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ZK der SDAPR 19180218 Sitzungen am 18. Februar 1918

ZK der SDAPR: Sitzungen am 18. Februar 1918

Protokoll

[Sedmoj ekstrennyj sjesd S. 241-46. Nach „Brest-Litovsk, ausgew. u. eingel. von Winfried Baumgart und Konrad Repgen“, Göttingen 1969, S. 116-121]

18. Februar 1918

[Teilnehmer [nach der Liste des Protokolls]: Lenin, Trotzki, Swerdlow, Smilga, Joffe, Dzierżyński, Sinowjew, Bucharin, Urizki, Stassowa, Lomow [Oppokow], Sokolnikow, Krestinskij; mit beratender Stimme: Rawitsch. Einige Passagen sind in Regesten zusammengefasst.]

Trotzki verliest neueste Frontmeldungen.

Lenin stellt zur Erörterung, ob ein Telegramm mit dem Friedensvorschlag an die deutsche Regierung abgesandt werden soll.

Gen. Trotzki (gegen Absendung eines Telegramms mit dem Friedensvorschlag) erklärt, dass die Masse erst beginnt, die Ereignisse zu verdauen; die Unterzeichnung des Friedens bringt jetzt nur Unordnung in unsere Reihen; das gleiche gilt auch in Bezug auf die Deutschen, die meinen, wir würden nur auf ein Ultimatum warten. Es ist möglich, dass sie auf die psychologische Wirkung spekulieren. Man muss abwarten, welchen Eindruck das auf das deutsche Volk ausübt. ln Deutschland würde die Beendigung des Krieges mit Freuden begrüßt werden, es ist nicht ausgeschlossen, dass der deutsche Vorstoß eine ernste Explosion in Deutschland auslöst. Man muss die Wirkung abwarten, und dann kann man den Frieden vorschlagen, wenn er ausbleibt. Gen. Lenin (für das Friedensangebot), Gestern war eine Abstimmung besonders charakteristisch, bei der alle die Notwendigkeit des Friedens anerkannten, falls in Deutschland keine Bewegung ausbricht, die Offensive aber eröffnet wird. Es bestehen Zweifel, ob nicht die Deutschen die Offensive wollen, um die Sowjetregierung zu stürzen. Wir befinden uns in einer Lage, wo man handeln muss. Wenn die Offensive des Imperialismus eine handgreifliche Tatsache sein wird, dann werden wir alle für die Verteidigung sein, und dann wird man das dem Volk erklären können. Wenn jetzt die Offensive beginnt und wir dann die Massen aufklären, so stiften wir mehr Verwirrung, als wenn wir sofort Verhandlungen über die Verlängerung des Waffenstillstandes führen, hier darf man keine einzige Stunde verlieren, denn die Massen werden eine solche Fragestellung nicht verstehen. Entweder führen wir den revolutionären Krieg für die Sozialisierung des Bodens, und dann werden uns die Massen verstehen, oder wir führen Friedensverhandlungen.

Bucharin ist dagegen. Es sei möglich, dass die Deutschen mit den Engländern ein Bündnis geschlossen hätten. Das werde sich in nächster Zeit herausstellen. Bis dahin müsse man kämpfen. Sinowjew fordert Wiederaufnahme der Verhandlungen, sonst spiele man nur in die Hände der deutschen ,Messerhelden“.

Darüber wird abgestimmt: 1.) [!] Unverzüglich die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen vorzuschlagen.

Dafür – 6; dagegen – 7.

Die nächste Sitzung des ZK beginnt morgen um 2 Uhr.

18. Februar 1918 (abends)

[Trotzki, Lenin, Urizki, Stassowa, Sokolnikow, Joffe, Stalin, Krestinskij,Sinowjew,Sverdlov, Lomow [Oppokow] Bucharin, Smilga; mit beratender Stimme: Stutschka. - Einige Passagen sind in Regesten zusammengefasst.]

Gen. Trotzki berichtet von der Einnahme Dwinsks [Dünaburgs] und von Gerüchten über das Vorrücken in der Ukraine. Wenn letzteres sich bestätige, zwinge es uns zu bestimmten Schritten, d.h. man müsse sich an Wien und Berlin wenden und anfragen, was sie verlangen.

Obwohl Urizki und Swerdlow sofortiges Handeln fordern und weiteres Zuwarten für schädlich halten, bleibt Trotzki auf seinem Vorschlag bestehen.

Gen. Stalin. Es geht nicht um die formale Frage. Man muss offen über die Dinge reden, so wie sie sind; die Deutschen rücken vor, wir haben keine Streitkräfte. Es ist an der Zeit, offen zu sagen, dass die Verhandlungen wiederaufgenommen werden müssen.

Gen. Lenin. Es geht um eine grundlegende Frage. Der Antrag Urizkis ist erstaunlich. Das ZK hat gegen den revolutionären Krieg gestimmt, aber wir haben weder Krieg noch Frieden und schlittern in einen revolutionären Krieg hinein. Mit dem Krieg darf man nicht scherzen. Wir verlieren Eisenbahnwaggons, und die Lage im Transportwesen verschlechtert sich. Wir können jetzt nicht warten, denn die Lage ist völlig klar. Das Volk wird das nicht verstehen: Wenn wir Krieg führen wollen, so durften wir nicht demobilisieren; die Deutschen werden jetzt alles nehmen. Die Lage hat sich so zugespitzt, dass der Zusammenbruch der Revolution unvermeidlich ist, wenn man weiter eine Politik der Halbheiten treibt. Joffe schrieb aus Brest, dass es in Deutschland nicht einmal den Beginn einer Revolution gäbe; ist das so, so können die Deutschen belohnt werden, wenn sie weiter vordringen. Wir haben jetzt keine Möglichkeit zu warten. Das hieße die russische Revolution zum alten Eisen werfen. Wenn die Deutschen sagten, dass sie den Sturz der bolschewistischen Macht fordern, dann müsste man natürlich kämpfen; jetzt ist kein weiterer Aufschub mehr möglich. Jetzt geht es nicht um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart. Eine Anfrage an die Deutschen würde nur ein Fetzen Papier sein. Das ist keine Politik. Das einzige, was wir tun können, ist, den Deutschen die Wiederaufnahme der Verhandlungen vorzuschlagen. Ein Mittelweg ist jetzt unmöglich. Will man einen revolutionären Krieg führen, so muss man diesen Krieg erklären, muss man die Demobilisierung einstellen. So aber geht es nicht. Wir schreiben Noten, sie aber nehmen indessen die Lager, die Eisenwaggons, und wir krepieren. Es geht jetzt alles darum, dass wir die Revolution den Deutschen ausliefern, wenn wir mit dem Krieg spielen.

Die Geschichte wird sagen, ihr habt die Revolution ausgeliefert. Wir konnten einen Frieden unterzeichnen, der die Revolution nicht im Geringsten bedrohte. Wir haben nichts, wir werden nicht einmal imstande sein, bei unserem Rückzug Sprengungen vorzunehmen. Wir haben getan, was wir konnten, wir haben die Revolution in Finnland unterstützt, jetzt aber können wir es nicht. Jetzt ist keine Zeit für einen Notenaustausch, man muss mit dem Abwarten aufhören. Jetzt ist es zu spät, „Fühler auszustrecken“, denn es ist jetzt klar, dass die Deutschen zur Offensive übergehen können. Gegen die Anhänger des revolutionären Krieges zu streiten ist unmöglich, aber gegen die Anhänger des Abwartens kann man und muss man streiten. Man muss den Deutschen Frieden anbieten.

Urizki fordert für den Fall eines deutschen Vormarschs Verteidigungsmaßnahmen. Joffe schlägt vor abzuwarten, ob der deutsche Vorstoß die Revolution in Deutschland hervorrufen werde. Wenn ja, würden die besetzten Gebiete wieder an Russland zurückfallen, wenn nicht, würde Deutschland ohnehin mehr fordern.

Gen. Trotzki bemerkt zu dem Ausdruck „Spiel mit dem Krieg“, dass das Wort vom „Ausstrecken eines Fühlers“ zu den Deutschen auf Lenin zutrifft. Der Plan, einen Fühler auszustrecken, existierte, er konnte nicht ausgeführt werden, weil die Deutschen ein Ultimatum stellten. Vom Spielen mit dem Krieg kann keine Rede sein, man muss vielmehr moralischen Einfluss ausüben. Alles war auf Imponderabilien aufgebaut. Es gab kein Spiel mit dem Krieg. Es handelt sich jetzt um etwas Berechenbares. Man muss es mit einer Anfrage versuchen. Verhandlungen vorzuschlagen bedeutet, einen Verzicht einzugehen.

Er schlägt vor, von den Deutschen formulierte Forderungen zu verlangen, die in einer bestimmten Frist gestellt werden müssten. Der Vorstoß nach Kiew ist ein Vorstoß gegen die sowjetische Macht. „Das Spiel mit dem Krieg“ bestand darin, dass wir zwei Monate lang, ohne über militärische Kräfte zu verfügen, die Verhandlungen in die Länge zogen, revolutionäre Bewegung in Berlin und Wien anfachten und die Deutschen gegeneinander aufbrachten.

Gen. Stalin. Es ist möglich, dass die Deutschen sagen, sie erkennen uns nicht an, aber selbst in diesem schlimmsten Fall geraten wir in eine günstigere1 Lage. 5 Minuten lang Trommelfeuer, und an unserer Front steht kein einziger Soldat mehr. Dieser Unsinn muss aufhören. Ich bin mit Trotzki nicht einverstanden; eine derartige Frage kann man in der Literatur stellen. Hier muss alles sorgfältig erwogen und gesagt werden, dass wir für die Wiederaufnahme der Verhandlungen sind. Mit diesem politischen Akt werden sie rechnen, es ist aber unmöglich, es bei einer Anfrage bewenden zu lassen.

Gen. Bucharin. Es ist merkwürdig; es gibt nichts Falscheres, als wenn von „Spiel“ geredet wird. Im Gegenteil, die Dinge entwickeln sich so, wie sie müssen. Man bemerkt Panik und Zerfahrenheit. Alles was sich jetzt ereignet, haben wir vorhergesehen. Wir haben gesagt, entweder entfaltet sich die russische Revolution oder sie bricht unter den Schlägen des Imperialismus zusammen. Hier wurde gesagt, dass die Militaristen den Frieden früher eingegangen wären, richtig, aber es haben sich neue Fakten eingestellt: Die Ukraine und das Bündnis mit den Imperialisten. Und unsere Sondierungen in dieser Richtung haben schon Ergebnisse gezeitigt. Das 2. Ergebnis ist, dass die Deutschen kein Handelsabkommen schließen, sondern ganz offen den Klassenkampf führen. Das ist die eiserne Logik der Ereignisse, sie entwickeln sich so, wie sie müssen. [...] Die Deutschen denken jetzt nicht an Friedensschluss, sie spielen va banque. Es gibt nun keine Möglichkeit, den Kampf aufzuschieben. Der vereinigte Imperialismus geht gegen die Revolution vor. Wenn sie gar noch Petersburg einnehmen, werden sich die Arbeiter so verhalten wie in Riga. Unsere sozialen Möglichkeiten sind noch nicht ganz erschöpft. Wir können die Muschiks auf die Deutschen hetzen. Wir haben nur die alte Taktik, die Taktik der Weltrevolution. Die Deutschen fordern jetzt die Preisgabe all unserer sozialrevolutionären Positionen.

Gen. Lenin. Bucharin hat nicht bemerkt, dass er auf die Position des revolutionären Krieges übergegangen ist. Der Bauer will keinen Krieg und wird keinen Krieg führen. Kann man jetzt dem Bauern sagen, dass er in einen revolutionären Krieg ziehen soll? Aber wenn man das will, dann durfte man die Armee nicht demobilisieren. Ein permanenter Bauernkrieg ist eine Utopie. Der revolutionäre Krieg darf keine Phrase sein. Wenn wir nicht vorbereitet sind, so müssen wir den Frieden unterzeichnen. Wenn wir die Armee demobilisiert haben, so ist es lächerlich, von einem permanenten Krieg zu reden. Man kann keinen Vergleich mit dem Bürgerkrieg ziehen. Der Bauer wird sich auf einen revolutionären Krieg nicht einlassen und wird jeden davon jagen, der das offen fordert. Die Revolution in Deutschland hat noch nicht begonnen, und wir wissen, dass auch bei uns die Revolution nicht auf einen Schlag gesiegt hat. Hier ist gesagt worden, dass die Deutschen Livland und Estland nehmen werden, aber wir können sie um der Revolution willen aufgeben. Wenn sie den Abzug der Truppen aus Finnland verlangen nun, so mögen sie das revolutionäre Finnland einnehmen. Wenn wir Finnland, Livland und Estland aufgeben, so ist die Revolution nicht verloren. Die Perspektiven, mit denen uns gestern Gen. Joffe geschreckt hat, werden die Revolution keineswegs zugrunde richten.

Ich schlage vor zu erklären, dass wir den Frieden unterzeichnen, den uns gestern die Deutschen angeboten haben; und wenn sie außerdem fordern, wir sollten uns nicht in die Angelegenheiten der Ukraine, Finnlands, Livlands und Estlands einmischen, so muss man unbedingt auch das annehmen. Unsere Soldaten taugen absolut nichts; die Deutschen wollen Getreide sie werden es nehmen und zurückkehren, nachdem sie die Existenz der Sowjetmacht unmöglich gemacht haben. Erklären wir die Demobilisierung für eingestellt, so bedeutet das unseren Sturz.

Lomow fordert, die Bevölkerung müsse zu den Fahnen der Revolution gerufen werden.

Gen. Sinowjew Wenn wir zurückschauen, wird es klar, dass wir den Frieden schon im November hätten unterzeichnen müssen. Je mehr wir im Bürgerkrieg siegten, um so klarer wurde es, dass die einzige Kriegsmacht, mit der wir rechnen mussten, die deutsche Armee ist. Die Bedingung war meiner Meinung folgende: Wenn sie uns an der Gurgel packen, werden wir den Frieden unterschreiben. Die Aufstände in Wien und Berlin haben uns zu sehr berauscht, und wir haben die Gelegenheit verpasst. Ich fürchte jetzt sogar, dass sie diesen Frieden nicht mehr unterzeichnen werden. V. I. [Lenin] sagt, wenn sie Nichteinmischung in die [Angelegenheiten der] Ukraine fordern, müssen wir das annehmen, die Frage ist aber, welche Art von Nichteinmischung sie fordern. Wenn Gen. Trotzki sagen wollte, dass er mit seinem Telegramm mehr geben will, dann muss man es annehmen. Auf jeden Fall muss gesagt werden, dass wir den Frieden unterzeichnen wollen, aber wenn sie z.B. die Auslieferung der ukrainischen Arbeiter verlangen, dann können wir nicht und müssen uns noch einmal beraten. Noch heute muss ein Telegramm an die Deutschen geschickt werden. Wir müssen wissen, was sie fordern. Wenn nur Livland, wäre ich dafür, wenn aber die Auslieferung der ukrainischen Arbeiter, dann ist es schwierig.

Die Aussprache wird beendet.

Trotzki formuliert seinen Vorschlag.

Keinen Waffenstillstand fordern, sondern anfragen, was sie verlangen. Folgende Frage wird gestellt: Soll man sich unverzüglich an die deutsche Regierung mit dem Vorschlag eines sofortigen Friedensschlusses wenden?

Dafür 7: Lenin, Smilga, Stalin, Sverdlov, Sokolnikow, Trotzki, Sinowjew.

Dagegen – 5: Urizki, Joffe, Lomow [Oppokow], Bucharin, Krestinskij (dem schließt sich Dzierżyński an).

1 Enthaltung – Stassowa.

Es werden Vorschläge zur Formulierung des Telegramms gemacht. Das Telegramm soll einen Protest und die Bereitwilligkeit, die alten Friedensbedingungen zu unterzeichnen, enthalten. Die Abfassung des Textes wird Lenin und Trotzki überlassen.

1 Vorlage ungünstigere.

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