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Wladimir I. Lenin 19221113 Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Weltrevolution AW

Wladimir I. Lenin: Fünf Jahre russische Revolution

und die Perspektiven der Weltrevolution

Referat auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale am 13. November 1922

[Ausgewählte Werke, Band 10. Die Kommunistische Internationale. Moskau 1937, S. 315-329]

Genossen! Ich bin auf der Rednerliste als Hauptreferent angegeben, aber Sie werden verstehen, dass ich nach meiner langen Krankheit kein großes Referat halten kann. Ich kann nur eine Einleitung zu den wichtigsten Fragen geben. Mein Thema wird sehr begrenzt sein. Das Thema „Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Weltrevolution“ ist allzu umfassend und groß, als dass es überhaupt ein einziger Redner in einer einzigen Rede erschöpfen könnte. Darum greife ich für mich nur einen kleinen Teil dieses Themas heraus, nämlich die Frage der „neuen ökonomischen Politik“. Ich nehme absichtlich nur diesen kleinen Teil, um Sie mit dieser Frage bekannt zu machen, die jetzt die wichtigste ist, die wichtigste wenigstens für mich, weil ich jetzt gerade daran arbeite.

Ich werde also darüber sprechen, wie wir die neue ökonomische Politik begonnen und welche Ergebnisse wir durch diese Politik erzielt haben. Wenn ich mich auf diese Frage beschränke, so wird es mir vielleicht gelingen, Ihnen einen allgemeinen Überblick und eine allgemeine Vorstellung davon zu geben.

Wenn ich damit beginne, wie wir zu der neuen ökonomischen Politik gekommen sind, so muss ich mich auf einen Aufsatz berufen, den ich im Jahre 1918 geschrieben habe. Anfang 1918 habe ich nämlich in einer kurzen Polemik die Frage berührt, wie wir uns zum Staatskapitalismus zu stellen haben. Ich schrieb damals:

Der Staatskapitalismus wäre ein Schritt vorwärts gegenüber der jetzigen (d. h. gegenüber der damaligen) Lage der Dinge in unserer Sowjetrepublik. Wenn beispielsweise in einem halben Jahr bei uns der Staatskapitalismus eingeführt wäre, so wäre das ein gewaltiger Erfolg und die sicherste Garantie dafür, dass in einem Jahr bei uns der Sozialismus endgültig konsolidiert und unbesiegbar werden wird.“

Das wurde natürlich zu einer Zeit gesagt, als wir etwas dümmer waren als heute, aber doch nicht so dumm, dass wir solche Fragen nicht zu behandeln gewusst hätten.

Ich war also 1918 der Meinung, dass gegenüber dem damaligen wirtschaftlichen Zustand der Sowjetrepublik der Staatskapitalismus einen Schritt vorwärts darstellen würde. Das klingt sehr seltsam und vielleicht sogar widersinnig, denn schon damals war unsere Republik eine sozialistische Republik; wir trafen damals jeden Tag in größter Eile – wahrscheinlich mit überflüssiger Eile – allerlei neue Wirtschaftsmaßnahmen, die nicht anders als sozialistische genannt werden können. Und trotzdem meinte ich damals, dass der Staatskapitalismus im Vergleich zu der damaligen Wirtschaftslage der Sowjetrepublik einen Schritt vorwärts darstellt, und ich erläuterte diesen Gedanken dann weiter damit, dass ich einfach die Grundelemente der wirtschaftlichen Struktur Russlands aufzählte. Diese Elemente waren nach meiner Meinung die folgenden: „1. die patriarchalische, d. h. die primitivste Form der Landwirtschaft; 2. die kleine Warenproduktion (hierzu gehört auch die Mehrheit der Bauernschaft, die mit Getreide handelt); 3. der Privatkapitalismus; 4. der Staatskapitalismus und 5. der Sozialismus.“ Alle diese Wirtschaftselemente waren im damaligen Russland vertreten. Ich stellte mir damals die Aufgabe, klarzumachen, in welchem Verhältnis diese Elemente zueinander stehen und ob nicht eines von den nichtsozialistischen Elementen, nämlich der Staatskapitalismus, höher zu werten sei als der Sozialismus. Ich wiederhole: es wird jedermann überaus seltsam erscheinen, dass in einer Republik, die sich für sozialistisch erklärt, ein nichtsozialistisches Element höher angeschlagen wird als der Sozialismus, als etwas Höherstehendes anerkannt wird. Doch die Sache wird verständlich, wenn Sie sich erinnern, dass wir die wirtschaftliche Struktur Russlands nicht als etwas Gleichartiges und Hochentwickeltes betrachteten, sondern uns in vollem Maße bewusst waren, dass wir in Russland den patriarchalischen Ackerbau, d. h. die primitivste Form des Ackerbaus neben der sozialistischen Form haben. Was für eine Rolle aber könnte der Staatskapitalismus in einer solchen Situation spielen?

Ich frage mich weiter: welches von diesen Elementen ist das vorherrschende? Es ist klar, dass in einem kleinbürgerlichen Milieu das kleinbürgerliche Element das herrschende ist. Ich war mir damals bewusst, dass das kleinbürgerliche Element vorherrscht; anders zu denken war unmöglich. Die Frage, die ich mir damals stellte – es war in einer speziellen Polemik, die nicht zur heutigen Frage gehört –, war diese: wie stellen wir uns zum Staatskapitalismus? Und ich gab mir zur Antwort: der Staatskapitalismus, obwohl er keine sozialistische Form ist, wäre für uns und für Russland eine günstigere Form als die gegenwärtige. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir weder die Keime noch die Ansätze der sozialistischen Wirtschaft überschätzten, obgleich wir bereits die soziale Revolution vollbracht hatten; im Gegenteil, wir waren uns schon damals bis zu einem gewissen Grade darüber klar: jawohl, es wäre besser, wenn wir vorher zum Staatskapitalismus und dann erst zum Sozialismus kämen.

Ich muss diesen Teil ganz besonders betonen, weil man, glaube ich, nur von diesem Ausgangspunkt aus erstens erklären kann, was die gegenwärtige ökonomische Politik darstellt, und zweitens daraus auch für die Kommunistische Internationale wichtige praktische Schlussfolgerungen ziehen kann. Ich will nicht sagen, dass wir schon einen im Voraus fertigen Rückzugsplan hatten. Das war nicht der Fall. Diese kurzen polemischen Zeilen waren zu jener Zeit keinesfalls ein Plan zum Rückzug. Von der Freiheit des Handels z. B. – ein sehr wichtiger Punkt und für den Staatskapitalismus von grundlegender Bedeutung – steht hier kein Wort. Immerhin war eine allgemeine, eine vage Idee des Rückzugs darin bereits gegeben. Ich glaube, dass wir nicht nur vom Standpunkt eines Landes aus, das nach seiner wirtschaftlichen Struktur sehr zurückgeblieben war und es bis heute noch ist, sondern auch vom Standpunkt der Kommunistischen Internationale und der westeuropäischen fortgeschrittenen Länder aus unser Augenmerk darauf richten müssen. Gegenwärtig sind wir z. B. mit der Ausarbeitung des Programms beschäftigt. Ich persönlich meine, wir würden am besten daran tun, wenn wir jetzt alle Programme nur im allgemeinen, sozusagen in erster Lesung behandelten und sie drucken ließen, endgültig aber nicht sofort, nicht in diesem Jahre darüber Beschluss fassten Warum? Zunächst natürlich darum, glaube ich, weil wir sie schwerlich alle gut durchdacht haben, Weiter aber auch noch darum, weil wir die Frage eines möglichen Rückzugs und der Sicherung dieses Rückzugs fast gar nicht durchdacht haben. Das aber ist eine Frage, auf die wir bei so grundlegenden Veränderungen in der ganzen Welt, wie dem Sturz des Kapitalismus und dem Aufbau des Sozialismus mit seinen gewaltigen Schwierigkeiten, unbedingt unser Augenmerk richten müssen. Wir müssen nicht nur wissen, wie wir zu handeln haben, wenn wir unmittelbar zum Angriff übergehen und dabei siegreich sind. Das ist in revolutionären Zeiten gar nicht so schwer, aber es ist auch nicht so wichtig, zum mindesten ist es nicht das Entscheidendste. Während der Revolution gibt es immer Momente, wo der Gegner den Kopf verliert, und wenn wir ihn in einem solchen Moment angreifen, so können wir leicht siegen. Aber das bedeutet noch nichts, weil unser Gegner, wenn er ruhig überlegt, vorher seine Kräfte sammeln kann usw. Er kann uns dann leicht zu einem Angriff provozieren und uns daraufhin auf viele Jahre hinaus zurückwerfen. Ich meine also, dass der Gedanke, dass wir uns die Möglichkeit des Rückzugs vorbereiten müssen, sehr große Bedeutung hat, und nicht allein vom theoretischen Standpunkt aus. Auch vom praktischen Standpunkt aus müssen alle Parteien, die sich anschicken, in nächster Zeit zu einem direkten Angriff gegen den Kapitalismus überzugehen, auch noch daran denken, wie der Rückzug zu sichern sei. Ich denke, wenn wir diese Lehre neben allen anderen Lehren aus der Erfahrung unserer Revolution in Betracht ziehen, so wird uns das nicht nur keinen Schaden sondern höchstwahrscheinlich in vielen Fällen Nutzen bringen.

Nachdem ich nun betont habe, dass wir schon 1918 den Staatskapitalismus als eine mögliche Rückzugslinie betrachtet haben, gehe ich zu den Resultaten unserer neuen ökonomischen Politik über. Ich wiederhole: damals war das noch eine ganz unklare Idee, aber 1921, nachdem wir die wichtigste Etappe des Bürgerkrieges zurückgelegt, und zwar siegreich zurückgelegt hatten, stießen wir auf eine große – ich nehme an, auf die allergrößte – innere politische Krise Sowjetrusslands, die zur Unzufriedenheit eines erheblichen Teils nicht nur der Bauernschaft sondern auch der Arbeiterschaft führte. Das war das erste und, ich hoffe, das letzte Mal in der Geschichte Sowjetrusslands, dass große Massen der Bauernschaft, wenn auch nicht bewusst, so doch instinktiv, stimmungsgemäß gegen uns waren. Wodurch wurde diese eigentümliche und für uns selbstverständlich sehr unangenehme Lage hervorgerufen? Die Ursache war die, dass wir in unserer ökonomischen Offensive allzu weit vorgestoßen waren, dass wir uns nicht eine genügende Basis gesichert hatten, dass die Massen das fühlten, was wir damals noch nicht bewusst zu formulieren verstanden, was aber auch wir bald, nach einigen Wochen, anerkannten, nämlich: dass der unmittelbare Übergang zu rein sozialistischen Formen, zur rein sozialistischen Verteilung unsere Kräfte übersteigt und dass uns der Untergang droht, wenn wir nicht imstande sein werden, einen Rückzug vorzunehmen, derart, dass wir uns auf leichtere Aufgaben beschränken. Die Krise begann, wie mir scheint, im Februar 1921. Schon im Frühjahr desselben Jahres beschlossen wir einstimmig – große Differenzen habe ich bei diesem Anlass nicht gesehen –, zur neuen ökonomischen Politik überzugehen. Heute, nach anderthalb Jahren, Ende 1922, sind wir schon imstande, einige Vergleiche anzustellen. Was ist geschehen? Wie haben wir diese mehr als anderthalb Jahre überstanden? Was ist das Resultat? Hat uns dieser Rückzug Nutzen gebracht, und hat er uns wirklich gerettet, oder ist das Resultat noch unbestimmt? Das ist die Hauptfrage, die ich mir stelle, und ich bin der Ansicht, dass diese Hauptfrage auch für alle kommunistischen Parteien größte Bedeutung hat, denn wenn die Antwort verneinend ausfiele, so wären wir alle dem Untergang geweiht. Ich glaube, dass wir diese Frage mit ruhigem Gewissen bejahend beantworten können, in dem Sinne nämlich, dass die abgelaufenen anderthalb Jahre positiv und absolut beweisen, dass wir dieses Examen bestanden haben.

Ich werde das jetzt zu beweisen versuchen. Ich muss dazu kurz alle Bestandteile unserer Wirtschaft aufzählen.

Vor allem werde ich auf unser Finanzsystem und auf den berühmten russischen Rubel eingehen. Ich denke, dass man den russischen Rubel für berühmt halten kann, und sei es auch nur deshalb, weil die Menge dieser Rubel jetzt die Quadrillion übersteigt. Das ist schon etwas. Das ist eine astronomische Ziffer. Ich bin überzeugt, dass hier nicht einmal alle wissen, was diese Ziffer bedeutet. Doch halten wir diese Zahlen, und zwar vom Standpunkt der ökonomischen Wissenschaft aus, für nicht allzu wichtig, denn man kann ja die Nullen streichen. Wir haben in dieser Kunst, die vom ökonomischen Standpunkt aus ebenfalls völlig unwichtig ist, schon etwas geleistet, und ich bin überzeugt, dass wir im weiteren Verlauf der Dinge noch viel Größeres in dieser Kunst leisten werden. Was wirklich wichtig ist, das ist die Frage der Stabilisierung des Rubels. An dieser Frage arbeiten wir, arbeiten unsere besten Kräfte, und dieser Aufgabe messen wir entscheidende Bedeutung bei. Gelingt es uns, den Rubel für eine längere Zeit und dann für immer zu stabilisieren, so haben wir gewonnenes Spiel. Dann sind alle diese astronomischen Ziffern, alle die Trillionen und Quadrillionen ein Nichts. Dann werden wir unsere Wirtschaft auf festen Grund stellen und auf festem Grund weiterentwickeln können. Zu dieser Frage glaube ich Ihnen ziemlich wichtige und entscheidende Tatsachen anführen zu können. Im Jahre 1921 dauerte die Periode der Stabilität des Papierrubelkurses weniger als drei Monate. Im gegenwärtigen Jahre 1922, das freilich noch nicht beendet ist, dauerte diese Periode länger als fünf Monate. Ich glaube, dass das schon genügt. Das genügt natürlich nicht, wenn Sie von uns den wissenschaftlichen Beweis dafür haben wollen, dass wir diese Aufgabe in Zukunft restlos lösen werden. Doch das vollständig und restlos zu beweisen, ist nach meiner Meinung überhaupt unmöglich. Die mitgeteilten Angaben beweisen, dass wir seit dem vergangenen Jahre, als wir unsere neue ökonomische Politik begannen, bis zum heutigen Tage bereits gelernt haben, vorwärts zu geben. Wenn wir das gelernt haben, so bin ich überzeugt, dass wir auch fernerhin lernen werden, auf diesem Wege weitere Erfolge zu erreichen, wenn wir nur nicht irgendeine besondere Dummheit begehen. Das Wichtigste ist jedoch der Handel, nämlich der Warenumsatz, den wir brauchen. Und wenn wir mit ihm im Verlaufe zweier Jahre fertig geworden sind, trotzdem wir uns im Kriegszustand befunden haben – Sie wissen, dass Wladiwostok erst vor wenigen Wochen genommen worden ist –, trotzdem wir erst jetzt anfangen können, unsere wirtschaftliche Tätigkeit völlig systematisch zu betreiben – wenn wir trotzdem erreicht haben, dass sich die Stabilitätsperiode des Papierrubels von drei Monaten auf fünf erhöht hat, so glaube ich sagen zu dürfen, dass wir damit zufrieden sein können. Wir stehen doch allein. Wir haben keine Anleihen erhalten und erhalten keine. Von jenen mächtigen kapitalistischen Staaten, die ihre kapitalistische Wirtschaft so „glänzend" organisieren, dass sie auch heute noch nicht wissen, wohin sie gehen, hat uns kein einziger geholfen. Mit dem Versailler Frieden haben sie ein Finanzsystem geschaffen, in dem sie sich selber nicht zurechtfinden. Wenn diese großen kapitalistischen Staaten so wirtschaften, so nehme ich an, dass wir rückständigen und ungebildeten Leute schon damit zufrieden sein können, dass wir das Wichtigste, die Bedingungen für die Stabilisierung des Rubels, begriffen haben. Das wird nicht durch irgendeine theoretische Analyse sondern durch die Praxis bewiesen, und die ist, denke ich, wichtiger als alle theoretischen Diskussionen auf der Welt. Die Praxis aber zeigt, dass wir hier entscheidende Resultate erzielt haben, nämlich dass wir anfangen, die Wirtschaft in die Richtung auf die Stabilisierung des Rubels zu bringen, was für den Handel, für den freien Warenumsatz, für die Bauern und für die gewaltige Masse der Kleinproduzenten von der allergrößten Bedeutung ist.

Nunmehr gehe ich zu unseren sozialen Zielen über. Das Wichtigste ist natürlich die Bauernschaft. Im Jahre 1921 standen wir unbedingt der Unzufriedenheit eines gewaltigen Teils der Bauernschaft gegenüber. Dann hatten wir die Hungersnot. Und das bedeutete für die Bauernschaft die allerschwerste Prüfung. Und es ist vollkommen natürlich, dass das ganze Ausland damals schrie: „Da, seht ihr, da habt ihr die Resultate der sozialistischen Ökonomie“ Es war selbstverständlich ganz natürlich, dass sie darüber schwiegen, dass die Hungersnot in Wirklichkeit das ungeheuerliche Resultat des Bürgerkrieges war. Alle die Gutsbesitzer und Kapitalisten, die 1918 die Offensive gegen uns begonnen hatten, stellten die Sache so dar, als ob die Hungersnot das Resultat der sozialistischen Ökonomie sei. Die Hungersnot war wirklich ein großes und ernstes Unglück, ein Unglück, das unsere ganze organisatorische und revolutionäre Arbeit zu vernichten drohte.

Also frage ich jetzt: wie stehen die Dinge heute, nach diesem noch nie dagewesenen und unerwarteten Elend, nachdem wir die neue ökonomische Politik eingeführt, nachdem wir den Bauern die Freiheit des Handels gewährt haben? Die Antwort ist klar und steht jedermann deutlich vor Augen, nämlich: die Bauernschaft ist in einem einzigen Jahre nicht nur mit der Hungersnot fertig geworden, sondern hat auch die Naturalsteuer in solchem Umfang abgeliefert, dass wir schon jetzt Hunderte von Millionen Pud erhalten haben, und dabei fast ohne Anwendung irgendwelcher Zwangsmaßnahmen. Die Bauernaufstände, die früher, bis zum Jahre 1921 sozusagen das allgemeine Bild Russlands bestimmt haben, sind fast vollständig verschwunden. Die Bauernschaft ist mit ihrer gegenwärtigen Lage zufrieden. Das können wir ruhig behaupten. Wir sind der Meinung, dass diese Beweise wichtiger sind als irgendwelche, statistischen Nachweise. Dass die Bauernschaft bei uns ein entscheidender Faktor ist, das bezweifelt niemand. Diese Bauernschaft befindet sich jetzt in einer solchen Verfassung, dass wir von ihrer Seite keinerlei Bewegung gegen uns zu befürchten haben. Wir sagen das mit vollem Bewusstsein, ohne Übertreibung. Das ist bereits erreicht. Die Bauernschaft mag mit dieser oder jener Seite der Arbeit unserer Staatsmacht unzufrieden sein, sie mag klagen. Das ist natürlich möglich und unvermeidlich, weil unser Apparat und unsere Staatswirtschaft noch zu schlecht sind, als dass dem vorgebeugt werden könnte, doch ist irgendeine ernsthafte Unzufriedenheit der gesamten Bauernschaft mit uns jedenfalls vollkommen ausgeschlossen. Das ist im Laufe eines einzigen Jahres erreicht worden. Ich glaube, dass das schon sehr viel ist.

Ich gehe nun weiter zur Leichtindustrie über. Wir müssen nämlich in der Industrie unterscheiden zwischen der Schwer- und der Leichtindustrie, da sich beide in verschiedener Lage befinden. Was die Leichtindustrie betrifft, so kann ich ruhig sagen: hier ist ein allgemeiner Aufschwung zu beobachten. Ich werde mich auf Einzelheiten nicht einlassen. Es gehört nicht zu meiner Aufgabe, statistische Angaben anzuführen. Doch ist dieser allgemeine Eindruck auf Tatsachen begründet, und ich kann dafür garantieren, dass ihm nichts Unrichtiges oder Ungenaues zugrunde liegt. Wir können einen allgemeinen Aufschwung der Leichtindustrie und in Verbindung damit eine bestimmte Besserung der Lage der Arbeiter in Petrograd wie in Moskau feststellen. In anderen Bezirken ist das in geringerem Grade zu beobachten, weil dort die Schwerindustrie vorherrscht, so dass man das nicht verallgemeinern soll. Doch ich wiederhole: die Leichtindustrie ist unbedingt im Aufstieg begriffen, und die Besserung der Lage der Petrograder und Moskauer Arbeiter steht außer Zweifel. In beiden Städten herrschte im Frühjahr 1921 unter den Arbeitern Unzufriedenheit. Heute ist das nicht der Fall. Wir, die wir die Lage und die Stimmung der Arbeiter Tag für Tag verfolgen, irren uns in dieser Frage nicht.

Die dritte Frage betrifft die Schwerindustrie. Hier muss ich sagen, dass die Lage immer noch schwer bleibt. Eine gewisse Wendung in dieser Lage ist 1921 eingetreten. Wir können also hoffen, dass sich die Lage in nächster Zukunft bessern wird. Die Mittel dazu haben wir zum Teil schon zusammengebracht. In einem kapitalistischen Land wäre zur Besserung der Lage der Schwerindustrie eine Anleihe in der Höhe von Hunderten von Millionen erforderlich, ohne die eine Besserung unmöglich wäre. Die Wirtschaftsgeschichte der kapitalistischen Länder beweist, dass in zurückgebliebenen Ländern nur langfristige Hundertmillionenanleihen in Dollars oder Goldrubeln das Mittel zur Hebung der Schwerindustrie sein könnten. Wir hatten diese Anleihen nicht und haben bisher nichts bekommen. Was man jetzt über Konzessionen und anderes schreibt, stellt nahezu nichts anderes dar als bloßes Papier. Geschrieben haben wir darüber in der letzten Zeit viel, insbesondere auch über die Urquhart-Konzession. Doch scheint mir unsere Konzessionspolitik sehr gut. Trotzdem aber haben wir noch keine erträgliche Konzession. Das bitte ich nicht zu vergessen. Die Lage der Schwerindustrie stellt somit für unser zurückgebliebenes Land ein sehr schweres Problem dar, da wir auf Anleihen in reichen Ländern nicht haben rechnen können. Trotzdem beobachten wir bereits eine merkliche Besserung, und wir sehen ferner, dass unsere Handelstätigkeit uns schon einiges Kapital eingebracht hat. Allerdings ein einstweilen sehr bescheidenes Kapital, um weniges mehr als zwanzig Millionen Goldrubel. Jedenfalls, der Grund ist gelegt: unser Handel liefert uns Mittel, die wir zur Besserung der Lage der Schwerindustrie verwenden können. Zur Zeit befindet sich unsere Schwerindustrie jedenfalls noch in einer sehr schweren Situation. Doch nehme ich an, dass wir schon imstande sind, gewisse Ersparnisse zu machen. Das werden wir auch fernerhin tun. Obwohl das häufig auf Kosten der Bevölkerung geschieht, müssen wir jetzt dennoch sparen. Wir arbeiten jetzt daran, unser Staatsbudget einzuschränken, unseren Staatsapparat einzuschränken. Ich werde über unseren Staatsapparat noch im weiteren einige Worte sagen. Wir müssen auf jeden Fall unseren Staatsapparat einschränken, wir müssen sparen, soweit dies nur möglich ist. Wir sparen an allem, sogar an den Schulen. Das muss sein, weil wir wissen, dass wir ohne die Rettung der Schwerindustrie, ohne ihren Wiederaufbau keine Industrie aufbauen können, dass wir aber ohne diese überhaupt zugrunde gehen werden als selbständiges Land. Das wissen wir sehr wohl.

Die Rettung für Russland ist nicht allein eine gute Ernte in der Bauernwirtschaft – das ist noch zu wenig – und nicht nur ein guter Zustand der Leichtindustrie, die der Bauernschaft die Gebrauchsgegenstände liefert – das ist auch noch zu wenig –, wir brauchen auch eine Schwerindustrie. Aber um sie auf einen guten Stand zu bringen, dazu braucht es der Arbeit vieler Jahre.

Die Schwerindustrie braucht Staatszuschüsse. Wenn wir sie nicht aufbringen, so sind wir als zivilisierter Staat – ich sage schon gar nicht: als sozialistischer – verloren. In dieser Beziehung haben wir also einen entschiedenen Schritt vorwärts gemacht. Wir haben die Mittel beschafft, die notwendig sind, um die Schwerindustrie auf eigene Beine zu stellen. Die Summe, die wir bis jetzt aufgebracht haben, übersteigt allerdings kaum zwanzig Millionen Goldrubel, doch ist diese Summe jedenfalls da, und sie ist allein dafür bestimmt, unsere Schwerindustrie zu heben.

Ich glaube, dass ich Ihnen im Allgemeinen in Kürze, wie ich es versprochen habe, die wichtigsten Elemente unserer Volkswirtschaft vor Augen geführt habe, und ich glaube, dass man aus alledem den Schluss ziehen kann, dass die neue ökonomische Politik schon jetzt ein Plus gebracht hat. Wir haben schon jetzt den Beweis dafür, dass wir als Staat imstande sind, Handel zu treiben, unsere festen Positionen in Landwirtschaft und Industrie zu halten und vorwärtszuschreiten. Das hat die praktische Tätigkeit bewiesen. Ich denke, dass uns das einstweilen genügt. Wir werden noch viel lernen müssen, und wir haben begriffen, dass wir noch lernen müssen. Fünf Jahre lang halten wir die Macht, und dabei haben wir uns alle diese fünf Jahre hindurch im Kriegszustand befunden. Wir haben also Erfolg gehabt.

Das ist verständlich, weil die Bauernschaft für uns war. Schwerlich ist es möglich, noch mehr für uns zu sein, als es die Bauernschaft war. Sie verstand, dass hinter den Weißen die Gutsbesitzer stehen, die sie mehr als alles auf der Welt hasst. Und darum trat die Bauernschaft mit allem Enthusiasmus, mit aller Ergebenheit für uns ein. Es war nicht schwer zu erreichen, dass die Bauernschaft uns gegen die Weißen verteidigte. Die Bauern, die den Krieg vordem gehasst hatten, taten alles, was möglich war, für den Krieg gegen die Weißen, für den Bürgerkrieg gegen die Gutsbesitzer. Nichtsdestoweniger war das noch nicht alles, weil es hier im Wesentlichen nur darum ging, ob die Macht in den Händen der Gutsbesitzer oder der Bauern bleiben wird. Für uns war das ungenügend. Die Bauern verstehen, dass wir die Macht für die Arbeiter ergriffen und das Ziel vor uns haben, mit Hilfe dieser Macht die sozialistische Ordnung zu schaffen. Darum war für uns das Wichtigste die ökonomische Vorbereitung der sozialistischen Wirtschaft. Wir konnten sie nicht auf direktem Weg vorbereiten. Wir waren gezwungen, das auf Umwegen zu tun. Der Staatskapitalismus, wie wir ihn bei uns hergestellt haben, ist ein eigenartiger Staatskapitalismus. Er entspricht nicht dem gewöhnlichen Begriff des Staatskapitalismus. Wir halten alle Kommandohöhen in unseren Händen, wir haben den Grund und Boden in unserer Hand, er gehört dem Staat. Das ist sehr wichtig, obgleich unsere Gegner die Sache so darstellen, als ob das nichts bedeutet. Das ist falsch. Der Umstand, dass der Grund und Boden dem Staat gehört, ist außerordentlich wichtig und hat auch in ökonomischer Hinsicht große praktische Bedeutung. Das haben wir erreicht, und ich muss sagen, dass sich auch unsere ganze weitere Tätigkeit nur innerhalb dieses Rahmens entwickeln darf. Wir haben bereits erreicht, dass unsere Bauernschaft zufrieden ist, dass die Industrie auflebt und dass der Handel auflebt. Ich habe schon gesagt, dass sich unser Staatskapitalismus vom buchstäblich aufgefassten Staatskapitalismus dadurch unterscheidet, dass wir nicht nur den Grund und Boden sondern auch alle wichtigsten Teile der Industrie in Händen des proletarischen Staates halten. Wir haben vor allem einen gewissen Teil der kleinen und mittleren Industrie in Pacht gegeben, alles übrige dagegen bleibt in unseren Händen. Was den Handel betrifft, so möchte ich noch betonen, dass wir bemüht sind, gemischte Gesellschaften zu gründen, dass wir sie bereits gründen, d. h. Gesellschaften, in denen ein Teil des Kapitals Privatkapitalisten, und zwar ausländischen, gehört, der andere Teil aber uns. Erstens lernen wir auf diese Weise Handel treiben, und das haben wir nötig, und zweitens haben wir immer, falls wir das nötig finden, die Möglichkeit, eine solche Gesellschaft zu liquidieren, so dass wir sozusagen nichts riskieren. Beim Privatkapitalisten gehen wir in die Lehre und suchen herauszubekommen, wie wir in die Höhe kommen können und was für Fehler wir begehen. Mir scheint, dass ich mich darauf beschränken kann.

Ich möchte noch einige unerhebliche Punkte berühren.

Es ist zweifellos, dass wir eine gewaltige Menge Dummheiten gemacht haben und noch mehr machen werden. Niemand kann das besser beurteilen und deutlicher sehen als ich.

Warum aber machen wir Dummheiten? Das ist verständlich: erstens sind wir ein zurückgebliebenes Land, zweitens ist die Bildung in unserem Lande minimal, drittens erhalten wir keine Hilfe. Kein einziger zivilisierter Staat hilft uns. Im Gegenteil, sie arbeiten alle gegen uns. Viertens ist unser Staatsapparat schuld. Wir haben den alten Staatsapparat übernommen, und das war unser Unglück. Der Staatsapparat arbeitet sehr häufig gegen uns. Die Sache war die, dass 1917, nachdem wir die Macht ergriffen hatten, der Staatsapparat uns sabotierte. Wir erschraken damals sehr und baten: „Kommt, bitte, zu uns zurück.“ Und da kehrten sie nun alle zurück, und das war unser Unglück. Wir haben jetzt gewaltige Massen von Angestellten, aber wir haben nicht genügend geschulte Kräfte, über die wir wirklich verfügen können. Tatsächlich geschieht es sehr oft, dass der Apparat hier oben, wo wir die Staatsmacht haben, einigermaßen funktioniert, dass sie aber unten, wo sie verfügen, es so tun, dass sie oft gegen unsere Maßnahmen arbeiten. Oben haben wir, ich weiß nicht wie viel, aber ich denke, jedenfalls nur einige Tausend, höchstens einige Zehntausend von den Unsrigen. Unten aber sind es Hunderttausende alter, vom Zaren und von der bürgerlichen Gesellschaft übernommener Beamten, die teils bewusst, teils unbewusst gegen uns arbeiten. Hier lässt sich in kurzer Frist nichts machen, das ist ganz sicher. Hier müssen wir viele Jahre lang arbeiten, um den Apparat zu vervollkommnen, ihn zu verändern und neue Kräfte heranzuziehen. Wir machen das in ziemlich schnellem, vielleicht zu schnellem Tempo. Es sind Sowjetschulen, Arbeiterfakultäten gegründet, einige Hunderttausend junger Leute lernen, lernen vielleicht zu rasch, aber jedenfalls hat die Arbeit besonnen, und ich denke, dass diese Arbeit ihre Früchte tragen wird. Wenn wir nicht zu hastig arbeiten, so werden wir in einigen Jahren eine Masse junger Leute haben, die imstande sein werden, unseren Apparat von Grund auf zu ändern.

Ich habe gesagt, dass wir eine gewaltige Menge Dummheiten begangen haben, aber ich muss in dieser Hinsicht auch etwas über unsere Gegner sagen. Wenn unsere Gegner uns Vorhaltungen machen und sagen, Lenin selbst gebe ja zu, dass die Bolschewiki eine gewaltige Menge Dummheiten begangen haben, so will ich darauf antworten: Jawohl, aber, wisst ihr, unsere Dummheiten sind doch von ganz anderer Art als die eurigen. Wir haben erst angefangen zu lernen, aber wir lernen in solch systematischer Weise, dass wir überzeugt sind, dass wir gute Resultate erzielen werden. Doch wenn unsere Gegner, d. h. die Kapitalisten und die Helden der II. Internationale, die von uns begangenen Dummheiten hervorheben, so gestatte ich mir hier zum Vergleich die Worte eines berühmten russischen Schriftstellers anzuführen, die ich ein wenig ändere; sie sehen dann so aus: wenn die Bolschewiki Dummheiten machen, so sagt der Bolschewik: „Zweimal zwei ist fünf“; wenn aber seine Gegner, d. h. die Kapitalisten und die Helden der II. Internationale, Dummheiten machen, so kommt bei ihnen heraus: „Zweimal zwei ist Stearinkerze.“1 Das ist nicht schwer zu beweisen. Nehmen Sie zum Beispiel den von Amerika, England, Frankreich, Japan mit Koltschak abgeschlossenen Vertrag. Ich frage Sie: gibt es aufgeklärtere und stärkere Mächte in der Welt? Und was kam heraus? Sie versprachen Koltschak Hilfe, ohne eine Berechnung angestellt zu haben, ohne zu überlegen, ohne zu beobachten. Das war ein Fiasko, das sich meiner Meinung nach vom Gesichtspunkt des menschlichen Verstandes aus sogar schwer begreifen lässt.

Oder ein anderes, noch näher liegendes und wichtigeres Beispiel: der Versailler Frieden. Ich frage Sie: was haben da die „großen“, die „ruhmbedeckten“ Mächte getan? Wie können sie jetzt aus diesem Chaos und aus dieser Sinnlosigkeit einen Ausweg finden? Ich denke, es wird keine Übertreibung sein, wenn ich noch einmal sage, das unsere Dummheiten noch nichts sind im Vergleich mit den Dummheiten, die die kapitalistischen Staaten, die kapitalistische Welt und die II. Internationale alle miteinander machen. Deshalb meine ich, dass die Perspektiven der Weltrevolution – das Thema, das ich kurz berühren soll – günstig sind. Und unter einer bestimmten Bedingung, glaube ich, werden sie noch besser werden, Über diese Bedingung möchte ich einige Worte sagen.

Im Jahre 1921, auf dem III. Kongress, haben wir eine Resolution über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien und über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit angenommen. Die Resolution ist ausgezeichnet, aber sie ist fast durch und durch russisch, d. h. alles ist den russischen Verhältnissen entnommen. Das ist ihre gute Seite, aber auch ihre schlechte. Deshalb schlecht, weil ich überzeugt bin, dass nahezu kein Ausländer sie durchlesen kann – ich habe diese Resolution noch einmal durchgelesen, bevor ich das sagte. Erstens ist sie zu lang, sie hat 50 oder mehr Paragraphen. Solche Sachen können Ausländer gewöhnlich nicht lesen. Zweitens, selbst wenn man sie lesen wird, so wird sie von den Ausländern kein einziger verstehen, eben deshalb, weil sie zu russisch ist. Nicht deshalb, weil sie russisch geschrieben ist – sie ist vortrefflich in alle Sprachen übersetzt –, sondern weil sie durch und durch von russischem Geist durchdrungen ist. Und drittens, wenn sie ausnahmsweise irgendein Ausländer verstehen wird, so wird er sie nicht durchführen können. Das ist ihr dritter Mangel. Ich habe mit einigen hier eingetroffenen Delegierten gesprochen, und ich hoffe, im weiteren Verlauf des Kongresses, wenn auch nicht persönlich an ihm teilzunehmen – das ist mir leider unmöglich –, so doch mit einer größeren Zahl von Delegierten aus verschiedenen Ländern ausführlich zu sprechen. Mein Eindruck ist, dass wir mit dieser Resolution einen großen Fehler begangen haben, nämlich dass wir uns selbst den Weg zum weiteren Erfolg abgeschnitten haben. Wie gesagt, die Resolution ist ausgezeichnet abgefasst, ich unterschreibe alle ihre 50 oder mehr Paragraphen. Aber wir haben nicht verstanden, wie man mit unserer russischen Erfahrung an die Ausländer herankommen soll. Alles, was in der Resolution gesagt wird, ist toter Buchstabe geblieben. Doch wenn wir das nicht begreifen, so werden wir nicht vorwärtskommen können. Ich glaube, dass für uns alle, für die Russen ebenso wie für die ausländischen Genossen, das Wichtigste ist, dass wir nach fünf Jahren russischer Revolution lernen müssen. Wir haben erst jetzt die Möglichkeit zum Lernen erhalten. Ich weiß nicht, wie lange diese Möglichkeit dauern wird. Ich weiß nicht, wie lange uns die kapitalistischen Mächte die Möglichkeit zum ruhigen Lernen geben werden. Doch müssen wir jeden von Kampftätigkeit, von Krieg freien Augenblick zum Lernen, und zwar zum Lernen von Grund auf benutzen.

Die ganze Partei und alle Schichten Russlands beweisen das durch ihren Wissensdrang. Dieses Streben zum Lernen zeigt, dass es für uns die wichtigste Aufgabe ist: zu lernen und zu lernen. Aber auch die ausländischen Genossen sollen lernen, nicht in dem Sinne, wie wir lernen – lesen, schreiben und das Gelesene verstehen, was uns noch Not tut. Man streitet darüber, ob das zur proletarischen oder zur bürgerlichen Kultur gehört. Ich lasse diese Frage offen. Fest steht jedenfalls: wir müssen vor allem lesen, schreiben und das Gelesene verstehen lernen. Die Ausländer haben das nicht nötig. Was sie nötig haben, ist schon etwas Höheres: hierher gehört vor allem auch, dass sie ebenfalls verstehen, was wir über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien geschrieben und was die ausländischen Genossen unterschrieben haben, ohne es zu lesen und ohne es zu verstehen. Das muss ihre erste Aufgabe werden. Man muss diese Resolution zur Ausführung bringen. Das lässt sich nicht in einer einzigen Nacht machen, das ist absolut unmöglich. Die Resolution ist zu russisch: sie widerspiegelt die russische Erfahrung, deshalb ist sie für Ausländer völlig unverständlich, und sie können sich nicht damit zufriedengeben, dass sie sie wie ein Heiligenbild in die Ecke hängen und davor ihr Gebet verrichten. Damit lässt sich nichts erreichen. Sie müssen ein anständiges Stück russischer Erfahrung verdauen. Wie das geschehen wird, das weiß ich nicht. Vielleicht werden uns zum Beispiel die Faschisten in Italien damit große Dienste erweisen, dass sie den Italienern klarmachen werden, dass sie noch nicht genügend aufgeklärt sind und dass ihr Land noch nicht gegen die Schwarzen Hundert gefeit ist. Vielleicht wird das sehr nützlich sein. Wir Russen müssen gleichfalls Mittel und Wege suchen, um den Ausländern die Grundlagen dieser Resolution klarzumachen. Sonst sind sie absolut nicht imstande, diese Resolution durchzuführen. Ich habe die Überzeugung, dass wir da nicht nur den russischen sondern auch den ausländischen Genossen sagen müssen, dass in der jetzt anbrechenden Periode das Lernen das Wichtigste ist. Wir lernen im allgemeinen Sinne. Sie aber müssen im speziellen Sinne lernen, damit sie wirklich die Organisation, den Aufbau, die Methode und den Inhalt der revolutionären Arbeit erfassen. Wenn das geschieht, so werden, davon bin ich überzeugt, die Perspektiven der Weltrevolution nicht nur gut sondern ausgezeichnet sein.

1 Lenin zitiert hier die Worte, die Turgenjew in seinem Roman „Rudin“ den Weiberfeind Pigassow sagen lässt, der damit sagen will, dass das Weib auch beim Irrtum weniger logisch ist als der Mann, wenn er irrt. Die Red.

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