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Wladimir I. Lenin 19190323 Schlussrede auf dem VIII. Parteitag

Wladimir I. Lenin: Schlussrede auf dem VIII. Parteitag

(23. März 1919)

[Ausgewählte Werke, Band 8. Der Kriegskommunismus 1918-1920. Zürich 1935, S. 48-52]

Genossen! Unsere Tagesordnung ist erschöpft. Gestattet mir nun, im Zusammenhang mit dem Abschluss des Parteitages einige Worte zu sagen.

Genossen! Wir haben uns in einem schweren Augenblick versammelt, schwer nicht nur, weil wir unseren besten Organisator und praktischen Führer Jakow Michailowitsch Swerdlow verloren haben. Der Augenblick ist besonders schwer, weil der internationale Imperialismus – darüber kann jetzt schon gar kein Zweifel mehr bestehen – den letzten, besonders energischen Versuch macht, die Sowjetmacht zu zertrümmern. Für uns besteht kein Zweifel darüber, dass die verstärkte Offensive in West und Ost, gleichzeitig mit einer ganzen Reihe weißgardistischer Aufstände und Versuche, an verschiedenen Stellen die Eisenbahnstrecken zu zerstören – dass das alles einen völlig klar durchdachten und offenbar in Paris beschlossenen Schritt der Imperialisten der Entente darstellt.1 Wir alle wissen, Genossen, unter welchen Schwierigkeiten Russland, das einen vierjährigen imperialistischen Krieg durchgemacht hatte, von neuem zu den Waffen greifen musste, um die Sowjetrepublik gegen die imperialistischen Räuber zu verteidigen. Wir alle wissen, wie schwer dieser Krieg ist, wie sehr er uns erschöpft. Aber wir wissen auch, dass dieser Krieg nur deshalb mit erhöhter Energie, mit gesteigertem Heroismus geführt wird, weil zum ersten Mal in der Welt eine Armee, eine bewaffnete Macht geschaffen worden ist, die weiß, wofür sie kämpft, und weil zum ersten Mal in der Welt die Arbeiter und Bauern, die unerhörte Opfer bringen, klar erkennen, dass sie die sozialistische Sowjetrepublik, die Macht der Werktätigen über die Kapitalisten, die Sache der proletarischen sozialistischen Weltrevolution verteidigen.

Unter diesen schwierigen Verhältnissen haben wir in kurzer Zeit ein sehr großes Werk zu vollbringen vermocht. Wir vermochten das Programm festzulegen, und zwar einstimmig, wie auch alle wesentlichen Beschlüsse des Parteitages. Wir sind überzeugt, dass das Programm trotz zahlreicher redaktioneller und anderer Mängel schon in die Geschichte der III. Internationale eingegangen ist als ein Programm, das das Fazit der neuen Etappe der Befreiungsbewegung des Weltproletariats zieht. Wir sind überzeugt, dass in einer ganzen Reihe von Ländern, wo wir viel mehr Verbündete und Freunde haben, als wir wissen, die bloße Übersetzung dieses Programms die beste Antwort auf die Frage sein wird, was die Kommunistische Partei Russlands, die eine der Kolonnen des Weltproletariats ist, geleistet hat. Unser Programm wird ein höchst wirksames Material für die Propaganda und die Agitation, es wird das Dokument sein, auf Grund dessen die Arbeiter sagen werden: „Hier sind unsere Genossen, unsere Brüder, hier wird an unserer gemeinsamen Sache gearbeitet“.

Genossen, wir haben auf diesem Parteitag auch andere höchst wichtige Beschlüsse zu fassen vermocht. Wir haben die Schaffung der III., Kommunistischen Internationale gebilligt, die hier in Moskau gegründet worden ist. Wir sind zu einem einmütigen Beschluss in der Militärfrage gelangt. So groß auch anfänglich die Meinungsverschiedenheiten schienen, so mannigfaltig auch die Meinungen vieler Genossen waren, die hier mit voller Offenheit über die Mängel unserer Militärpolitik sprachen – es gelang uns außerordentlich leicht, in der Kommission einen vollkommen einstimmigem Beschluss zu erzielen, und wir verlassen diesen Parteitag mit der Überzeugung, dass unser Hauptverteidiger, die Rote Armee, für die das ganze Land so unzählige Opfer bringt, in allen Teilnehmern des Parteitages, in allen Parteimitgliedern die wärmsten, hingebungsvollsten Helfer, Führer, Freunde und Mitarbeiter finden wird.

Genossen, in der Organisationsfrage haben wir die vor uns stehenden Probleme deshalb so leicht gelöst, weil die Geschichte der Beziehungen der Partei zu den Sowjets alle diese Beschlüsse vorgezeichnet hat. Wir brauchten das nur zusammenzufassen. In der Frage der Arbeit auf dem Lande haben wir in einem einmütigen, schnell gefassten Beschluss des Parteitages die Linie in einer besonders wichtigen und besonders schwierigen Frage festgelegt, die in anderen Ländern sogar als unlösbar gilt: in der Frage des Verhältnisses des Proletariats, das die Bourgeoisie gestürzt hat, zu der viele Millionen zählenden Mittelbauernschaft. Wir alle sind überzeugt, dass diese Resolution des Parteitages unsere Macht stärken wird, in der schweren Zeit, die wir jetzt durchmachen, wo die Imperialisten den letzten Versuch machen, die Sowjetmacht mit Gewalt zu stürzen, wo die verschärfte Lebensmittelnot, wo die Zerrüttung des Verkehrswesens immer wieder aufs Neue hunderte, tausende, Millionen Menschen in eine verzweifelte Lage versetzen – in dieser schweren Zeit wird, davon sind wir überzeugt, die Resolution, die wir angenommen haben, wird der Geist, der die Teilnehmer des Parteitages beseelt hat, uns helfen, dieser Prüfung standzuhalten, uns helfen, dieses schwere Halbjahr zu überwinden.

Wir sind überzeugt, dass das das letzte schwere Halbjahr sein wird. Besonders bestärkt uns in dieser Überzeugung die Nachricht, die wir vor einigen Tagen dem Parteitag mitteilten, die Nachricht vom Sieg der proletarischen Revolution in Ungarn. Wenn bisher die Sowjetmacht nur im Innern, unter den zum früheren Russischen Reich gehörenden Völkern gesiegt hatte, wenn bis jetzt kurzsichtige Leute, die sich besonders schwer von dem Althergebrachten, von der alten Denkweise trennen (mögen sie auch zum Lager der Sozialisten gehören), glauben konnten, dass nur die Eigenart Russlands diese unerwartete Wendung zur proletarischen Sowjetdemokratie hervorgerufen hat, dass sich vielleicht in den Besonderheiten dieser Demokratie wie in einem Zerrspiegel die alten Besonderheiten des zaristischen Russlands widerspiegeln – wenn sich eine solche Meinung bis jetzt noch halten konnte, so ist sie jetzt von Grund auf zerstört. Genossen, die Nachrichten, die heute eingetroffen sind, geben uns ein Bild von der ungarischen Revolution. Wir erfahren aus den heutigen Nachrichten, dass die Ententemächte an Ungarn ein ganz bestialisches Ultimatum wegen des Durchmarsches ihrer Truppen gestellt haben. Als die bürgerliche Regierung sah, dass die Ententemächte ihre Truppen durch Ungarn marschieren lassen wollen, dass auf Ungarn die unerhörte Last eines neuen Krieges fällt – trat die bürgerlich-kompromisslerische Regierung selbst zurück, nahm selbst Verhandlungen mit den Kommunisten, mit unseren in Gefängnissen sitzenden ungarischen Genossen auf und gab selbst zu, dass es keinen anderen Ausweg gibt als die Übergabe der Macht an das werktätige Volk. (Beifall.)

Wenn man von uns sagte, dass wir Usurpatoren seien, wenn Ende 1917 und Anfang 1918 die Bourgeoisie und viele ihrer Anhänger kein anderes Wort für unsere Revolution hatten als „Gewalt“ und „Usurpatoren“, wenn bis jetzt Meinungen zu hören sind, deren ganze Sinnlosigkeit wir schon oft bewiesen haben, nämlich dass sich die bolschewistische Macht nur durch Gewalt behaupte – wenn man früher solchen Unsinn wiederholen konnte, so bringt jetzt das Beispiel Ungarns dieses Gerede zum Schweigen. Selbst die Bourgeoisie hat erkannt, dass es keine andere Macht geben kann als die Rätemacht. Die Bourgeoisie eines kulturell höher stehenden Landes hat klarer als unsere Bourgeoisie am Vorabend des 7. November (25. Oktober) erkannt, dass das Land untergeht, dass immer schwerere Prüfungen das Volk heimsuchen, dass also die Macht in den Händen der Räte sein muss, dass also die Arbeiter und Bauern Ungarns, die neue proletarische Sowjetdemokratie das Land retten müssen.

Die Schwierigkeiten der ungarischen Revolution sind gewaltig, Genossen. Dieses im Vergleich mit Russland kleine Land kann viel leichter von den Imperialisten erdrosselt werden. Aber wie groß auch die Schwierigkeiten sein mögen, die Ungarn zweifellos bevorstehen, wir haben hier außer dem Sieg der Rätemacht auch unseren moralischen Sieg. Die radikalste, demokratischste, am meisten zu Kompromissen neigende Bourgeoisie hat anerkannt, dass im Augenblick der gewaltigsten Krise, wo dem vom Krieg erschöpften Land ein neuer Krieg droht, die Rätemacht eine historische Notwendigkeit ist, sie hat anerkannt, dass in einem solchen Land keine andere Macht bestehen kann als die Macht der Räte, als die Diktatur des Proletariats.

Genossen, uns ist eine ganze Reihe von Revolutionären vorausgegangen, die ihr Leben der Befreiung Russlands zum Opfer brachten. Die Mehrzahl dieser Revolutionäre traf ein schweres Geschick. Ihnen wurden Verfolgungen des Zarismus zuteil, und es war ihnen nicht das Glück vergönnt, bei der siegreichen Revolution dabei zu sein. Uns aber ist ein noch höheres Glück beschießen. Wir haben nicht nur den Sieg unserer Revolution gesehen, wir haben nicht nur gesehen, wie sie sich inmitten unerhörter Schwierigkeiten festigte und neue Formen der Macht schuf, die uns die Sympathien der ganzen Welt eintragen, sondern wir sehen auch, dass die Saat, die die russische Revolution gesät hat, in Europa aufgeht. Das erzeugt bei uns die absolute, unerschütterliche Überzeugung, dass, so schwer auch die Prüfungen sein mögen, die über uns noch hereinbrechen können, so groß auch die Leiden sein biogen, die uns die verendende Bestie des internationalen Imperialismus noch zufügen kann – diese Bestie zugrunde gehen und der Sozialismus auf der ganzen Welt siegen wird. (Langandauernder Beifall.)

Ich erkläre den VIII. Parteitag der KPR für geschlossen.

1 Hier ist die Offensive Koltschaks an der Ostfront gemeint, die am 6. März einsetzte, sowie das Vordringen der polnischen Truppen, die zur Zeit des VIII. Parteitages ungefähr bis nach Baranowitschi gelangten.

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