Lenin‎ > ‎1913‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19131230 Noch einmal über die Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten

Wladimir I. Lenin: Noch einmal über die Trennung des Schulwesens

nach Nationalitäten

[Proletarskaja Prawda", Nr. 9, 17./30. Dezember 1913. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 150-152]

Die Marxisten kämpfen entschieden gegen den Nationalismus in allen seinen Spielarten, angefangen mit dem grobschlächtigen, reaktionären Nationalismus unserer Regierungskreise und der rechtsoktobristischen Parteien bis zu dem mehr oder weniger verfeinerten und verhüllten Nationalismus der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien.

Der reaktionäre oder Schwarzhunderter-Nationalismus sucht die Privilegien der einen Nation zu sichern und verdammt alle übrigen Nationen zu einer untergeordneten, nicht gleichberechtigten und sogar völlig rechtlosen Lage. Kein Marxist und sogar kein Demokrat kann sich diesem Nationalismus gegenüber anders als gänzlich feindselig verhalten.

Der bürgerliche und der bürgerlich-demokratische Nationalismus, der in Worten die Gleichberechtigung der Nationen anerkennt, verficht in Wirklichkeit (oft im geheimen, hinter dem Rücken des Volkes) gewisse Privilegien einer Nation und ist stets bestrebt, für „seine" Nation (d. h. für die Bourgeoisie seiner Nation) größere Vorteile zu erreichen, die Nationen voneinander zu trennen und abzugrenzen, die nationale Ausschließlichkeit zu fördern usw. Dadurch dass er am meisten von der „nationalen" Kultur redet und dasjenige betont, was die eine Nation von der anderen trennt, trennt der bürgerliche Nationalismus die Arbeiter der verschiedenen Nationen) und verdummt sie durch „nationale Losungen".

Die klassenbewussten Arbeiter beschränken sich nicht darauf, gegen jedwelche nationale Unterdrückung und gegen jedwelche nationalen Privilegien zu kämpfen. Sie kämpfen gegen jeden, selbst den verfeinertsten Nationalismus und vertreten nicht nur die Einheit, sondern auch die Verschmelzung der Arbeiter aller Nationalitäten zum Kampfe gegen die Reaktion und gegen jeden bürgerlichen Nationalismus. Nicht die Nationen voneinander zu trennen ist unsere Aufgabe, sondern die Arbeiter aller Nationen zusammenzuschweißen. Nicht die „nationale Kultur" steht auf unserer Fahne geschrieben, sondern die internationale Kultur, die alle Nationen zu einer höheren, sozialistischen Einheit verbindet und die durch die internationale Vereinigung des Kapitals schon heute vorbereitet wird.

Der Einfluss des kleinbürgerlichen, spießbürgerlichen Nationalismus hat auch einige „Auch-Sozialisten" angesteckt, die die sogenannte „Autonomie auf dem Gebiet der Kultur und Volksbildung", das heißt die Übergabe des Schulwesens (und überhaupt der Sache der nationalen Kultur) aus den Händen des Staates in die Hände der einzelnen Nationalitäten verfechten. Es versteht sich, dass die Marxisten gegen diese Agitation für die Abgrenzung der Nationen, gegen diesen verfeinerten Nationalismus, gegen die Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten kämpfen. Als unsere Bundisten und später die Liquidatoren die „national-kulturelle Autonomie" entgegen dem Parteiprogramm. verteidigen wollten, wurden sie nicht nur von den Bolschewiki, sondern auch von den parteitreuen Menschewiki (Plechanow) verurteilt.

Jetzt versucht Herr An in der „Nowaja Rabotschaja Gaseta" Nr. 103) diese faule Sache zu verteidigen, wobei er die Frage verschiebt und uns mit Beschimpfungen überhäuft Die Schimpfereien schieben wir ruhig beiseite – es kennzeichnet nur die Ohnmacht der Liquidatoren.

Schulen mit der Muttersprache als Unterrichtssprache – versichert Herr An –, das sei eben die Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten; die Prawdisten wollen den Nichtrussen ihre nationalen Schulen rauben.

Über eine solche Methode des Herrn An kann man nur lachen, denn jedermann weiß, dass die Prawdisten für die vollständigste Gleichberechtigung der Sprachen eintreten und sogar eine Staatssprache für überflüssig halten! Herr An beginnt in seinem ohnmächtigen Zorn den Kopf zu verlieren. Das ist gefährlich, lieber Herr An!

Die Rechte der Muttersprache werden im § 8 des Programms der Marxisten ganz genau und bestimmt anerkannt.

Wenn Herr An recht hätte damit, dass Schulen mit der Muttersprache als Unterrichtssprache eben die Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten bedeuten – wozu haben dann die Bundisten im Jahre 1906 und die Liquidatoren im Jahre 1912 jenes Programm „ergänzt" (oder richtiger verfälscht), in welchem im Jahre 1903 auf demselben Kongress, der die „national-kulturelle" Autonomie ablehnte, die Muttersprache restlos anerkannt wurde?

Nein, Herr An, es wird Ihnen nicht gelingen, die Frage zu verschieben und die Verletzung dieses Programms durch die Liquidatoren, ihre, nach dem Ausdruck des Genossen Plechanow, „Anpassung des Sozialismus an den Nationalismus" durch Lärm, Geschrei und Geschimpf zu vertuschen.

Wir wollen das Programm nicht verletzen. Wir wollen nicht den Sozialismus dem Nationalismus anpassen. Wir sind für die völlige Demokratie, für völlige Freiheit und Gleichberechtigung der Sprachen, ohne damit irgendwie die „Übergabe des Schulwesens an die Nationalitäten", die „Trennung des Schulwesens nach Nationalitäten" zu vertreten.

Es handelt sich ja um die Trennung der Schulen nach Nationalitäten", schreibt Herr An, „also müssen diese Nationen, die einander in ihrer Entwicklung stören, am Orte vorhanden sein, und folglich ist es notwendig, sie auch auf dem Gebiete der Volksbildung voneinander abzugrenzen."

Die von uns hervorgehobenen Worte offenbaren deutlich, wie das Liquidatorentum Herrn An vom Sozialismus weg und zum Nationalismus hinzieht. Die Abgrenzung der Nationen innerhalb der Grenzen eines Staates ist schädlich, und wir, die Marxisten, sind bestrebt, sie einander näher zu bringen, und zu verschmelzen. Nicht die „Abgrenzung" der Nationen ist unser Ziel, sondern die durch eine vollständige Demokratie bewirkte Sicherung ihrer Gleichberechtigung und eines ebenso (verhältnismäßig) friedlichen Zusammenlebens wie in der Schweiz*.

* Herr An erklärt kühn, dass „es auch in den Kantonen der Schweiz; keine Mischung der Nationen gibt". Wird er sich nicht schämen, wenn wir ihm die vier Kantone Bern. Freiburg, Graubünden und Wallis nennen?

Kommentare