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Kontroverse in der Genossenschaftssektion des IX. Parteitages

Für die Genossenschaftsfrage setzte der 9. Parteitag eine besondere Genossenschaftskommission ein. Am 2. April, vor dem Auftreten Lenins, fand eine Sitzung dieser Kommission statt unter Teilnahme von ungefähr 300 Parteitagsdelegierten Das Referat über diese Frage hielt N. Krestinski der den Standpunkt vertrat, dass man einen „einheitlichen zentralisierten kommunistischen Verteilungsapparat schaffen muss, in dem die Arbeiterklasse und ihre Avantgarde, die Kommunistische Partei, den überwiegenden Einfluss haben muss“. Diese Politik sei notwendig, nicht nur weil die allgemeinen wirtschaftlichen Aufgaben der Genossenschaften sie erfordern, sondern auch wegen des Umstandes, dass der „Zentrosojus“ („Zentralstelle der russischen Genossenschaften“) gezeigt habe, dass er absolut kein Verständnis hat für die neuen Aufgaben der Genossenschaftsbewegung. Außer den Thesen Krestinskis lagen Thesen von folgenden Genossen vor: 1. N. Meschtscherjakow und A. Solz, 2. W. Miljutin und 3. A. Zjurupa, A. Swiderski und L. Chintschuk.

Die Thesen von Meschtscherjakow und Solz wiesen darauf hin, dass „in der Periode der sozialistischen Revolution die Genossenschaften die Bedeutung einer Waffe in den Händen der proletarischen Diktatur erlangen. … Die revolutionäre Gewalt muss ihrer Stellung zu den Genossenschaften die These von Marx zugrunde legen, dass die Genossenschaft die gesamte Nation umfassen muss, ferner die These Engels’, dass die Privatwirtschaften der Bauern in genossenschaftliche Vereinigungen umgewandelt werden müssen. … Gegenüber der Bauernschaft besteht die Aufgabe der Sowjetmacht darin, die gesamte Bauernschaft zu landwirtschaftlichen Produktivgenossenschaften zusammenzufassen, die die Aufträge der zentralen Versorgungsorgane ausführen müssen. Das wird eine vorbereitende, eine Übergangsmaßnahme zur völligen Vergesellschaftung der gesamten bäuerlichen Produktion sein. … Dabei muss die Genossenschaft eine selbständige Organisation bleiben, die nur unter der Kontrolle und nach den Direktiven der Sowjetmacht arbeitet.“

Einen entgegengesetzten Standpunkt vertrat W. Miljutin, der die Verstaatlichung der Genossenschaften forderte und vorschlug, „… die Genossenschaft im Zentrum und in der Provinz zu einem technischen Apparat des Volkskommissariats für Ernährungswesen zu machen.

A. Swiderski war der Auffassung, dass die Genossenschaft keine selbständige Funktionen haben dürfe, weil sie nicht imstande sei, auf dem Zwangswege Nahrungsmittel zu beschaffen. Deshalb sollte sie nach seiner Forderung einfach zu einem technischen Apparat für die Durchführung der Aufträge der staatlichen Ernährungsorgane werden.

Die Thesen Krestinskis erhielten nur wenige Stimmen. Zur Ausarbeitung einer Resolution wurde eine Kommission aus Krestinski, Swiderski, Miljutin, Badajew, Tschutschin eingesetzt, die unter Mitwirkung von L. Kamenew tagte. Kamenew erklärte in dieser Sitzung, dass die Verstaatlichung der Genossenschaften verfrüht sei. Die Kommission, die aber in ihrer Mehrheit aus Anhängern der Verstaatlichung bestand, arbeitete eine Resolution in diesem Sinne aus.

Am darauffolgenden Tage, am 3. April, trat Miljutin im Plenum als Referent über die Frage der Genossenschaften auf und schlug im Aufträge der Mehrheit der Sektion eine Resolution über die Verstaatlichung der Genossenschaften vor. Gegen diese Resolution trat Krestinski auf. Lenin verteidigte in einer Rede die Resolution Krestinskis. Die Rede Lenins übte einen starken Einfluss auf die Delegierten aus und der 9. Parteitag nahm mit erdrückender Mehrheit die Resolution Krestinskis an. [Lenin, Sämtliche Werke, Band 25, Anm. 86]

Am 2. April, am Vorabend der Rede Lenins über die Genossenschaften, fand eine Sitzung der Genossenschaftssektion des IX. Parteitages statt, an der ca. 300 Delegierte des Parteitages teilnahmen. Referent war Krestinski.

Er fasste die Ergebnisse der Entwicklung der Genossenschaften in der ganzen nachrevolutionären Periode zusammen und kam zu folgenden Schlüssen: Man muss „einen einheitlichen zentralisierten kommunistischen Verteilungsapparat schaffen, in dem der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Partei der überwiegende Einfluss gesichert wäre“. Die Kreditgenossenschaften und ihre Verbände müssen mit den Konsumgenossenschaften verschmolzen werden, da sich jene infolge der Geldentwertung mit genau denselben Operationen wie diese befassen. Die landwirtschaftlichen und die Gewerbegenossenschaften müssen in die Konsumgenossenschaften eingegliedert werden und diesen als autonome Sektionen, in wirtschaftlicher Hinsicht dem Obersten Volkswirtschaftsrat und dem Landwirtschaftskommissariat unterstellt, angeboren. Die Konsumgenossenschaften müssen zentral und lokal in das System des Ernährungskommissariats eingegliedert werden.

Für die Thesen Krestinskis wurden auf der Sitzung der Genossenschaftssektion nur einige Stimmen abgegeben. Die Mehrheit nahm die Thesen des Genossen Miljutin, der den Versuch machte, Lenins Standpunkt von „links“ zu kritisieren, als Grundlage an. Lenin verteidigte in seiner Rede die Thesen Krestinskis. Die Leitsätze Miljutins, die Lenins Standpunkt entgegengestellt wurden, waren folgende:

1. Die Verwaltung der Dorfgenossenschaften erster Stufe muss zwecks Verstaatlichung der Genossenschaften in den Bestand der Landbezirksexekutivkomitees eingegliedert werden und diesen unterstellt sein; 2. Die Produktivgenossenschaften (die landwirtschaftlichen und die speziellen Genossenschaften) müssen ganz den entsprechenden Organen des Obersten Volkswirtschaftsrates und des Landwirtschaftskommissariats sowie ihren lokalen Organen unterstellt sein“.

Im Grunde stärkten die pseudo-„linken“ Anträge Miljutins die Stellung der bürgerlichen Genossenschafter und der Kulaken. Durch die Verstaatlichung der Konsumgenossenschaften auf dem Wege der Unterstellung ihrer unteren Einheiten im Dorf unter die Landbezirksexekutivkomitees konnte die Partei ihr Ziel, die Führung der Genossenschaften zu erlangen, keineswegs erreichen. Die Partei konnte die Genossenschaften nur erobern, wenn sie ihren Einfluss auf die in dem Genossenschaften organisierten Massen stärkte. Dies musste durch ausdauernde, systematische Arbeit und nicht durch bürokratische Unterstellung der Genossenschaften unter die Landbezirksexekutivkomitees erzielt werden. Der Antrag Miljutins hinsichtlich der Produktivgenossenschaften lieferte diese den Kulaken aus. da er sie der Einwirkung, dem Einfluss und der Kontrolle der Arbeiterschaft sowie der Massen der Dorfarmut und der Mittelbauern, die in den Konsumgenossenschaften organisiert waren, entzog. Der Oberste Volkswirtschaftsrat und das Landwirtschaftskommissariat waren nicht imstande, mit Hilfe ihres Apparats die Produktivgemossenschaften politisch zu erobern und sie auf ein kommunistisches Gleis überzuleiten In den Produktivgenossenschaften waren die wohlhabenden Schichten des Dorfes organisiert, was dem Kulaken den Einfluss in ihnen sicherte. Der IX. Parteitag lehnte den Antrag Miljutins mit erdrückender Mehrheit ab und nahm die Resolution Krestinskis an. Eine entscheidende Rolle spielte bei diesem Beschluss des IX. Parteitages die vorliegende, gegen den Standpunkt Miljutins gerichtete Rede Lenins. [Ausgewählte Werke, Band 8, Anm. 81]

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