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Wladimir I. Lenin 19180920 Über den Charakter unserer Zeitungen

Wladimir I. Lenin: Über den Charakter unserer Zeitungen

[Prawda" Nr. 202. 20. September 1918. Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 267-269]

Übermäßig viel Platz wird der politischen Agitation über alte Themen – dem politischen Wortgeprassel, eingeräumt. Viel zu wenig Platz wird dem Aufbau des neuen Lebens, den Tatsachen und immer wieder den Tatsachen, die sich darauf beziehen, eingeräumt.

Warum könnte man nicht, statt in 200 bis 400 Zeilen, in 10 bis 20 Zeilen über so einfache, allgemein bekannte, klare und von den Massen in erheblichem Grade schon verstandene Erscheinungen sprechen, Erscheinungen wie der schmähliche Verrat der Menschewiki, dieser Lakaien der Bourgeoisie, wie die englisch-japanische Invasion zwecks Wiederherstellung der geheiligten Rechte des Kapitals, wie das Zähnefletschen der amerikanischen Milliardäre gegen Deutschland usw. usf. ? Darüber zu sprechen ist notwendig, jede neue Tatsache auf diesem Gebiete zu vermerken ist notwendig, aber man braucht nicht Artikel zu schreiben und Betrachtungen zu wiederholen, sondern man soll die neuen Äußerungen der alten, schon bekannten, schon von uns gewürdigten Politik in einigen Zeilen, im „Telegrammstil" brandmarken.

Die bürgerliche Presse pflegte in der „guten alten bürgerlichen Zeit" das „Allerheiligste", die Lage der Dinge innerhalb der Privatfabriken, der Privatwirtschaften, nicht zu berühren. Diese Sitte entsprach den Interessen der Bourgeoisie. Davon müssen wir radikal abkommen. Wir sind davon nicht abgekommen. Der Typus der Zeitungen ändert sich bei uns noch nicht so, wie er sich in einer Gesellschaft, die vom Kapitalismus zum Sozialismus übergeht, ändern sollte.

Weniger Politik. Die Politik ist vollauf „geklärt" und auf den Kampf zweier Lager zurückgeführt: des aufständischen Proletariats und der Handvoll kapitalistischer Sklavenhalter (samt ihrer Meute, einschließlich der Menschewiki usw.). Über diese Politik, ich wiederhole es, kann und soll man ganz kurz sprechen.

Mehr Volkswirtschaft. Aber Volkswirtschaft nicht im Sinne „allgemeiner" Erörterungen, gelehrter Übersichten, Intellektuellen-Pläne und sonstigen Gewäschs – derartige Volkswirtschaft ist leider allzu häufig eben Gewäsch. Nein, Volkswirtschaft brauchen wir im Sinne der Sammlung, der sorgfältigen Überprüfung und des Studiums der Tatsachen des wirklichen Aufbaus des neuen Lebens. Haben die großen Fabriken, landwirtschaftlichen Kommunen, Komitees der Dorfarmut, lokalen Volkswirtschaftsräte tatsächlich beim Aufbau der neuen Volkswirtschaft Erfolge erzielt? Was für Erfolge sind das? Sind sie bewiesen? Gibt es da nicht Märchen, Aufschneidereien, Versprechungen der Intellektuellen („es kommt in Gang", „ein Plan ist aufgestellt", „wir setzen Kräfte in Bewegung", „jetzt bürgen wir dafür", „eine Verbesserung ist zweifellos vorhanden" und ähnliche marktschreierische Pläne, in denen „wir" solche Meister sind)? Wodurch sind die Erfolge erzielt worden? Was ist zu tun, um sie zu erweitern?

Die Schwarze Tafel der rückständigen Fabriken, die nach der Nationalisierung ein Musterbeispiel von Desorganisation, Zerfall, Schmutz, Rowdytum und Faulenzerei geblieben sind – wo ist solche Tafel? Sie ist nicht vorhanden. Aber solche Fabriken sind vorhanden. Wir vermögen nicht unsere Pflicht zu erfüllen, wenn wir nicht gegen diese „Hüter der Traditionen des Kapitalismus" Krieg führen. Wir sind keine Kommunisten, sondern Lumpensammler, solange wir stillschweigend solche Fabriken dulden. Wir verstehen es nicht, den Klassenkampf in den Zeitungen so zu führen, wie ihn die Bourgeoisie geführt hat. Erinnert euch daran, wie ausgezeichnet die Bourgeoisie ihre Klassenfeinde in der Presse gehetzt hat, wie sie sie verspottet, wie sie sie geschmäht, wie sie ihnen keine Ruhe gelassen hat. Und wir? Besteht denn der Klassenkampf in der Übergangsepoche vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht darin, die Interessen der Arbeiterklasse vor allen jenen Häuflein, Gruppen und Schichten der Arbeiter zu schützen, welche sich hartnäckig an die Traditionen (Gewohnheiten) des Kapitalismus klammern und sich nach wie vor zum Sowjetstaat auf die alte Art verhalten: „ihm" möglichst wenig und möglichst schlechte Arbeit zu liefern, – von „ihm" möglichst viel Geld herauszuholen. Gibt es etwa wenig solcher Halunken, sagen wir einmal unter den Setzern der Sowjetdruckereien, unter den Arbeitern der Sormowo- und der Putilow-Werke usw.? Wie viele von ihnen haben wir ertappt, wie viele entlarvt, wie viele an den Pranger gestellt?

Die Presse schweigt sich darüber aus. Wenn sie aber schreibt, so tut sie dies im Amtsstil, im Kanzleistil, nicht wie eine revolutionäre Presse, nicht wie das Organ der Diktatur der Klasse, die durch ihre Taten beweist, dass der Widerstand der Kapitalisten und der Faulenzer, die die kapitalistischen Gewohnheiten beibehalten, mit eiserner Faust gebrochen wird.

Dasselbe gilt auch für den Krieg. Hetzen wir etwa gegen die feigen Truppenführer und die Maulaffen? Haben wir vor Russland jene Regimenter angeschwärzt, die zu gar nichts taugen? Haben wir eine genügende Anzahl von schlechten Vorbildern „am Wickel gefasst", die wegen ihrer Untauglichkeit, wegen ihrer Nachlässigkeit, wegen Zuspätkommens usw. mit größtem Krach aus der Armee entfernt werden müssten? Wir fuhren keinen sachlichen, schonungslosen, wahrhaft revolutionären Krieg gegen die konkreten Träger des Übels. Wir treiben wenig Massenerziehung an Hand von lebendigen konkreten Beispielen und Vorbildern aus allen Gebieten des Lebens, – gerade das ist jedoch die Hauptaufgabe der Presse in der Zeit des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus. Wir widmen dem Alltag im Leben der Fabrik, des Dorfes, des Regiments wenig Aufmerksamkeit, wo am meisten Neues gebaut wird, wo am meisten Aufmerksamkeit, Öffentlichkeit, öffentliche Kritik, Verfolgung des Untauglichen, die Aufforderung, vom Guten zu lernen, notwendig ist.

Weniger politisches Wortgeprassel. Weniger intelligenzlerische Betrachtungen. Näher ans Leben heran. Mehr Aufmerksamkeit dafür, wie die Arbeiter- und Bauernmassen tatsächlich in ihrer Alltagsarbeit etwas Neues bauen. Mehr Kontrolle darüber, inwieweit dieses Neue kommunistisch ist.

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