis ist merkwürdig.1 Das ZK stimmte gegen den revolutionären Krieg, wir haben aber weder Krieg noch Frieden und schlittern in einen revolutionären Krieg hinein. Mit einem Krieg darf man nicht scherzen. Wir verlieren Eisenbahnwaggons, und unser Transportwesen verschlechtert sich. Jetzt können wir nicht warten, denn die Lage ist ganz klar. Das Volk wird das nicht verstehen: wenn wir Krieg führen wollen, so durften wir die Armee nicht demobilisieren. Die Deutschen werden jetzt alles nehmen. Die Lage hat sich so zugespitzt, dass der Zusammenbruch der Revolution unvermeidlich ist, wenn man weiter eine Politik der Halbheiten treiben wird. Joffe schrieb aus Brest-Litowsk, dass in Deutschland nicht einmal der Anfang einer Revolution zu beobachten sei. Wenn das der Fall ist, so können die Deutschen etwas einheimsen, wenn sie weiter vordringen. Wir haben jetzt keine Möglichkeit zu warten. Das heißt die russische Revolution zum alten Eisen werfen. Wenn die Deutschen sagten, dass sie den Sturz der bolschewistischen Regierung fordern, dann müsste man natürlich kämpfen. Jetzt ist kein weiterer Aufschub mehr möglich. Jetzt geht es nicht um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart. Eine Anfrage an die Deutschen würde nur ein Fetzen Papier sein. Das ist keine Politik. Das einzige, was wir tun müssen, besteht darin, den Deutschen die Wiederaufnahme der Verhandlungen vorzuschlagen. Ein Mittelweg ist jetzt unmöglich. Will man einen revolutionären Krieg führen, so muss man diesen Krieg erklären, muss die Demobilisierung einstellen. So aber geht es nicht. Wir schreiben Noten. Sie aber nehmen die Lager, Eisenbahnwaggons, und wir krepieren.

Wenn wir jetzt mit dem Krieg spielen, so besteht die Gefahr, dass wir die Revolution den Deutschen ausliefern.

Die Geschichte wird sagen, dass ihr die Revolution ausgeliefert habt. Wir konnten einen Frieden unterzeichnen, der die Revolution nicht im Geringsten bedrohte. Wir haben nichts. Wir werden bei unserem Rückzug nicht einmal imstande sein, Sprengungen vorzunehmen. Wir haben alles, was in unseren Kräften steht, getan, wir haben die Revolution in Finnland unterstützt, jetzt aber können wir es nicht. Jetzt ist keine Zeit mehr für einen Notenaustausch. Man muss mit dem Abwarten aufhören. Jetzt ist es zu spät, „Fühler auszustrecken", denn es ist jetzt klar, dass die Deutschen zur Offensive übergehen können. Gegen die Anhänger des revolutionären Krieges zu polemisieren, ist unmöglich, aber gegen die Anhänger des Abwartens muss und kann man polemisieren. Man muss den Deutschen Frieden anbieten.

II

Bucharin hat nicht bemerkt, dass er zum Standpunkt des revolutionären Krieges übergegangen ist. Der Bauer will keinen Krieg und wird keinen Krieg führen. Kann man jetzt dem Bauern sagen, dass er in einen revolutionären Krieg ziehen soll. Aber wenn man das will, dann durfte man nicht die Armee demobilisieren. Ein permanenter Bauernkrieg ist eine Utopie. Der revolutionäre Krieg darf keine Phrase sein. Wenn wir nicht vorbereitet sind, so müssen wir den Frieden unterzeichnen. Wenn wir die Armee demobilisiert haben, so ist es lächerlich, von einem permanenten Krieg zu reden. Man darf keinen Vergleich mit dem Bürgerkrieg ziehen. Der Bauer wird sich auf einen revolutionären Krieg nicht einlassen und wird jede Regierung stürzen, die das offen sagen wird. Die Revolution in Deutschland hat noch nicht begonnen. Wir wissen aber, dass auch bei uns die Revolution nicht auf einmal gesiegt hat. Hier ist gesagt worden, dass die Deutschen Livland und Estland nehmen werden. Aber wir können sie um der Revolution willen aufgeben. Wenn sie die Evakuierung der Truppen aus Finnland verlangen, dann sollen sie nur das revolutionäre Finnland nehmen. Wenn wir Finnland. Livland und Estland aufgeben, so ist die Revolution nicht verloren. Die Perspektiven, mit denen uns gestern Genosse Joffe geschreckt hat, werden die Revolution nicht im Geringsten zugrunde richten.

Ich schlage vor, zu erklären, dass wir den Frieden unterzeichnen, den uns gestern die Deutschen angeboten haben. Und wenn sie außerdem fordern, dass wir uns nicht in die Angelegenheiten der Ukraine, Finnlands, Livlands und Estlands einmischen, so muss man auch das unbedingt annehmen. Unsere Soldaten taugen absolut nichts. Die Deutschen wollen Brot. Sie werden es nehmen und zurückkehren, sobald sie die Existenz der Sowjetmacht unmöglich gemacht haben werden. Wenn wir die Demobilisierung für eingestellt erklären, so bedeutet das unseren Sturz.

1 In seiner Rede meint Lenin folgende Stellen aus den Reden der anderen Redner in der Sitzung des ZK vom 18. Februar: Urizki erklärte, dass „eine abwartende Politik am gefährlichsten ist; man muss die zwei Stimmen der abwesenden Anhänger der Unterzeichnung des Friedens M. Muranow und Artjom (F. Sergejew) – hinzuzählen, oder umgekehrt, die Minderheit muss sich unterordnen". Der Antrag, die deutsche Regierung anzufragen, was sie eigentlich wolle, wurde von Trotzki eingebracht. Bucharin sagte: „Wir haben erklärt: entweder wird die russische Revolution sich entfalten oder unter dem Druck des Imperialismus untergehen. Wir unterschätzen die sozialen Kräfte der Revolution genau so wie vor dem Aufstand. Während des Aufstandes haben wir gesiegt, obwohl bei uns ein Durcheinander, im anderen Lager aber Organisation vorhanden war. Bisher haben wir in allen Provinzen gesiegt. Jetzt hat es für die deutschen Imperialisten keinen Sinn, Frieden zu schließen, sie spielen va banque. Es besteht keine Möglichkeit, den Kampf aufzuschieben. Der vereinigte Imperialismus marschiert gegen die Revolution. Sogar wenn Petersburg besetzt wird, werden die Arbeiter sich genau so verhalten wie in Riga. Bei uns sind noch nicht alle sozialen Möglichkeiten erschöpft. Wir können auch die Bauern gegen die Deutschen hetzen. Wir haben nur unsere alte Taktik, die Taktik der Weltrevolution."

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