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Wladimir I. Lenin 19210124 Schlusswort zum Referat über die Rolle und die Aufgaben der Gewerkschaften

Wladimir I. Lenin: Schlusswort zum Referat über die Rolle und die Aufgaben

der Gewerkschaften

24. Januar

[Veröffentlicht am 25. und 26. Januar 1921 im „Bulletin des II. Allrussischen Verbandstags der Bergarbeiter“ Nr. 1 und 2. Nach Sämtliche Werke, Band 26, Moskau 1940, S. 125-130]

Genossen, ich wollte meine Rede gerade mit der Frage beginnen, wer denn die anderen schrecke, sowie mit Genossen Schljapnikow, der uns einen mächtigen Schreck eingejagt hat. Hier haben alle davon gesprochen, dass Lenin mit dem Syndikalismus schrecke. Zu behaupten, dass Lenin jemanden schrecken will, heißt, sich lächerlich machen, denn der Gedanke an den Syndikalismus als Schreckgespenst ist ein lächerlicher Gedanke. Ich nehme an, dass wir vor allem mit unseren Programmen anfangen, das Programm der Kommunistischen Partei durchlesen und uns ansehen müssen, was darin steht. Die Genossen Trotzki und Schljapnikow erinnern an ein und dieselbe Stelle aus dem kommunistischen Programm, und diese Stelle steht gerade in Punkt 5 des Programms. Ich will sie euch sofort ganz verlesen:

5. Der Organisationsapparat der vergesellschafteten Industrie muss sich in erster Linie auf die Gewerkschaften stützen. Sie müssen sich immer mehr von der zünftlerischen Beschränktheit frei machen und sich in große Produktionsvereinigungen verwandeln, die die Mehrheit und nach und nach alle Werktätigen des' betreffenden Produktionszweiges erfassen.“

Diese Stelle hat Genosse Schljapnikow in seiner Rede angeführt. Aber wenn die Zahlen stimmten, so hätten wir ja 60 Prozent Leiter von Organisationen gehabt, und diese 60 Prozent bestünden aus Arbeitern. Weiter. Will man sich auf das Programm berufen, so muss man das schon so tun, wie es sich gehört, so muss man bedenken, dass die Parteimitglieder es ganz kennen, und darf nicht ein Stückchen herausgreifen und sich darauf beschränken, wie es Trotzki und Schljapnikow tun. Genossen, es ist historisch bewiesen, dass die Arbeiter sich nicht anders als nach Produktionszweigen zusammenschließen können. Deshalb sind alle in der ganzen Welt zu dem Gedanken der Industrieverbände gekommen. Natürlich, das ist einstweilen so. Man spricht von der Notwendigkeit, sich von zünftlerischer Beschränktheit frei zu machen. Nun, hat man sich auch nur zu einem Zehntel von ihr frei gemacht? Jeder, der aufrichtig sein will, wird sagen, dass man sich von ihr natürlich nicht frei gemacht hat. Warum also vergisst man das?

Wer sagt aber zu den Gewerkschaften: „Ihr habt euch noch nicht von der zünftlerischen Beschränktheit frei gemacht, müsst euch aber von ihr frei machen?“ Das sagt die KPR in ihrem Programm. Lest dieses Programm. Davon abweichen, heißt vom Programm zum Syndikalismus abweichen. Wie sehr man auch darauf anspielen mag, dass Lenin irgend jemanden schrecken will, so liegt doch das Programm vor. Den ersten Teil zitieren und den zweiten vergessen, heißt abweichen. Nach welcher Richtung? Nach der syndikalistischen! Ich lese weiter:

Die Gewerkschaften, die bereits auf Grund der Gesetze der Sowjetrepublik und der eingebürgerten Praxis an allen lokalen und zentralen Verwaltungsorganen der Industrie teilnehmen, müssen dahin gelangen, dass sie tatsächlich die ganze Verwaltung der gesamten Volkswirtschaft als eines einheitlichen wirtschaftlichen Ganzen in ihren Händen konzentrieren.“

Darauf berufen sich alle. Was wird hier gesagt? Eine ganz unstrittige Sache: „müssen dahin gelangen“. Es wird nicht gesagt, dass sie sofort dahin gelangen. Es wird nicht die Übertreibung gemacht, die man bloß zu machen braucht, damit Unsinn entstehe. Hier heißt es „gelangen“. Wohin? Zur Verwaltung und tatsächlichen Konzentrierung, Wann müsst ihr dahin gelangen? Dazu bedarf es der Erziehung. So erziehen, dass alle ohne Ausnahme zu verwalten verstehen und wissen, wie man es machen muss. Könnt ihr heute, ehrlich gesagt, behaupten, dass die Gewerkschaften für die Verwaltungsposten stets, in beliebiger Zahl, taugliche Verwalter stellen können? Für die Verwaltungsposten braucht man ja nicht sechs Millionen, aber vielleicht sechzigtausend, na, hunderttausend. Können sie sie aufbringen? Jeder, der sich nicht von Formeln und Thesen hinreißen lässt und nicht denen nachjagt, die am lautesten von allen schreien, wird sagen: nein, das können sie nicht, so weit ist es noch nicht. Der Partei stehen Jahre erzieherischer Arbeit bevor, angefangen von der Liquidierung des Analphabetentums bis zur Gesamtsumme der Arbeiten der Partei in den Gewerkschaften. Es gibt in den Gewerkschaften noch eine Unmenge zu tun, damit man wirklich dahin gelange. So heißt es auch: „müssen dahin gelangen, dass sie tatsächlich die ganze Verwaltung der gesamten Volkswirtschaft… in ihren Händen konzentrieren“. Es wird nicht gesprochen von den Industriezweigen, wie eben bei Trotzki in seinen Thesen. In einer der ersten Thesen wird genau zitiert. In der anderen wird von der Organisierung der Industrie gesprochen. Verzeihung, so darf man nicht zitieren. Wenn ihr Thesen schreibt, wenn ihr euch auf das Programm berufen wollt, dann lest bis zu Ende. Und jeder, der diesen Paragraph 5 von Anfang bis zu Ende liest, ein klein wenig nachdenkt, zehn Minuten darauf verwendet, wird sehen, dass Schljapnikow vom Programm abgewichen ist und dass Trotzki einen Sprung getan hat. Lest diesen Paragraph 5 zu Ende:

Indem die Gewerkschaften auf diese Weise ein unzerreißbares Band zwischen der zentralen staatlichen Verwaltung, der Volkswirtschaft und den breiten Massen der Werktätigen herstellen, müssen sie diese letzteren in breitestem Umfang in die unmittelbare Arbeit zur Führung der Wirtschaft hineinziehen. Die Teilnahme der Gewerkschaften an der Wirtschaftsführung un<f die durch sie betriebene Heranziehung der breiten Massen zu dieser Teilnahme ist gleichzeitig das Hauptmittel des Kampfes gegen die Bürokratisierung des Wirtschaftsapparats der Sowjetmacht und gibt die Möglichkeit, eine wirkliche Volkskontrolle über die Ergebnisse der Produktion zu schaffen.“

Schaut, zuerst müsst ihr dahin gelangen, tatsächlich zu konzentrieren. Heute aber, was gewährleistet ihr? – Erstens, die Verbindung zwischen der zentralen Staatsverwaltung. Das ist eine Riesenmaschinerie. Ihr habt uns noch nicht beigebracht, wie sie zu beherrschen sei. Also muss man die Verbindung erstens zwischen der zentralen Staatsverwaltung, zweitens der Volkswirtschaft und drittens der Masse sicherstellen. Haben wir diese Verbindung sichergestellt? Was, die Gewerkschaften können etwa verwalten? Leute, die das 30. Lebensjahr hinter sich haben und irgendeine Lebenserfahrung in Bezug auf den Sowjetaufbau besitzen, werden sich ja totlachen. Man lese nur:

Die Teilnahme .der Gewerkschaften an der Wirtschaftsführung und die durch sie betriebene Heranziehung der breiten Massen zu dieser Teilnahme ist gleichzeitig das Hauptmittel des Kampfes gegen die Bürokratisierung des Wirtschaftsapparats der Sowjetmacht und gibt die Möglichkeit, eine wirkliche Volkskontrolle über die Ergebnisse der Produktion zu schallen.“

Das erste ist: die Verbindung zwischen den zentralen staatlichen Apparaten gewährleisten. Wir verhehlen unsere Krankheiten nicht, und im Programm wird gesagt: sichert die Verbindung mit den Massen und, zweitens, die Teilnahme der Gewerkschaften an der Wirtschaftsführung. Hier werden keine großspurigen Worte gebraucht. Wenn ihr es so anstellt, dass ihr die Arbeitsversäumnisse verringert wie in Sonnowo, so werde ich doch sagen: man schreit aus Opposition; wenn ihr die Arbeitsversäumnisse nicht auf 30, sondern auf 3 Prozent herabsetzt, dann werden wir sagen: eine ausgezeichnete, nützliche und wertvolle Sache. „Die Teilnahme der Gewerkschaften an der Wirtschaftsführung und die durch sie betriebene Heranziehung der breiten Massen zu dieser Teilnahme.“ Das wird in dem Programm des heutigen Tages gesagt. Kein einziges Wort der Versprechung, nichts Großspuriges, nichts von der Art, dass ihr selbst wählen sollt, ist im Programm gesagt. Das Programm enthält keine Demagogie, es sagt, dass es unwissende, unentwickelte Massen gibt, dass es Gewerkschaften gibt, die so stark sind, dass sie die ganze Bauernschaft voran führen und selber der Führung der Partei folgen, die durch zwanzig Jahre Kampf mit dem Zarismus geschult Ist. Kein einziges Land hat so viel durchgemacht wie Russland. Das ist das Geheimnis, warum wir uns halten. Warum hält man das für ein Wunder? Weil in einem Bauernland nur die Gewerkschaften die Millionen heterogener Wirtschaften ökonomisch zusammenfassen können, wenn die Sechsmillionenmasse ihrer Partei vertraut, ihrer Partei so folgt, wie sie bisher folgte. Das ist das Geheimnis, wodurch wir uns halten. Wie die Sache klappt, ist eine politische Frage. Warum kann eine Minderheit in einem gewaltigen Bauernland regieren und warum sind wir unbesorgt? Nach der dreijährigen Erfahrung kann uns niemand in der Welt – weder äußere noch innere Kräfte – zerbrechen. Wenn wir nicht eine hanebüchene Dummheit begehen, die uns zu Spaltungen führt, werden wir unsere Position halten. Sonst wird uns der Teufel holen. Wenn also Genosse Schljapnikow in seiner Plattform sagt und schreibt:

Die Organisierung der Leitung der gesamten Volkswirtschaft obliegt dem Allrussischen Kongress der Produzenten, die in gewerkschaftlichen Produktionsverbänden zusammengeschlossen sind. Er wählt das Zentralorgan, das die gesamte Volkswirtschaft der Republik leitet“, so sage ich euch: Lest den Paragraph 5 ganz, den ich .euch aus unserem Programm verlesen habe, und ihr werdet sehen, dass weder Lenin noch sonst irgend jemand euch schreckt.

Schljapnikow sagte am Ende seiner Rede: „Mit den bürokratischen Verwaltungsmethoden muss man Schluss machen.“ Ich behaupte, das ist Demagogie. Die Frage des Bürokratismus setzen wir seit Juli vorigen Jahres auf die Tagesordnung. Im Juli vorigen Jahres, nach dem IX. Parteitag der KPR, wirft auch Preobraschenski die Frage auf, ob es nicht bei uns Extreme des Bürokratismus gäbe. Achtung! Im August bestätigt das Zentralkomitee den Brief Sinowjews: kämpft gegen den Bürokratismus. Im September trat die Parteikonferenz zusammen und bestätigte das. Also hat nicht Lenin einen neuen Weg ausgeheckt, wie Trotzki behauptet, sondern die Partei hat gesagt: „Es ist eine neue Wunde entstanden. Aufgepasst!“ Im Juli stellt Preobraschenski diese Frage, im August haben wir den Brief Sinowjews, im September die Parteikonferenz, im Dezember, auf dem Sowjetkongress, ein riesiges Referat über den Bürokratismus. Es war also eine Wunde entstanden. 1919 haben wir im Programm geschrieben, dass es bei uns Bürokratismus gibt. Wer euch vorschlägt, mit dem Bürokratismus sofort Schluss zu machen, ist ein Demagoge. Schljapnikow war immer so wie er jetzt ist, er hat nun einmal etwas davon. Schljapnikow lässt sich fortreißen, aber wenn die Arbeiteropposition, die Parteiarbeit verrichtet hat, solche Sachen sagt, so erklären wir: denkt nach über das, was ihr sagt. Wenn man hier vor euch auftritt und sagt: „Schluss mit dem Bürokratismus“, so ist das Demagogie. Das ist dummes Zeug. Gegen den Bürokratismus werden wir noch lange Jahre zu kämpfen haben, und wer anders darüber denkt, der treibt Scharlatanerie und Demagogie; denn um den Bürokratismus niederzuringen, braucht man Hunderte von Maßnahmen, braucht man allgemeine Schulbildung, allgemeine Kultur, allgemeine Teilnahme an der Arbeiter- und Bauerninspektion. Schljapnikow war Volkskommissar für Arbeit, war Volkskommissar für Handel und Industrie. Nun, hat er etwa mit dem Bürokratismus Schluss gemacht? Kisseljow saß in der Textilzentralstelle. Hat er etwa mit dem Bürokratismus Schluss gemacht?

Ich will noch einmal sagen: wenn sich alle unsere Kongresse in Sektionen teilen und Tatsachen über das Verwachsen bei den Mühlenarbeitern und den Arbeitern aus dem Donezbecken sammeln, dann werden wir wie Erwachsene handeln. Wenn wir aber eine ganze Reihe von unbrauchbaren Plattformen niedergeschrieben haben, so beweist das, dass wir nicht zu wirtschaften verstehen. Ich wiederhole: uns wird niemand zerbrechen, weder eine äußere noch eine innere Kraft, wenn wir es nicht zur Spaltung kommen lassen… Ich behaupte, das Zektran ist nicht nur ein Stock… Aber die Übertreibung in dieser Sache hat bis an die Spaltung geführt. Die Übertreibung des Bürokratismus kommt bei allen vor, das Zentralkomitee weiß das und trägt die Verantwortung dafür. In dieser Hinsicht besteht der Fehler des Genossen Trotzki darin, dass alle seine Thesen im entgegengesetzten Sinn geschrieben sind. Sie sind alle im Geist des Durchrüttelns geschrieben, und sie alle haben den Verband bis zur Spaltung gebracht. Es kommt nicht darauf an, dem Genossen Trotzki eine schlechte Note auszustellen, wir sind keine Schulkinder und wir brauchen keine Zensuren, sondern müssen sagen, dass die Thesen des Genossen Trotzki ihrem ganzen Inhalt nach falsch sind und deshalb abgelehnt werden müssen.

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