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Wladimir I. Lenin 19191220 Bericht über die Subbotniks

Wladimir I. Lenin: Bericht über die Subbotniks

(auf der Moskauer Stadtkonferenz der KPR, 20. Dezember 1919)

[Nach Ausgewählte Werke, Band 8. Der Kriegskommunismus 1918-1920. Zürich 1935, S. 249-254]

Genossen! Wie mir die Veranstalter der Konferenz mitteilten, habt ihr einen Bericht über die Subbotniks auf die Tagesordnung gesetzt und ihn in zwei Teile geteilt, um die Möglichkeit zu haben, das Wichtigste an dieser Frage ausführlich zu erörtern: erstens die Organisierung der Subbotniks in Moskau und ihre Ergebnisse, zweitens die praktischen Schlussfolgerungen für deren weitere Organisierung. Ich möchte mich nur auf die allgemeinen Thesen beschränken, auf jene Gedanken, die durch die Organisierung von Subbotniks als eine neue Erscheinung unseres Sowjet- und Parteiaufbaus angeregt werden. Die praktische Seite werde ich daher nur ganz kurz streifen.

Als zum ersten Mal kommunistische Subbotniks organisiert wurden, konnte man noch kaum darüber urteilen, inwieweit ein solches Beginnen Aufmerksamkeit verdient und ob es zu etwas Großem emporwachsen kann. Ich erinnere mich, dass nach dem Erscheinen der ersten Nachrichten über diese Sache in der Parteipresse die Äußerungen der Genossen, die dem Gewerkschaftsaufbau und dem Arbeitskommissariat nahestehen, anfangs außerordentlich zurückhaltend, um nicht zu sagen pessimistisch, waren. Ihnen schien es, dass keinerlei Grund bestehe, diesen Subbotniks große Bedeutung beizulegen. Seitdem haben sich die Subbotniks aber derart verbreitet, dass ihre Bedeutung in unserem Aufbau von niemandem mehr bestritten werden kann.

In der Tat, wir gebrauchen das Wort „Kommunismus“ sehr oft, so oft, dass wir es sogar in den Namen unserer Partei aufgenommen haben. Aber wenn man über diese Frage nachdenkt, so kommt einem der Gedanke, dass uns daraus neben dem Guten, das es uns gebracht, vielleicht auch eine gewisse Gefahr entstanden ist. Der Hauptgrund, der uns bewog, den Namen der Partei zu ändern, war das Bestreben, eine möglichst scharfe Grenze zwischen uns und dem herrschenden Sozialismus der II. Internationale zu ziehen. Nachdem sich die erdrückende Mehrheit der offiziellen sozialistischen Parteien in der Person ihrer Führer zur Zeit des imperialistischen Krieges auf die Seite der Bourgeoisie ihres Landes oder ihrer Regierung gestellt hatte, wurden wir uns über die tiefgreifende Krise, über den Zusammenbruch des alten Sozialismus vollkommen klar. Und um aufs Schärfste zu betonen, dass wir diejenigen, die im imperialistischen Krieg mit ihren Regierungen gegangen sind, nicht als Sozialisten betrachten können, um zu zeigen, dass der alte Sozialismus verfault, gestorben ist – hauptsächlich zu diesem Zweck wurde der Gedanke der Umbenennung unserer Partei verfochten, um so mehr als vom rein theoretischen Standpunkt der Name „Sozialdemokratie“ längst nicht mehr richtig ist. Bereits in den vierziger Jahren, als er in Frankreich zum ersten Mal in politischen Gebrauch kam, wurde er von einer Partei des kleinbürgerlichen sozialistischen Reformismus angeeignet, nicht aber von der Partei des revolutionären Proletariats. Somit war der stärkste Beweggrund, die Triebkraft bei der Änderung des Namens der Partei, der in seiner neuen Gestalt zum Namen der neuen Internationale geworden ist, das Bestreben, zwischen uns und dem alten Sozialismus eine möglichst scharfe Grenze zu ziehen.

Wenn wir uns fragen, was der Kommunismus zum Unterschied vom Sozialismus ist, so müssen wir sagen, dass der Sozialismus jene Gesellschaft ist, die unmittelbar aus dem Kapitalismus emporwächst; es ist die erste Form der neuen Gesellschaft. Der Kommunismus dagegen ist die höhere Form der Gesellschaft und kann sich erst dann entwickeln, wenn sich der Sozialismus vollkommen gefestigt hat. Der Sozialismus setzt Arbeit ohne Hilfe der Kapitalisten voraus, gesellschaftliche Arbeit bei strengster Rechnungslegung, Kontrolle und Aufsicht durch die organisierte Avantgarde, durch den vorgeschrittensten Teil der Werktätigen, wobei sowohl Maß als auch Entlohnung der Arbeit festgesetzt werden müssen. Diese Festsetzung ist notwendig, weil die kapitalistische Wirtschaft selbst solche Spuren und solche Gewohnheiten hinterlassen hat wie getrenntes Arbeiten, Misstrauen gegen öffentliche Wirtschaft, alte Kleinbesitzergewohnheiten, wie sie in allen bäuerlichen Ländern herrschen. Das alles steht mit einer wirklich kommunistischen Wirtschaft in Widerspruch. Als Kommunismus bezeichnen wir aber eine solche Ordnung, wo die Menschen an der Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten ohne besonderen Zwangsapparat gewöhnt sind, wo unentgeltliche Arbeit zu Nutz und Frommen der Gemeinschaft zur allgemeinen Erscheinung wird. Es versteht sich von selbst, dass vom Standpunkt derjenigen, die nur die ersten Schritte zum vollen Sieg über den Kapitalismus tun, der Begriff des Kommunismus ein viel zu entfernter ist. Wie richtig daher auch die Änderung des Namens unserer Partei war, wie groß auch der Nutzen, den sie gebracht hat, wie groß auch die Sache ist, die einen gewaltigen Schwung erreicht hat – denn in der ganzen Welt gibt es jetzt kommunistische Parteien, und obwohl seit der Gründung der Kommunistischen Internationale noch kein volles Jahr verstrichen ist, ist sie vom Standpunkt der Arbeiterbewegung ungleich stärker als die sterbende alte II. Internationale –, trotzdem wäre es eine ganz grobe Entstellung und praktisch ein Schaden, die hohlste Aufschneiderei, wenn man den Namen „Kommunistische Partei“ so auslegen wollte, als ob die kommunistische Ordnung sofort verwirklicht werde.

Daher verlangt das Wort „kommunistisch“ größte Vorsicht, und deshalb erlangten die kommunistischen Subbotniks besonderen Wert, als man sie zu verwirklichen begann, denn nur in dieser überaus geringfügigen Erscheinung begann etwas Kommunistisches zutage zu treten. Die Expropriierung der Gutsbesitzer und der Kapitalisten gab uns nur die Möglichkeit, die elementarsten Formen des Sozialismus aufzubauen, aber es ist noch nichts Kommunistisches dabei. Wenn wir unsere heutige Wirtschaft betrachten, so erblicken wir darin nur erst ganz schwache Ansätze von Sozialismus und ein ungeheuer starkes Vorwiegen alter Wirtschaftsformen, was entweder in der Vorherrschaft des Kleinbetriebes oder aber in der wildesten, zügellosesten Spekulation zum Ausdruck kommt. Aber wenn unsere Gegner, die kleinbürgerlichen Demokraten, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, uns entgegenhalten: ihr habt den Großkapitalismus zerschlagen, aber statt seiner quillt bei euch aus allen Poren der schlimmste spekulative Wucherkapitalismus hervor – so antworten wir darauf: wenn ihr euch eingebildet habt, wir könnten vom Großkapitalismus direkt zum Kommunismus übergehen, so seid ihr keine Revolutionäre, sondern Reformisten oder Utopisten.

Der Großkapitalismus ist überall von Grund aus erschüttert, selbst in jenen Ländern, wo noch keinerlei Schritte zum Sozialismus getan sind. Von diesem Standpunkt aus ist die ganze Kritik, sind alle Einwände, die unsere Gegner ins Feld führen, absolut unhaltbar. Es ist ganz natürlich, dass dann, wenn der Großkapitalismus zerschlagen ist, an seiner Stelle Ansätze eines neuen spekulativen Kleinkapitalismus zu entstehen beginnen. Wir stehen in einem erbitterten Kampf gegen die Überreste des Großkapitalismus, der sich auf allerlei kleine Spekulationsgeschäfte geworfen hat, wo man ihn schwerer fassen kann und wo er die schlimmste, die unorganisierteste Form des Handels annimmt.

Der Kampf, der sich unter den Verhältnissen des Krieges viel erbitterter gestaltete, rief die wildesten Spekulationsformen hervor, besonders dort, wo der Kapitalismus in größeren Ausmaßen organisiert war, und es wäre ganz falsch, sich den revolutionären Übergang anders vorzustellen. So liegen die Dinge vom Standpunkt der heutigen Ökonomie. Wenn wir uns die Frage vorlegen, was die heutige Wirtschaftsordnung Sowjetrusslands ist, so werden wir antworten müssen, dass es die Grundsteinlegung des Fundaments des Sozialismus in der Großproduktion ist, die Umgestaltung der alten kapitalistischen Wirtschaft bei erbittertstem, Millionen und aber Millionen verschiedenster Formen annehmendem Widerstand des Kapitalismus. Diejenigen westeuropäischen Länder, die unter dem Krieg ebenso schwer gelitten haben wie wir, z. B. Österreich, unterscheiden sich von uns nur dadurch, dass diese Zersetzung des Kapitalismus, diese Spekulation sich dort mit noch größerer Macht äußert und dass es dort keine Ansätze des sozialistischen Aufbaus gibt, das nicht gibt, was sich dem Kapitalismus entgegenstellt. Doch hat unsere Wirtschaftsordnung noch nichts Kommunistisches an sich. Das „Kommunistische“ beginnt erst dort, wo die Subbotniks auftauchen, d. h., wo es unentgeltliche, von keiner Behörde, von keinem Staat normierte Arbeit einzelner zu Nutz und Frommen der Gemeinschaft in breitem Umfang gibt. Das ist nicht nachbarliche Hilfe, wie es sie auf dem Lande stets gegeben hat, sondern eine für allgemein staatliche Bedürfnisse geleistete, im Großen organisierte unentgeltliche Arbeit. Daher wäre es richtiger, wenn das Wort „kommunistisch“ nicht nur zur Bezeichnung der Partei, sondern auch auf jene wirtschaftlichen Erscheinungen in unserem Leben und ausschließlich auf jene angewandt würde, die etwas „Kommunistisches“ praktisch verwirklichen. Wenn es in der heutigen Ordnung Russlands etwas Kommunistisches gibt, so sind es einzig die Subbotniks, alles übrige ist nur Kampf gegen den Kapitalismus für die Festigung des Sozialismus, aus dem nach seinem vollen Sieg jener Kommunismus wird emporwachsen müssen, den wir bei den Subbotniks nicht in Büchern, sondern in lebendiger Wirklichkeit sehen.

Dies ist die prinzipielle Bedeutung der Subbotniks, die zeigen, dass hier in Form unentgeltlicher, zu allgemein staatlichen Zwecken im Großen organisierter Arbeit etwas ganz Neues zu entstehen beginnt, etwas, was mit allen alten kapitalistischen Regeln in Widerspruch steht, etwas noch Höheres als die den Kapitalismus besiegende sozialistische Gesellschaft. Als daher in diesem Jahr der Aufforderung des ZK der Partei, dem Lande zu Hilfe zu kommen, zunächst die in schlimmster Not und schlimmstem Hunger lebenden Eisenbahner der Moskau-Kasaner Bahn nachkamen und als Anzeichen dafür zu bemerken waren, dass die kommunistischen Subbotniks aufhören, eine Einzelerscheinung zu sein, dass sie sich zu verbreiten beginnen und die Sympathie der Massen finden – da konnte man sagen, dass wir es hier mit einer prinzipiellen Erscheinung von gewaltiger Bedeutung zu tun haben, die wir tatsächlich allseitig unterstützen müssen, wenn wir nicht nur im prinzipiellen Sinne, nicht nur im Sinne des Kampfes gegen den Kapitalismus Kommunisten sein wollen. Vom Standpunkt des praktischen Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft genügt das noch nicht. Es muss gesagt werden, dass man die Bewegung in der Tat im Massenumfang verwirklichen kann. Ob wir das bewiesen haben, vermag ich nicht zu sagen, denn es liegt noch keine zusammenfassende Übersicht über das Ausmaß jener Bewegung vor, die wir als kommunistische Subbotniks bezeichnen. Ich habe nur vereinzelte Mitteilungen darüber und habe in der Parteipresse gelesen, dass diese Subbotniks in einer ganzen Reihe von Städten zu einer immer größeren Entfaltung gelangen. So sagten Petrograder Genossen, die Subbotniks hätten in Petrograd ungleich größere Verbreitung als in Moskau. Von der Provinz sagten mir viele jener Genossen, die diese Bewegung praktisch kennen, es sammele sich bei ihnen reichhaltiges Material über diese neue Form der gemeinschaftlichen Arbeit an. Jedoch erst nach wiederholter Erörterung dieser Frage in der Presse und in Parteikonferenzen verschiedener Städte wird es uns gelingen, jenes zusammenfassende Material zu erhalten, auf Grund dessen wir werden sagen können, ob die Subbotniks tatsächlich zur Massenerscheinung geworden sind und ob wir auf diesem Gebiet tatsächlich ernsthafte Erfolge errungen haben.

Wie dem auch sei, ob wir nun bald oder nicht so bald über derartiges erschöpfendes und nachgeprüftes Material verfügen werden, uns muss vollkommen klar sein, dass wir vom prinzipiellen Standpunkt aus außer den Subbotniks keine andere Erscheinung haben, die darauf hinweisen würde, dass wir uns nicht nur Kommunisten nennen, dass wir nicht nur Kommunisten sein wollen, sondern dass wir auch in der Tat etwas Kommunistisches, nicht nur Sozialistisches, leisten. Daher muss jeder Kommunist, jeder, der den Prinzipien des Kommunismus treu sein will, seine ganzen Bemühungen, seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten, dass er zur Klarstellung dieser Erscheinung und ihrer praktischen Anwendung beitrage. Das ist die prinzipielle Bedeutung der Subbotniks. Daher muss diese Frage unablässig auf jeder Parteikonferenz aufgeworfen und sowohl theoretisch als auch praktisch erörtert werden. Wir dürfen uns aber bei dieser Erscheinung nicht nur auf das Theoretische, das Prinzipielle beschränken. Die kommunistischen Subbotniks sind für uns nicht nur deshalb von gewaltigem Wert, weil sie den Kommunismus in der Praxis verwirklichen Sie haben für uns außerdem noch eine zweifache Bedeutung: vom staatlichen Standpunkt aus sind sie eine rein praktische Hilfe für den Staat, und vom Parteistandpunkt aus sind sie – was wir als Parteimitglieder nicht übersehen dürfen – wichtig durch die Bedeutung, die sie für die Säuberung der Partei von den in sie hinein geschlichenen fremden Elementen, für den Kampf gegen jene Einflüsse haben, denen die Partei unter den Verhältnissen des verwesenden Kapitalismus ausgesetzt ist.

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