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Wladimir I. Lenin 19171029 Sitzung des ZK der SDAPR

Wladimir I. Lenin: Sitzung des Zentralkomitees der SDAPR

29. (16.) Oktober 19171

Protokoll

[Zum ersten Mal veröffentlicht Oktober 1927 in der Zeitschrift „Proletarskaja Rewoluzija", Nr. 10. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 420-422]

I

Lenin verliest die vom ZK in der vorhergehenden Sitzung angenommene Resolution. Er teilt mit, dass die Resolution gegen zwei Stimmen angenommen worden ist. Wenn die Genossen, die nicht einverstanden waren, sich auszusprechen wünschen, kann eine Diskussion stattfinden. Inzwischen begründet er die Resolution.

Hätten die Parteien der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre mit ihrer Politik des Paktierens gebrochen, so hätte man ihnen einen Kompromiss anbieten können. Ein solches Angebot wurde auch gemacht, es war aber von vornherein klar, dass dieser Kompromiss von den erwähnten Parteien abgelehnt werden würde Anderseits war es um diese Zeit schon klar geworden, dass die Massen mit uns gehen. Das war noch vor dem Kornilow-Abenteuer. Als Beweis führt Lenin die Statistik der Wahlen in Petrograd und Moskau an. Das Kornilow-Abenteuer aber trieb die Massen noch entschiedener zu uns. Das Kräfteverhältnis auf der Demokratischen Beratung. Die Lage ist klar. Entweder Diktatur Kornilows oder Diktatur des Proletariats und der ärmsten Bauernschichten. Von der Stimmung der Massen kann man sich nicht leiten lassen, denn diese ist veränderlich und lässt sich nicht berechnen; wir müssen uns an eine objektive Analyse und Beurteilung der Revolution halten. Die Massen haben den Bolschewiki Vertrauen geschenkt und fordern von ihnen nicht Worte, sondern Taten, eine entschiedene Politik, im Kampfe gegen den Krieg wie im Kampfe gegen die Zerrüttung. Wenn man die politische Analyse der Revolution zur Grundlage nimmt, so wird es ganz klar, dass das jetzt sogar anarchische Aktionen bestätigen.

Weiter analysiert er die Lage in Europa und die Beweise dafür, dass dort die Revolution noch schwerer ist als bei uns. Wenn es in einem Lande wie Deutschland zu einem Aufstand in der Flotte kommen konnte, so beweist das, dass auch dort die Dinge schon sehr weit gediehen sind. Die internationale Lage liefert uns eine Anzahl objektiver Belege dafür, dass wir, wenn wir jetzt in Aktion treten, das ganze proletarische Europa für uns haben werden; er weist nach, dass die Bourgeoisie Petrograd ausliefern will. Nur wenn wir selbst Petrograd nehmen, können wir die Stadt retten. Der klare Schluss aus all dem ist, dass der bewaffnete Aufstand, von dem die Resolution des ZK spricht, auf der Tagesordnung steht.

Was die praktischen Schlussfolgerungen aus der Resolution betrifft, so ist es zweckmäßiger, diese erst zu ziehen, nachdem die Berichte der Vertreter der Zentren gehört worden sind.

Aus der politischen Analyse des Klassenkampfes in Russland und Europa folgt die Notwendigkeit der entschlossensten und aktivsten Politik, die nur der bewaffnete Aufstand sein kann.

II

Lenin polemisiert gegen Miljutin und Schotman und weist nach, dass es nicht auf die bewaffneten Kräfte ankommt, dass es sich nicht um einen Kampf gegen die Truppen handelt, sondern um den Kampf eines Teiles der Truppen gegen einen anderen Teil. Er sieht keinen Pessimismus in dem, was hier gesagt wurde. Er weist nach, dass die hinter der Bourgeoisie stehenden Kräfte gering sind. Die Tatsachen beweisen, dass wir dem Feind überlegen sind. Warum kann das ZK nicht anfangen? Das folgt aus den Angaben nicht. Um die Resolution des ZK abzulehnen, muss man beweisen, dass es keine Zerrüttung gibt, dass die internationale Lage nicht zu Komplikationen führt. Wenn die Gewerkschafter die ganze Macht fordern, wissen sie sehr gut, was sie wollen. Die objektiven Bedingungen zeigen, dass die Bauern einer Führung bedürfen, dem Proletariat werden sie Gefolgschaft leisten.

Man befürchtet, dass wir die Macht nicht halten werden. Aber gerade jetzt haben wir besonders gute Aussichten, die Macht zu halten.

Er drückt den Wunsch aus, dass die Diskussion auf dem Boden einer sachlichen Besprechung der Resolution geführt werden möge.

III

Wenn alle Resolutionen so durchfielen, könnte man sich gar nichts Besseres wünschen. Jetzt sagt Sinowjew, die Losung „die Macht den Räten" tauge nichts, und er will auf die Regierung einen Druck ausüben. Wenn man sagt: „Volks"-Aufstand, so kann man nicht von Verschwörung sprechen. Wenn der Aufstand politisch unvermeidlich ist, so muss man den Aufstand als Kunst behandeln. Politisch ist er aber schon reif.

Gerade weil das Brot nur für einen Tag reicht, können wir die Konstituante nicht abwarten. Er schlägt vor, die Resolution zu bestätigen, sich entschieden an die Vorbereitungen zu machen und die Bestimmung des Zeitpunktes dem ZK und dem Rat zu überlassen.

IV

Lenin erwidert Sinowjew, dass man diese Revolution nicht der Februarrevolution entgegenstellen könne. Er schlägt folgende Resolution vor:

Die Versammlung begrüßt und billigt voll und ganz die Resolution des ZK, fordert alle Organisationen und alle Arbeiter und Soldaten zur allseitigen und eifrigen Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes und zur Unterstützung des vom Zentralkomitee zu diesem Zwecke geschaffenen Zentrums auf und gibt der vollen Überzeugung Ausdruck, dass das ZK und der Rat rechtzeitig den günstigen Zeitpunkt und die zweckmäßigen Mittel des Angriffs angeben werden."

1 Das Protokoll der Sitzung des Zentralkomitees mit den Vertretern der führenden Parteiorganisationen am 29. (16.) Oktober 1917 ist eine kurze Wiedergabe der Berichte und Diskussionen über die Frage der Vorbereitung des bewaffneten Aufstands. Die Sitzung hatte den Zweck, ein genaues Bild der Stimmung in den Arbeiter- und Soldatenmassen zu bekommen und die Ansicht der Petrograder und Moskauer Funktionäre über den Aufstand zu klären. Darum war der erste Teil der Sitzung den Berichten gewidmet. Eine Information über die allgemeine Lage gab Swerdlow. Über die Lage der einzelnen Bezirke Petrograds berichtete der Sekretär des Petrograder Komitees Bokij. Nach einer Reihe ergänzender Mitteilungen anderer Genossen ging man zur Diskussion über die Lage über. Es bekämpften sich zwei Standpunkte: Lenins für den Aufstand in den nächsten Tagen, und Sinowjews und Kamenews gegen den Aufstand oder, im äußersten Falle, für die Aufschiebung der Frage bis zum Rätekongress. Die erdrückende Mehrheit der Anwesenden, darunter auch der Mitglieder des ZK, unterstützten entschieden den Standpunkt Lenins. Nach erneuten Reden Sinowjews und Kamenews nahm die Versammlung eine von Lenin vorgeschlagene Resolution an.

Die in der Minderheit gebliebenen Kamenew und Sinowjew reichten am gleichen Tage dem ZK folgende Erklärung ein:

Wir fordern dringend die sofortige telegraphische Einberufung einer Plenarsitzung des Zentralkomitees. G. Sinowjew und J. Kamenew."

Außerdem reichte Kamenew folgende Erklärung über seinen Austritt aus dem Zentralkomitee ein:

An das ZK der SDAPR. Da es mir nicht möglich ist, den Standpunkt zu vertreten, der in den letzten Beschlüssen des Zentralkomitees zum Ausdruck gekommen ist und der den ganzen Charakter seiner Arbeit bestimmt, und da ich der Meinung bin, dass diese Stellung die Partei und das Proletariat zur Niederlage führen muss, so bitte ich das Zentralkomitee, mich nicht mehr als Mitglied des Zentralkomitees zu betrachten. L. Kamenew."

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