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Wladimir I. Lenin 19200403 Rede zur Genossenschaftsfrage

Wladimir I. Lenin: Rede zur Genossenschaftsfrage

auf dem neunten Parteitag der KPR(B), 3. April 1920

[Veröffentlicht im Buch: Der neunte Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands. Stenographischer Bericht“, Staatsverlag 1920. Nach Sämtliche Werke, Band 25, Wien-Berlin 1930, S. 151-156]

Erst gestern Abend und heute bin ich dazu gekommen, mir die beiden Resolutionen anzusehen. Ich glaube, dass die Resolution der Kommissionsminderheit die richtigere ist. Genosse Miljutin stürzte sich auf diese Resolution mit einem großen Vorrat von schrecklichen Worten, entdeckte in ihr Halbheiten und sogar halbe Halbheiten und beschuldigt sie des Opportunismus, Mir scheint jedoch, dass der Teufel nicht so schwarz ist, wie er an die Wand gemalt wird. Wenn man den Kern der Sache prüft, dann sind gerade die Argumente des Genossen Miljutin, der versuchte, der Sache eine prinzipielle Basis zu geben, vom praktischen, sachlichen und marxistischen Standpunkt ein Beweis für die Unrichtigkeit und Untauglichkeit jener Resolution, die Genosse Miljutin verteidigte. Diese Unrichtigkeit besteht in folgendem, Genosse Miljutin wies darauf hin, dass in seiner Resolution, der Resolution der Kommissionsmehrheit, von einer Verschmelzung mit dem Exekutivkomitee des Wolostsowjets, von einer Unterordnung unter diese Exekutivkomitees die Rede ist, und darin sieht er die Geradheit und Entschiedenheit seiner Resolution im Vergleich zu dem nicht genügend revolutionären Charakter der Minderheitsresolution, Wir haben in den langen Jahren unserer revolutionären Tätigkeit die Erfahrung gemacht, dass unsere revolutionären Aktionen von Erfolg gekrönt wurden, wenn sie gehörig vorbereitet waren; wenn sie jedoch nur vom revolutionären Feuer getragen waren, endeten sie mit einem Misserfolg. Was sagt die Resolution der Kommissionsminderheit? Die Resolution der Minderheit sagt: richte deine Aufmerksamkeit darauf, dass die kommunistische Arbeit in den Konsumvereinen gesteigert werde, dass wir in ihnen die Mehrheit erlangen; bereite die Organe vor, denen du sie übergeben willst und übergeben wirst. Vergleicht damit den Standpunkt des Genossen Miljutin. Er erklärt: die Genossenschaften sind schlecht, deshalb muss man sie den Exekutivkomitees der Wolostsowjets übergeben. Haben wir aber eine kommunistische Basis in den Genossenschaften, die ihr übergeben wollt? Der Kern der Sache, eben die Vorbereitung, wird umgangen; man gibt nur eine Endlosung aus. Wenn man diese kommunistische Arbeit vorbereitet und die Organe geschaffen haben wird, die die Genossenschaften übernehmen und leiten können, dann wird eine Übergabe verständlich sein und nicht erst auf dem Parteitage verkündet werden brauchen. Aber habt ihr denn den Bauer nicht hart genug angepackt? Hat denn unser Oberster Volkswirtschaftsrat die Bauern und die Genossenschaften bei der Einbringung des Flachses nicht hart genug angepackt? Wenn ihr die praktischen Erfahrungen in Erwägung zieht, die unsere lokalen Verwaltungsbehörden und der Rat der Volkskommissare bei ihrer Arbeit gemacht haben, dann werdet ihr sagen müssen, dass die Sache auf diese Weise nicht richtig angepackt wird und dass jene Resolution richtig ist, die besagt, dass man einen kommunistischen Funktionärstamm erziehen und schulen muss, ohne den eine Übergabe der Genossenschaften unmöglich ist.

Eine andere grundlegende Frage ist der Kontakt mit den Konsumgenossenschaften. Hier zeigt Genosse Miljutin eine außerordentliche Inkonsequenz, Wenn die Konsumgenossenschaften nicht alle Aufgaben, d. h. nicht all das erfüllen, wovon zwei Jahre lang in einer ganzen Reihe von Dekreten die Rede war, die sich gegen den Großbauer richteten, so darf man nicht vergessen, dass wir die Machtmittel, die wir gegen den Großbauer zur Verfügung haben, auch gegen die Konsumgenossenschaften anwenden können. Und das wird auch in vollem Maße durchgeführt. Jetzt ist es das Wichtigste, die Produktion und die Menge der Erzeugnisse zu erhöhen. Wenn die Konsumgenossenschaften das nicht schaffen werden, dann werden wir sie bestrafen. Wenn sie jedoch in Verbindung mit den Produktivgenossenschaften eine, wenn auch geringe Erhöhung der Produktenmenge erzielen werden, dann müssen wir uns vor ihnen verneigen und ihre Initiative fördern. Wenn die Konsumgenossenschaften trotz ihres engen, lebendigen Kontakts mit der Produktion an Ort und Stelle, die Produktenmenge nicht erhöhen, so heißt das, dass sie die ihnen direkt von der Sowjetregierung gestellte Aufgabe nicht erfüllen. Wenn in einem Kreis auch nur zwei, drei energische Genossen vorhanden sind, die bereit sind, gegen die Kulaken und die Bourgeoisie zu kämpfen, dann haben wir gewonnenes Spiel. Wo ist denn die Initiative des Genossen Tschutschin behindert worden? Er hat kein einziges Beispiel angeführt. Der Gedanke aber, dass man die Produktivgenossenschaft mit der Konsumgenossenschaft verknüpfen und alle möglichen Zugeständnisse machen muss, nur um die Produktenmenge in der nächsten Zeit zu erhöhen, dieser Gedanke ergibt sich aus unserer zweijährigen Erfahrung, Dadurch werden weder die Partei- noch die Sowjetfunktionäre auch nur im Geringsten in ihrem Kampfe gegen den bürgerlichen, großbäuerlichen Typus der Genossenschaften behindert. Sie werden dadurch nicht nur nicht behindert, sondern bekommen eine neue Waffe in die Hand. Wenn jemand etwas zu organisieren versteht, dann werden wir ihm eine Prämie geben, wenn er jedoch die Aufgabe nicht erfüllt, dann werden wir ihn prügeln, nicht nur weil er konterrevolutionär handelt – für solche Fälle haben wir die Tscheka, wie hier richtig bemerkt worden ist –, sondern, weil er die ihm von der Regierung, der Sowjetmacht und dem Proletariat übertragenen Aufgaben nicht durchführt.

Gegen die Vereinigung der Konsumgenossenschaften hat Genosse Miljutin kein einziges sachliches Argument angeführt. Er hat bloß erklärt, das sei seiner Auffassung nach Opportunismus oder Halbheit, Es mutet seltsam an, das vom Genossen Miljutin zu hören, der zusammen mit Genossen Rykow sich anschickte, große Schritte zu machen, und sich überzeugen musste, dass er auch nicht ein Zehntel eines Schrittes machen kann. Eine Verbindung mit den Konsumgenossenschaften ist ein Plus, sie bietet die Möglichkeit, sofort an die Produktion zu gehen. Gegen die Einmischung in die politische Tätigkeit stehen uns alle Mittel zur Verfügung, und die Unterordnung hinsichtlich der Produktion und Wirtschaft hängt vollständig vom Volkskommissariat für Landwirtschaft und dem Obersten Volkswirtschaftsrat ab, Über alle diese Mittel verfügt ihr in hinreichendem Maße, um die Genossenschaften kontrollieren zu können.

Nun kommen wir zur dritten Frage, zur Frage der Verstaatlichung, für die hier Genosse Miljutin in ganz seltsamer Weise eingetreten ist. Es wurde eine Kommission gebildet, Genosse Krestinski blieb in dieser Kommission in der Minderheit, während Genosse Miljutin als Sieger hervorging. Jetzt aber erklärt er: „Was die Verstaatlichung betrifft, so bin ich bereit, den Streit aufzugeben,“ Wozu dann der Streit in der Kommission? Sind Sie derselben Auffassung wie Genosse Tschutschin, dann sind Sie im Unrecht, wenn Sie auf die Verstaatlichung verzichten. Hier ist gesagt worden: „Wenn wir die Kapitalisten nationalisiert haben, warum sollen wir da nicht auch die Kulaken nationalisieren?“ Aber dieses Argument hat hier nicht umsonst Heiterkeit hervorgerufen. In der Tat, wie hoch man auch die Zahl der wohlhabenden Bauern schätzen mag, die nicht ohne Ausbeutung fremder Arbeit auskommen, sie wird nicht weniger als eine halbe Million betragen, vielleicht sogar fast eine Million. Wie können wir sie da nationalisieren? Das ist nichts als Phantasie, Dazu reichen jetzt unsere Kräfte nicht aus.

Genosse Tschutschin hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass in den Genossenschaften eine ganze Reihe von Konterrevolutionären sitzt. Das aber gehört in ein anderes Kapitel, Man hat hier ganz mit Recht die Tscheka erwähnt. Wenn ihr infolge eurer Kurzsichtigkeit nicht imstande seid, einzelne Genossenschaftsführer zu entlarven, dann setzt einen Kommunisten hinein, damit er diese Konterrevolution ausfindig mache. Und wenn das ein guter Kommunist ist – jeder gute Kommunist ist aber auch gleichzeitig ein guter Tschekist –, dann muss er, wenn er einmal in der Konsumgenossenschaft steckt, mindestens zwei konterrevolutionäre Genossenschaftler aufstöbern,

Genosse Tschutschin ist also nicht im Recht, wenn er für die sofortige Verstaatlichung eintritt. Das wäre ganz gut, ist aber unmöglich, weil wir es hier mit einer Klasse zu tun haben, die uns weniger zugänglich ist und die man auf keinen Fall nationalisieren kann. Wir haben sogar die Industrieunternehmungen nicht alle nationalisiert. Bis eine Anordnung der Zentralstellen zu den lokalen Organisationen gelangt, ist sie bereits vollkommen wirkungslos: sie versinkt in einem Meer von Papier oder bleibt stecken wegen der schlechten Wege, der mangelnden telegraphischen Verbindung usw. Es ist daher ganz unmöglich, jetzt von einer Nationalisierung der Genossenschaften zu reden. Genosse Miljutin hat auch prinzipiell unrecht. Er fühlt seine Schwäche und glaubt, man könne diesen Punkt einfach weglassen … Aber, Genosse Miljutin, dann beschneiden Sie ja Ihre Resolution, dann bescheinigen Sie damit, dass die Minderheitsresolution richtig ist, denn der Geist Ihrer Resolution, d. h. die Forderung nach Unterordnung der Genossenschaften unter die Exekutivkomitees der Wolostsowjets (im ersten Punkt ist die Rede von „Maßnahmen ergreifen“) – ist Tschekageist, der mit Unrecht in diese Wirtschaftsfrage hineingetragen wird. Die andere Resolution besagt, dass man in erster Linie die Zahl der Kommunisten vergrößern, die kommunistische Propaganda und Agitation steigern und eine Basis schaffen muss. In dieser Resolution ist nichts Hochtrabendes, es wird hier nicht versprochen, dass auf einmal Milch und Honig in Strömen fließen werden. Wenn Kommunisten in den lokalen Organisationen sitzen, dann wissen sie, was sie zu tun haben, und Genosse Tschutschin braucht ihnen nicht erst klarzumachen, wohin man die Konterrevolutionäre zu befördern hat… Ferner muss ein Organ geschaffen werden. Schafft ein Organ, kontrolliert es in der Praxis, prüft, ob die Produktion gesteigert wird, – das besagt die Minderheitsresolution. Zuerst muss man eine Basis schaffen, und dann – dann wird man weiter sehen … Was notwendig ist, ergibt sich dann von selbst, Dekrete. darüber, dass Konterrevolutionäre in die Tscheka zu befördern sind, und wenn keine Tscheka vorhanden ist, ins Revolutionskomitee, solche Dekrete werden in Überfluss vorgeschlagen. Etwas weniger davon wäre besser. Man muss die Resolution der Minderheit, die die Grundlinie gibt, annehmen.

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