Lenin‎ > ‎1914‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19140200 „Die nationale Frage und das lettische Proletariat"

Wladimir I. Lenin: Anmerkung der Redaktion zu dem Aufsatz des Genossen Veteran: „Die nationale Frage und das lettische Proletariat"

[„Prosweschtschenije", Nr. 2, Februar 1914. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 255]

Mit Vergnügen veröffentlichen wir den Aufsatz des Gen. Veteran, der einen geschichtlichen Abriss der nationalen Frage bei den Letten im allgemeinen und den lettischen Sozialdemokraten im Besonderen gibt. Änderungs- und Ergänzungsprojekte der lettischen Marxisten zum Beschluss der Sommerberatung (1913) wären sehr wünschenswert. Bei den lettischen Sozialdemokralen gab es alte Sympathien für den Bund, die infolge der theoretischen Kritik der Marxisten einerseits und des praktischen Separatismus der Bundisten, namentlich nach 1906, anderseits ins Schwanken geraten sind. Wir möchten den Wunsch aussprechen, dass die Diskussion bei den lettischen Sozialdemokralen über die nationale Frage fortgesetzt werden und zur Annahme ganz bestimmter Beschlüsse führen möge.

In der Hauptsache wollen wir zu den Bemerkungen des Gen. Veteran nur das Folgende bemerken. Ihm scheint unsere Berufung auf die Schweiz nicht überzeugend zu sein, da dort alle drei Nationen geschichtliche und von allem Anfang an gleichberechtigte Nationen sind1. Aber für „Nationen ohne Geschichte'' gibt es nirgends ein Beispiel oder Vorbild (es sei denn in der Utopie) als eben unter den geschichtlichen Nationen. Selbst die Anhänger der „national-kulturellen Autonomie" setzen die Gleichberechtigung der Nationen voraus. Die Erfahrung der zivilisierten Menschheit belehrt uns folglich, dass unter den Voraussetzungen einer wirklichen Gleichberechtigung der Nationen und einer konsequenten Demokratie die „national-kulturelle Autonomie" überflüssig ist; ohne diese Voraussetzungen aber bleibt sie utopisch und bleibt ihre Propaganda das Predigen eines verfeinerten Nationalismus.

1 In einer Reihe von Artikeln: „Liberale und Demokraten über die Sprachenfrage" (Bd. XVI der Sämtlichen Werke [nicht erschiene]), „Noch einmal zur Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten" und „Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage" führt Lenin das Beispiel der demokratischen Schweiz an, um zu beweisen, dass die Gleichberechtigung der Nationen unter den Verhältnissen der vollständigen Demokratie ein verhältnismäßig friedliches Zusammenleben und eine kulturelle Entwicklung der Nationen sowie die sprachlichen Interessen und das Schulwesen für die nationalen Minderheiten sichert. Gegen die Berufung auf die Schweiz schrieb P. Stutschka (Veteran), der dabei hauptsächlich den Artikel Lenins „Kritische Notizen zur nationalen Frage" im Auge hatte, dass sogar bei sprachlicher Gleichberechtigung in der bürgerlichen Gesellschaft die Selbstverwaltungsorgane dort, wo die Vertreter der herrschenden Großmachtnationen das Übergewicht haben, die Interessen der Sprache und der Schule einer unbedeutenden Gruppe von Fremdstämmigen nicht mit der genügenden Sorgfalt beachten werden. „Die Berufung auf das Beispiel der Schweiz ist nicht ganz überzeugend, denn die drei Nationen, die in diesem Staate wohnen, sind drei geschichtliche Nationen und waren von allem Anfang an gleichberechtigt". („Prosweschtschenije" Nr. 2 vom Februar 1914).

Kommentare