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Wladimir I. Lenin 19180206 Rede vor Agitatoren, die in die Provinz gehen

Wladimir I. Lenin: Rede vor Agitatoren, die in die Provinz gehen

Zeitungsbericht

[„Prawda" Nr. 18, 24. Januar/6. Februar 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 261-266]

Genossen, ihr wisst alle, dass die Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern sowohl der Großrussen als auch anderer Nationen Russlands – früher durch Zwang, jetzt als Teile der freien Republik Russland – die Sowjetmacht anerkannt hat. Wir haben noch einen kurzen Kampf gegen die kläglichen Überreste der konterrevolutionären Truppen Kaledins zu führen, der in seinem Dongebiet allem Anschein nach vor den revolutionären Kosaken Rettung suchen muss.

Sobald der letzte Pfeiler der Konterrevolution zusammenbricht, werden wir mit Gewissheit sagen können, dass die Sowjetmacht sich konsolidiert. Und sie wird sich konsolidieren. Das ist für alle ganz klar, denn die lebendige Erfahrung hat gezeigt, dass nur diese Macht, nur die Arbeiter, Soldaten und Bauern in ihren Sowjets, Russland auf die Bahn des freien Zusammenlebens aller Werktätigen führen können.

Wir haben zwei mächtige Feinde vor uns: der erste Feind ist das internationale Kapital. Es steht vor uns und beobachtet wütend die Konsolidierung der ihm verhassten Sowjetmacht. Kein Zweifel, dass diese Milliardäre den Krieg wegen irgendeines Happens führen müssen, der einem anderen geraubt worden ist. Es besteht auch kein Zweifel, dass sie zunächst noch stärker sind als die Sowjetrepublik. Ein friedliches Nebeneinanderleben ist deshalb unmöglich.

Es hat sich aber herausgestellt, dass die Kapitalisten, obwohl sie stärker sind als wir, doch bereits ihre Vertreter zu unseren Kommissaren schicken und wohl noch die Sowjetmacht, ja sogar die Annullierung der Anleihen anerkennen werden, diesen entsetzlichen, diesen schwersten Schlag gegen ihre vollen Taschen. Und diese Reden der Vertreter der internationalen Finanzoligarchie zeigen, dass die internationalen Kapitalisten in eine Sackgasse geraten sind. Sie wären froh, wenn sie sich ans dem Krieg herauswinden und mit allen Kräften auf die verhasste Sowjetrepublik stürzen könnten, die den Brand in ganz Europa und Amerika entfacht hat. Aber dazu sind sie nicht imstande.

Unsere Revolution ist durch den Krieg hervorgerufen worden. Hätten wir nicht den Krieg, so würden wir sehen, wie sich die Kapitalisten der ganzen Welt vereinigen, sich zusammenschließen auf dem Boden des Kampfes gegen uns. Sie denken nur an eins: dass Funken unseres Brandes ja nicht auf ihre Dächer fallen. Aber man kann sich nicht durch eine chinesische Mauer von Russland abgrenzen. Es gibt keine einzige Arbeiterorganisation in der Welt, die nicht unsere Dekrete über Grund und Boden, über die Nationalisierung der Banken usw. mit Begeisterung begrüßt.

Vielleicht werden wir in der Zukunft einen schweren Kampf aushalten müssen, aber prägt euch fest ein, Genossen: in den meisten Ländern erwachen die Arbeiter bereits, die von ihren Kapitalisten unterdrückt werden, und wie sehr auch die Kaledinleute in allen Ländern wüten mögen, und wenn es ihnen auch gelänge, vorübergehend Russland einen Schlag zu versetzen, – so würde sich ihre Lage dadurch nicht festigen. Unsere Lage dagegen ist ganz sicher, denn hinter uns stehen alle Arbeiter aller Länder.

Unser zweiter Feind ist die Zerrüttung. Und den Kampf gegen die Zerrüttung muss man um so schärfer führen, weil die Sowjets sich gefestigt haben. Ihr, Genossen, müsst diesen Kampf aufnehmen. Eure Reise, die Reise der Agitatoren beider Regierungsparteien, die jetzt an der Spitze der Sowjetmacht stehen, ist von großer Bedeutung. Und mir scheint, dass euch in der abgelegenen Provinz eine hartnäckige, aber dankbare Arbeit der Stärkung der Sowjetmacht, des Hineintragens der revolutionären Ideen ins Dorf, der Beseitigung des Chaos und der Befreiung der werktätigen Bauernschaft von den Kulaken bevorsteht.

Wir stehen vor einer schweren und hartnäckigen Arbeit – der Heilung der Wunden, die durch den Krieg geschlagen worden sind. Die Bourgeoisie der anderen europäischen Länder hat sich mehr vorbereitet als unsere. Dort bestand eine richtige Verteilung der Produkte, deswegen ist es ihnen jetzt leichter. Dort gab es eine richtig organisierte Ablösung der Soldaten an der Front. Weder unter dem Zarismus noch unter Kerenski, der hin und her schwankte und eine Politik der Kompromisse mit der Bourgeoisie trieb, hatten wir irgend etwas ähnliches.

Das ist der Grund dafür, dass Russland jetzt in eine besonders schwierige Lage geraten ist. Es steht vor der Aufgabe der Organisation, der Aufgabe, die müde gewordenen und einfach marodierenden Elemente, die wegen ihres persönlichen Vorteils das Chaos vergrößern, zu bekämpfen, – um auf den Ruinen das Fundament der sozialistischen Gesellschaft zu errichten

Genossen, euch steht eine schwierige, aber dankbare Arbeit bevor, wie ich bereits gesagt habe: ihr müsst die Wirtschaft auf dem Lande in Gang bringen und die Sowjetmacht stärken. Aber ihr habt Helfer, denn wir wissen, dass jedem Arbeiter und Bauern, der von seiner Hände Arbeit lebt, das Bewusstsein sagt, dass ohne die Sowjetmacht die Rettung vor dem Hunger und dem Untergang unmöglich ist. Wir aber können Russland retten. Alle Tatsachen sprechen dafür, dass in Russland Getreide vorhanden ist, dass wir es hätten, wenn es rechtzeitig erfasst und gerecht verteilt worden wäre. Wenn ihr einen Blick werft auf das unermessliche Russland und auf das Chaos im Eisenbahnwesen, so werdet ihr euch davon überzeugen, dass wir eine schärfere Kontrolle und eine Verteilung des vorhandenen Getreides brauchen, sonst wird der Hunger uns und euch zugrunde richten. Fertig werden kann man damit unter einer Voraussetzung: jeder Arbeiter, jeder Bauer, jeder Bürger muss begreifen, dass er selbst, und nur er selbst, sich helfen kann. Niemand wird euch helfen, Genossen. Die gesamte Bourgeoisie, die Beamten, die Saboteure, sind gegen euch, denn sie wissen, wenn das Volk dieses Volkseigentum, das bisher in den Händen der Kapitalisten und Kulaken war, unter sich verteilen wird, so wird es Russland von allen Drohnen, vom allem Unkraut befreien. Deshalb haben sie alle Kräfte gegen die Werktätigen zusammengefasst, von Kaledin und Dutow angefangen bis zur Sabotage, zur Bestechung der lumpenproletarischen Elemente und derjenigen, die einfach müde geworden sind und keinen Widerstand zu leisten vermögen. Das taten sie aus alter Gewohnheit, der Ausbeutergewohnheit der Bourgeoisie. Heute kaufen sie die rückständigen, unaufgeklärten Soldaten, damit sie die Weinlager plündern; morgen kaufen sie die Beamten der Eisenbannverwaltung, damit sie die Güterzüge aufhalten, die nach der Hauptstadt gehen; dann die Schiffsbesitzer, damit sie die Schiffe, die Getreide mit sich führen, aufhalten usw. Wenn aber das Volk begreifen wird, dass nur die Organisation ihm die Möglichkeit gibt, sich zusammenzuschließen, eine kameradschaftliche Disziplin zu schaffen, so werden ihm keinerlei Schurkereien der Bourgeoisie gefährlich werden.

Das ist eure Aufgabe. Dort müsst ihr am Zusammenschluss, an der Organisierung und der Festigung der Sowjetmacht arbeiten. Dort, auf dem Lande, werdet ihr bäuerliche „Bourgeois", Kulaken finden, die versuchen, die Sowjetmacht zu Fall zu bringen. Es wird euch leicht fallen, den Kampf gegen sie zu führen, denn die Masse wird hinter euch stehen. Sie wird sehen, dass keine Strafexpeditionen, sondern Agitatoren aus der Hauptstadt aufs Land kommen, die Licht in das Dorf hinein tragen, um in jedem Dorfe diejenigen zusammenzuschließen, die selbst arbeiten, die nicht auf Kosten anderer leben.

Nehmen wir die Landfrage. Das Land ist zum Volkseigentum erklärt worden. Alle Eigentumsformen werden beseitigt. Damit ist ein gewaltiger Schritt zur Beseitigung der Ausbeutung getan worden.

Hier wird der Kampf zwischen den reichen und den werktätigen Bauern entbrennen, und man muss den Armen nicht mit dem Buch, sondern mit der Erfahrung, dem eigenen Kampf helfen. Wir haben nicht den Gutsbesitzern das Land genommen, damit es an die Reichen und an die Kulaken falle, sondern an die armen Bauern. Das wird euch die Sympathien der armen Bauernschaft zuwenden.

Man muss dafür sorgen, dass die landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen nicht in die Hände der Kulaken und Reichen geraten. Sie müssen Eigentum der Sowjetmacht sein und von. den Landbezirkskomitees zeitweilig zur Benutzung an die werktätigen Massen übergeben werden. Und sie selbst müssen dafür sorgen, dass diese Maschinen nicht zu einem Mittel der Bereicherung der Kulaken werden, sondern dass sie sich ihrer nur zur Bearbeitung ihres eigenen Bodens bedienen.

Jeder Bauer wird euch bei eurer schweren Arbeit helfen. Erklärt dem Dorfe, dass man die Kulaken, die reichen Bauern, in Schranken halten muss. Notwendig ist eine richtige, gleichmäßige Verteilung der Produkte, damit das arbeitende Volk in den Genuss der Produkte der Volksarbeit komme. Und gegen einen einzigen Reichen, der seine gierige Hand nach dem Volksgut ausstrecken wird, muss man zehn Werktätige mobilisieren. Nehmen wir die Landfrage.

Die Einnahmen der Sowjets betragen acht Milliarden, die Ausgaben – achtundzwanzig Milliarden. Bei einer solchen Lage der Dinge werden wir natürlich mit euch zusammen zugrunde gehen, wenn wir es nicht verstehen werden, die Staatskarre aus dem Sumpf zu ziehen, in den die zaristische Regierung sie hineingefahren hat.

Der Krieg gegen den äußeren Feind ist beendet oder geht zu Ende. Das ist entschieden. Jetzt hat der Krieg im Innern begonnen. Die Bourgeoisie, die das geraubte Gut in ihren Koffern versteckt hat, denkt ganz ruhig: „Macht nichts, wir werden abwarten". Das Volk muss diesen „Raffke" packen und ihn zwingen, das Geraubte zurückzugeben. Das müsst ihr in der Provinz durchführen. Wir müssen es ihnen unmöglich machen, sich zu verstecken, damit wir nicht vollkommen zusammenbrechen und zugrunde gehen. Nicht die Polizei muss sie dazu zwingen – die Polizei ist ein für alle Mal tot –, das Volk selbst muss es tun, und es gibt kein anderes Mittel, um gegen sie zu kämpfen.

Recht hatte ein alter Mann, ein Bolschewik, der einem Kosaken erklärte, was Bolschewismus ist.

Auf die Frage des Kosaken: „Stimmt es, dass ihr, Bolschewiki, raubt?" – antwortete der alte Mann: „Jawohl, wir rauben das Geraubte".

Wir werden in diesem Meere ertrinken, wenn wir nicht alles, was in den Truhen versteckt worden ist, herausholen, alles, was während der ganzen Jahre der gewissenlosen, verbrecherischen Ausbeutung zusammengeraubt worden ist.

Wir werden bald im Zentralexekutivkomitee ein Gesetz über eine neue Besitzsteuer durchbringen, aber ihr müsst selbst dieses Gesetz in der Provinz durchführen, damit die Werktätigen jeden Hunderter, der während des Krieges zusammengerafft worden ist, erfassen. Nicht mit der Waffe in der Hand sollt ihr das durchführen. Der bewaffnete Kampf ist bereits zu Ende, dieser Kampf aber hat begonnen.

Die Kraft der Ausbeuter wird unsere Revolution nicht stürzen, wenn wir sofort organisiert ans Werk gehen, denn mit uns ist das ganze Weltproletariat.

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